Militärgesetzgebung

Militärgesetzgebung

Militärgesetzgebung, der Inbegriff derjenigen Rechtsnormen, durch welche die rechtliche Stellung der Militärpersonen geregelt wird. Hierher gehören zunächst die Gesetzesvorschriften über die Wehrpflicht (s. d.) überhaupt, ferner derjenigen gesetzlichen Bestimmungen, die für das Militär auf dem Gebiete des öffentlichen wie des privaten Rechts die Eigentümlichkeiten eines besondern Rechtsstandes (das militärische Sonderrecht) begründen, soz. B. die Privilegien, die dem Militär in Kriegszeiten in Ansehung von letztwilligen Dispositionen zustehen, indem solche nicht an die für ordentliche letztwillige Verfügungen vorgeschriebenen Formen gebunden sind, sowie die mancherlei Bevorzugungen der Militärpersonen in Ansehung der gerichtlichen Hilfsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Befreiungen von zivilrechtlichen Verpflichtungen in Pflegschaftssachen etc., anderseits aber auch z. B. die Bestimmungen des deutschen Reichsmilitärgesetzes vom 2. Mai 1874, wonach die Militärpersonen des Friedensstandes zu ihrer Verehelichung der Bewilligung der Vorgesetzten bedürfen, die Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen den zum aktiven Heer gehörigen Militärpersonen untersagt ist, und für dieselben, mit Ausnahme der Militärbeamten (s. d.), die Berechtigung zum Wählen für den Reichstag und für die Landesvertretungen ruht. Von Wichtigkeit sind ferner die Grundsätze, die über den besondern Gerichtsstand der Militärpersonen (s. Militärstrafgerichtsbarkeit) sowie über die Bestrafung der sogen. Militärverbrechen (s. d.) gelten. In Deutschland wurde nach Gründung des Norddeutschen Bundes auf Grund der Verfassung (Art. 61) die gesamte preußische M. in dem ganzen Bundesgebiet eingeführt, eine Bestimmung, die auch in die deutsche Reichsverfassung aufgenommen worden ist, unbeschadet jedoch der militärischen Sonderstellung der Königreiche Bayern und Württemberg. Außerdem sind inzwischen eine ganze Reihe von Reichsgesetzen und Verordnungen über das Militärwesen erlassen worden, so namentlich das Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872, das Gesetz über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873, das Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874, mit Nachträgen vom 6. Mai 1880, 11. März 1887, 27. Jan. 1890, 3. Aug. 1893 und 25. März 1899, das Gesetz über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden in seiner Neufassung vom 20. Mai 1898, das Gesetz über den Landsturm vom 12. Febr. 1875 und die Verordnung über die Disziplinarstrafordnung für das deutsche Heer vom 31. Okt. 1872, Reichsmilitärstrafgerichtsordnung vom 1. Dez. 1898, Gesetz, betreffend die freiwillige Gerichtsbarkeit und andre Rechtsangelegenheiten in Heer und Marine vom 28. Mai 1901, Disziplinarstrafordnung für die Marine vom 1. Nov. 1902 etc. Vgl. außer der bei »Militärstrafgerichtsbarkeit«, S. 828, angeführten Literatur noch Hue de Grais, Handbuch der Gesetzgebung, 3. Teil: Heer und Kriegsflotte (Berl. 1904); Fielitz, Kommentar zur Disziplinarstrafordnung für die kaiserliche Marine (das. 1903); Reger, Militärdienstgesetzgebung des Deutschen Reiches (3. Aufl. von Jolas, Ansbach 1905); Schmidt, Militärgesetze für Bayern (Münch. 1906); Sammlung der auf Heer und Flotte bezüglichen reichsgesetzlichen und verordnungsmäßigen Bestimmungen (das. 1906); Damianitsch, Militärstrafgesetzbuch für Österreich erläutert (Wien 1855, Nachträge 1860); L. v. Stein, Die Lehre vom Heerwesen (Stuttg. 1872); Dangelmaier, Militärprivatrecht der österreichischen Armee (Innsbr. 1882) und Die Militärverbrechen und Vergehen nach österreichischem Recht (das. 1884); Weisl, Das Heeresstrafrecht (2 Tle., Wien 1892 u. 1905) und Das Militärstrafverfahren in Rußland, Frankreich und Deutschland (das. 1894); Bobrovsky, Začátky reform (Moskau 1881); Pio, Elementi di diritto penale militare (Prato 1884–85, 2 Bde.); Nicolas, Cours de législation, d'administration et de comptabilité militaires (Par. 1885, 2 Bde.; Supplement 1889); und Commentaire du Code de justice militaire (das. 1897).

In Österreich-Ungarn gilt das Militärstrafgesetzbuch vom 15. Jan. 1855, es unterscheidet sich von dem deutschen Militärstrafgesetzbuch durch die erschöpfende, auch die gemeinen Verbrechen umfassende Behandlung des Stoffes. Bis dahin galt für die österreichische Armee Kaiser Leopolds II. Artikelsbrief für die gesamten Reichsvölker (1672 u. 1682), durch Patente, Mandate und Normen ergänzt und abgeändert, sodann die Kriegsartikel 1798 (1803 Marine) und 1808. Für das Militärstrafverfahren gilt bis heute der Inquisitionsprozeß der Theresianischen Kriminalgerichtsordnung vom 31. Dez. 1768, die sogar härter ist als die ihr zeitlich vorausgehende alte preußische Kriegsgerichtsordnung von 1712, so daß die österreichisch-ungarische Armee das älteste und härteste Militärstrafverfahren besitzt, das auf dem geheimen, schriftlichen Inquisitionsprozeß mit Ausschluß einer berufsmäßigen Verteidigung und fast gänzlichem Ausschluß eines Rechtsmittels gegen das Urteil seitens Verurteilter beruht, in dem der Auditor Inquirent, Referent und Mitrichter ist. Die nachfolgenden hofkriegsrätlichen und Armee-Oberkommandodekrete etc. haben den Grundcharakter des Verfahrens nicht geändert. Die höhere Gerichtsbarkeit wird im Kriegsrecht ausgeübt, die niedere durch rechtliche Erkenntnisse erledigt. – Die übrigen Staaten besitzen meist neuere Kodifikationen des Militärstrafrechts, bez. Prozesses. So Frankreich von 1857 (mit Strafprozeßnovellen von 1872–75), nachgebildet von Rumänien 1881 und 1884; Belgien von 1870; Spanien von 1890 (Landheer) und 1888 (Marine); Portugal von 1875; Italien erlassen 1869 (Marine und Landheer); Dänemark und Schweden von 1881 (deutsche Übersetzung in der »Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft«, 2. Bd., Berl. 1882); Rußland (materielles Strafgesetzbuch 1868) Strafprozeßordnung 1883–85; Finnland von 1886; Griechenland 1860 und 1861; Serbien von 1864; Norwegen von 1866. Holland hat veraltete Gesetzbücher von 1814 und 1815 und ist mit einem neuen Entwurf befaßt; ebenso die Schweiz mit der Umgestaltung des Bundesgesetzes von 1851. Für Großbritannien sind maßgebend die Regulation of the Forces Act 1881, Army Discipline Act 1879, Militia Act 1882. die Army Acts von 1881–94 (48 u. 49 Vict. c., 8) und die Naval Discipline Act von 1866 und 1884. Vgl. v. Liszt, Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung, Bd. 2 (Berl. 1899).


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