Zeremoniell

Zeremoniell

Zeremoniell (Zeremoniel, Zeremonial, franz., v. lat. caerimonia), der Inbegriff der im öffentlichen Leben bei gewissen feierlichen Handlungen zu beobachtenden Förmlichkeiten und Gebräuche (Zeremonien). Man pflegt zwischen Staats- und Hofzeremoniell zu unterscheiden. Ersteres teilt sich wieder in ein staatsrechtliches, das die innerhalb des eignen Staates zu beobachtenden Zeremonien enthält, und ein völkerrechtliches, das die Gebräuche und Formen regelt, die im Verkehr verschiedener Staaten gegenseitig zu beobachten sind; dieses letztere bestimmt Rang und Titel der Fürsten, die Ehrenbezeigungen, die ihnen zukommen, das Salutieren der Schiffe zur See (s. Seezeremoniell), die Behandlung der Gesandten u. dgl. Ein solches Staatszeremoniell hat bis zu einem gewissen Grade seine Berechtigung, insofern wichtige Akte auch eine gewisse äußere Feierlichkeit erfordern. Die Verletzung dieses Zeremoniells führte früher nicht selten zu langen und verwickelten Verhandlungen und Streitigkeiten. Neuerdings ist dagegen die Strenge dieses Zeremoniells bedeutend gemildert worden. Das Z. ist namentlich für das Titelwesen von Wichtigkeit (s. Titel).

Das Kanzleizeremoniell, der Inbegriff der Regeln, die bei schriftlichen Verhandlungen beobachtet werden, betrifft die äußere Form, das Material, das Siegel, den Titel der Aufschrift und den Titel des Schreibenden, die Anrede-, Gruß- und Schlußformel. Man hat offene und versiegelte Briefe (lettres patentes und lettres closes), schreibt auf Papier und Pergament, z. B. in England bei allen inländischen Staatsurkunden und in der apostolischen Kanzlei zu Rom, führt große, mittlere, kleine Staatssiegel etc. Kaiser und Könige nennen sich gewöhnlich »Bruder«, Fürsten »Vettern«, wobei die wirklichen Verwandtschaftsverhältnisse nicht in Betracht kommen. Regenten korrespondieren durch Staats- und Kanzleischreiben (lettres de chancellerie), durch Kabinettsschreiben und durch Handschreiben. Im Verkehr der Staaten untereinander war früher die lateinische Sprache üblich, wenn es sich um Länder mit verschiedener Sprache handelte. Später war die französische Sprache die diplomatische Sprache. Jetzt schreibt man zumeist in der Landessprache. Namentlich erläßt die Regierung des Deutschen Reiches, wie schon früher die königl; che preußische Regierung, ihre Noten nur in deutscher Sprache. Die Petersburg er Kanzlei gibt den russischen Originalschreiben eine deutsche und französische Übersetzung bei. Staatsverträge werden gleichzeitig in den beiden Landessprachen redigiert, die im gegebenen Fall in Betracht kommen.

Zum Hofzeremoniell, auch Hofetikette genannt, gehört die Anordnung der verschiedenartigen Hoffeierlichkeiten und überhaupt aller am Hofe vor sich gehenden Handlungen; es regelt die Vorgänge bei Vermählungen, Begräbnissen, Huldigungen, Audienzen u. dgl., bestimmt Tracht, Rang, Titel, Handlungen der einzelnen Mitglieder des Hofes und ist nicht selten sehr umfangreich und kompliziert. Die Leitung desselben hat der Oberhofmarschall oder Zeremonienmeister (s. Hof, S. 413). Das Hofzeremoniell hat seinen Ursprung im Orient. Das Lehns- und Ritterwesen des Mittelalters begünstigte dieses Formelwesen, und in Deutschland erhielt es neue Pflege infolge der Vermählung Kaiser Ottos II. mit der griechischen Prinzessin Theophano. Geregelt war das Z. besonders durch die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. Durch Karl V. kam sodann die steife Grandezza und das steife Z. des spanischen Hofes nach Deutschland. Dieses herrschte in Österreich bis auf Joseph II.; in Spanien galt es bis zum Sturze der dortigen Bourbonen. Die übrigen Höfe Europas nahmen das unter Ludwig XIV. herrschend gewordene französische Z. an, und dasselbe ist bis heute Muster geblieben. Die französische Revolution schien das steife Hofzeremoniell zu vernichten; Napoleon I. aber erneute es, die Restauration und das Julikönigtum adoptierten es, und Napoleon III. bildete es weiter aus. In Deutschland und dem germanischen Norden sind in neuester Zeit einige Höfe zu einfachern Formen des Zeremoniells übergegangen. Ein besonderes und eigentümliches Z. ist das Jagdzeremoniell. Vgl. Konstantin VII. (IX.) Porphyrogennetos, De ceremoniis aulae Byzantinae (hrsg. von Leich und Reiske, Leipz. 1751–1754, 2 Bde.); König, Theatrum ceremoniale bis torico-politicum (das. 1719–20, 2 Bde.); Rousset, Cérémonial diplomatique des cours de l'Europe (Amsterd. 1739, 3 Bde.; eine Fortsetzung von Dumonts »Corps universel diplomatique du droit des gens«, das. 1726 f., 8 Bde.); F. K. v. Moser, Deutsches Hofrecht (Frankf. 1754, 2 Bde.); »Zeremonialbuch für den königlich preußischen Hof« (vom Grafen Stillfried, Berl. 1871–77, 12 Tle.); v. Malortie, Der Hofmarschall (3. Aufl., Hannov. 1867, 2 Bde.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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  • Zeremoniell — Ze|re|mo|ni|ẹll 〈n.; Gen.: s, Pl.: e〉 Gesamtheit der Zeremonien bei feierlichen Anlässen, Förmlichkeiten, die eingehalten werden müssen; HofZeremoniell; diplomatisches Zeremoniell; höfisches Zeremoniell …   Lexikalische Deutsches Wörterbuch

  • Zeremoniell — das Zeremoniell, e (Aufbaustufe) geh.: Gesamtheit der Verhaltensweisen, die den Ablauf einer feierlichen Handlung regeln Synonyme: Zeremonie, Ritual, Ritus Beispiel: Das Zeremoniell des Papstempfangs verlief nach den vorherigen Bestimmungen.… …   Extremes Deutsch

  • zeremoniell — feierlich, formell, förmlich, gemessen, hochoffiziell, höflich, in aller Form, konventionell, steif, würdevoll; (geh.): andachtsvoll, hoheitsvoll, weihevoll; (bildungsspr.): gravitätisch, solenn, zeremoniös; (oft abwertend): pastoral, pathetisch …   Das Wörterbuch der Synonyme

  • zeremoniell — Zeremonie »Gesamtheit der zu einem Ritus gehörenden äußeren Zeichen und Handlungen; feierliche Handlung; Förmlichkeit«: Das seit dem 14. Jh. bezeugte Fremdwort ist aus mlat. ceremonia, cerimonia (< lat. caerimonia »religiöse Handlung;… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Zeremoniell — Zeremonie »Gesamtheit der zu einem Ritus gehörenden äußeren Zeichen und Handlungen; feierliche Handlung; Förmlichkeit«: Das seit dem 14. Jh. bezeugte Fremdwort ist aus mlat. ceremonia, cerimonia (< lat. caerimonia »religiöse Handlung;… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Zeremoniell — Zeremonie (von lat. caeremonia) ist eine Bezeichnung für feierliche Handlungen im religiösen und mythologischen Bereich (Ritus) und auch im weltlichen Bereich (Zeremoniell), bei staatlichen Veranstaltungen auch Protokoll (Diplomatie). Der… …   Deutsch Wikipedia

  • Zeremoniell — Ze·re·mo·ni·ell [ mo ni̯ɛl] das; s, e; geschr; die festen Formen und Regeln bei feierlichen Handlungen <das diplomatische, militärische, höfische Zeremoniell> …   Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache

  • Zeremoniell — ceremonialas statusas T sritis Kūno kultūra ir sportas apibrėžtis Oficiali iškilmingų priėmimų, eitynių, sporto varžybų atidarymo ir uždarymo, nugalėtojų pagerbimo tvarka; ceremonijų visuma. kilmė lot. caerimonialis – apeiginis atitikmenys: angl …   Sporto terminų žodynas

  • zeremoniell — ernst; feierlich; festlich; rituell * * * ze|re|mo|ni|ẹll 〈Adj.〉 1. in der Art einer Zeremonie, nach einer bestimmten Zeremonie (verlaufend) 2. förmlich, feierlich * * * ze|re|mo|ni|ẹll <Adj.> [frz. cérémonial < spätlat. caerimonialis …   Universal-Lexikon

  • Zeremoniell — Zeremonie; Ritual; Ritus; gottesdienstliches Brauchtum; Übung; (diplomatisches) Protokoll; Zeremonie * * * ze|re|mo|ni|ẹll 〈Adj.〉 1. in der Art einer Zeremonie, nach einer bestimmten Zeremonie (verlaufend) 2. förmlich, feierlich * * *… …   Universal-Lexikon

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