Freiligrath

Freiligrath

Freiligrath, Ferdinand, Dichter, geb. 17. Juni 1810 in Detmold, gest. 18. März 1876 in Kannstatt, besuchte bis zu seinem 15. Jahre das Gymnasium seiner Vaterstadt, widmete sich jedoch dann dem kaufmännischen Stand und erlernte die Handlung bis 1831 in Soest, war hierauf in einem Wechselgeschäft zu Amsterdam, 1837–39 in Barmen tätig, entsagte aber, veranlaßt durch den Beifall, den 1838 seine »Gedichte« fanden, der kaufmännischen Laufbahn und privatisierte 1840–41 in Weimar und Darmstadt. 1842 erhielt F. durch die Gunst des Königs von Preußen ein Jahrgehalt, in dessen Genuß er sich nach St. Goar begab, wo er mit dem mit gleicher Auszeichnung bedachten Emanuel Geibel ein heiteres, nur der Poesie gewidmetes Leben führte. F. begann hier sich von der tropischen Fremde, deren Leben er bis dahin fast ausschließlich in seiner Poesie gestaltet hatte, ab- und der Heimat zuzuwenden: in seinem poetischen »Glaubensbekenntnis« (Mainz 1844) trat er plötzlich offen zur Fahne des Liberalismus über und rechtfertigte diesen Schritt des genauern in einem prosaischen Vorwort. Zugleich verzichtete er auf die königliche Pension. Wegen seines von jetzt an kundgegebenen politischen Radikalismus verfolgt, begab er sich 1845 in die Schweiz, ward aber auch hier ausgewiesen und siedelte daher 1846 nach London über, wo er Korrespondent in einem Handelshaus wurde. Die europäische Bewegung von 1848 begrüßte er mit zwei Gedichten: »Die Revolution« und »Februarklänge«, kehrte nach Deutschland zurück und ließ sich in Düsseldorf nieder. Ein Gedicht: »Die Toten-an die Lebenden«, zog ihm Verhaftung (29. Aug.) und Anklage auf Majestätsbeleidigung zu; doch ward er vom Geschwornengericht 3. Okt. freigesprochen (vgl. »Stenographischer Bericht des Prozesses gegen den Dichter F. F.«, Düsseld. 1848). In Holland, wo er sich niederzulassen gedachte, 1849 ausgewiesen, lebte er nun zu Bilk bei Düsseldorf, erhielt jedoch im Oktober 1850 die Weisung, Preußen zu verlassen. Nachdem er indes seine zehnjährige Untertanenschaft in Preußen nachgewiesen, wurde er im Mai 1851 als Ortsbürger in Düsseldorf aufgenommen. Wegen des zweiten Heftes seiner »Politischen und sozialen Gedichte« und wegen seiner Beteiligung an der demokratischen Zentralbehörde in Köln sollte er abermals verhaftet werden, er flüchtete daher wieder nach England und lebte seitdem in London, fern von den Umtrieben der Flüchtlingspropaganda, als Direktor einer schweizerischen Bankkommandite. Als das Bankhaus 1867 fallierte, kam der schon früher angeregte Gedanke, den Dichter durch eine Nationalsubskription seiner Muse zurückzugeben, zur Ausführung. Die Ergebnisse sicherten ihm ein sorgenfreies Leben, und er kehrte 1868 nach Deutschland zurück, um sich in Kannstatt bei Stuttgart niederzulassen. Freiligraths poetische Richtung zeigte sehr früh ein gewisses Überwiegen kräftiger und farbenlodernder Beschreibung. Er malte mit Vorliebe Bilder des Meeres, der Wüste, der Steppe, der tropischen Landschaft, Bilder des Kampfes und des Grauens, leidenschaftlich gespannte Situationen, ohne darum des zarten und innigen Gefühls ganz zu entbehren. Mit der völligen Neuheit des Inhalts verbanden Freiligraths »Gedichte« (Stuttg. 1838, 49. Aufl. 1896) Originalität der Form, selbst seine Wiederaufnahme des Alexandriners, den er jedoch mit kürzern Versen vereinigte, war eigentümlich und geschickt. Die meiste Verwandtschaft zeigte F. mit Vietor Hugo, dessen »Oden« und »Dämmerungsgesänge« er daher auch mit Meisterschaft nachdichtete (in der Sauerländerschen Ausgabe von Victor Hugos Werken; vgl. Breitfeld, F. Freiligraths Übersetzungen aus V. Hugo, Plauen 1890). Dasselbe gilt von seinen Nachbildungen mehrerer englischer Lyriker, wie Th. Moore, Tannahill, Fel. Hemans, Burns etc. Einen weniger erfreulichen Eindruck machten seine spätern politischen und Zeitgedichte; die revolutionäre Überhitzung namentlich der ältern Gedichte dieser Art in den Sammlungen: »Ein Glaubensbekenntnis« (Mainz 1844, neue Ausg. 1863), »Ça ira« (Herisau 1846), »Politische und soziale Gedichte« (Düsseld. 1849–51, 2 Hefte) hatte vielfach etwas Gekünsteltes. Die spätern, in der zweiten englischen Verbannung geschriebenen Gedichte sowie die herrlichen patriotischen Dichtungen des Jahres 1870 (»Hurra Germania«, »Die Trompete von Gravelotte«) zeigten ihn hingegen im Vollbesitz seiner Kraft; der Dichter, der anfangs in romantische Ferne schweifte, war ein tieffühlender Interpret des nationalen Lebens der Zeit geworden. Gedichte aus seiner ältern, nicht politischen Zeit enthält die Sammlung »Zwischen den Garben« (Stuttg. 1849), die spätesten Dichtungen erschienen außer in den gesammelten Werken auch in den »Neuen Gedichten« (das. 1876, 3. Aufl. 1880). Außerdem gab er heraus: »Rolands Album« (Gedichte, Köln 1840); in Gemeinschaft mit I. Hub und Aug. Schnezler den 1. und 2. Jahrgang des »Rheinischen Odeon« (Koblenz 1836 u. 1839); mit Simrock und Matzerath das »Rheinische Jahrbuch für Kunst und Poesie« (Köln 1840 u. 1841); mit Levin-Schücking: »Das malerische und romantische Westfalen« (Barmen 1840–42; 3. Aufl., Paderb. 1889); mit Ed. Duller: »1842, Gedicht zum Besten des Kölner Doms« (Darmst. 1842) und »Karl Immermann, Blätter der Erinnerung an ihn« (Stuttg. 1842); »Dichtung und Dichter, eine Anthologie« (Dessau 1854) und die englische Anthologie »The rose, thistle and shamrock« (6. Aufl., Stuttg. 1887). Als Übersetzer ließ er den »Englischen Gedichten aus neuerer Zeit« (Zür. 1846) die Übertragung von Shakespeares »Venus und Adonis« (Düsseld. 1849) und Longfellows »Hiawatha« (Stuttg. 1857) folgen. Aus seinem Nachlaß erschienen noch zwei Jugendarbeiten: die Übersetzung von Byrons »Mazeppa« und die Erzählung »Der Eggesterstein« (Stuttg. 1883). Freiligraths »Gesammelte Dichtungen« (Stuttg. 1870, 6 Bde.; 6. Aufl. 1898) fanden eine glänzende Ausnahme. Seit 1875 gab er für den Hallbergerschen Verlag zu Stuttgart ein illustriertes Unterhaltungsblatt in englischer Sprache u. d. T.: »Illustrated Magazine« heraus. – Freiligraths Gattin Ida (gest. 6. Febr. 1899 in London) zeichnete sich ebenfalls als geschmackvolle Übersetzerin englischer Dichtungen aus; seine älteste Tochter, Käthe, übertrug Gedichte ihres Vaters vortrefflich ins Englische und veröffentlichte 1901 in der »Deutschen Revue« interessante Erinnerungen »Aus dem Nachlaß meiner Mutter«. Vgl. Schmidt-Weißenfels, F., eine Biographie (Stuttg. 1876); Buchner, Ferdinand F., ein Dichterleben in Briefen (Lahr 1881, 2 Bde.); Gisberte Freiligrath, Erinnerungen an Ferd. F. (Minden 1889); I. Rodenberg, Erinnerungen aus der Jugendzeit (Berl. 1899, 2 Bde.); Kurt Richter, F. F. als Übersetzer (das. 1899).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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