Darlehnskassenvereine

Darlehnskassenvereine

Darlehnskassenvereine, ländliche (Raiffeisensche Darlehnskassen, Raiffeisenvereine oder Darlehnsvereine), auf solidarischer Haftung beruhende Personalkreditgenossenschaften, die in ähnlicher Weise dem Kredit kleiner Landwirte dienen wie die Schulze-Delitzschen Genossenschaften (s.d.) dem von Gewerbtreibenden, sich von diesen aber dadurch unterscheiden, daß sie hauptsächlich für ländliche Verhältnisse bestimmt sind. Die D. tragen ihren Namen nach ihrem Begründer Raiffeisen (s.d.), der 1849 den Flammersfelder Hilfsverein zur Bekämpfung des Viehwuchers, 1854 den Heddesdorfer Wohltätigkeitsverein ins Leben rief, der 1864 in einen Darlehnskassenverein umgewandelt wurde. Die D. sind Spar- und Darlehnskassen, besorgen aber auch in Untergenossenschaften den gemeinschaftlichen Bezug von Wirtschaftsbedürfnissen (Dünger und Futtermittel, Saatgut, landwirtschaftliche Maschinen etc.) und den gemeinschaftlichen Verkauf von Wirtschaftserzeugnissen. Neben der wirtschaftlichen Förderung ihrer Mitglieder bezwecken sie auch deren sittliche Hebung. Sie sollen in erster Linie Wohlfahrts- und nicht Erwerbsgesellschaften sein, und danach ist ihre Organisation eingelichtet. Ihre Betriebsmittel verschaffen sie sich durch Annahme von Spareinlagen von Mitgliedern und Nichtmitgliedern, Aufnahme von Anleihen und zum kleinern Teil durch Bildung von Geschäftsanteilen (Mitgliederanteilen). Sie gewähren ihren Mitgliedern Darlehen gegen Schuldschein unter solidarischer Bürgschaft auf längere, den landwirtschaftlichen Verhältnissen angepaßte Fristen (unter Umständen bis zu 10 Jahren und mehr) und unter entsprechenden Rückzahlungsbedingungen. In Notfällen, oder wenn das Darlehen gefährdet erscheint, behalten sie sich dreimonatliche Kündigung vor. Bezüglich der erst später eingeführten (übrigens kleinen) Geschäftsanteile ist bestimmt, daß kein Mitglied mehr als einen Anteil besitzen und der Zins nicht höher als der für Kapitaleinlagen übliche sein dürfe. Hierdurch sollte die Gewinnsucht der Mitglieder verhindert und verhütet werden, daß die Geschäftsanteile einen hohen Bruchteil vom Betriebskapital ausmachten. Der Reingewinn wird zur Bildung eines unteilbaren Vereinsvermögens (Stiftungsfonds) angesammelt, das in erster Linie zur Deckung von Verlusten, dann für Herabsetzung der Provision und zur Förderung gemeinnütziger Zwecke dienen soll. Der Vereinsbezirk soll möglichst klein sein, in der Regel nur eine Gemeinde (Kirchspiel) und nur Personen umfassen, die innerhalb des Bezirks wohnen. Hierdurch wird nicht allein ermöglicht, daß die Mitglieder einander kennen, sondern auch die Verwaltung vereinfacht. Diese umfaßt den Vorstand als ausführendes, den Verwaltungsrat als kontrollierendes und die Generalversammlung als leitendes Organ. Letztere bestimmt den Höchstbetrag der zu gewährenden Kredite, die Höhe der aufzunehmenden Anleihen etc. Mühewaltungen für die D. werden mit Ausnahme derjenigen des Rechners nicht bezahlt. Zur gegenseitigen finanziellen Unterstützung der einzelnen D. und zur Ausgleichung von Mangel und Überfluß an Mitteln wurden 1872 drei Zentralkassen gegründet, anderen Stelle die 1876 errichtete Landwirtschaftliche Zentraldarlehnskasse mit dem Sitz in Neuwied getreten ist. Zur Verbreitung, Beratung und Förderung der D. besteht der Generalanwaltsverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland in Neuwied. Die Zahl der diesem Verein zugehörigen D. betrug Ende 1901 ca. 3850, der Geldumschlag der Zentralkasse mit Filialen 453 Mill. Mk., der Warenumschlag rund 39 Mill. Mk. – Von der preußischen Rheinprovinz aus verbreiteten sich die D. zunächst in Westfalen, Hessen, Nassau, dann auch in Bayern, Baden und Württemberg, noch später in Mitteldeutschland und in den letzten Jahren auch im nordöstlichen Deutschland. Neben dem Neuwieder Verband sind noch einige andre Verbände mit eignen Zentralkassen für den Geldausgleich entstanden (s. Landwirtschaftliche Genossenschaften). Auf die gewaltige Ausbreitung der D. in der letzten Zeit in Preußen ist die Unterstützung der preußischen Zentralgenossenschaftskasse (s.d.) von Einfluß gewesen. Außer in Deutschland haben sich die D. auch verbreitet in der Schweiz, Italien seit 1882, in Siebenbürgen und Österreich, Frankreich, England, Rußland etc. Insbesondere wurde in Niederösterreich den Darlehnskassen große Aufmerksamkeit zugewendet. Am 21. Jan. 1887 wurde durch den niederösterreichischen Landtag eine Förderung der D. beschlossen. Neu entstehende D. werden aus Landesmitteln subventioniert, außerdem kann ihnen ein Darlehen bis zu 2000 Gulden auf 2 Jahre zu 3 Proz. gewährt werden. Vgl. Raiffeisen: Die D. (5. Aufl. Neuwied 1887); Anleitung zur Gründung von Darlehnskassenvereinen (8. Aufl., das. 1893) und Instruktion zur Geschäfts- und Buchführung der D. (4. Aufl., Leipz. 1883); Th. Kraus, Die Raiffeisenschen D. in der Rheinprovinz (Bonn 1875–77); L. Löll, Die bäuerlichen D. nach Raiffeisen etc. (2. Aufl., Würzb. 1890); Märklin, Die ländlichen D. (Karlsr. 1880); H. Schulze-Delitzsch, Die Raiffeisenschen Darlehnskassen etc. (Leipz. 1875); F. Schmid, Die Genossenschaftssysteme von Schulze-Delitzsch und Raiffeisen (Wien 1888); Faßbender, Die ländlichen Spar- und Darlehnskassen nach Raiffeisen (2. Aufl., Münster 1890); Layer, Handbuch für D. (2. Aufl., Stuttg. 1902); Derselbe, Der Aufsichtsrat der D. (das. 1902); Schmid, Anleitung zur Geschäfts- und Buchführung für landwirtschaftliche Kreditgenossenschaften etc. (2. Aufl., Karlsr. 1892); Rieger, Die Organisation der Spar- und Darlehnskassenvereine nach Raiffeisen in Mittel- und Westdeutschland (Berl. 1895); Jahresbericht des Generalverbandes ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation etc. (Neuwied). Organ der Raiffeisen-Organisation ist das »Landwirtschaftliche Genossenschaftsblatt« (Neuwied).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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