Jemen

Jemen

Jemen heißt bei den Arabern seit alters die Südwestecke ihrer Halbinsel, das »glückliche Arabien« der Griechen und Römer, die diese Bezeichnung wohl nur infolge eines Mißverständnisses wählten, indem sie den Namen J., d. h. »das (von dem von der Kaaba [Slekka] aus nach Osten blickenden Araber) rechts gelegene Land«, in ominöser Auffassung als »das glückliche Land« deuteten. (Zur Geographie des J. vgl. Arabien, S. 654, zur Entdeckungsgeschichte vgl. Asien, S. 873.) – Das frühere türkische Wilajet J. ist 1900 in die Wilajets Assyr, Hodeida, Sana und Taïzz geteilt worden. Das Gesamtareal beträgt 191,100 qkm, dessen Bevölkerung auf 750,000 geschätzt wird. Die wichtigsten Städte (von N. nach S.). Kunfuda, Lohaja, Beit el Fakih, Hodeida, Sana, Dammar.

Die alten literarischen Quellen sowie die gewaltigen, im letzten Jahrhundert hier entdeckten Ruinenstätten, die uns bereits mehr als 2000 Inschriften geliefert haben, zeigen, daß in J. im letzten vorchristlichen Jahrtausend und vielleicht schon früher blühende wirtschaftliche Zustände und eine eigenartige Kultur geherrscht haben. Diese beruhten z. T. auf den verhältnismäßig sehr günstigen klimatischen und Vegetationsverhältnissen dieser Länderstriche, in viel höherm Grade aber auf dem Handel, der teils reiner Ausfuhr-, teils Durchgangshandel (namentlich zwischen Indien und dem Nordwesten) war. Die dabei hauptsächlich in Frage kommenden Handelsprodukte waren Myrrhe, Kassia, Zimt, Ladanum, Luxustiere, wie Affen und Pfauen, arabisches und indisches Gold und namentlich der im Altertum so außerordentlich gesuchte Weihrauch, ein Erzeugnis Südarabiens und der gegenüberliegenden ostafrikanischen Küste. Ihren politischen Ausdruck fand diese Blüte des J. in zwei größern Staatengebilden, dem Reiche der Könige und des Volkes von Ma ' in, der Minäer, in dem nördlich von Ssan'a gelegenen Gebirgslande, dem sogen. Dschof, mit den Hauptstädten Karnâu und Jathil, und dem sagenumwobenen Reiche von Saba, südlich vom Dschof, mit der Hauptstadt Marib (Mariaba). Die bis jetzt genauer bekannt gewordenen minäischen und sabäischen Inschriften enthalten eine Fülle architektonischer und kultischer Einzelheiten, lassen uns aber in rein geschichtlicher Beziehung (Entwickelung der beiden Reiche, ihre Chronologie, ihr Verhältnis zueinander und ihre Machtsphäre) im wesentlichen noch im Stiche. Fest steht nur, daß J. in seiner Blütezeit Handelsplätze und Kolonien in Ostafrika besessen, daß sich sein Handelsverkehr im Westen bis nach der Thebais hin erstreckt und daß es das abessinische Alpenland kolonisiert hat, sowie daß sowohl die Minäer als auch die Sabäer zeitweilig den Assyrern tributpflichtig gewesen sind. Sehr wahrscheinlich ist außerdem, daß das Reich von Ma'in größere Ausdehnung besessen hat als das der Sabäer, daß es zeitlich letzterm vorausgegangen und daß die Verfassung in beiden ein auf der Stammesorganisation der Beduinen beruhender Feudalismus gewesen ist.

Die Griechen haben in ihrer Blütezeit lebhaften Verkehr mit Südarabien unterhalten, wie schon die zahlreichen hier gemachten Funde von Münzen mit dem Kopfe des Perikles beweisen. Zur Zeit der Ptolemäer waren die Beziehungen des Westens zu dem Reiche von Saba wieder besonders rege; aber gerade sie, nebst den Römern, haben die Blüte Südarabiens gebrochen, indem sie, in Ausführung eines schon von Alexander gehegten Planes, den Seeweg um Arabien herum freilegten und so für die indischen und ostafrikanischen Produkte an Stelle des arabischen Karawanenhandels den Seehandel einführten. 25 v. Chr. ließ Augustus den Prokurator Ägyptens, Älius Gallus, sogar einen Feldzug gegen J. unternehmen. Der Zug mißglückte aber, indem die Belagerung des nach unsäglichen, z. T. durch verräterische Führer bewirkten Mühen erreichten Marib wegen Wassermangels aufgegeben werden mußte. Die Okkupation des Landes, zu der es gekommen war, hatte auf diese Weise keine Dauer. Etwa seit Christi Geburt verschwindet Saba mehr und mehr. Die Himjar (Homeriten), die dichter am Meere saßen, traten an die Stelle der Sabäer und ihre Hauptstädte Taphâr und später Ssan'a an die Stelle des alten Marib. Die neuen Herrscher nannten sich »Könige von Saba« und zugleich, nach ihrer Stammburg. »von Raidan«; in den arabischen Quellen heißen sie »Tubba'«. Diese haben bis ins 5. Jahrh. n. Chr. regiert, z. T. wohl aber nur unter der Oberhoheit der Abessinier, die schon früh Teile des Landes eroberten und, nach ihrem eignen Übertritt zum Christentum (etwa 400–500 n. Chr.), auch Südarabien zu christianisieren anfingen. Die mit wechselndem Glück geführten Eroberungskriege der Abessinier lernen wir aus den alten axumitischen Inschriften kennen, die bis 350 n. Chr. zurückreichen. Einen der abessinischen Vasallenkönige stürzt der Tubba' Dhu Nuâs, der zum Judentum übergetreten war, ohne daß ihm freilich seine Untertanen darin zahlreich gefolgt zu sein scheinen. Er leitete (im Oktober 523 n. Chr.) eine Christenverfolgung ein, die aber offenbar weniger konfessionellen als nationalen Gründen entsprang, nämlich dem Haß gegen die christlichen Abessinier. Er unterlag indes im Kampfe gegen die letztern, die darauf J. noch ungefähr 50 Jahr lang behaupteten (hier zu nennen namentlich der Vasallenfürst Abraha, d. h. Abraham, der einen berühmten Zug nach Mekka unternahm), bis sie (bald nach 570) durch die Perser vertrieben wurden, die der südarabische Nationalheld Dhu Jesen herbeigerufen halte. Der Herrschaft der Perser in J. machte 629 Mohammed ein Ende. Seitdem hat J. keine größere geschichtliche Rolle mehr gespielt. Seit dem 9. Jahrh. herrschten hier, formell unter der Oberhoheit der Kalifen, tatsächlich aber mehr oder weniger unabhängig, die Dynastien der Sijadiden, Ja'furiden, Nedschahiden u. a., bis 1173 die Ejjubiden das Land eroberten. Ihnen folgten 1231 die Resuliden, denen ganz Südarabien von Hadhramot bis Mekka gehorchte, und die Tahiriden, die sich bis zur osmanischen Invasion (1517) behaupteten. Die Türken mußten 1633 J. den hier ansässigen seiditischen Fürsten (Imâmen) aus dem Geschlechte Alis (s. Ali 1) überlassen, die ihnen von ihren Burgen in den unzugänglichen Gebirgen des Landes aus ununterbrochene Schwierigkeiten bereitet hatten. Erst Mehemed Ali (s. d.) unterwarf Südarabien von neuem für die Türken, die seitdem in Ssan'a einen Residenten haben. Doch ist ihre Herrschaft vielfach nur nominell und 1895 durch das Auftreten eines Usurpators schwer beeinträchtigt worden. Trotz starker Besatzungen läßt die Sicherheit dieses Besitzes viel zu wünschen übrig, teils wegen des unruhigen Charakters seiner Bevölkerung, in neuester Zeit aber besonders deshalb, weil die Engländer, die seit 1839 den uralten, durch den Bau des Suezkanals zu größter Wichtigkeit gelangten Hafenplatz Aden (s. d.) besetzt halten, durch politische Rücksichten, z. T. wohl gegen ihren Willen, zu einer immer weiter gehenden Besetzung Jemens gezwungen sind.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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