Fuhrwesen

Fuhrwesen

Fuhrwesen, öffentliches, Verwaltung und Betrieb der jedermann gegen Entgelt zugänglichen Verkehrsmittel zur Personenbeförderung, meist im engern Sinn in bezug auf Straßenbahnen (s.d.), Omnibusse und jederzeit fahrbereite Einzelgefährte. In Berlin waren 1837 die ersten Omnibusse, 5 Linien mit 20 Wagen, im Betrieb. 1865 bestanden 36 Linien mit 305 Wagen; der Fahrpreis betrug zeitweilig 1 Sgr. (Silbergroschen), später 2 Sgr. im Innern, 1 Sgr. auf dem Verdeck. 1868 kaufte eine Aktienkommanditgesellschaft sämtliche bis dahin von einzelnen Fuhrherren betriebenen Omnibuslinien an. Ende 1902 bestanden fünf Omnibusgesellschaften. Befördert wurden 1872: 12,7 Mill., 1891: 29,8 Mill. und 1900: 80,7 Mill. Personen; es waren 726 Wagen und 4200 Pferde auf 32 Linien im Betrieb. In viel höherm Maß als 1865 die erste Berliner Straßenbahnlinie mit Pferdebetrieb hat die elektrische Straßenbahn mit ihrem 10-Pfennigtarif einen großen Teil des Personenverkehrs an sich gezogen. Die vorher allgemein zweispännigen Omnibusse hatten 26–32 Plätze, von denen 10–12 Verdeck- und 3–5 Stehplätze waren. Dieser Wettbewerb seitens der Straßenbahn nötigte zu Verbesserungen und Erleichterungen, namentlich zur Einführung einspänniger Omnibusse für 12–16 Personen und grundsätzliche Zulassung verhältnismäßig langer 5-Pfennigstrecken. Indes sahen sich die Gesellschaften genötigt, unter Verringerung ihres Pferde- und Wagenbestandes die unrentabeln Strecken aufzugeben und sich auf Zufahrtslinien zu den Bahnhöfen und Transversallinien zu den Straßenbahnen zu beschränken. Ähnliche Erscheinungen treten in allen Großstädten, besonders in Paris und London, auf. Von 1870–1902 hat sich der Personenverkehr Berlins und seiner Vororte auf das 42fache, die Einwohnerzahl nur auf das 2,8fache gesteigert. 1903 verkehrten an der Kreuzung der Friedrich- und Leipzigerstraße stündlich 276 Omnibusse, 156 Straßenbahnwagen, 488 sonstige Fuhrwerke und 5100 Fußgänger. In Hamburg, wo die Bassonsche Gesellschaft 1839 Omnibusse einführte, bildeten die Soltauschen auslenkbaren Omnibusse mit einem fünften Rade den Übergang zu den Straßenbahnen; sie konnten auf den Straßenbahnschienen Spur halten und auch auf Pflaster fahren, was in engen Straßen mit einem Gleis von Wert war. Die ersten elektrischen Omnibusse nach dem Trolleysystem, aber ohne Schienen, wurden in Deutschland im Bielatal zwischen Königstein und Königsbrunn (2,4 km) eingerichtet (vgl. Elektrische Eisenbahn, S. 609). In Paris verkehrten schon von 1662 ab während 15 Jahren auf fünf Strecken Omnibusse, die Carosses á cinq sous, mit sechs, später acht Plätzen. Die erste Omnibuslinie im heutigen Sinne wurde 1826 in Nantes, die zweite durch Blaise Pascal 1827 in Bordeaux, weitere 1828 in Paris eingerichtet. Die damaligen Pariser Wagen hatten anfangs 15 Sitze, und zwar nur im Innern, erst 1853 wurde die Impériale erfunden. Sämtliche Gesellschaften wurden 1855 zur Entreprise générale des omnibus vereinigt, die 300 (von 1860 ab 500) Wagen aufstellen und 640,000 (später 1 Mill.) Fr. an die Stadt zahlen mußte. Der Fahrpreis betrug wie noch heute (1903) 30 Cent. im Innern und 15 auf dem Verdeck, bei Benutzung der Correspondance auch auf dem Verdeck 40 Cent. Unter Correspondance versteht man nicht nur die Umsteigekarte, sondern auch die ganze Einrichtung, an den Haltestellen von einer Linie auf jede anschließende Linie ohne Nachzahlung übergehen zu können. Die Pariser Omnibuslinien (1902: 45 Linien) sind durchschnittlich 6–8 km lang. In Paris ist der Omnibus trotz aller Verkehrsneuerungen zurzeit noch das hauptsächlichste und billigste Beförderungsmittel, wenn auch die allmähliche Eröffnung der einzelnen Strecken der neuen Pariser Stadtbahn den Omnibusverkehr erheblich beeinträchtigt hat. Die Wagen sind zweispännig mit 14 Innen- und 12 Verdeckplätzen, oder dreispännig mit 16 Innen- und 20 Verdeckplätzen. Durch die Ausgabe von Nummern an die Fahrgäste an den Haltestellen oder in besondern Wartehäuschen ist dem Drängen der Fahrgäste vorgebeugt. In London wurde der Omnibus 1829 durch Shiliberth, einen Pariser Leichenfuhrunternehmer, eingeführt. Die ersten Omnibusse waren dreispännig und hatten nur Sitze im Innern; 1857 wurden die Verdeckbänke eingeführt, anfangs in der Längsachse des Wagens (knife-board), 1887 je vier Plätze quer mit Durchgang in der Mitte (garden-seats). Jetzt haben die Omnibusse meist 12 Innen- und 20 Verdeckplätze, der Preis beträgt je nach der Entfernung 1/2 d. bis 6 d. In London können, wie in Paris und Berlin, auch Damen auf dem Verdeck fahren. Unter den europäischen Hauptstädten hat London den stärksten Omnibusverkehr; 1902 waren etwa 120 Linien und gegen 3000 Wagen im Betrieb. Die Road Star Co. mit rund 450 Wagen hat vereinzelt Dampfomnibusse für 36 Personen im Betrieb.

Torwagen (s. Kremser) befördern Personen nur unregelmäßig an gewissen Tagen bei festlichen Gelegenheiten, Rennen etc., gegen zu vereinbarenden Preis. Berlin hatte 1862: 523,1891: 286,1902 nur noch 114 Kremser. In Paris verkehren auf einigen Strecken zu bestimmten Zeiten Mail-coaches in englischem Stil, auch Wagonettes, Breakes, Chars-à-bancs, besonders an Renntagen.

Das Droschkenwesen (s. Droschke und Fiaker) besteht in Berlin seit 1739, wo Friedrich Wilhelm I. die Ausstellung von 15 Fiakern anordnete. Wegen des für die damalige Zeit hohen Fahrpreises von 4 Groschen für eine Fahrt mit 1–4 Personen innerhalb des Walles nahm die Benutzung nur langsam zu. 1769 waren 36,1780 nur 20 Fiaker vorhanden, und 1794 hörte die Fiakerzunft auf zu bestehen. Ende 1814 erhielt der Pferdehändler Alexis Mortier (oder Mortgen) aus Dessau für sechs Jahre das Privilegium, das später bis 1837 verlängert wurde, sogen. Warschauer Droschken aufzustellen. Er eröffnete den Betrieb mit 32 Droschken: Fahrpreis für 1/4 Stunde eine Person 4 Groschen. An Droschken waren vorhanden 1827: 119,1837, als der freie Wettbewerb zugelassen wurde, 266 und 1868: 2639, von denen jedoch 1630 als unbrauchbar polizeilich ausgesondert wurden. Der Droschkenbedarf Berlins ist 1898 polizeilich auf 8000 Stück festgestellt worden; über diese Zahl hinaus werden Konzessionen nicht erteilt. 1892 wurden von Hamburg aus Droschken mit Fahrpreisanzeiger (Taxameter) eingeführt, der die Länge der durchfahrenen Strecke und den dafür zu entrichtenden Preis selbsttätig anzeigt. Unter den billigen Straßenbahntarifen leidet auch das Droschkengewerbe; eine Taxameterdroschke legt täglich 25–30 km nutzbar zurück, die Einnahme beträgt 8–9 Mk. Neuerdings ist die zuerst in Gotenburg erprobte Einrichtung, Droschken vom nächsten Halteplatz durch Fernsprecher herbeizurufen, in mehreren Städten eingeführt worden. Gebühr 10 Ps. Mit Akkumulatoren oder Benzin betriebene Motordroschken sind bisher in Berlin, ebenso in Köln, München, Wien, Paris und London, nur vereinzelt im Betrieb. Wegen des starken Straßenverkehrs läßt sich die Haupteigenschaft der Motordroschke, nämlich ihre größere Schnelligkeit, nur selten ausnutzen, vom zweiten Jahr ab wachsen die Unterhaltungskosten nicht unbedeutend, auch mangelt es an Chauffeuren, die Kutscher und Maschinist zugleich sein müssen. In der nachstehenden vergleichenden Statistik über das Berliner Droschkenwesen für 1901 beziehen sich die eingeklammerten Zahlen auf 1891: 7031 (3187) Droschken 1. Klasse, darunter 6431 Taxameter; 902 (2460) 2. Klasse; 152 (145) Gepäckdroschken mit 13,635 (8202) Pferden; 2630 (2285) Besitzer, davon 1633 (1469) mit nur einer Droschke, die Höchstzahl der Droschken eines Besitzers war 77 (91); 645,470 (563,789) Fahrten von Bahnhöfen. Fahrpreise für 1–2 Personen: Taxameter bei Tag für die ersten 800 m 50 Pf., für je weitere 400 m 10 Pf., für mehr Personen und bei Nacht 33 und 50 Proz. Zuschlag. Gewöhnliche Droschken 1. Klasse für die ersten 15 Min. 1 Mk., 2. Klasse 60 Ps. Seit 1903 verkehren in Berlin auch verbesserte Hansoms für 4 Personen.

In Paris soll schon 1657 ein de Givry das Privilegium erhalten haben, zweiräderige, viersitzige Wagen mit einem Pferd öffentlich zur Personenbeförderung aufzustellen. Paris hat jetzt 16,000 Droschken (Voitures de place oder de remise), von denen 13,000 zweisitzige Cabs sind, die im Winter als geschlossene Coupés gefahren werden. Die Compagnie générale des voitures hat 3000, die Gesellschaft L'Urbaine 2000 Droschken; die übrigen sind im Besitz privater Lohnfuhrwerksbesitzer, von denen einzelne 100 Droschken halten. Von den 24,000 konzessionierten Fiakerkutschern sind etwa 5000 aus der Fahrschule des Parnette hervorgegangen. Ein Pariser Droschkenkutscher nimmt täglich 25–28 Fr. ein, hiervon hat er 14–18 Fr., die Moyenne, als Miete für Pferde und Wagen an die Gesellschaft und außerdem Trinkgelder an Stallknechte etc. zu zahlen. Unter der Einwirkung des Métropolitain nimmt auch der Droschkenverkehr ab. Der Preis für eine Fahrt beträgt 1,50 Fr. In London unterscheidet man Hansoms (s.d.; 1900: 7531 im Betrieb) und Clarences (s.d.) oder Fourwheelers (1900: 3721); Fahrpreis 1 Schilling für eine Fahrt bis 2 englische Meilen (3,2 km). Wien hatte schon 1720 eine »Ordnung für Lohnkutscher«; jetzt verkehren gegen 1000 zweispännige Fiaker, Droschken 1. Kl. und gegen 1400 einspännige Komfortables (2. Kl.), Fahrpreis 60 Heller sowie 40 Heller für die Viertelstunde; im umfangreichen Wiener Droschkentarif ist der Preis für jede mögliche Fahrt ausgerechnet angegeben. An Ärzte etc. dauernd vermietete Fiaker heißen Stadtlohnwagen. Petersburg hat etwa 13,000 Droschken (Iswoschtschik, s.d.), deren Kutscher stets im scharfen Trab fahren. Eine feste Fahrtaxe besteht nicht. Der Zweispänner (Caretta) mit Verdeck befördert bis vier Personen, der Einspänner mit dachlosem, halbrundem Sitz reicht zur Not für zwei Personen.

Die Ortspolizeibehörden wachen darüber, daß die zum öffentlichen F. gehörenden Fahrzeuge den Anforderungen des Betriebs, des äußern Anstands und der Hygiene entsprechen, insbes. möglichst staubfrei gehalten und gelüstet werden; die Beförderung von Personen mit ansteckenden Krankheiten ist verboten; geschieht dies trotzdem, so erfolgt gründliche Desinfektion. Auch die Halteplätze müssen regelmäßig gereinigt und desinfiziert werden. – Über das F. beim Militärs. Train.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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