Dismembration

Dismembration

Dismembration (lat., »Zergliederung«, Bodenzerstückelung, Bodenzersplitterung), die Zerteilung von Grundbesitzungen in kleine Güter und Parzellen im Gegensatze zur Erhaltung größerer geschlossener Güter. Solche Dismembrationen sind die Folge teils von Erbteilungen, teils von Zerschlagungen, die entweder wegen ungünstiger Verhältnisse des Besitzers (Teilverkauf) oder wegen des aus solchen Zerschlagungen zu erwartenden Gewinnes vorgenommen werden. In der Gesetzgebung ist die Frage der Dismembrationsfreiheit sehr verschieden behandelt worden. Nach römischem Recht war das Grundeigentum unbeschränkt teilbar. Nach mittelalterlichem Rechte dagegen ist es mehr Familieneigentum; durch die Sitte werden Stammgüter zusammengehalten, auch finden Privatverfügungen, durch die geschlossene Güter als Erbgüter oder Familienfideikommisse errichtet werden, öffentlich-rechtliche Anerkennung. Dazu kam, daß die freie Teilbarkeit oft durch Rechte Dritter, so bei Lehnsgütern und Hörigkeitsverhältnissen, ausgeschlossen war. Seit dem 16. Jahrh. wurden vielfach zum Schutz grundherrlicher und fiskalischer Interessen landesgesetzliche Parzellierungsverbote erlassen. Doch wird schon seit Mitte des 18. Jahrh. in einigen Ländern die freie Teilbarkeit begünstigt, wie z. B. bayrische Mandate 1762 und 1772 das Verbot der Güterzertrümmerung aufhoben. Von gleichem Geist ist die Agrargesetzgebung der folgenden Zeit beseelt gewesen. In allen Ländern des Code Napoléon, in Frankreich seit 1789, ebenso in England und in den meisten deutschen Ländern besteht die freie Teilbarkeit zu Recht. In Preußen hoben das Edikt vom 9. Okt. 1807 und das Landeskulturedikt vom 14. Sept. 1811 die Teilungsverbote auf; ebenso wurde die freie Teilbarkeit 1867 durch Verordnungen in den 1866 erworbenen Landesteilen eingeführt. In den östlichen Provinzen sollte durch das Gesetz vom 3. Jan. 1845 (teilweise abgeändert, bez. ergänzt 1849, 1850 und 1853) die Parzellierung erschwert werden, indem für Parzellierungsverträge strengere Formen vorgeschrieben wurden; das Gesetz vom 25. Aug. 1876 hob aber diese Beschränkungen wieder auf. In Baden sind die geschlossenen Hofgüter, d.h. Güter, die seither nach Gesetz oder Herkommen stets ungeteilt aus einer Hand in die andre übergingen, durch Edikt vom 23. März 1808 als unteilbar erklärt, sofern nicht der Bezirksrat die Teilung gestattet. 1854 wurde allgemein die Teilung unter ein Mindestmaß (10 Morgen bei Wald und Weide, 1/2 Morgen bei Acker und Wiese) verboten. Ähnliche Verbote bestehen in Hessen, Altenburg und in Weimar. In Württemberg (Gesetz von 1853) darf bei einem Besitz von über 10 Morgen eine Weiterveräußerung von über 1/2 erst 3 Jahre nach dem Erwerb erfolgen. Für Besitzungen von über 5 Acker ist in Altenburg und Sondershausen die Teilung nur mit staatlicher Genehmigung zulässig. In Sachsen (Gesetz von 1843) ist für Rittergüter und ländliche geschlossene Güter nur die Abtrennung von 1/3 zulässig, doch können Dispensationen stattfinden. In den übrigen Staaten, Bayern, Meiningen, Anhalt Koburg-Gotha etc., ist die Parzellierung in der Regel oder überhaupt freigegeben. Bei Waldungen ist in einigen Ländern (so in Bayern, Preußen) die Aufteilung einer einzelnen Besitzung unbeschränkt, die von gemeinschaftlichen Grundstücken nur unter gewissen Bedingungen zugelassen. Natürlich ist da, wo die Unveräußerlichkeit von Gütern durch den Lehens- und Fideikommißverband begründet ist, die D. ebenso erschwert, bez. unmöglich gemacht, wie bei bäuerlichen Erbrechtsgütern (s. Bauerngut) oder den mecklenburgischen Erbpachtgütern und den dem Höferecht (s. d.) unterworfenen Gütern.

Zu gunsten der gesetzlichen Erschwerung der D., bez. der Unteilbarkeit wird angeführt, daß bei unbegrenzter Teilbarkeit Zwergwirtschaft eintreten müßte, d.h. die Güter allmählich so klein würden, daß sie eine Familie nicht mehr ernähren und nicht mehr mit genügendem Vorteil bewirtschaftet werden könnten. Der Trieb nach Erwerb von Grundbesitz auf der einen, die Leichtigkeit der Verschuldung und Überschuldung auf der andern Seite begünstigten die vielfach mit wucherischen Vorgängen verknüpfte geschäftsmäßige Zerstückelung (Güterschlächterei [s. d.], Hofmetzgerei). So werde schließlich der Bauernstand, die Hauptstütze eines geordneten Staatswesens, vernichtet. Wo man in Erkenntnis der Nachteile einer zu starken Parzellierung durch die Gesetzgebung die Zusammenlegung der Grundstücke (s. Flurregelung) begünstige, da stehe die Parzellierungsfreiheit mit einem solchen Streben im Widerspruch. Dagegen werden für freie Teilbarkeit ebenfalls wirtschaftlich-technische und sozialpolitische Gründe angeführt. Die Teilbarkeit liege im Interesse eines guten Betriebes; sie bewahre den Grundbesitzer vor Verschuldung, indem er einen Teil seiner Besitzung verkaufen, das verbleibende Land dann besser bewirtschaften könne, sie ermögliche oft eine vorteilhafte Arrondierung und den Übergang der Güter in bessere Hände. Dann biete sie kleinen Leuten Gelegenheit zu Erwerb von Grundeigentum und damit zu vorteilhafter Nebenbeschäftigung. Die Geschlossenheit der Höfe mit fester Erbfolgeordnung sei für das bäuerliche Familienleben nachteilig; Vererbung zu gleichen Teilen, aber ohne Naturalteilung, führe zur Verschuldung, eine Bevorzugung des Besitznachfolgers durch Einräumung eines Präzipuums, Übernahme des Hofs zu geringer Taxe, mit mäßiger Abfindung der übrigen Erben aber sei ungerecht und gebe zur Unzufriedenheit Anlaß. Endlich sei es unmöglich, allgemein gesetzlich ein Mindestmaß für eine Besitzung, bez. eine Parzelle zu bestimmen, da dasselbe je nach Boden- und klimatischen Verhältnissen, Wirtschaftssystem und Verkehrsentwickelung verschieden sei. Bei dichter Bevölkerung, fleißiger Bewirtschaftung könne auch ein kleines Anwesen schon eine Familie ernähren oder doch Gelegenheit zu vorteilhaftem Nebenerwerb bieten. Dagegen sei es bedenklich, in jedem einzelnen Fall der Behörde die Entscheidung zu überlassen, ob eine Teilung zulässig sei, da dies zur Willkür führe.

Jedenfalls wäre es verkehrt, die Dismembrationsfrage überall in gleicher Weise zu lösen. Nicht immer treten die aus freier Teilbarkeit befürchteten Nachteile ein, indem Einsicht oder auch Gewohnheit und Sitte unwirtschaftliche Zersplitterungen verhüten. Wo die klimatischen und Bodenverhältnisse günstig sind und wo die Landwirtschaft bäuerlichen Tagelöhnern oder industriellen Arbeitern zum Nebenerwerb dient, da wird die freie Teilbarkeit nicht nur nicht schädlich, sondern vielfach erwünscht sein. Wo die Verhältnisse aber eine extensive, auf Getreidebau und Viehzucht gerichtete Bewirtschaftung und deshalb größere zusammenhängende Flächen erfordern, da ist die Gefahr nicht ausgeschlossen, daß bei zu weit gehender D. die Landwirtschaft uneinträglich wird und die Erhaltung eines wohlsituierten Bauernstandes bedroht ist. Gegen diese Gefahr sucht die Gesetzgebung in der neuern Zeit mehr mittelbar durch Begünstigung eines subsidiären bäuerlichen Intestaterbrechts, durch das Anerben- oder Höferecht (s. d.), durch Förderung der Zusammenlegungen sowie durch Schutz gegen Schuldverkauf (s. Heimstättegesetze) anzukämpfen. Vgl. Schneer, Die Dismembrationsfrage (Heidelb. 1845); Bernhardi, Versuch einer Kritik der Gründe, die für großes und kleines Grundeigentum angeführt werden (Petersb. 1848); Lette, Die Verteilung des Grundeigentums etc. (Berl. 1858); Derselbe, Die Verteilungsverhältnisse des Grundbesitzes und die Gesetzgebung in betreff der Teilbarkeit etc. (das. 1859); »Bäuerliche Zustände in Deutschland« (Bd. 22–24 der Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Leipz. 1882–83); Foville, Le morcellement (Par. 1885); Conrad, Art. »Bodenzersplitterung« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 2 (2. Aufl., Jena 1899).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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