Anlage

Anlage

Anlage, im weitern Sinne jeder Keim einer künftigen Entwickelung, der durch äußere Anregung zur Entfaltung gebracht werden kann (A. der Pflanze im Samenkorn), im engern Sinne die durch Übung zu entwickelnde Fähigkeit zur Ausübung einer Tätigkeit irgend welcher Art. Beim Menschen insbes. kann man die Anlagen in körperliche und seelische einteilen. Die Natur der erstern ist im wesentlichen leicht verständlich; es ist eine angeborne individuelle Besonderheit der Organe, welche dieselben zu spezifischen oder besonders intensiven Leistungen innerhalb der Grenzen ihrer Funktion befähigt, so hat die A. zum Singen in der Konstitution der Stimmorgane ihre Grundlage etc. Das Wesen der psychischen Anlagen, zu denen auch die Instinkte (s. d.) bei Tieren und Menschen zu rechnen sind, liegt nicht so klar zu Tage. Es ist deshalb sogar die Ansicht aufgestellt worden, daß es solche überhaupt nicht gebe. daß z. B. die Seele des Kindes in psychischer Hinsicht einem unbeschriebenen Blatt Papier (tabula rasa) gleiche, und daß alle später scheinbar hervortretenden individuellen geistigen Eigentümlichkeiten intellektueller wie moralischer Art in den äußern Eindrücken der ersten Lebenszeit (das Leben im Mutterleibe natürlich eingeschlossen) ihre Erklärung fänden. Dieser Anschauung steht als das entgegengesetzte Extrem die Behauptung gegenüber, daß nicht nur die A. zu den übereinstimmenden Grundfunktionen des Geistes, sondern auch die individuellen Unterschiede derselben, ja selbst, was Schopenhauer besonders schroff betont hat, die individuelle Willensrichtung, die beim erwachsenen Menschen den Charakter ausmacht, von vornherein fest gegeben seien. Für die Auffassung der Aufgaben der Pädagogik ist die Entscheidung im einen oder im andern Sinne von großem Belang. Auf dem zweiten Standpunkt erscheint die Arbeit des Erziehers als eine soft völlig fruchtlose, während auf dem erstern von der Erziehung fast alles zu erwarten wäre und es nur an dieser läge, ob ein Kind zum Dummkopf oder zum Genie, zum Bösewicht oder zum Tugendspiegel wird. Betrachtet man den tatsächlichen Parallelismus, wie er zwischen den geistigen Tätigkeiten und der Gehirnfunktion besteht, so ist einleuchtend, daß es durchaus inkonsequent wäre, Anlagen der physischen Organisation vorauszusetzen (wie es in der Biologie geschieht), die psychischen Anlagen dagegen zu leugnen. Wenn im Keime des Menschen zweifellos Anlagen für die Bildung und die spätere Tätigkeitsweise der Organe, so mit auch des Gehirns, liegen, so ist damit auch ohne weiteres eine angeborne psychische Veranlagung gegeben, wie rätselhaft man auch im übrigen die Verbindung des Physischen und Psychischen finden mag. So hat denn in neuerer Zeit auch H. Spencer sowohl die Instinkte als die Erkenntnisformen als im Gehirn »organisch eingetragene« geistige Errungenschaften unsrer Vorfahren zu erklären gesucht. Die bekannte Tatsache der Übung (s. d.) in Verbindung mit der in vielen Fällen beobachteten Erblichkeit auch der geistigen A. scheint in der Tat Anhaltspunkte zur Erklärung der letztern in dem angedeuteten Sinne zu bieten. Vgl. Nativismus.

Krankheitsanlage, eine Mangelhaftigkeit gewisser Organe, die an sich zwar keine Krankheit ist, auch nicht notwendig zu einer solchen werden muß, aber bei verhältnismäßig geringfügigen äußern An lassen zu einer Erkrankung zu führen droht. Solche A. ist an geboren oder erworben, auf einzelne Organe beschränkt oder erstreckt sich auf den ganzen Organismus, bez. größere Organsysteme; in letzterm Falle spricht man auch von Konstitutionsanomalie. Bleibt beim Embryo, nachdem die Hoden durch den Leistenkanal hindurch getreten sind, dieser Kanal offen, so ist dieser Mangel an sich keine Krankheit, aber eine A., da ein unbedeutender Hustenstoß einen lebensgefährlichen Leistenbruch zu stande bringen kann. Eine meist angeborne, oft auch erworbene Verletzlichkeit und Neigung zu Entzündungsprozessen, die als Skrofulose bekannt ist, ist mit der Tuberkulose keineswegs identisch, bereitet aber sehr häufig der Tuberkulose günstige Eingangspforten und Entstehungsbedingungen, bedeutet also eine A. zur Tuberkulose. Eine erworbene A. ist z. B. die erhöhte Neigung zu erneuten Anfallen von Gelenkrheumatismus nach einmaligem Überstehen dieser Krankheit. Zu vielen Erkrankungen bringt das Alter eine günstige A. in Fällen, wo bei gleich geringfügigen Ursachen eine jugendlich-kräftige Konstitution Trotz bieten wurde. Für manche Infektionskrankheiten (Scharlach, Masern) hat das jugendliche Alter eine besondere A., die durch einmaliges Überstehen der Krankheit aufgehoben wird (s. Immunität). Vgl. Virchow. Zellularpathologie (4. Aufl., Berl. 1872); Locher, Über Familienanlage und Erblichkeit (Zürich 1874), Beneke, Die Altersdisposition (Marb. 1879).

In der bildenden Kunst bezeichnet A. die ersten roh geordneten Züge eines Werkes, woraus man jedoch seine künftige Gestalt schon erkennen kann. In ähnlicher Bedeutung spricht man von der A. eines dramatischen Stückes oder eines Charakters darin. – A. im Erd- (Festungs-) Bau, s. Böschung.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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