Mädchenschutz

Mädchenschutz

Mädchenschutz bezeichnet den Inbegriff aller gemeinnützigen Veranstaltungen, die den Schäden und Gefahren entgegenwirken sollen, denen besonders jugendliche weibliche Personen im modernen Erwerbs- und Verkehrsleben ausgesetzt sind. Handelt es sich dabei auch in erster Linie um Sittlichkeitsbestrebungen, durch die namentlich dem der Prostitution dienenden Mädchenhandel (s. Kuppelei) gesteuert werden soll, so bezweckt der M. nicht minder auch die Hebung materieller Notstände, wie sie im Gefolge der gesteigerten weiblichen Erwerbstätigkeit der Gegenwart auftreten. Nach der Berufszählung von 1900 gab es in Deutschland etwa 4 Mill. weibliche Personen im Alter von 14–20 Jahren, die auf sich selbst angewiesen waren. Während die Gesamtbevölkerung 1885–1900 um ca. 15 Proz. zunahm, wuchs die Zahl der weiblichen Erwerbstätigen (ohne die Dienstboten) um 25 Proz., am meisten in der Industrie, wo die Zahl der Arbeiterinnen von etwa 500,000 auf über 1 Mill. stieg. Im Handel und Verkehr stieg die Zahl der weiblichen Angestellten von etwa 70,000 auf 300,000 (darunter 100,000 Verkäuferinnen, 37,000 Kellnerinnen). Die Leichtigkeit des modernen Verkehrs gestattet den erwerbstätigen Mädchen, ohne Schwierigkeit fern von der Heimat in den Großstädten oder gar im Ausland ihr Brot zu suchen. Für die auf der Reise Befindlichen sorgt die Bahnhofsmission, die durch Frauen ausgeübt wird (zurzeit an etwa 70 Plätzen Deutschlands, seit 1897 zum »Verband der deutschen Bahnhofsmission« vereinigt). Durch Plakate auf den Bahnhöfen und in den Abteilen der Eisenbahnwagen wird auf diese Einrichtung aufmerksam gemacht. Die »Missionsdamen« (die protestantischen tragen Armbinden mit rosa Kreuz im weißen Feld, die katholischen [in etwa 15 deutschen Städten] gelbweiße Achselschleifen oder Armbinden) stehen den ankommenden und durchreisenden Mädchen mit Rat und Tat zur Seite, verhelfen durch Verbindung mit städtischen Arbeitsämtern den Stellungslosen zur Arbeit, machen sie auf die am Orte befindlichen Hilfseinrichtungen und Schutzvereine aufmerksam etc. Auch in Wien besteht seit 1905 eine (interkonfessionelle) Bahnhofsmission (Damen mit blauer Armbinde). Der Auswandernden nimmt sich auf gleiche Weise die protestantische Auswanderermission, bez. der katholische St. Raphaelsverein an. Auch besitzen einzelne Hafenstädte (z. B. Triest) eine Schiffsmission. – Der Schutz der Mädchen im Beruf bezweckt die Beseitigung von wirtschaftlichen und moralischen Mißständen aller Art (vgl. Arbeiterschutz). Namentlich kommt hier die Wohnungsfrage in Betracht. Dem verderblichen Schlafstellenwesen der Großstädte sollen Arbeiterinnen- oder Mädchenheime steuern, deren es leider erst wenige gibt. Zahlreiche Vereine sorgen dagegen für Darbietung unschuldiger Erholung in der Freizeit (insbes. an den Sonntagen) sowie für angemessene Fortbildung in allgemein geistiger (religiöser) oder auch sachlicher Hinsicht. Konfessionelle Engherzigkeit richtet hier leider vielfach Schaden an. Vgl. Mädchenheime. – Die Industriearbeiterinnen Deutschlands sind der Kranken-, Unfall- und Invaliditätsversicherung unterstellt, die kaufmännischen Gehilfinnen nur der Kranken- und Invaliditätsversicherung, die Dienstboten der Invaliditätsversicherung, der Krankenversicherung nur zum Teil. Die Arbeiterinnen der Hausindustrie (s. d.) sind der segensreichen staatlichen Schutzgesetzgebung leider noch gar nicht teilhaft geworden. Für die Versorgung ledig gebliebener weiblicher Dienstboten im Alter gibt es in verschiedenen Städten Altersheime. – Schutz und Rettung sittlich gefährdeter und gefallener Mädchen bezwecken die Magdalenenstifter (s. d.). – Der 1891 in Berlin gegründete Verein zur Fürsorge für die weibliche Jugend unterhält mehrere Heime, sorgt namentlich für die einwandernden stellenlosen Arbeiterinnen und gründete 1894 in Berlin die erste Bahnhofsmission. Seit 1877 wirkt segensreich der Internationale Verein der Freundinnen junger Mädchen, mit dem Sitz in Neuenburg (Schweiz), der in 40 Ländern über 10,000 Mitglieder zählt (in Deutschland allein 1905 über 6000) und zwanglose Mitteilungen (»Ratgeber« und »Freundinnenverein«) herausgibt. Zu gedenken ist hier auch jener zahlreichen Schutzvereine und Verbände, die das religiöse Moment in den Vordergrund stellen, wie der »Vorständeverband der evangelischen Jungfrauenvereine Deutschlands« in Berlin (Organ: »Fürsorge für die weibliche Jugend«); der »Internationale Verband der katholischen Mädchenschutzvereine« (gegründet 1896, Sitz: Freiburg in der Schweiz, Organe: »Monatsberichte« und »Jahrbuch«); der 1895 für Bayern gegründete »Marianische Mädchenschutzverein« (Organ: »Führer«); das »Werk des heil. Philipp Neri« (gegründet 1897, Sitz Wien, mit Zweigverbänden in Ungarn und Bayern); die namentlich von den Trierer Josephsschwestern (mit Niederlassungen in Berlin etc.) geleiteten »Katholischen Arbeiterinnenvereine«; der »Gesamtverband der katholischen kaufmännischen Gehilfinnen Deutschlands« (Sitz: Köln, mit großer Zentralkrankenkasse) u. a. Vgl. Albrecht, Handbuch der sozialen Wohlfahrtspflege in Deutschland (Berl. 1902); Alice Salomon, Soziale Frauenpflichten (das. 1902); Hasse, Leitfaden für weibliche Jugendpflege (2. Aufl., das. 1902, 3 Bde.); katholischerseits: Liese, Handbuch des Mädchenschutzes (Freiburg 1904), und andre vom Charitasverband (s. d.) für das katholische Deutschland herausgegebene »Charitasschriften«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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