Gebärdensprache

Gebärdensprache

Gebärdensprache, Kundgebung der Gedanken, Gefühle und des Willens durch Gebärden, d. h. durch Haltung und Bewegung der einzelnen Teile des Körpers, z. B. Erheben einer Hand, Falten der Hände etc. Die G. unterscheidet sich von der Gestikulation (s.d.) des Redners, die das gesprochene Wort durch begleitende Gebärden unterstützt, und von der Mimik (s.d.), die, mit oder ohne begleitende Rede, das Gebaren einer bestimmten Person, sei diese wirklich vorhanden (empirische Mimik) oder dichterisch vorgestellt (idealisierende Mimik), nachahmend darstellt. Wenn die G. sich nur solcher Gebärden (Gesten) bedient, die sich ungesucht aus dem Verkehr ergeben, so heißt sie natürliche G. Eine solche wird sich immer in engen Grenzen bewegen. Wenn dagegen gewisse Gebärden durch Übereinkommen als Zeichen für Vorstellungen festgestellt werden, mit denen sie an sich nur in entferntem oder in gar keinem Verhältnis stehen, so nennt man das künstliche G. Diese hat sich bei verschiedenen alten u. neuern Völkern besonders als Fingersprache (spanische mit einer Hand, englische mit beiden Händen) herausgebildet. Diese Fingersprache (Handalphabet, Daktylologie), schon von dem Spanier Juan Pablo Bonet (um 1620) als Vorstufe für die Lautsprache bei Taubstummen angewendet, wurde später in Frankreich und England systematisch ausgebildet und verdrängte eine Zeitlang die Lautsprache, die neben der Schrift allein den Taubstummen zum Verkehr mit seiner vollsinnigen Umgebung befähigt, fast ganz. Der Abbé de l'Epée (s.d.) bevorzugte und kultivierte sie; noch mehr vervollkommte sie Epées Nachfolger Rochambroise Cucurron Sieard (1742–1822). Nach der von I. K. Amman, Rodr. Pereira und Sam. Heinicke ausgebildeten sogen. deutschen oder Artikulationsmethode des Taubstummenunterrichts ist die künstliche G. überhaupt ausgeschlossen, und selbst die für den Beginn des Unterrichts unentbehrliche natürliche G. soll, um die Kinder zum Absehen der Lautsprache und zum eignen Sprechen zu gewöhnen, in möglichst engen Grenzen gehalten werden. Grund dafür ist, daß jede (an sich den Taubstummen bequemere) G. diese unter sich abschließt, indes sie durch Laut- und Schriftsprache zum Verkehr mit Vollsinnigen, dem wichtigsten Ziele ihrer Ausbildung, befähigt werden. Während Epée in der künstlichen G. den Beginn einer Universalsprache für alle gebildeten Völker gefunden zu haben glaubte, hat sie daher heute nur noch geschichtliches Interesse. Gegen angeblich verbreiteten Rigorismus in Zurückdrängung der natürlichen Gebärde erhob um 1890 der Taubstummenlehrer Heidsieck (Breslau) lebhaften Einspruch und fand damit im Kreise der ausgebildeten Taubstummen manchen Beifall. Im ganzen hat aber der dadurch veranlaßte Streit die Beschlüsse der internationalen Kongresse der Taubstummenlehrer zu Paris (1878) und Mailand (1880) nur bestätigt, wonach der Lautsprache, und zwar der reinen, unbedingt der Vorzug vor der G. im Unterrichte der Taubstummen gebührt. Vgl. Epée, Institution des sourds et muets par la voie des signes méthodiques (Par. 1776, 2. Aufl. 1784 u. ö.); Sieard, Théorie des signes pour l'instruction des sourds-muets (das. 1808–1814, 2 Bde.; 2. Aufl. 1828); Neumann, Die Taubstummenanstalt zu Paris im Jahre 1822 (Königsb. 1827); Walther, Geschichte des Taubstummenbildungswesens (Bielef. 1882) und Handbuch der Taubstummenbildung (das. 1895); Kopp, Geschichte des Taubstummenbildungswesens (in Schmids »Geschichte der Erziehung«, Bd. 5, 3. Teil, Stuttg. 1902). über den Heidsieckschen Streit vgl. Walther u. Töpler in den »Blättern für Taubstummenbildung«, 1892, Nr. 21; »Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen«, 1892, S. 864ff. (Erlasse vom 17. Sept. und 15. Nov. 1892). S. auch Zeichensprache.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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