Schlangendienst

Schlangendienst

Schlangendienst (Schlangenanbetung, Schlangenkultus, Ophiolatrie), die bei Natur- und Kulturvölkern weitverbreitete Verehrung der Schlangen, bei der man in gewissen einheimischen Arten die Verkörperung der Gottheit überhaupt oder besonderer Erd-, Feuer-, Wasser- und Heilgötter oder des Genius loci, des Volksstammvaters und namentlich des bösen Prinzips vermutete. Am häufigsten scheint der S. einerseits aus der Verehrung der Unterweltsgottheiten und anderseits aus dem ehemals weitverbreiteten Feuerdienst hervorgegangen zu sein, indem man die züngelnde, zischende, beißende Flamme oder auch den Blitz als Schlange personifizierte, daher die Darstellung der indischen, ägyptischen, persischen und griechischen Feuergottheiten als Schlange oder mit Schlangenfüßen. Sofern diese Götter häufig bei einem Umsturz des alten Religionssystems zum bösen Prinzip erklärt wurden, ging dieselbe Auffassung meist auf dieses über, daher die Darstellung des indischen aus dem Himmel gestürzten Feuergottes Ahi, des persischen Ahriman, der griechischen Titanen, des altnordischen Loki, des christlichen Luzifer etc. als »alte« Schlange, und deshalb treten auch so viele alte Heroen und selbst christliche Heilige als Drachentöter auf. Doch sieht neuere Forschung in den Schlangenmythen vielmehr Entwickelungsstufen des uralten Mondkultus, die in den Drachenkämpfen auf den Kampf einer Lichtgottheit mit dem den Mond verdunkelnden Dämon hinweisen; auch die Schlange des Paradieses und der Apfel (vgl. Hesperiden) gehört in letzter Linie hierher. In manchen Kirchen wurde die Drachenfigur, z. B. der Granouilli (s. d.) in Metz, bis zur neuern Zeit aufbewahrt und das Fest seiner Tötung mit kirchlichen Aufzügen gefeiert. Indessen wurde aber auch anderseits die Schlange vielfach als wohltätiger Dämon verehrt, als Genius der unterirdischen Kräfte, Orakel, der Heilquellen und Personifikation des Äskulap, weil europäische Schlangen zur Überwinterung die Nähe warmer Quellen aufsuchen. Doch mischten sich auch andre durch die abweichende Gestalt und Bewegungsweise sowie durch die geheimnisvolle Wirkung des Giftes angeregte Vorstellungskreise ein, und somit liegt hier eine so vielfache Symbolisierung von Naturkräften und religiösen Vorstellungen vor, daß die mehrfach versuchte Zurückführung auf Eine dem gesamten S. zugrunde liegende Idee notwendig scheitern mußte. Besonders berühmt durch ihren S. waren die Ophiten, die davon ihren Namen erhielten. In den Ostseeländern wurden die Ringelnattern sehr allgemein als Hausschlangen gehalten und angebetet. Zur Zeit der Entdeckung Amerikas wurde der S. bei den Indianern des Nordens, bei den Mexikanern und in Peru allverbreitet gefunden; heute blüht er insbes. noch in manchen Ländern Afrikas und namentlich in einzelnen Distrikten Ostindiens, wo besondere Schlangen feste mit großartigen Tempelfütterungen unzähliger Brillenschlangen abgehalten werden. Schlangenbeschwörer (s. d.) und Giftdoktoren tragen in allen diesen Ländern viel zur Erhaltung des abergläubischen Nimbus der Schlange bei. Die Lösung des sich hierin darbietenden Rätsel- und Sagenknäuels haben (oft in sehr einseitiger Richtung) versucht: Fergusson, Tree and Serpent worship; mythology and art in India (Lond. 1868, Hauptquellenwerk); Mähly, Die Schlange im Mythus und Kultus der klassischen Völker (Leipz. 1867); Schwartz, Über die altgriechischen Schlangengottheiten (1858; neuer Abdruck, Berl. 1897). Die Entstehung der Schlangenmythen behandelt Siecke, Drachenkunde, Untersuchungen zur indogermanischen Sagenkunde (Leipz. 1907); über die bildliche Darstellung der Schlange des Paradieses vgl. Schmerber, Die Schlange des Paradieses (Straßb. 1905).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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