Kartell

Kartell

Kartell (franz. Cartel, ital. cartello, v. lat. carta, ein Stück Papier), ursprünglich die bei den Turnierspielen zu beobachtende Kampfordnung; dann eine schriftliche Aufforderung zum Zweikampf, daher der Überbringer einer Herausforderung Kartellträger genannt wird. Das Deutsche Strafgesetzbuch (§ 203) bedroht einen solchen mit Festungshaft bis zu sechs Monaten. K. (Kartellkonvention) ist ferner eine Bezeichnung für Verträge oder Verabredungen, die besonders da angewendet wird, wo es sich um Verträge handelt, durch die nicht neue Rechtsverhältnisse begründet werden sollen, sondern für einen voraussichtlich ohne das Zutun beider Teile eintretenden Fall Vorsorge getroffen wird. Auch bei dem Verkehr zwischen Staaten kennt man Kartelle, wie Auslieferungs-, Deserteur-, Zollkartelle etc. Ein Zollkartell ist ein Vertrag, durch den zwei Staaten verabreden, daß ihre Zollbehörden einander innerhalb gewisser Schranken Beistand gewähren sollen. Es ist zu unterscheiden von dem Zollvertrag, in dem über Höhe und Art der Zölle materielle Verabredungen getroffen werden. Ein solches Zollkartell bildet der Regel nach das Annexum eines Handelsvertrags. K. ist auch ein zwischen kriegführenden Mächten abgeschlossener Vertrag, der die Art der Kriegführung, namentlich auch die Auswechselung der Gefangenen, betrifft; auch ein zwischen zwei Mächten im Frieden in betreff der Auslieferung der Schmuggler, Deserteure und flüchtigen Militärpflichtigen abgeschlossener Vertrag. Ein solcher Kartellvertrag vom 10. Febr. 1831 über die wechselseitige Auslieferung von Militärpflichtigen und Deserteuren, der früher zwischen sämtlichen deutschen Staaten bestand, hat heute nur noch zwischen Österreich und Preußen Geltung. Unter Gewerkschaftskartellen versteht man die Vereinigung der an einem Orte bestehenden Gewerkschaften, unter studentischen Kartellen die freundschaftlichen Beziehungen (sie äußern sich vor allem durch Verkehr auf den Kneipen der kartellierten Verbindungen), die zwischen gleichgesinnten Verbindungen verschiedener Universitäten bestehen, z. B. zwischen den verschiedenen christlichen Verbindungen, den verschiedenen akademischen Turn- und Gesangvereinen.

Von besonderer Bedeutung sind in neuerer Zeit die Kartelle, Syndikate (franz. syndicats professionels) oder Unternehmerverbände in Industrie und Handel geworden, d. h. vertragsmäßige Vereinbarungen von Unternehmern eines Produktionszweiges, um die gegenseitige Konkurrenz zu beseitigen oder abzuschwächen, und in gemeinsamer Weise Produktion und Absatz entweder in einzelnen Teilen oder in vollständig gemeinschaftlicher Verbindung zu regeln. In der Form und in den Mitteln, deren sie sich zur Erreichung ihres Zieles bedienen, weichen sie sehr voneinander ab. Sie sind entweder gemeinschaftliche Verabredungen über untergeordnete Bedingungen des Verkaufs von Erzeugnissen, z. B. über Zahlungsfristen, Lieferfristen etc., oder lose Vereinbarungen über die Preise, oder bindende Vereinbarungen über Preise und Größe der Produktion. Am vollendetsten ist das K. dann, wenn dadurch eine eingehende Regelung von Produktion und Absatz durch gemeinsame Übernahme von Bestellungen und deren Verteilung auf die einzelnen kartellierten Werke nach gleichen Grundsätzen erfolgt. Der Zweck der Kartelle ist der, den bestehenden Unternehmungen die Sicherheit des Absatzes zu guten Preisen zu gewähren. Solche Kartelle spielen auch im Eisenbahn-, Versicherungswesen eine Rolle. Eisenbahngesellschaften schließen ein K. über Tarifstellung, gegenseitige Benutzung ihrer Wagen u. dgl. (s. Eisenbahnverbände), Versicherungsgesellschaften schließen ein K., um einander Auskunft über die Qualität von Agenten und Policesuchern zu erteilen. In Handel und Kleinbetrieb erscheinen die Kartelle zumeist als lose Vereinigungen zum Schutze gemeinsamer Interessen, soz. B. der »Zentralverband deutscher Kaufleute« mit dem Sitz in Leipzig. Von besonderer Tragweite sind aber die immer mehr vervollkommten und rasch zunehmenden Kartelle in der Großindustrie. Die ersten Kartelle traten in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrh, in Frankreich auf (K. der Sodafabrikanten 1838, Verband der Kohlenzechen im Loirebecken 1842). In den 60 er Jahren regte sich eine zweite Kartellbewegung, besonders lebhaft aber begann die Entwickelung nach dem Krisisjahr 1873, als die Rentabilität der Unternehmungen immer tiefer sank und die Konkurrenz sich um so stärker fühlbar machte. In der jüngsten Zeit hat dann die Kartellbewegung rasche Fortschritte gemacht. Die Zahl der Kartelle in Deutschland mag zurzeit etwa 450 betragen, von denen die meisten, ca. 80, in der gemischten Industrie bestehen, etwa ebensoviel in der Eisenindustrie, 59 in der Industrie der Steine und Erden, 38 in der Textil-, 17 in der Kohlenindustrie. In Österreich zählte man 1902: 68 Kartelle. In außerordentlicher Weise sind in den letzten Jahren die Unternehmerverbände zur Regelung der Produktion in den Vereinigten Staaten gewachsen, wo alle Arten von Unternehmungen (Eisenbahnen, Telegraphen, Paketpost, Eisen-, Kohlen-, Petroleum- und Baumwollenindustrie, aber auch Industrien von Gebrauchs- und Luxusgegenständen etc.) kartelliert sind. Ihr besonderes Merkmal erhält die amerikanische Kartellbewegung durch die Tendenz zur Fusionierung (Verschmelzung) der früher selbständigen Unternehmungen zu einer oder wenigen Riesenunternehmungen, die vielfach auch ihre Hilfsprodukte selbst erzeugen (vgl. Trust). In der Regel erstrecken sich die Kartelle auf ein Land oder einzelne Teile desselben, daneben gibt es auch internationale Kartelle, so für Schienen, für Bleiwerke, das (inzwischen verkrachte) Kupfersyndikat u. a. Zumeist geben Überproduktionen und Preisfälle die Veranlassung zum K., das häufig mit Preisverabredungen beginnt und erst später, wenn diese nicht zum Ziele führen, zur Errichtung gemeinsamer Verkaufsstellen oder zur Austeilung der Aufträge fortschreitet. Das K. gelingt um so leichter, je weniger Unternehmer eine Branche zählt; freilich haben bisher manche Kartelle zumeist nur auf eine Reihe von Jahren Bestand gehabt, da sie häufig von unzufriedenen Mitgliedern gesprengt wurden. Doch sind Erneuerungen eines gesprengten Kartells nach einiger Zeit heftiger Konkurrenz nicht selten. – In ähnlichem Sinne wie das Wort K. wird auch das Wort Ring (engl. corner) gebraucht; doch bezeichnet der Ausdruck Ring eine rein spekulative Vereinigung von Unternehmern oder Händlern ohne die Absicht dauernder Produktionsregelung, um durch Monopolisierung eines Produkts oder einer Ware Monopolpreise erzielen zu können. Ein Ring ist übrigens in der Regel nur für solche Artikel möglich, die nur in bestimmten Ländern, wie Baumwolle, Gewürze, Kaffee, oder nur an wenigen Stellen der Erde gewonnen werden können, wie Petroleum, Quecksilber. Während die Ringe kaum als volkswirtschaftlich wertvolle Formen von Unternehmerverbänden angesehen werden können, schwankt das Urteil über die Kartelle mangels ausreichender Erfahrungen in Wissenschaft und Praxis heute noch sehr. Während die Gesetzgebung in Deutschland und England der Kartellbildung bisher kein Hindernis bereitet hat, hat man es in Frankreich, Österreich und besonders in den Vereinigten Staaten an Versuchen einer gesetzlichen Beschränkung nicht fehlen lassen. Man rühmt den Kartellen nach, daß durch sie die Produktion geordnet, Preisschwankungen verhindert, Überproduktionen und Handelskrisen vermieden, infolgedessen den Arbeitern dauerndere Beschäftigung und gleichmäßigere Löhne gewährleistet werden können. Anderseits ist aber nicht zu verkennen, daß das Aufkommen neuer Unternehmungen leicht unterdrückt, Technik und Ökonomik wegen mangelnden Wettbewerbs gefährdet werden können, daß sie zu Preissteigerungen neigen und eine beherrschende Stellung gegenüber den Arbeitern und den Konsumenten erreichen können. Um zu einer genauern Kenntnis der Kartelle zu gelangen, ist im Deutschen Reich auf Antrag des Reichstags eine Kartellenquete veranstaltet worden, die sich bisher mit den Kohlen- und Koks-, den Eisenkartellen und dem Buchhändlerkartell beschäftigt hat; die Berichte darüber werden veröffentlicht u. d. T.: »Kontradiktorische Verhandlungen über deutsche Kartelle« (Berl. 1903 ff.). Vgl. Kleinwächter, Die Kartelle (Innsbr. 1883); »Schriften des Vereins für Sozialpolitik«, Bd. 60 (Schilderung von 15 Kartellen nebst Statuten, Leipz. 1894); Liefmann, Die Unternehmerverbände (Freib. i. Br. 1897), Schutzzoll und Kartelle (Jena 1903), Kartelle und Trusts (Stuttg. 1905); Pohle, Die Kartelle der gewerblichen Unternehmer (Leipz. 1898); K. Hirsch. Die rechtliche Behandlung der Kartelle (Jena 1903); Menzel, Die Kartelle und die Rechtsordnung (2. Aufl., Leipz. 1902); Juliusberg, Die Kartelle und die deutsche Kartellgesetzgebung (Berl. 1902); Grunzel, Über Kartelle (Leipz. 1902); Huber, Die Kartelle (Stuttg. 1903); Tschierschky, K. und Trust (Götting. 1903); Rundstein, Das Recht der Kartelle (Berl. 1904); v. Landmann, Die amtlichen Erhebungen über das deutsche Kartellwesen, in den »Annalen des Deutschen Reichs« (Münch. 1904); ferner: Rousiers, Les syndicats industriels de producteurs en France et à l'étranger (Par. 1901); Laur, Les cartels et syndicats en Allemagne (2. Aufl., das. 1903); Colliez, Les coalitions industrielles et commerciales d'aujourd'hui (das. 1904).

Mit dem Namen K. bezeichnet man auch das Bündnis, das die drei regierungsfreundlichen Parteien des deutschen Reichstags: die Deutschkonservativen, die Reichspartei und die Nationalliberalen, nach der Auflösung des Reichstags wegen Ablehnung des Septennats (14. Jan. 1887) für die Neuwahlen schlossen. Hierbei sollte in denjenigen Wahlkreisen, in denen bisher ein Mitglied der drei Kartellparteien im Besitz des Mandats gewesen war, dieser oder ein Ersatzmann desselben gewählt werden und in den andern Wahlkreisen eine Einigung der drei Parteien über einen gemeinsamen Kandidaten erfolgen. Die Kartellparteien errangen bei der Wahl vom 21. Febr. 1887 die Mehrheit (217 gegen 173 Stimmen) und sicherten hierdurch nicht nur die Genehmigung des Septennats, sondern auch der andern Regierungsvorlagen, wie der Mehrforderungen für Rüstungen, des Alters- und Invalidenversorgungsgesetzes, der Branntweinsteuer, der Kolonialvorlagen u. a. Das K. wurde von dem Zentrum und den Deutschfreisinnigen aufs heftigste angegriffen, aber auch von dem äußersten Flügel der Konservativen, der Kreuzzeitungspartei unter Hammerstein und Stöcker, angefeindet, und als es Anfang Dezember 1889 für die Neuwahlen vom 20. Febr. 1890 erneuert wurde, schlossen die Ultramontanen, Deutschfreisinnigen und Sozialdemokraten eine Art »Antikartell«. Da die Strömung im Volk sich geändert hatte, erlitt das K. am 20. Febr. 1890 eine Niederlage und verlor die Mehrheit im Reichstag, damit auch seinen Zusammenhalt und seine Bedeutung.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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