Kolonialrecht

Kolonialrecht

Kolonialrecht, im allgemeinen der Inbegriff der Rechtssätze, welche die Rechtsverhältnisse der Kolonien regeln. Im einzelnen ist jedoch folgende Unterscheidung zu machen: 1) K. wird das Recht genannt, das in den Kolonien jeweilig gilt, also für die Rechtsverhältnisse der Einwohner in den betreffenden Gebieten maßgebend ist. Je nach den Verhältnissen, auf die sich diese Bestimmungen beziehen, gehören dieselben dem öffentlichen oder dem privaten Recht an. Kolonien, die eine besondere Verfassung haben, und denen, wie vielen englischen Kolonien, eine weitgehende Autonomie zugestanden ist, indem für sie auch besondere Volksvertretungen bestehen, haben ein ausgebildetes K. in diesem Sinne, während für andre Kolonien mehr oder weniger das Recht des Mutterlandes maßgebend ist. 2) Staatsrechtlicher Natur ist dasjenige K., das die Beziehungen der Kolonie zu dem Mutterlande regelt. Auch in dieser Hinsicht besteht eine große Verschiedenheit, indem manche Kolonien geradezu Bestandteil des Hauptstaates sind, wie z. B. Algerien von Frankreich. Andre Kolonien stehen wenigstens unter der Souveränität der Regierung des Mutterlandes, während in noch andern Ländern die Regierung des Mutterlandes nur eine Schutzherrschaft ausübt und lediglich eine Schutzgewalt über ihre dort lebenden Staatsangehörigen beansprucht. Doch kann diese Schutzherrschaft so weit gehen, daß die Schutzgebiete in der Tat als Kolonien aufzufassen sind. 3) K. werden auch die Rechtsgrundsätze genannt, nach denen sich die Beziehungen der verschiedenen Mächte untereinander in Ansehung ihres Kolonialbesitzes bestimmen. Diese sind völkerrechtlicher Natur (internationales K.). Soll der Kolonialbesitz des einen von der Regierung des andern Landes respektiert werden, so genügt es nicht, daß die Besitzergreifung eines herrenlosen, d. h. von einer der internationalen Rechtsgemeinschaft nicht angehörigen unzivilisierten Völkerschaft bewohnten Landes lediglich formell, z. B. durch Flaggenheißen, erfolgt; es ist vielmehr eine tatsächliche Herrschaftsausübung über das in Besitz zu nehmende Gebiet erforderlich. In diesem Sinne hat auch die Kongoakte vom 26. Febr. 1885 (Art. 34 f.) die Verpflichtung der Vertragsmächte anerkannt, in den von ihnen an den afrikanischen Küsten besetzten Gebieten das Vorhandensein einer Obrigkeit zu sichern, die hinreicht, um erworbene Rechte zu schützen. Außerdem wird in dieser für künftige koloniale Erwerbungen maßgebenden Akte die Verpflichtung anerkannt, bei Übernahme einer neuen Schutzherrschaft oder bei neuen Besitzergreifungen den Vertragsmächten Anzeige zu machen, damit diese gegebenenfalls ihre Einsprüche geltend machen können.

Die Verfassung des Deutschen Reiches (Art. 4, Ziff. 1) weist die Bestimmungen über Kolonisation dessen Gesetzgebung und Beaufsichtigung zu. Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete sind zunächst durch Reichsgesetz vom 17. April 1886 nebst Novelle vom 7. Juli 1887 geregelt worden. Ersteres Gesetz wurde unterm 15. März 1888 geändert und hiernach unterm 19. d. M. in der neuen Fassung bekannt gemacht. Weitere Änderungen trafen die Gesetze vom 2. Juli 1899 und 25. Juli 1900. Auf Grund des letztern Gesetzes wurde das Gesetz durch Bekanntmachung vom 10. Sept. 1900 neu publiziert. Die in diesem Gesetze vorbehaltene kaiserliche Verordnung über die Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten erging 9. Nov. 1900. Weitere Verordnungen haben das Recht weitergebildet. Danach sind die Schutzgebiete zwar Pertinenzen aber nicht Bestandteile des Bundesgebietes im Sinne der Reichsverfassung. Daher gelten sie als Inland hinsichtlich des Verlustes der Staats- und Reichsangehörigkeit durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande, hinsichtlich des Verbotes der Doppelbesteuerung (Gesetz vum 10. Sept. 1900, § 9, Abs. 3), und im Sinne der Seemannsordnung vom 2. Juni 1902 (§ 6). Die Schutzgewalt, d. h. die Staatsgewalt in den deutschen Schutzgebieten, übt der Kaiser im Namen des Reiches aus. Die Angehörigen der Schutzgebiete zerfallen in drei Klassen: 1) Reichsangehörige; diese haben gegen Reich und Staat die Pflichten zu erfüllen, die Staatsangehörige im Auslande zu erfüllen haben. Sie unterliegen der Gerichtsbarkeit des Reiches im Schutzgebiet nach Maßgabe des Schutzgebietsgesetzes und des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit. Über Verleihung der Reichsangehörigkeit s. Staatsangehörigkeit. 2) Schutzgenossen, d. h. alle Angehörigen fremder zivilisierter Völker. Sie unterliegen im allgemeinen der Gebietshoheit und insbes. der Gerichtsbarkeit des Reiches, nicht der Hoheit der Häuptlinge und örtlichen Untergewalten. 3) Eingeborne. Sie sind Untertanen des Reiches (aber nicht Reichsangehörige) und damit der Herrschaft des Reiches unterworfen; nur in Südwestafrika, Kamerun, Togo und Samoa unterstehen sie ihren Häuptlingen. Bezüglich der Unterwerfung unter die deutsche Gerichtsbarkeit verweist § 4 des Schutzgebietsgesetzes auf eine künftige kaiserliche Verordnung; die Verordnung vom 9. Nov. 1900, § 2, bestimmt lediglich, daß die Angehörigen fremder farbiger Stämme den Eingebornen gleichstehen sollen, mit Ausnahme der Japaner. Die Schutzgewalt übt der Kaiser aus, als Organ des Reiches. Die Kolonialangelegenheiten gehören zum Ressort des Auswärtigen Amtes, in dem eine eigne Kolonialabteilung gebildet ist (s. Kolonialamt). Als Beirat fungiert ein Kolonialrat (s. d.). Kiautschou ist dem Marineamt unterstellt. Der Reichskanzler kann die zur Ausführung des Schutzgebietsgesetzes erforderlichen Anordnungen erlassen; er ist ferner befugt, für die Schutzgebiete oder Teile derselben polizeiliche und sonstige Verwaltungsvorschriften unter Strafandrohung (Gefängnis bis zu drei Monaten, Hast, Geldstrafe, Einziehung einzelner Gegenstände) zu erlassen; er kann der Ausübung dieses Rechts aber auch den mit einem kaiserlichen Schutzbrief für das betreffende Schutzgebiet versehenen Kolonialgesellschaften sowie den Beamten des Schutzgebiets übertragen. Die Beamten, die im Namen des Kaisers die Schutzgewalt handhaben (Gouverneure, Landeshauptleute, Kanzler, Bezirksamtmänner, Richter etc.) sind Reichsbeamte (vgl. für sie Gesetz vom 31. Mai 1887; Beschluß des Bundesrats vom 22. Dez. 1891). Es wird unterschieden zwischen denjenigen Beamten, die ihren Gehalt aus der Reichskasse, und solchen, die ihr Diensteinkommen aus den Kassen der Schutzgebiete beziehen, »Landesbeamte«. Für letztere vgl. Verordnung vom 9. Aug. 1896 und 23. Mai 1901. An der Spitze eines Schutzgebietes steht zumeist ein Gouverneur, dem die Bezirksamtmänner, die Beamten der Zoll- und Steuerverwaltung, die technischen Beamten und die richterlichen Beamten unterstellt sind. Die Anfänge einer Selbstverwaltung sind gelegt worden durch die Verordnung betreffend die Vereinigung von Wohnplätzen in den Schutzgebieten zu kommunalen Verbänden vom 3. Juli 1899. Vgl. dazu Verordnungen für Deutsch-Ostafrika vom 29. März 1901 (Kolonialblatt 1901, S. 217) und 29. Jan. 1904 (Kolonialblatt 1904, S. 116). Im einzelnen ist die Organisation in den einzelnen Schutzgebieten verschieden.

Die umfassendste Verwaltung hat Deutsch-Ostafrika mit einem Gouverneur, der zugleich Kommandeur der Schutztruppe ist, mehreren Referenten, 8 Bezirksamtmännern und 14 Stationschefs, einem Oberrichter, 2 Bezirksrichtern, mehreren höhern Ärzten, Hauptzollamtsvorstehern und dem entsprechenden Personal von Subalternbeamten. In Kamerun bilden die Zentralverwaltung ein Gouverneur, mehrere Referenten, ein Regierungsarzt etc.; die Lokalverwaltung bilden 4 Bezirksamtmänner; die Justizverwaltung besteht aus einem Oberrichter und einem Bezirksrichter. In Togo stehen unter dem Gouverneur ein Kanzler und verschiedene andre höhere Beamte, die Lokalverwaltung bilden 2 Bezirksämter und 5 Stationsbezirke. In Deutsch-Südwestafrika besteht die Zentralverwaltung aus dem Gouverneur mit mehreren Referenten; die Lokalverwaltung wird von 6 Bezirksamtmännern, von denen einer zugleich Vorsteher der Bergbehörde ist, besorgt. Für Neuguinea fungieren ein Gouverneur, 4 Bezirksamtmänner, die zugleich Bezirksrichter sind. Für die Karolinen, Palau, Marianen sind etatmäßige Stellungen noch nicht geschaffen; es fungieren höhere Beamte in Ponape, Yap, Saipan; Samoa hat einen Gouverneur und einen Oberrichter.

Ein Schutzgebiet besonderer Art stellt das durch kaiserliche Verordnung vom 27. April 1898 zum Schutzgebiet erklärte Gouvernement Kiautschou dar. Dasselbe ist nicht deutsches, sondern von China vorläufig auf 99 Jahre unentgeltlich verpachtetes chinesisches Gebiet (Vertrag vom 6. März 1898). China hat für diese Zeit nicht bloß auf Ausübung aller Hoheitsrechte in diesem Gebiet verzichtet, sondern sich auch in Ausübung seiner Gebietshoheit in einer 50 Kilometerzone im Umkreis um die Kiautschoubucht beim Hochwasserstand beschränkt, indem in dieser Zone 1) Zölle von China nur nach Verständigung mit Deutschland erhoben werden dürfen; 2) alle Maßnahmen, insbes. militärische, der Zustimmung Deutschlands bedürfen; 3) die deutschen Truppen das Recht des Durchmarsches haben; 4) Deutschland daselbst Regulierungen des Wasserlaufes vornehmen darf. Kiautschou untersteht nicht dem Auswärtigen Amt (Kolonialabteilung), sondern dem Reichsmarineamt. Der Chef der Zivil- und Militärverwaltung (Gouverneur) ist ein Marineoffizier. (Weiteres s. Artikel »Kiautschou«.) Die Landesverwaltung führt ein Zivilkommissar, ein Kommissar für die chinesischen Angelegenheiten, ein Oberförster, ein Polizeichef, ein Tierarzt, ein Katasteramtsvorstand, ein Landesverwaltungssekretär; die Justizverwaltung besteht aus einem Oberrichter und einem Richter. Daneben besteht eine besondere Bauverwaltung und Hafenverwaltung. Für Ostafrika, Südwestafrika, Kamerun, Togo, Neuguinea und Samoa ist die Bildung von Gouvernementsräten als Beirat für den Gouverneur angeordnet worden durch Verfügung des Reichskanzlers vom 24. Dez. 1903 (Kolonialblatt 1904, S. 1); vgl. dazu Verfügung des Gouverneurs von Ostafrika vom 13. April 1904 (Kolonialblatt 1904, S. 342).

Was das Finanzwesen anlangt, so hat zwar jedes Schutzgebiet seine eigne Finanzwirtschaft, die Einnahmen und Ausgaben werden aber durch die Reichsgesetzgebung jährlich in besondern Etats festgestellt und alljährlich ist über die Verwendung der Einnahmen dem Bundesrat und Reichstag Rechnung zu legen (Gesetz vom 30. März 1892). Lediglich die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes steht auf dem Reichsetat.

Das Militärwesen war durch Gesetze vom 22. März 1891 und vom 9. Juni 1895 geregelt worden. Durch ein Reichsgesetz vom 7. Juli 1896 (Neuredaktion vom 18. Juli 1896) wurden die beiden Gesetze über die Rechtsverhältnisse der Schutztruppen dahin abgeändert, daß nunmehr die den letztern zugeteilten Militär- und Marinepersonen und -Beamten aus diesen Körpern, vorbehaltlich ihres Rücktritts in diese, ausscheiden, und gleichzeitig verfügt, daß durch kaiserliche Verordnung bestimmt werden kann, in welchen Schutzgebieten wehrpflichtige Reichsangehörige ihrer aktiven Dienstpflicht Genüge leisten dürfen, fernerhin, daß die Personen des Beurlaubtenstandes, die in Schutzgebieten wohnen, im Falle der Gefahr durch kaiserliche Verordnung zur Verstärkung der Schutztruppen herangezogen werden können. Auf Grund hiervon wurde dann auch durch kaiserliche Verordnung vom 4. Aug. 1896 die Einführung der deutschen Militärstrafgesetze in den afrikanischen Schutzgebieten verfügt und das strafgerichtliche Verfahren gegen Militärpersonen bei den kaiserlichen Schutztruppen neu geregelt (jetzt Verordnung vom 18. Juli 1900 und Ausführungsbestimmungen). Kaiserliche Verordnungen vom 30. März 1897, bez. 5. Dez. 1902 endlich eröffnen die Möglichkeit, bei der Schutztruppe von Südwestafrika die aktive Dienstpflicht abzuleisten. Schutztruppen sind gebildet für Ostafrika, Südwestafrika und Kamerun. Die »Polizeitruppen« sind der Zivilverwaltung unterstellt. In Kiautschou bildet die Besatzung einen Teil der deutschen Reichsmarine.

In bezug auf das Kirchenwesen enthält das Schutzgebietsgesetz in § 14 nur den allgemeinen Grundsatz der Gewissensfreiheit für die Angehörigen der im Deutschen Reich anerkannten Religionsgesellschaften; die freie und öffentliche Ausübung dieser Kulte, das Recht der Erbauung gottesdienstlicher Gebäude und die Einrichtung von Missionen der bezeichneten Religionsgesellschaften unterliegt keiner Beschränkung. Da die »Schutzgewalt« alle Zweige der Staatsgewalt umfaßt, so gebührt dem Kaiser auch die Kirchenhoheit in den Schutzgebieten, nicht dagegen ohne weiteres die Episkopalgewalt. Über die dort gegründeten evangelischen Kirchen vgl. Jacobi, Soll das Reich in den Kolonien kirchliche Aufgaben übernehmen? (in der »Deutschen Zeitschrift für Kirchenrecht«, Bd. 13 [1903], S. 54 ff., und Bd. 14 [1904], Heft 3); »Denkschrift des deutschen Evang. Kirchenausschusses, vom November 1904« (Allgem. Kirchenblatt für das evang. Deutschland, Heft 6 vom 15. April 1905).

Die Gerichtsverfassung ist verschieden für Weiße und für Farbige. Für erstere ist maßgebend das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900, mit den Änderungen des Schutzgebietsgesetzes. An die Stelle des Konsuls tritt der von dem Reichskanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigte Beamte, und an die Stelle des Konsulargerichts das in Gemäßheit der Vorschriften über das letztere zusammengesetzte Gericht des Schutzgebiets. Gehört die Angelegenheit zur Zuständigkeit der Schöffengerichte, Landgerichte oder Schwurgerichte, so treten dem Richter Beisitzer zur Seite. Als Gericht zweiter Instanz fungiert ein Gericht am Sitze des Gouverneurs. Durch Verordnung vom 13. Dez. 1897 ist für sämtliche Schutzgebiete die Errichtung einer Staatsanwaltschaft vorgeschrieben worden (Verordnung vom 9. Nov. 1900). Der Staatsanwalt wird vom obersten Schutzgebietsbeamten bestellt, und zwar aus der Zahl der Schutzgebietsbeamten, und wenn dies nicht ausführbar, aus den Gerichtseingesessenen. Verordnungen regeln diese Organisation im einzelnen und für die einzelnen Schutzgebiete verschieden. Was die Gerichte für Farbige anlangt, so bestehen hier große Verschiedenheiten in den einzelnen Schutzgebieten (vgl. auch unten unter »Strafrecht«). Die im Verwaltungsstreitverfahren zu treffenden Entscheidungen werden in erster und letzter Instanz von dem Bundesrat erlassen. Was das materielle Zivilrecht betrifft, so gelten die dem bürgerlichen Recht angehörenden Vorschriften der Reichsgesetze (also insbes. jetzt das Bürgerliche Gesetzbuch und das Handelsgesetzbuch) und der daneben innerhalb Preußens im bisherigen Geltungsbereiche des preußischen Allgemeinen Landrechts in Kraft stehenden allgemeinen Gesetze doch nicht ausnahmslos. So können durch kaiserliche Verordnung die Rechte an Grundstücken, das Bergwerkseigentum und die grundstückegleichen Gerechtigkeiten abweichend geregelt werden. Hier schlägt namentlich ein die Verordnung vom 21. Nov. 1902 (Reichsgesetzblatt 1902, S. 2831, mit Ausführungsbestimmungen vom 30. Nov. 1902; Kolonialblatt 1902, S. 568); eine Reihe von Verordnungen und Verfügungen sind in dieser Materie ergangen, namentlich auch über das Grundbuchwesen (vgl. bei Sehling, »Sammlung der Reichsgesetze zivilrechtlichen Inhalts«, 3. Aufl., Leipz. 1902, Anm. S. 504,603). Eine kaiserliche Verordnung vom 14. Febr. 1903 regelt das Enteignungsrecht in den Schutzgebieten Afrikas und der Südsee. Vgl. dazu die Ausführungsverfügung vom 12. Nov. 1903 (Kolonialblatt 1903, S. 605). Ferner kann besonders geregelt werden: das Urheberrecht; Abweichendes gilt für den Zeitpunkt des Inkrafttretens der deutschen Gesetze in den Schutzgebieten (4 Monate nach Ausgabe des betreffenden Stückes des Reichsgesetzblattes oder der preußischen Gesetzsammlung in Berlin), für die Vereine, für die Höhe des Zinsfußes; in Handelssachen geht das Handelsgewohnheitsrecht im Schutzbezirk dem Handelsgesetzbuch vor etc. Für die Eheschließung finden die § 2–9,11,14 des Gesetzes vom 4. Mai 1870, betreffend die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes von Bundesangehörigen im Ausland, Anwendung. Die Ermächtigung zur Eheschließung und Beurkundung des Personenstandes wird durch den Reichskanzler erteilt. Etwas Besonderes gilt für Gesellschaften, welche die Kolonisation der Schutzgebiete, insbes. den Erwerb und die Verwertung von Grundbesitz, den Betrieb von Land- oder Plantagenwirtschaft, den Betrieb von Bergbau, gewerblichen Unternehmungen und Handelsgeschäften in denselben zum ausschließlichen Gegenstand ihres Unternehmens machen und ihren Sitz entweder im Reichsgebiet oder im Schutzgebiet oder in einem Konsulargerichtsbezirk haben, oder denen durch kaiserliche Schutzbriefe die Ausübung von Hoheitsrechten in den deutschen Schutzgebieten übertragen ist. Diesen kann auf Grund eines vom Reichskanzler genehmigten Statuts juristische Persönlichkeit vom Bundesrat verliehen werden. Diese Gesellschaften unterstehen der Aussicht des Reichskanzlers. Die Zuständigkeit der Notare ist auf die Beurkundung von Rechtsgeschäften unter Lebenden beschränkt.

Was das Strafrecht betrifft, so gelten im allgemeinen für die Weißen die dem Strafrecht angehörenden Vorschriften der deutschen Reichsgesetze sowie die Vorschriften dieser Gesetze über das Verfahren und die Kosten in Strafsachen (vgl. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz, § 19; Schutzgebietsgesetz, § 3). Materien, die nicht durch das Strafgesetzbuch normiert sind, können durch kaiserliche Verordnung geregelt werden. Das gewöhnliche Strafverfahren wird übrigens durch Konsulargerichtsbarkeits- und Schutzgebietsgesetz nicht unwesentlich modifiziert. Die Todesstrafe kann nach Entscheidung des Gouverneurs durch Erschießen, Enthaupten oder Erhängen vollzogen werden. Anders verhält es sich mit dem Strafrecht gegen die Eingebornen. Das deutsche Strafgesetzbuch findet nur auf die Handlungen von Reichsangehörigen und von Schutzgenossen Anwendung; auf die von Fremden und Eingebornen nur, wenn sie deutsche Reichsangehörigkeit erwarben oder die deutsche Konsulargerichtsbarkeits-Gesetzgebung und damit auch das deutsche Strafgesetzbuch durch kaiserliche Verordnung auf sie ausgedehnt ist, was nach Schutzgebietsgesetz vom 10. Sept. 1900, § 4, geschehen kann, aber bis jetzt nicht geschah, weil die Eingebornen doch durchweg auf sehr niedriger Kulturstufe stehen und darum nicht sofort und ohne weiteres deutschen Gesetzen unterworfen werden können; ist doch selbst die Frage angeregt, ob nicht auch für Deutsche in den Schutzgebieten wegen der ganz andersartigen Verhältnisse ein besonderes Strafrecht notwendig sei. Vorläufig ist wenigstens ein besonderes Strafgesetzbuch für die Eingebornen, wie es alle andern Kolonialmächte für nötig hielten, in Vorbereitung. Bis jetzt sind für die einzelnen Schutzgebiete zum Teil besondere Strafverordnungen erlassen, für Neuguinea vom 21. Okt. 1888, für die Marshallinseln 10. März 1890, für Ostafrika, Kamerun und Togo infolge der Fälle Leist, Wehlan etc. 22. April 1896; zu letzterer vgl. noch Verordnungen der Gouvernements vom 28. Juni 1902, 17. Sept. 1902, 24. Nov. 1902 (Kolonialblatt 1903, S. 8 u. 9), für Südwestafrika die Verfügung des Reichskanzlers vom 25. Dez. 1900 und die Verordnung des Gouverneurs vom 8. Aug. 1902 (Kolonialblatt 1903, S. 8). Für Kiautschou erging unter dem 15. April 1899 eine Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse der Chinesen, die das materielle Zivil- und Strafrecht regelt. Leist und Wehlau fielen nicht unter das Strafgesetzbuch, § 343, wonach Beamte strafbar sind, die in einer Untersuchung Zwangsmittel anwenden, um Geständnisse oder Aussagen zu erpressen, weil dies gesetzliche Ordnung der Amts- und damit auch der Zwangsgewalt voraussetzt, eine solche aber in den afrikanischen Schutzgebieten fehlte. Durch Verordnung des Reichskanzlers vom 27. Febr. 1896 erst wurde verfügt, daß in dem Gerichtsverfahren gegen Eingeborne lediglich die in den deutschen Prozeßordnungen gestatteten Maßregeln zulässig seien, und durch Verfügung vom 22. April 1896 hat der Reichskanzler die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit und Disziplinargewalt über Eingeborne für Ostafrika, Togo und Kamerun überhaupt geregelt. Vgl. K. v. Stengel, Die staats- und völkerrechtliche Stellung der deutschen Kolonien (Berl. 1886), dessen Aufsätze in den »Annalen des Deutschen Reichs«, 1887, S. 309 ff.; 1889, S. lff.; 1895, S. 493 ff., und Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete (Tübing. 1901); Joël, Das Reichsgesetz, betreffend die Verhältnisse der deutschen Schutzgebiete (in den »Annalen des Deutschen Reichs«, 1887, S. 191 ff.); C. Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts (in Laband-Störks »Archiv für öffentliches Recht«, Bd. 2, S. 1 ff., 1887); Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete (Leipz. 1888); Kolisch, Die Kolonialgesetzgebung des Deutschen Reiches (Hannov. 1896); Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches (4. Aufl., Freiburg 1901, Bd. 2, S. 259 ff.); Gareis, Deutsches K. (2. Aufl., Gieß. 1902); Zorn, Deutsche Kolonialgesetzgebung (Berl. 1901); Bendix, Kolonialjuristische und politische Studien (das. 1903); Köbner, Die Organisation der Rechtspflege in den Kolonien (das. 1903); v. Poser, Die rechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete (in Bries »Abhandlungen aus dem Staats- und Verwaltungsrecht«, Bresl. 1903); Seelbach, Grundzüge der Rechtspflege in den deutschen Kolonien (Bonn 1904); »Die deutsche Kolonialgesetzgebung« (Bd. 1, hrsg. von Riebow, Berl. 1895; Bd. 2–6, hrsg. von Zimmermann, das. 1898–1903); ferner: Beneke, Die Ausbildung der Kolonialbeamten (das. 1894); Tesch, Die Laufbahn der deutschen Kolonialbeamten (2. Aufl., das. 1905).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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