Alpenwirtschaft

Alpenwirtschaft

Alpenwirtschaft (Sennenwirtschaft, Sennerei), die Viehwirtschaft auf den Hochgebirgsweiden und die damit verbundene Verarbeitung der Milch auf Käse, Zieger, Milchzucker, seltener auf Butter. A. findet sich in den Schweizer, Deutschen, Österreichischen und Französischen Alpen, in den Apenninen, Pyrenäen und den skandinavischen Gebirgen. Die Alpauffahrt geschieht Ende März auf die Niederalmen (Vorsassen, Früh- oder Voralmen), gegen Mitte Juni auf die Mitteralmen und mit dem Jungvieh im Juli auf die Hochalmen, von denen dann, je nach der Witterung, gegen Ende September die Rückkehr erfolgt, bis die Vorboten des Winters zur Heimkehr (Alpabfahrt) zwingen. Die schroffsten und höchstgelegenen Alpen (Schafalmen, Schafberge) werden von Schafen und Ziegen, minder schroffe von Ochsen, Galtkühen, Aufzuchtrindern, Pferden (Galtalmen, Stieralpen, Gustiberge) und die zugänglichsten von Kühen (Kuhalmen, Melk-, Sennalpen) beweidet. Auf Revieren, zu denen kein Tier mehr vordringt, den Bergmähdern (Alpmähdern, Grasboden) und Hochmähdern, gewinnen verwegene Älpler oft nur alle 3–4 Jahre ein aromatisches Heu (Wildheu), das sie, in Tücher gestopft, auf dem Kopfe heimtragen. Überdies werden eingezäunte Wiesenflächen (Almanger) neben den Almhütten einmal gemäht und dann abgeweidet.

Hinsichtlich des Besitztitels unterscheidet man Gemeindealpen (Allmenden), Staatsalpen, die an Gemeinden oder Einzelne verpachtet werden, und Privat- oder Herrenalpen. Erstere überwiegen in der westlichen, letztere in der östlichen Schweiz, in Tirol, Salzburg und Steiermark. Auf den Gemeindealpen ist jeder Gemeindebürger zur Auftrift einer bestimmten Menge von Rind- oder Kleinvieh berechtigt. Die Privatalpen (meist Eigentum von Spitalern, Klöstern, Privatpersonen etc.) werden an Sennen. die nur Vieh, aber keinen Alpengrund besitzen, gegen Zins (Alpenzins, Alpengeld) zur Benutzung überlassen. Große Alpen von mehreren hundert Stoßen (s. unten) werden meist von mehreren Sennen in Pacht genommen. Ganze Gemeinden nehmen einen Senn auf, der jedem einzelnen Eigentümer der gemeinsamen Herde den ihm zukommenden Anteil von Butter und Käse etc. überliefert. In den Tiroler und Bayrischen Alpen werden Wartung der Herde und Gewinnung und Verarbeitung ihrer Produkte meist von einer Magd, der Sennerin (Sentrin, Schwagrin), besorgt. Treibt eine ganze Gemeinde zahlreiches Vieh auf die Alp, so ist ein Käsemeister mit der Aussicht über mehrere Sennen betraut.

Der Ertrag der Melkkühe auf den Alpen ist nicht höher als bei Stallfütterung im Tale. Die besten Schweizerkühe, z. B. im Saanenland, geben zur Zeit wo sie am milchreichsten sind, täglich 18–20 kg Milch, im Mittel rechnet man jedoch nur 14–15 kg Milch des Tages in den 16–18 Wochen der Alpfahrt. Da die Erträgnisse mancher Alpen neuerdings zurückgegangen sind, so hat man alpenwirtschaftliche Versuchsstationen errichtet, um rationelle Bearbeitung und Düngung, bessern Betrieb, geregelteres Beweiden u. dgl. m. einzuführen. Genossenschaftliche Bewirtschaftung und Fabrikation der Milchprodukte auf gemeinsame Rechnung verbreiten sich mehr und mehr. – Als Einheit des Flächenmaßes der Alpen gilt ein Stück Weide, auf dem eine Kuh gesommert werden kann (Kuhrecht). Dasselbe schwankt von 40 Ar bis 2 Hektar, je nach der Hohe der Lage, und beträgt im Durchschnitt 1,3 Hektar. Das Korrelat des Kuhrechts (Kuhgras, Grasrecht) ist der Stoß, d.h. die Viehzahl, die auf ein Kuhrecht geweidet werden kann. Es kommt nämlich auf 1 Stoß 1 Kuh, auf 1 Pferd von 1, 2 oder 3 Jahren kommen 1, 2 oder 3 Stöße, auf 3 Rinder 2 Stoße, auf 1 Kalb 1/4, auf 1 Schwein 1/4, auf 1 Ziege oder 1/5.

Vgl. Schatzmann, Schweizerische A. (Aarau 1859 bis 1866, 7 Hefte); Derselbe, Alpwirtschaftliche Volksschriften (2. Ausg. 1887); »Die A. der Schweiz«, hrsg. vom schweizer. Statist. Bureau (Bern 1808); Anderegg, Statistischer Atlas über die Viehzucht und Milchwirtschaft in der Schweiz (Zürich 1884), »Alpwirtschaftliche Monatsblätter«, hrsg. von Schatzmann (Aarau 1866–86, fortgesetzt von Strüby); »Landwirtschaftliches Jahrbuch der Schweiz« (Bern, seit 1887); »Schweizerische Alpstatistik«, hrsg. vom schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verein (Soloth. 1895 ff.); Anderegg, Illustriertes Lehrbuch für die gesamte schweizerische Alpwirtschaft (Bern 1898, 3 Tle.); Klenze, A. im Fürstentum Liechtenstein (Stuttg. 1870); »Die A. in Kärnten« (Klagenf. 1873–91, 2 Tle.); Wilckens, Die A. der Schweiz, des Algäus und der westösterreichischen Alpenländer (Wien 1874); »Musterpläne für landwirtschaftliche Bauten in Tirol« (das. 1887); v. Weinzierl, Der alpine Versuchsgarten auf der Vorder-Sandlingalpe bei Aussee (3 Tle., Berl. 1893, Wien 1896 u. 1902); v. Miaskowski, Die Verfassung der Land-, Alpen- und Forstwirtschaft der deutschen Schweiz (Basel 1878); Stebler u. Schröter, Die Alpenfutterpflanzen (Bern 1889); Briot, Les Alpes françaises (Nancy 1896).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Arthurhaus — p1BW Arthurhaus Lage am Mitterberg Sattel; Salzburg, Österreich; Talort: Mühlbach am Hochkönig Gebirgsgruppe Hochkönig, Berchtesgadener Alpen …   Deutsch Wikipedia

  • Альпийское хозяйство — так назыв. то хозяйство, которое ведут жители высоких гористых местностей, занимаясь исключительно разведением скота, и по причине холодного и сырого климата и короткого периода произрастания, бывают озабочены главным образом добыванием корма для …   Энциклопедический словарь Ф.А. Брокгауза и И.А. Ефрона

  • Alpen [2] — Alpen (hierzu drei Karten: »Höhenschichten der Alpen« mit Registerblatt, »Einteilung der Alpen« und »Geologische Karte« mit Textbeilage), höchstes und mächtigstes Gebirge Europas, nimmt, zwischen 43 und 48° nördl. Br., also ungefähr in der Mitte… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Kerner [2] — Kerner, 1) Georg, deutscher Parteigänger der französischen Revolution, geb. 9. April 1770 in Ludwigsburg, gest. 7. April 1812, in der Stuttgarter Karlsschule gebildet, lebte mit einigen Unterbrechungen von Ende 1791 bis September 1795 in Paris… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Лихтенштейн княжество в Европе — (Liechtenstein) после Монако самое незначительное государство в Европе, граничит на З с швейцарским кантоном С. Галлен, отделенным от него Рейном, на С и на В с австрийской провинцией Форарльберг, на Ю с кантоном Граубюнденом; состоит из владений …   Энциклопедический словарь Ф.А. Брокгауза и И.А. Ефрона

  • Лихтенштейн, княжество — I (Liechtenstein) после Монако самое незначительное государство в Европе, граничит на З с швейцарским кантоном С. Галлен, отделенным от него р. Рейном, на С и на В с австр. пров. Форарльберг, на Ю с кантоном Граубюнденом; состоит из владений… …   Энциклопедический словарь Ф.А. Брокгауза и И.А. Ефрона

  • Martin Wilckens — (* 3. April 1834 in Hamburg; † 10. Juni 1897 in Wien) war ein deutscher Tierzuchtwissenschaftler. Wilckens wurde 1858 Doktor der Medizin und war in jungen Jahren Arzt in seinem Geburtsort. Von 1861 bis 1871 bewirtschaftete er sein Rittergut in… …   Deutsch Wikipedia

  • Österreich [2] — Österreich, Kaisertum (vgl. die Karte »Österreichisch Ungarische Monarchie« bei S. 210), umfaßt das westlich der Leitha gelegene Staatsgebiet (Zisleithanien) der Österreichisch Ungarischen Monarchie (s. d.), oder die »im Reichsrat vertretenen… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Allmenden — Allmenden, Gemeindealpen, s. Alpenwirtschaft …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Alm [1] — Alm, in Oberdeutschland soviel wie Alp, Bergtrift, Bergweide; s. Alpenwirtschaft. – In der Petrographie soviel wie Seekreide (s. d.) …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”