Lageabweichung

Lageabweichung

Lageabweichung eines Eingeweides, d.h. vorübergehend oder dauernd abnorme Lage eines normalen Organs im Körper, die angeboren sein kann, meist aber erst während des Lebens durch schädliche Einflüsse entsteht. Die angeborne L. tritt zuweilen unter der Form von Mißbildungen auf, soz. B. die sogen. Ektopie des Herzens, wobei letzteres durch eine Spalte in der vordern Brustwand frei nach außen tritt, etc. Zuweilen kommt eine L. auch bei scheinbar normal gebauten und vollkommen gefunden Individuen vor. So sind manchmal die Organe, die normal in der linken Körperhälfte liegen, nach rechts verlegt und umgekehrt (situs inversus). Die Herzspitze liegt dann unter der rechten Brustwarze, die Leber in dem linken, die Milz in dem rechten Hypochondrium. Diese L. vermag im Leben nur der in der Kunst des Beklopfens und Behorchens des Körpers geübte Arzt zu erkennen, während der betreffende Mensch selbst gewöhnlich nichts davon weiß, da sie ohne Einfluß auf sein Befinden ist. Während des Lebens entstehende L. wird oft die Quelle mannigfacher Leiden und Gegenstand ärztlicher Behandlung, wie die Unterleibsbrüche, Darmverschlingung etc. Andre Lageabweichungen bedingen seltener krankhafte Zustände, wie die wandernde Milz oder die Wanderniere und die Wanderleber. Diese Organe sind nicht losgelöst aus ihren organischen Verbindungen, sondern es haben sich nur infolge krankhafter Einflüsse ihre Aufhängebänder oder die im Körper sie sonst an ihrer Stelle festhaltenden bindegewebigen Häute und Stränge mehr oder weniger gelockert, so daß die Organe eine gewisse abnorme Beweglichkeit erlangen, die aber weniger durch die wechselnde Lage als durch die dadurch bedingten Zerrungen an den mit sympathischen Nervenfasern versehenen Mesenterien etc. zu tiefern Störungen Anlaß geben. Über die Ursachen der Lageabweichungen und über die Bedingungen, unter denen sie auftreten, ist man vielfach im unklaren; wenigstens gilt dies von den angebornen Lageabweichungen. Bei den erworbenen Lageabweichungen vermag die ärztliche Kunst Hilfe zu gewähren, in manchen Fällen allerdings nur durch operative Behandlung. Glénard hat als eine besondere Krankheit die Enteroptose (»Fall der Eingeweide«) aufgestellt, bei der besonders infolge von Erschlaffung der Bauchdecken (daher besonders häufig bei Frauen, die öfter geboren hatten) ein Herabsinken der Baucheingeweide stattfindet, wodurch Verstopfung und ähnliche Beschwerden entstehen. Über L. der Gebärmutter s. Gebärmutterkrankheiten.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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