Georgĭen

Georgĭen

Georgĭen (Karthweli oder Karthli der Eingebornen, Gurdschistan der Iranier, Iberien der Alten, Wrastan der Armenier, Grusien der Russen), bis 1799 selbständiges Königreich (s. Mzchet) in Transkaukasien, umfaßte besonders das obere und mittlere Kurtal und ist jetzt der Kern des russischen Generalgouvernements Kaukasien (s. d. mit Karte), das sechs Distrikte des Gouvernements Tiflis, sieben von Kutais und drei von Batum umfaßt. Die Bevölkerung besteht vorwiegend aus Georgiern (s.d.), dann aus Armeniern, Turkmenen und Juden. In kirchlicher Beziehung bildet G. mit Jelissawetpol seit 1836 das grusinische Exarchat oder die grusinische Eparchie unter dem Exarchen von G. und Erzbischof von Karthli und Kachetien mit einem Erzbischof von Tiflis. Die Armenier haben in Tiflis einen Bischof von G. und Imeretien. Der Name G. wird von Georg, dem Schutzheiligen des Landes, abgeleitet, lautet aber bei den persischen Dichtern Ghartschegan und Ghar für das Volk.

Geschichte. Als älteste Bewohner Georgiens werden die Iberer genannt. Pompejus drang als Eroberer in G. ein. Um den Beginn der christlichen Zeitrechnung waren die Großen des Reiches in Fehde begriffen und führten persische wie armenische Hilfstruppen ins Feld. Der Kampf endete mit Teilung des Landes in zwei Reiche, deren Grenze der Kur bildete (erste Teilung Georgiens). Beide Fürstentümer errangen als Bundesgenossen Vorteile über die Armenier; um 113 entzweiten sich die Fürsten, und das südliche Reich konnte nur mit Hilfe persischer Truppen behauptet werden. Im 2. Jahrh. wurde G. wieder unter einem Herrscher geeinigt. Etwas später gefährdeten ein Einfall der Osseten und die schlechte Regierung des Fürsten Amzasp den Bestand des Reiches; die Armenier stellten wieder Ordnung her und brachten ihren Schützling Rew (186–213), mit dem Beinamen der Gerechte (Marthili), auf den Thron. Das Christentum soll in G. schon 31 durch die Apostel Andreas und Simon verkündet worden sein; doch erst der genannte Fürst leistete seiner Verbreitung Vorschub. Unter Mirian (265–342), der seine Erhebung wieder den Persern verdankte, faßte das Christentum durch den Bischof Eustathios dauernd im Volke Wurzel. Während der Thronstreitigkeiten unter seinen Nachfolgern rissen die Perser weitere Stücke des Landes an sich, mußten sie aber an den tatkräftigen georgischen König Trdat (393–405) wieder zurückgeben. 455 ward Tiflis erbaut und die hohe geistliche Würde eines Katholikos oder geistlichen Oberhauptes von G. gestiftet; unter Wachthang-Gurgaslan (466–499) war G. nach außen mächtig. Datschi (499–514) verlegte die Residenz von Mzchet nach Tiflis. Die Angriffe der Perser stellten aufs neue die Fortdauer des Reiches in Frage; Bakur III. (557–570) stellte sich unter den Schutz der byzantinischen Kaiser, die hier seit dem 4. Jahrh. Einfluß erhalten hatten, und Justinus II. setzte in G. 574 Stephan I. als König, in Wirklichkeit aber als Statthalter ein und beseitigte so die alte Chosru-Dynastie, die an 344 Jahre über G. geherrscht hatte. Diesem folgten aus dem Geschlecht Gurams (zuerst Oberbefehlshaber, dann Stephans Nachfolger) die Guramiden als Vasallen des byzantinischen Reiches. Bald darauf fand der erste Einfall der Moslems statt, die das Land mehrfach verwüsteten und 787 nach dem Aussterben der Guramiden der Familie der Bagratiden den Weg zum Thron bahnten, jedoch unter arabischer Oberherrschaft. Um 842 unterwarf sich der Türke Bugha G.; unter Adarnase II. (881–923) verwüsteten die Perser das Land. Darauf machten die byzantinischen Kaiser wieder Rechte an G. geltend und setzten zwischen 991 u. 1072 Könige ein. Bedeutend darunter war Bagrat IV. (geb. 1018, gest. 1072), der für die Erhaltung der georgischen Sprache und Literatur tätig war. Seit 1070 bemühten sich wieder persische Könige um die Ausbreitung des Islams in G. und bedrückten die Christen arg. Da entfaltete das Volk unter der Führung des bedeutendsten unter seinen Herrschern, Davids II. (IV.), mit dem Beinamen Aghma Schenebel (»Erneuerer«, 1088–1125), eine noch nie dagewesene Energie. Das Land ward von den Eindringlingen gesäubert und sein Name bei den Persern wie bei den türkisch-tatarischen Horden, die um diese Zeit bis nach G. zu streifen begonnen hatten, gefürchtet gemacht. Unter Georg IV. Lascha (Mitregent seit 1207, selbständig 1212–23), der das Christentum unter den Bergvölkern verbreiten ließ, verwüstete Dschengis-Chan das Land. Seitdem beginnt der Verfall des Reiches; Georgiens Geschichte bildet von da an »eine lange Reihe von Verheerungen, Niedermetzelungen, Revolutionen und unheilvollen Invasionen« (Radde). Schon unter Georgs IV. Bruder Rusudan (gest. 1247) ward das Land aufs neue Schauplatz der Kämpfe zwischen kurdischen und persischen Fürsten; letztere behielten die Oberhand, was 1242 die zweite Teilung Georgiens zur Folge hatte. Unter Wachthang II. wurden die zwei Reiche 1289 auf kurze Zeit wieder vereinigt; ja, durch Georg V. (1318–46), der durch die Eroberung Imerethis 1330 die Einheit aufs neue herstellte, wurde das Land sogar von den Persern befreit und im Innern so gekräftigt, daß eine neue Blüte anzubrechen schien. Da verwüstete unter seinen zwei Nachfolgern Timur wiederholt das Land und zwang die Bewohner, zum Islam überzutreten. Wiederum erholte sich das Land, und Alexander I. (1414–24) hob nach Vertreibung der Mohammedaner eifrig das unter ihm wieder vereinigte Reich; er verteilte aber das Land unter seine drei Söhne Wachthang IV., Georg VIII. und David, wodurch 1469 die drei Reiche Imerethi, Karthli und Kacheti entstanden, die nur vorübergehend unter Wachthang V. (1658–75) wieder vereinigt waren. Der größte Teil von Imerethi wurde 1810 dauernd von den Russen besetzt. Karthli stand zuerst unter dem Schutz Persiens, fiel aber 1760 an Kacheti, und Heraklius (Erekle, Irakli) II., seit 1744 Fürst von Kacheti, stellte, um vor persischen Zwangsbekehrungen zum Islam gesichert zu sein, Karthli und Kacheti, nachdem er schon 1793 der Kaiserin Katharina den Treueid geleistet hatte, 1798 unter russische Oberhoheit. Heraklius' Nachfolger Georg XIII. trat sein Reich ganz an Rußland ab, und Kaiser Alexander I. erklärte G. 1802 zur russischen Provinz. Die Prinzen der königlichen Familie aber, denen eine Pension und russische militärische Grade verliehen wurden, ließ Alexander I. nach Rußland abführen. Nachdem im Frieden von Adrianopel 1829 von der Pforte auch der der türkischen Herrschaft unmittelbar unterworfene Teil von G. mit der 1828 durch Paskewitsch eroberten Festung Achalzych an Rußland abgetreten worden, steht gegenwärtig ganz G. unter russischer Herrschaft. Das alte Königsgeschlecht erlosch schon mit dem Neffen Georgs XIII., dem Fürsten Heraklius von Grusien, der am 10. Mai 1882 in Tiflis starb. Vgl. außer den Reisebeschreibungen von Klaproth (1812–14), Dubois du Montpereux (1839–43), Haxthausen u. a.: Breitenbauch, Geschichte der Staaten von G. (Memming. 1788); M. F. Brosset (1802–80), Description géographique de la Géorgie (Petersb. 1842) und Histoire de la Géorgie (das. 1850–59, 2 Bde.), beide Werke aus dem Georgischen übertragen; Langlois, La Géorgie. Histoire, géographie, etc. (in der »Revue de l'Orient«, 1860); Villeneuve, La Géorgie (historisch, Par. 1871); Khakanow, Histoire de Géorgie (das. 1900); Romanowsky, Skizzen aus der Geschichte von G. (russ., Tiflis 1902); Leist, Das georgische Volk (Dresd. 1903); Stammbäume der Fürsten von G. bei Justi, Iranisches Wörterbuch (Marburg 1895). Sammlungen georgischer Münzen und Handschriften befinden sich in St. Petersburg, Berlin, Wien, Paris etc. (vgl. Langlois, Numismatique géorgienne, Par. 1860).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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