Kirchenstaat

Kirchenstaat

Kirchenstaat (Stato della Chiesa, Stato Pontificio, Patrimonium Sancti Petri), der geistliche Staat in Mittelitalien (s. die Geschichtskarten bei »Italien«), über den der Papst als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche die Souveränität ausübte. Er erstreckte sich vor 1859 von 41°10'–44°50' nördl. Br. und von 11° 25'–13°50' östl. L., wurde östlich vom Adriatischen, südwestlich vom Tyrrhenischen Meer bespült, im übrigen von Neapel, dem Lombardisch-Venezianischen Königreich, Toskana und Modena begrenzt, und war 1859 eingeteilt in fünf von Kardinälen regierte Legationen (Rom und Provinz, Romagna, Marken, Umbrien, Campagna und Maritima), die in 20 von Prälaten verwaltete Delegationen (außer Rom und der Comarca sowie Bologna, die unmittelbar unter dem Kardinallegaten standen, Viterbo, Civitavecchia, Orvieto, Ferrara, Forli, Ravenna, Urbino-Pesaro, Macerata, Loreto, Ancona, Fermo, Ascoli, Camerine, Spoleto, Perugia, Rieti, Velletri, Frosinone, Benevent) zerfielen, mit einem Areal von 41,187 qkm (748 QM.) und einer Bevölkerung von 3,125,000 Seelen. Vor der französischen Revolution gehörten noch die Grafschaften Avignon und Venaissin in Südfrankreich mit 2200 qkm (40 QM.) und 55,000 Einw. zum K. Infolge der Ereignisse von 1859 und 1860 schrumpfte das päpstliche Gebiet auf Rom mit der Comarca und die Delegationen Viterbo, Civitavecchia, Orvieto, Velletri und Frosinone mit 12,803 qkm (214,4 QM.) und 692,100 Einw. zusammen, und im September 1870 wurde auch dieser Rest des Kirchenstaats dem Königreich Italien einverleibt (s. unten, Geschichte). Seit der Begründung der weltlichen Herrschaft des Papstes ist der K. eine Wahlmonarchie gewesen. Die Verfassung, nach der er während der letzten 21 Jahre seines Bestehens regiert worden ist, wurde von Pius IX. 12. Sept. 1849 gegeben. Der Papst, der von dem Kollegium der Kardinäle (Sacro collegio) gewählt wurde, war unumschränkter Monarch. An der Spitze der Verwaltung stand als erster Minister ein Kardinal-Staatssekretär, der insbesondere die auswärtigen Angelegenheiten leitete; auch die übrigen Minister gehörten dem geistlichen Stand an und waren ihm untergeordnet. Neben dem Ministerrat bestand ein Staatsrat von 15 zum Teil weltlichen Mitgliedern als beratende Behörde in der Gesetzgebung und den Finanzangelegenheiten und als entscheidende bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen den höhern Verwaltungsbehörden. Die Finanzen wurden seit 1850 von der Finanzkonsulta geleitet, deren Mitglieder vom Papst zum größern Teil auf Vorschlag der Provinzialräte, zum kleinern (ein Viertel) unmittelbar ernannt wurden. Die den Provinzen als Statthalter vorstehenden Kardinäle verkehrten nur mit dem Staatssekretär. Die Provinzen waren in Governi geteilt, deren Governatori auch Laien sein konnten. Provinzialräte, deren Mitglieder auf Vorschlag der Gemeindebehörden vom Papst ernannt wurden, standen den Legaten und den Delegaten zur Seite. In der Rechtspflege fand ein dreifacher Instanzenzug statt; die letzte Instanz bildeten die Obertribunale der Rota, der Segnatura di Giustizia und der Sacra consulta in Rom. Die Finanzverhältnisse waren stets mißlich und bereiteten der Regierung oft Verlegenheiten. Die Staatsschuld erforderte 1867 einen Zinsbetrag von ca. 37,400,000 Lire, von dem aber ein großer Teil 1861 von Italien übernommen war. Das Defizit, das zum Teil durch den Peterspfennig gedeckt wurde, pflegte erheblich zu sein (Budget von 1868: 28,845,359 Lire Einnahme gegen 73,949,803 Lire Ausgabe). Die päpstliche Armee wurde wesentlich durch fremde Soldtruppen rekrutiert und zählte 1869: 15,670 Mann. Päpstliche Orden: der Christusorden, der Orden vom goldenen Sporn, Orden des heil. Johann vom Lateran, des heil. Gregor und der Piusorden (s. Tafel »Orden II«, Fig. 19). Landesfarben waren Gold und Silber.

Geschichte.

Daß Konstantin d. Gr. dem Papst Silvester I. Italien oder wenigstens den K. geschenkt habe, ist längst als Fabel erkannt. Die uns erhaltene Schenkungsurkunde ist im 8. Jahrh. von einem römischen Geistlichen gefälscht. Dagegen ist es wahr, daß Konstantin 321 der Kirche das Recht der Vermögensfähigkeit verliehen hat, und wahrscheinlich, daß er wie spätere Kaiser und zahlreiche andre Gläubige die römische Kirche auch mit Güterschenkungen bedacht hat. Sicher bezeugt ist Grundbesitz der römischen Bischöfe für das 5. Jahrh., und dieser war unter Gregor I. (590–604) bereits sehr ausgedehnt und über alle Teile Italiens sowie über andre Provinzen des römischen Reiches verbreitet. Die einzelnen größern Güterkomplexe (Patrimonia) wurden von päpstlichen Beamten verwaltet; aber sie waren nur Privateigentum der römischen Kirche, und staatliche Hoheitsrechte standen darin den Päpsten auch dann nicht zu, als deren Einfluß in staatlichen Dingen sich bereits vielfach fühlbar machte. Die Anfänge des Kirchenstaats knüpfen sich nicht an diesen Grundbesitz, sondern daran an, daß, als im zweiten Viertel des 8. Jahrh. infolge des Bilderstreits die Machtstellung der byzantinischen Kaiser in den ihnen verbliebenen Gebieten Italiens tief erschüttert wurde und auch die Päpste in Opposition zu ihnen traten, in Rom und seinem Gebiete (dem sogen. Dukat von Rom) der Zusammenhang mit dem Mittelpunkt der Reichsregierung sich löste und die Päpste in diesem Gebiete, wenn es auch formell noch immer als zum Reiche gehörig betrachtet wurde, tatsächlich eine Herrscherstellung erlangten. Als nun etwa gleichzeitig die Eroberungen der Langobarden sich immer weiter ausdehnten, rief Papst Stephan II. den Schutz des Frankenkönigs Pippin 1. an und übertrug ihm den Titel eines Patricius der Römer. Pippin, der 754 und 756 die Langobarden zurückdrängte, erkannte den Papst nicht nur als Herrn des römischen Dukats an, sondern schenkte ihm auch noch andre den Langobarden entrissene Landstriche, insbes. den Exarchat von Ravenna und die Pentapolis (Rimini, Pesaro, Fano, Sinigaglia und Ancona). Die Schenkung seines Vaters anerkannte und vermehrte Karl d. Gr. 774 nach dem Sturz des Langobardenreiches, ohne daß jedoch die Päpste in allen ihnen verliehenen Gebieten tatsächlich die Herrschaft behauptet hätten. Aber auch da, wo ihnen dies gelang, ja selbst in Rom und seinem Dukat übten sie seit der Kaiserkrönung Karls d. Gr. (25. Dez. 800) nicht die volle Souveränität aus. Diese stand vielmehr dem Kaiser zu, der den Treueid des römischen Volkes und des Papstes empfing und die oberste richterliche Gewalt auch in Rom ausübte, wenngleich die ordentliche Verwaltung durch den Papst und seine Kleriker gehandhabt wurde. Die Uneinigkeit im karolingischen Haus und die Schwäche der spätern Herrscher gewährten den Päpsten, die wiederholt die Verteidigung ihres Gebietes gegen auswärtige Feinde, insbes. die Sarazenen, übernehmen mußten, größere Unabhängigkeit, namentlich seit Nikolaus I. (858–867). In den Wirren aber, die seit dem Ende des 9. Jahrh. in Italien ausbrachen, verfiel auch die päpstliche Macht; Rom kam unter die Gewalt ausschweifender Weiber (Theodora und Marozia) oder usurpatorischer Tyrannen, wie des Patricius Alberich. Otto I. erhob nach seiner Kaiserkrönung (962) das Papsttum aus seinem Verfall und erneuerte die karolingischen Schenkungen; doch wurden diese auch jetzt nicht tatsächlich ausgeführt; vielmehr überließ Gregor V. 998 dem Erzbischof von Ravenna ausdrücklich die Gewalt über die Stadt Ravenna und die Grafschaft Comacchio, wozu später noch andre Teile des Exarchats kamen, der so in seinem ganzen Umfang als ein von den Päpsten den Erzbischöfen verliehener Besitz galt.

Im Anfang des 11. Jahrh. geriet das Papsttum abermals in Abhängigkeit von dem römischen Adel, und erst Heinrich III. erhob es seit 1047 aufs neue, doch war die weltliche Macht der Päpste zunächst auf Rom und sein Gebiet beschränkt. Leo IX. erwarb 1051 und 1052 Benevent, und indem Nikolaus II. die Normannenfürsten Robert Guiscard und Richard, jenen mit Apulien und Kalabrien und allem, was er auf Sizilien den Sarazenen entreißen würde, diesen mit Capua belehnte, bereitete er die Oberlehnshoheit der Päpste über das in Unteritalien sich bildende Normannenreich vor. Bedeutende territoriale Ansprüche erwuchsen den Päpsten dadurch, daß die große Gräfin Mathilde, die Freundin Gregors VII., ihre Güter und Besitzungen dem römischen Stuhle schenkte. Freilich zog Heinrich V. nach dem Tode der Gräfin (1115) das Mathildische Gut ein, aber Lothar III. schloß 1133 mit dem Papst ein Abkommen, durch das er die Kirche als Eigentümerin wenigstens der Mathildischen Allodien anerkannte, worauf der Papst ihn gegen einen jährlichen Zins damit belehnte. Immerhin blieben die Rechtsverhältnisse der Mathildischen Güter unter den Staufern ein Gegenstand des Streites zwischen dem Reich und den Päpsten, und dieser wurde auch durch den Frieden von Venedig 1177, der die päpstliche Herrschaft über das eigentliche Patrimonium St. Petri, d. h. das Land zwischen Acquapendente und Ceperano, bestätigte, nicht ausgeglichen. Nach Heinrichs VI. Tode versuchte Innozenz III. bedeutende Gütererwerbungen; und durch eine Urkunde, die ihm während des deutschen Thronstreites der König Otto IV. 1201 ausstellte und 1209 erneuerte, wurden als päpstliche Gebiete anerkannt: das Patrimonium (als dessen Nordgrenze jetzt Radicofani in Toskana bezeichnet ward), der Exarchat. die Pentapolis, die Mark Ancona, das Herzogtum Spoleto, die Grafschaft Bertinoro und das Mathildische Gut. Dies Abkommen ist die eigentliche Grundlage des spätern Kirchenstaats geworden, den von da ab die Päpste mit allen Machtmitteln verteidigten. Als Otto 1 V. es nach seiner Kaiserkrönung (1210) brach, wurde er gestürzt, und Friedrich II. erneuerte 1213 und 1219 die Zusicherungen Ottos. In dem Kampfe, den er später gegen das Papsttum begann, blieb diesem der Sieg, und der Untergang des staufischen Hauses durch die Schlachten von Benevent (1265) und Tagliacozzo (1268) besiegelte die weltliche Herrschaft der Päpste. König Rudolf erkannte sie 1275 an und verzichtete 1279 auch auf die ganze Romagna. Der K. war nun vom Reiche völlig unabhängig und der größte Staat Mittelitaliens.

Freilich war mit der Abtretung dieser Gebiete durch die Kaiser die Herrschaft der Päpste über den K. keineswegs gesichert. Vielmehr waren die meisten Städte, mochten sie, wie Perugia, in republikanischen Formen regiert oder von Feudalbaronen oder größern Dynastengeschlechtern, wie den Polenta in Ravenna, den Malatesta in Rimini, den Pepoli in Bologna, beherrscht werden, von den Päpsten fast nur dem Namen nach abhängig, namentlich seitdem diese 1305 ihre Residenz in Frankreich aufgeschlagen hatten, wo sie die Grafschaft Venaissin besaßen und 1348 Avignon, das seit Johann XXII. der Sitz der Kurie war, erkauften. Auch in Rom selbst stand ihre Autorität auf schwachen Füßen, und die beständigen Kämpfe der Adelsgeschlechter hatten die öffentlichen Zustände in der ewigen Stadt aufs tiefste zerrüttet. Eine Rettung aus dieser Not schien die Erhebung des Volkstribunen Cola di Rienzi (s. d.) 1347 zu bringen, der die römische Republik herstellen und Rom zum Haupt einer italienischen Konföderation erheben wollte. Indes der Papst erklärte sich gegen ihn, und mitten in seinen phantastischen Plänen wurde Rienzi 15. Dez. 1347 durch einen Aufstand des Adels aus Rom vertrieben; er flüchtete zu Karl IV. nach Prag, der ihn dem Papst Clemens VI. auslieferte. Innozenz VI. sandte 1353 den Kardinal Albornoz nach Italien, um die päpstliche Herrschaft im K. herzustellen, und gab ihm Rienzi als Gehilfen bei. Unterstützt vom Volke, machte Albornoz große Fortschritte in der Unterwerfung der Städte und Barone und setzte Rienzi als päpstlichen Senator in Rom ein, der aber durch seine Willkür die Gunst der Römer bald verlor und 1354 ermordet wurde. Albornoz aber hatte dauernde Erfolge. Er erzwang überall der päpstlichen Autorität Anerkennung, setzte in den Provinzen päpstliche Rektoren ein und gab dem K. ein Gesetzbuch, das, um die Mitte des 16. Jahrh. revidiert, unter dem Namen der »Ägidianischen Konstitutionen« bis in die Neuzeit gegolten hat. So war der Boden für die Rückkehr der Päpste nach Italien vorbereitet; 1367 zog Urban V. in Rom ein, und nachdem er die Stadt bald wieder verlassen hatte, schlug Gregor XI. 1377 hier endgültig seine Residenz wieder auf. Allein der Ausbruch des großen Schismas 1378 schädigte nicht nur das päpstliche Ansehen ungemein, sondern wurde auch der Herrschaft der Päpste über den K. verderblich. 1408 bemächtigte sich König Ladislaus von Neapel Roms und des Kirchenstaats.

Bis 1420 dauerten die Kämpfe zwischen den Neapolitanern, den Päpstlichen und kühnen Bandenführern um den Besitz des Kirchenstaats, und erst Martin V., dem 1415 vom Konstanzer Konzil gewählten Papst, der am 29. Sept. 1420 in Rom einzog, gelang es, wie die Einheit der Kirche, so auch die weltliche Herrschaft des Papsttums herzustellen. Allerdings hatten die Adelsgeschlechter und Stadtgemeinden solche Unabhängigkeit erlangt, daß der K. nur noch dem Namen nach ein Staatsganzes war. Martins Nachfolger Eugen IV. (1431–47) nahmen die Kardinäle in einer Wahlkapitulation unter anderm das Versprechen ab, keine Güter, Lehen oder Einkünfte des Kirchenstaats ohne ihre Zustimmung zu vergeben. 1434 wurde er durch eine Revolution der Römer, die sich aus Verzweiflung über die beständigen Kriegsnöte empörten, aus der Stadt vertrieben. Er unterwarf sie zwar schon im Oktober 1434 durch den geistlichen Condottiere Vitelleschi, kehrte aber erst 1443 nach Rom zurück. Während seines Pontifikats erhielt der Condottiere Sforza das Vikariat über Ancona, Alfons von Neapel ward mit Benevent und Terracina belehnt, Ravenna den Venezianern überlassen. Paul II. (1464–71) ging endlich energischer gegen die kleinen Tyrannen des Kirchenstaats vor und zog 1464 die Güter der Grafen von Anguillara und 1465 Cesena und Bertinoro ein. Sixtus IV. und Alexander VI. schwächten wieder den K. durch Begünstigung ihrer Nepoten, die blutige Kämpfe hervorrief; doch wurde das große Gebiet, das Alexanders Sohn, Cesare Borgia (s. d.), seit 1499 nach Beseitigung der lokalen Machthaber zu einem Herzogtum Romagna vereinigt hatte (Imola, Forli, Faenza, Rimini, Camerino, Pesaro, Urbino, Perugia u. a.), nach Alexanders Tode von Julius II. (1503–13) für das Papsttum eingezogen. Damit begann Julius die Neugründung des Kirchenstaats. Er unterwarf 1506 Bologna, gewann 1510, nachdem er im Bunde mit Frankreich die Übermacht Venedigs gebrochen hatte, Ravenna und Cervia zurück und verleibte Modena, Reggio, Parma und Piacenza dem K. ein. Die Italiener priesen ihn als Befreier von der Tyrannei der Barbaren, und die Einigung Mittelitaliens unter der weltlichen Herrschaft des Papstes mochte gesichert erscheinen. Doch die Kämpfe zwischen Frankreich und den Habsburgern, in denen das Papsttum bald der einen, bald der andern Macht sich anschloß, ließen es dazu nicht kommen. 1515 wurde Leo X. von Franz I., 1529 Clemens VII., nachdem Rom 6. Mai 1527 von den kaiserlichen Truppen geplündert war, von Karl V. zu nachteiligen Friedensschlüssen genötigt. Der K. wurde nur in dem Umfang, den das spanische Interesse erheischte, wiederhergestellt; die Romagna mit Ravenna wurde ihm zugeteilt, dagegen Modena und Reggio dem Herzog von Ferrara überlassen; Parma und Piacenza kamen 1545 als päpstliches Lehen an Pier Luigi Farnese, den Sohn Pauls III. Die Restauration der päpstlichen Herrschaft wurde durchgeführt; Clemens VII. unterwarf Ancona, Paul III. Perugia; auch wurden 1598 Ferrara, 1626 Urbino dem K. einverleibt.

So brachte die spanische Herrschaft in Italien auch dem K. gesicherte Grenzen und äußere Ruhe. Die Länder, die er umfaßte, waren fruchtbar; Handel und Gewerbe gediehen; Rom war der Mittelpunkt der bildenden Künste. Schon unter Leo X. betrugen die Einkünfte des Papstes aus dem K. 420,000, unter Paul III. 700,000, unter Gregor XIII. 1,100,000 Scudi. Große Mittel zog man aus der Schaffung verkäuflicher Ämter, deren Zahl Leo X. auf 2100 erhöhte. Eine offene Staatsanleihe machte zuerst Clemens VII., sie mußte mit 10 Proz. verzinst werden. Paul III. erhöhte den Salzpreis und führte die erste direkte Steuer ein; um 1600 lastete der Steuerdruck härter auf dem K. als auf irgend einem andern Lande Italiens. Die Einkünfte wurden zum Teil auf glänzende Bauten in Rom, zum Teil für den Hof, die Regierung und die kirchliche Politik des Papsttums verwendet. Sixtus V. (1585–90) erwarb sich ein Verdienst durch die Ausrottung der Banditen und durch Reformen in der Verwaltung; er hinterließ einen Schatz von mehr als 4 Mill. Scudi. Urban VIII. (1623–1644) verwendete ungeheure Summen auf Festungsbauten und die Errichtung eines Heeres; er hoffte vergeblich, sich während des Dreißigjährigen Krieges von der habsburgischen Macht unabhängig zu machen; auch ein Krieg Urbans VIII. mit den Farnese um Castro (1641–44) war erfolglos. Verderblich war dem K. auch das Nepotenwesen. Die reichen Familien. die durch die Päpste emporgekommen waren, die Farnese, die Aldobrandini und Borghese, rissen alle Macht an sich, vergaben die Ämter und ließen sich dafür Steuern zahlen. So fand Innozenz XI. (1676–1689) die Finanzen des Kirchenstaats völlig zerrüttet. Er hat sich das Verdienst erworben, durch eine sparsame Wirtschaft und dadurch, daß er sich von jedem Nepotismus lossagte, den Staat vor dem Bankrott gerettet zu haben. Im 18. Jahrh, in der Zeit der Aufklärung, sank die politische Bedeutung der Päpste mehr und mehr. Die katholischen Nachbarreiche schritten wiederholt zu Gewaltmaßregeln gegen den K. Joseph I. ließ 1708 Comacchio und die Romagna, Frankreich Venaissin und Avignon, Neapel Benevent und Pontecorvo besetzen, um Zugeständnisse vom Papst zu erzwingen. Noch deutlicher zeigte sich die Ohnmacht des Kirchenstaats im Zeitalter der französischen Revolution. 1791 wurde Venaissin und Avignon Frankreich einverleibt. Nachdem Bonaparte 1796 Bologna und Ferrara besetzt und Papst Pius VI. (1775–99) die Neutralität erkauft hatte, zwangen die Franzosen den Papst im Frieden von Tolentino (19. Febr. 1797), Avignon und Venaissin sowie Bologna, Ferrara und die Romagna abzutreten. Ancona blieb von den Franzosen besetzt, die den K. durch Kontributionen aussogen und die Bildung einer demokratischen Partei begünstigten, die eine französische Intervention betrieb. Anfang 1798 rückten französische Truppen in den K. ein und besetzten 10. Febr. die Engelsburg; nachdem der Papst geflüchtet war, wurde 20. März die Römische Republik proklamiert. Nach den Siegen der 2. Koalition in Italien mußten die Franzosen im September 1799 Rom räumen, das die Neapolitaner besetzten und 1800 dem neuen Papst Pius VII. überlieferten. Dieser sicherte sich den K. durch das Konkordat, das er 15. Juli 1801 mit Bonaparte abschloß. Doch schon 1805 besetzte Napoleon Ancona, angeblich um es vor den Engländern zu schützen, entriß, als er 1806 von Neapel Besitz ergriff, dem K. Benevent und Pontecorvo und ließ schließlich, als der Papst neue Zugeständnisse verweigerte, 2. Febr. 1808 auch Rom besetzen; die nördlichen Provinzen des Kirchenstaats wurden dem Königreich Italien, der Rest nebst Rom 1809 dem französischen Kaiserreich einverleibt; die Klöster und Stifter wurden aufgehoben, das Land in zwei Departements eingeteilt. Der Papst wurde gefangen nach Fontainebleau gebracht, wo er 25. Jan. 1813 auf seine weltliche Herrschaft verzichtete.

Schon vor dem ersten Pariser Frieden (30. Mai 1814), der die Herstellung des inzwischen von Murat besetzten Kirchenstaats aussprach, war Pius VII 24. Mai d. I. nach Rom zurückgekehrt. Nachdem ein neuer Eroberungsversuch Murats 1815 mit der Niederlage von Tolentino geendet hatte, setzte die Wiener Schlußakte die Errichtung des Kirchenstaats im frühern Umfang fest, abgesehen von Venaissin und Avignon, die nicht erwähnt wurden; nur der am linken Ufer des Po gelegene Teil von Ferrara fiel an Österreich, das in Ferrara und Comacchio das Besatzungsrecht erhielt. Der Staatssekretär Consalvi gab dem K. eine geordnete Verwaltung, wobei ihm die rücksichtslose Beseitigung aller Privilegien durch Napoleon zustatten kam, und suchte den traurigen Finanzen aufzuhelfen. Leo XII. und Pius VIII. ließen sich ebenfalls die Pflege des Ackerbaues und Gewerbes angelegen sein, um den Wohlstand des Landes zu fördern. Aber die römische Kurie entzog sich der reaktionären Strömung in den europäischen Kabinetten um so weniger, als ihre kirchliche Politik Vorteil daraus zog, und so trat sie allen liberalen und nationalen Tendenzen der Bevölkerung mit Strenge entgegen; die geheimen Verbindungen der Carbonari, die entdeckt wurden, wurden hart bestraft. Als 1830 und 1831 in der Romagna revolutionäre Unruhen ausbrachen, rief Gregor XVI. fremde Hilfe an und errichtete unter dem Schutze österreichischer und französischer Bajonette ein despotisches Polizeiregiment. Nach seinem Tode wurde 16. Juni 1846 Pius IX. gewählt, der seine Regierung mit der Aufhebung der verhaßten Militärkommissionen in der Romagna, der Absetzung unwürdiger Beamten, der Aufhebung übertriebener polizeilicher Beschränkungen und einer Amnestie für alle politischen Vergehen begann. 1847 berief er eine Art Volksvertretung, die Staatskonsulta, die am 15. Nov. zusammentrat, und nach der Februarrevolution gab er 14. März 1848 eine konstitutionelle Verfassung, die zwei Kammern, eine von der Regierung ernannte und eine gewählte, einsetzte; gleichzeitig zogen die päpstlichen Truppen, durch Freiwillige verstärkt, zum Kriege für die Befreiung Italiens von Österreich nach Oberitalien. Ihre Kapitulation bei Vicenza und die Niederlagen Karl Alberts von Sardinien bewogen Pius IX., sich von der italienischen Sache völlig loszusagen. Dies erregte Erbitterung im Volke. Graf Rossi, den der Papst zum ersten Minister ernannte, glaubte zugleich die Ordnung und die konstitutionelle Staatsform aufrecht erhalten zu können, wurde aber schon 15. Nov. ermordet. Ein Aufruhr zwang nun den Papst, das radikale Ministerium Mamiani zu ernennen; 25. Nov. aber floh Pius IX. nach Gaeta und erklärte alle Handlungen des neuen Ministeriums für nichtig. Die römische Kammer setzte darauf eine provisorische Regierung ein und beschloß die Berufung einer konstituierenden Nationalversammlung, die am 9. Febr. 1849 die Errichtung der Römischen Republik verkündete. Sie hatte die Absicht, Sardinien in dem neuen Feldzug gegen Österreich Hilfe zu leisten, doch die Schlacht bei Novara (23. März) vernichtete die nationalen Hoffnungen. Inzwischen hatte der Papst die Intervention der Mächte angerufen. Der französische Präsident Louis Napoleon beeilte sich, um sich die Gunst des Klerus zu erwerben, dem Hilferuf Folge zu leisten. Eine französische Flotte landete 24. April im Hafen von Civitavecchia ein Expeditionskorps unter General Oudinot. Die Römer hatten schon 24. März ein Triumvirat unter dem Vorsitz Mazzinis ernannt und übertrugen Garibaldi die Verteidigung der Stadt. Nach einem vergeblichen Sturm begannen die Franzosen eine regelrechte Belagerung und erzwangen 3. Juli die Übergabe der Stadt. Gleichzeitig unterdrückten die Österreicher und Neapolitaner im übrigen K. die Revolution.

Eine Regierungskommission von drei Kardinälen, das »rote Triumvirat« genannt, verhängte über alle Teilnehmer an den politischen Bewegungen seit 1847 ein strenges Strafgericht. Unter dem Schutz der Franzosen, die Rom und Umgebung, und der Österreicher, welche die Romagna und Ancona besetzt hielten, führte Pius IX., der am 12. April 1850 nach Rom zurückkehrte, ein hartes Regiment, dessen innere Schwäche sich durch die unheilbare Finanznot offenbarte. Verblendet durch die Erfolge seiner kirchlichen Reaktionspolitik, verweigerte er alle Reformen im K. Als 1859 der Krieg zwischen Österreich und dem durch Frankreich unterstützten Sardinien ausbrach, verhielt sich der Papst neutral. Als aber die Österreicher nach der Schlacht bei Magenta (4. Juni) ihre Truppen aus Ancona und der Romagna zurückgezogen hatten, erhob sich die Romagna gegen die päpstliche Regierung und rief Viktor Emanuel zum Diktator aus. Eine von dem Kommissar des Königs berufene Nationalversammlung beschloß 1. Sept. die Vereinigung der Legationen mit Sardinien; am 11. und 12. März 1860 bestätigte eine Volksabstimmung diesen Beschluß, worauf sardinische Truppen in die Romagna einrückten. Alle Bemühungen Napoleons III., den Papst zur Nachgiebigkeit gegen die nationalen Wünsche zu bewegen, um den K. zu erhalten, wurden von Pius IX. zurückgewiesen. Inzwischen hatte Garibaldi das Königreich beider Sizilien erobert und bedrohte Rom selbst. Um dies zu sichern und dem Umsichgreifen der revolutionären Bewegung vorzubeugen, gestattete Napoleon im August, daß die sardinischen Truppen durch die Marken und Umbrien nach Neapel vordringen dürften. Diese rückten 11. Sept. in den K. ein, schlugen 18. Sept. die päpstliche Armee unter General Lamoricière bei Castelfidardo und zwangen Lamoricière, der sich nach Ancona warf, 29. Sept. zur Kapitulation. Dem Papst verblieb nur das sogen. Patrimonium Petri, das die Franzosen schützten.

Die nationale Partei in Italien forderte stürmisch Rom als Hauptstadt; Napoleon aber verlangte entschieden, daß der Rest des Kirchenstaats unangetastet bleibe, und die italienische Regierung mußte sich fügen. Als Garibaldi 1862 von Kalabrien aus einen Zug gegen Rom antrat, wurde er 29. Aug. bei Aspromonte von italienischen Truppen angegriffen und gefangen genommen. Durch die Septemberkonvention (15. Sept. 1864) schien Italien mit der Verlegung der Hauptstadt nach Florenz auf Rom zu verzichten, wogegen Frankreich die Räumung des Kirchenstaats versprach, die Ende 1866 erfolgte. Sofort bereitete die italienische Aktionspartei, von dem Ministerium Rattazzi heimlich ermuntert, einen neuen Freischarenzug gegen Rom vor. Im Oktober 1867 brach Garibaldi in den K. ein und rückte bis wenige Stunden von Rom vor, wurde aber bei Mentana 3. Nov. von den päpstlichen Truppen, verstärkt durch ein eiligst nach Civitavecchia geschicktes französisches Korps, geschlagen und auf dem Rückzug von den Italienern gefangen genommen und entwaffnet. In Rom wurden scharfe Strafen über alle Aufständischen verhängt; doch war die päpstliche Herrschaft nur noch durch den französischen Schutz aufrechtzuhalten. Kaum waren Anfang August 1870 die französischen Truppen aus Civitavecchia abgezogen und die ersten Siege der Deutschen erfochten, als die Aktionspartei die Besetzung Roms forderte. Nach dem Sturz des französischen Kaiserreichs ließ die Regierung, da Pius IX eine gütliche Vereinbarung ablehnte, 11. Sept. italienische Truppen in den K. einrücken, die 19. Sept. vor den Toren Roms ankamen. Der päpstliche General Kanzler (s. d.) erhielt Befehl, nur der Gewalt zu weichen, und übergab daher erst, nachdem die Italiener an der Porta Pia Bresche geschossen hatten, 20. Sept. die Stadt. Die Volksabstimmung 2. Okt. ergab 133,681 Stimmen für, 1507 gegen die Vereinigung mit Italien, und 6. Okt. wurde diese durch königliches Dekret ausgesprochen. Der K. hatte aufgehört zu bestehen.

Die Stellung des Papstes wurde von der italienischen Regierung durch die Garantiegesetze vom Mai 1871 geregelt. Diese beließen ihm den Besitz des Vatikans, des Laterans und der Villa Castel Gandolfo sowie die Rechte und Ehren eines Souveräns und gewährten ihm eine jährliche Rente von 3,225,000 Lire. Der Papst, der am 1. Nov. 1870 sämtliche Urheber und Teilnehmer an der Annexion des Kirchenstaats mit dem Bann belegt hatte, wies jede Verständigung zurück. Die Vorrechte eines Souveräns nahm er als selbstverständlich in Anspruch, die Dotation lehnte er aber ab und zog es vor, seine Ausgaben aus dem Peterspfennig, den freiwilligen Beisteuern der Gläubigen, zu bestreiten. Er betrachtete sich als Gefangenen in Rom und verließ den Vatikan nicht mehr. Jeden offiziellen Verkehr mit der »subalpinischen« Regierung vermied er und hörte nicht auf, die weltliche Herrschaft des Papsttums als unbedingt erforderlich für die Unabhängigkeit und Würde seines Amtes und die Freiheit der Kirche zurückzufordern. Auch Leo XIII. und (bis jetzt) Pius X. verharrten auf demselben Standpunkte. Vgl. Sugenheim, Geschichte der Entstehung und Ausbildung des Kirchenstaats (Leipz. 1854); Palmieri, Topografia statistica dello Stato pontificio (Rom 1857, 3 Bde.); Brosch, Geschichte des Kirchenstaats (Gotha 1879–82, 2 Bde.); Schnürer, Die Entstehung des Kirchenstaats (Köln 1894); Duchesne, Les premiers temps de l'État pontifical 754–1073 (2. Aufl., Par. 1904); Gundlach, Die Entstehung des Kirchenstaats (Bresl. 1899); Brosch, Papst Julius 11. und die Gründung des Kirchenstaats (Gotha 1878); Farini, Lo Stato Romano dall' anno 1815 al 1850 (Turin 1850–53, 4 Bde.); Hergenröther, Der K. seit der französischen Revolution (Freiburg i. Br. 1866); de Mévius, Histoire de l'invasion des États pontificaux en 1867 (Par. 1875); Rass. Cadorna, La liberazione di Roma nel 1870 (Rom 1888); Theiner, Codex diplomaticus dominii temporalis S. Sedis (das. 1861 bis 1862, 3 Bde.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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