Holberg

Holberg

Holberg, Ludwig, Freiherr von, der Vater des dänischen Lustspiels und der Schöpfer der neuern dänisch-norwegischen Literatur, geb. 3. Dez. 1684 zu Bergen in Norwegen, gest. 28. Jan. 1754 in Kopenhagen, war früh verwaist, wurde mit 10 Jahren als Korporal mit Gage bei einem norwegischen Regiment eingeschrieben, wandte sich aber dem Studium zu und befliß sich seit 1702 in Kopenhagen der Theologie. Vorübergehend erwarb er sich sein Brot als Hauslehrer in Norwegen, dann aber trieb es ihn in die Fremde. 1704–05 bereiste er Holland und Deutschland, 1706 England. Dazwischen fällt ein durch Geldmangel veranlaßter Aufenthalt in Christianssand in Norwegen, wo er seine Sprachkenntnisse als Lehrer praktisch verwertete. 1708 bereiste er als Hofmeister eines reichen jungen Herrn auf einige Monate Deutschland, 1714 erhielt er auf Grund historischer Arbeiten eine außerordentliche Professur an der Kopenhagener Universität, die zwar keinen Gehalt, aber doch ein Stipendium mit sich brachte, wodurch ihm eine zweijährige Studienreise nach Paris ermöglicht wurde. Er kehrte über Rom nach Hause zurück, wurde 1717 Professor der Metaphysik und 1720 Professor der Rhetorik zu Kopenhagen. Um diese Zeit begann er seine schriftstellerische Tätigkeit mit einer »Einleitung zum Natur- und Völkerrecht« (1716), durch die Grotius' und Pufendorfs Rechtsgrundsätze in Dänemark erst bekannt wurden. In die Jahre 1719–30 fällt auch die umfangreiche poetische und dramatische Produktion, die in Dänemark eine Nationalbühne hervorrief. Von anhaltender Arbeit erschöpft, unternahm er 1725–26 seine fünfte und letzte Reise nach dem Ausland. Als 1730 Christian VI. den Thron bestieg und mit pietistischem Eifer gegen jegliches Vergnügen und somit auch gegen das Theater eiferte, wandte sich H. immer mehr gelehrten Arbeiten zu. 1730 wurde er zum Professor der Geschichte, 1737 zum Quästor der Universität ernannt und 1747 baronisiert. Verheiratet war H. nie. Den größten Teil seines bedeutenden Vermögens vermachte er der Ritterakademie zu Sorö, wo er auch bestattet wurde. Am 31. Okt. 1875 wurde in Kopenhagen seine Bronzestatue (von Th. Stein) vor dem neuen Nationaltheater enthüllt; eine andre (von dem schwedischen Bildhauer Börjeson modelliert) schmückt seit 1884 die Vaterstadt des Dichters. Die ersten Proben seines poetischen Talents legte H. in dem Gedicht »Peder Paars« ab, das er unter dem Pseudonym »Hans Mikkelsen, Bürger in Kallundborg« 1719–20 veröffentlichte (neueste Ausg. von Liebenberg 1879; deutsch 1764). »Peder Paars« ist ein in Alexandrinern abgefaßtes komisches Heldengedicht, das in klassischem Ton mit unwiderstehlichem Witz und Satire alle Borniertheit und philiströse Selbstgefälligkeit der Zeit dem Leser vorführt. Es rief teils höchste Entrüstung, teils größte Bewunderung hervor. 1722 folgten Hans Mikkelsens »Vier Scherzlieder« und 1726 Hans Mikkelsens »Metamorphosen«, eine Travestie von Ovid. Der jetzt auftauchende Gedanke, eine bisher schlechterdings nicht existierende dänische Nationalbühne zu gründen, veranlaßte ihn, die Lustspiele zu schreiben, die eine neue Ära in der gesamten dänisch-norwegischen Literatur einleiten. Als die vorzüglichsten unter den vorzüglichen »Komödien Hans Mikkelsens« müssen erwähnt werden: »Der politische Kannegießer«, der die Lust der Handwerker, die schwierigsten politischen Fragen zu debattieren, satirisiert; »Jean de France«, wo H. sich über die Nachahmung der französischen Moden lustig machte; »Jakob v. Thyboe«, der in der Art des Plautus einen großprahlerischen Soldaten bloßstellt; »Erasmus Montanus«, der über die gelehrte Pedanterie und Disputiersucht der Kopenhagener Studenten spottet; »Ulysses von Ithaca«, der mit allen Geschützen komischer Satire die deutschen Lustspiele der damaligen Zeit angreift; »Jeppe vom Berge«, der mit großartigem Humor das jämmerliche Leben des damaligen dänischen Bauern darstellt; »Don Ranudo de Colibrados«, worin über adligen Dummstolz und damit verbundene Armut satirisiert wird, und »Die Wochenstube«, die uns eine ganze Reihe komischer Weibertypen damaliger Zeit vorführt.

In den Lustspielen, die nach Molières und Plautus' Muster das Tun und Treiben des Volkes, vorzüglich des Bürger- und Handwerkerstandes, schildern, zeigt sich H. als ein Dichter, bei dem sich künstlerische Phantasie, durchdringender Verstand und durch Sentimentalität nie beeinträchtigte Komik vereinigen. Die belehrende Tendenz, die seinem Schaffen unterlag, wirkt nie langweilig pedantisch, sondern äußert sich vor allem in einer scharfen, gern typenhaften Charakterzeichnung, die seinen Komödien ihre ausdrucksvolle Klarheit verleiht. Was man bei ihm vermißt, ist die Wärme des Gefühls, die seine Satire zum Humor erheben würde, wie dies bei Molière der Fall ist. Ein Neuerer auf allen Gebieten, brachte H. in die dänische Literatur das norwegische Element: das Verstandesmäßige und National-Eigenartige als Korrektiv der dänischen Gefühlsüberschwenglichkeit und Ausländerei. Neben den Komödien steht Holbergs ursprünglich lateinisch abgefaßter, in die meisten Kultursprachen übersetzter utopischer Roman »Niels Klims unterirdische Reise«, worin er nach Aristophanes und Swift ein ergötzliches Spiegelbild seiner eignen Nation in den verschiedenen Völkern gibt, die Niels Klim besucht. (»Nicolaii Klimii iter subterraneum«, Leipz. 1741, zuletzt Kopenh. 1866; deutsch von Wolf, Leipz. 1829; dän. von Baggesen, 1789, und von Dorph; mit historisch-literarischen Erläuterungen von Werlauff, 1841). Als Historiker hat H. in seiner »Danmarks Historie« (1732–35; neue Ausg. von Levin, 1856) die erste pragmatische, volkstümliche Darstellung der Geschichte Dänemarks geliefert, die sofort Volksgut wurde und auch zweimal nacheinander in deutscher Übersetzung erschien. Seine »Allgemeine Kirchengeschichte« (1738–40, 2 Bde.; neue Ausg. von Liebenberg, 1867) und seine »Geschichte der Juden« (1742, deutsch 1747) wirkten bahnbrechend nicht weniger durch historische Objektivität als durch ihren höchst unterhaltenden Stil. In den »Vergleichenden Geschichten berühmter Männer und Helden« (1739; hrsg. von Liebenberg, 1864, 2 Bde.) und in den »Vergleichenden Geschichten berühmter Damen oder Heldinnen« (1745; hrsg. von Rode, 1861) folgt er Plutarchs Vorbild; in dem letztgenannten Werk tritt er deutlicher als sonst als Vorkämpfer für die Frauenemanzipation auf. »Männliche Tugenden würden die Frauen zieren, falls sie die sorgfältige Ausbildung der Männer bekämen«, sagt er. Das Belehrende und Reformatorische seiner ganzen Lebenstätigkeit tritt selbständig hervor in den »Moralischen Gedanken« (1744; hrsg. von Rode, 1859) und in vielen seiner »Episteln« (1748–54, 5 Bde.; Ausg. von Brunn, 1865–75), die zugleich Beweise für Holbergs moralischen Mut, seine Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit liefern. Material zu seiner eignen Lebensgeschichte hat er in seinen höchst unterhaltenden, kulturhistorisch interessanten und dabei durchaus bescheidenen »Drei Episteln an*** 1727–1743« niedergelegt (1745; hrsg. von Levin, 1857). Eine kritische Behandlung von Holbergs Schriften versuchte zuerst K. L. Rahbek in der von ihm veranstalteten Sammlung von Holbergs »Udvalgte Skrifter« (Kopenh. 1804–14, 21 Bde.). Nach ihm hat sich besonders A. E. Boye durch seine Ausgaben der Lustspiele (1843 u. ö.) und des »Peder Paars« (1823 u. ö.) um die Herstellung des echten Textes verdient gemacht. Eine kritisch erläuterte Ausgabe der »Komedier«, die allen spätern Bearbeitungen zugrunde liegt, besorgte ferner durch Liebenberg die 1842 zu Kopenhagen gestiftete Holberg-Gesellschaft (1847–54, 8 Bde.; neue Ausg. 1884 ff.). Der um die Holbergforschung sehr verdiente Liebenberg hat auch die »Kleineren poetischen Schriften« (1866) herausgegeben. Vgl. Rahbek, Om H. som Lystspildigter og om hans Lystspil (Kopenh. 1815 bis 1817, 3 Bde.); Werlauff, Historiske Antegnelser til L. Holbergs Lystspil (das. 1838, 2. Ausg. 1858); Prutz, Ludwig H., sein Leben und seine Schriften (Stuttg. 1857); Smith, Om Holbergs levnet og populäre skrifter (Kopenh. 1858); Skavlan, H. som Komedieforfatter (Christiania 1872); Paludan, Om Holbergs Niels Klim (Kopenh. 1878); Holm, Holbergs statsretlige og politiske standpunkt (das. 1879); G. Brandes, Ludwig H. und seine Zeitgenossen (2. Aufl., das. 1898; deutsche Ausg., Berl. 1885).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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