Thiersch

Thiersch

Thiersch, 1) Friedrich, Philolog, geb. 17. Juni 1784 in Kirchscheidungen bei Freyburg a. d. Unstrut, gest. 25. Febr. 1860 in München, studierte seit 1804 in Leipzig und Göttingen, ward 1807 Kollaborator am Gymnasium in Göttingen, 1808 auch Privatdozent an der Universität, kam 1809 als Professor an das Gymnasium in München und 1811 an das Lyzeum daselbst, begründete das 1812 mit der Akademie verbundene philologische Institut und zur Vereinigung der jüngern Gelehrten die »Acta philologorum Monacensium« (Münch. 1811–29, 4 Bde.) und ward 1826 nach der Verlegung der Universität Landshut nach München ordentlicher Professor daselbst. 1831 bis 1832 war er in Griechenland, wo er nach dem Tode Kapo d'Istrias' für Erwählung des Prinzen Otto von Bayern zum König wirkte; 1837 begründete er in Göttingen mit Rost die Philologenversammlungen; 1848 wurde er Präsident der bayrischen Akademie der Wissenschaften. T. ist die Wiederbelebung der philologischen Studien in Bayern zu danken. Von seinen Schriften gehören hierher: »Griechische Grammatik, vorzüglich des Homerischen Dialekts« (Leipz. 1812, 3. Aufl. 1826); »Griechische Grammatik für Schulen« (das. 1812, 4. Aufl. 1855); »Über die Epochen der bildenden Kunst unter den Griechen« (Münch. 1816–25, 3 Abhandlungen; zusammengefaßt 1829); die Bearbeitung des Pindar (Leipz. 1820, 2 Bde.); »Allgemeine Ästhetik in akademischen Lehrvorträgen« (Berl. 1846). Er hat aber auch sehr segensreich auf die Gestaltung des höhern Schulwesens überhaupt eingewirkt; er veröffentlichte hierüber: »Über gelehrte Schulen, mit besonderer Rücksicht auf Bayern« (Stuttg. 1826–29, 3 Bde.), »Über den Zustand der Universität Tübingen« (Münch. 1830), »Über die neuesten Angriffe auf die Universitäten« (Stuttg. 1837) und »Über den gegenwärtigen Zustand des öffentlichen Unterrichts in den westlichen Staaten von Deutschland, in Holland, Frankreich und Belgien« (das. 1838, 3 Bde.). Auch sonst vertrat er die Grundsätze freierer Lebensgestaltung, so in den Schriften: »Über den angenommenen Unterschied zwischen Nord- und Süddeutschland« (Münch. 1809) und »Über Protestantismus und Kniebeugung in Bayern« (drei Sendschreiben an Döllinger, Marb. 1844). Nach seiner Rückkehr aus Griechenland schrieb er: »De l'état actuel de la Grèce et des moyens d'arriver á sa restauration« (Leipz. 1833, 2 Bde.). Sein Leben beschrieb sein Sohn Heinrich T. (Leipz. 1866, 2 Bde.). – Sein Bruder Bernhard Heinrich, geb. 26. April 1793 in Kirchscheidungen, seit 1817 Lehrer in Gumbinnen, Lyck und Halberstadt, seit 1832 Direktor des Gymnasiums in Dortmund, gest. 1. Sept. 1855 als Emeritus in Bonn, verdient durch Forschungen zu Homer, Aristophanes und den westfälischen Femgerichten, dichtete 1830 in Halberstadt das Preußenlied. 1905 wurde ihm in seinem Geburtsort ein Denkmal errichtet.

2) Heinrich Wilhelm Josias, Sohn von T. 1), der wissenschaftliche Vertreter des Irvingianismus in Deutschland, geb. 5. Nov. 1817 in München, gest. 3. Dez. 1885 in Riechen bei Basel, wurde 1839 Privatdozent in Erlangen und 1843 Professor in Marburg, legte aber 1850 diese Stelle nieder, um als Pastor an der sich damals in Norddeutschland bildenden irvingianischen Gemeinde zu wirken, und lebte seit 1864 ohne Amt in München, Augsburg und Basel. Unter seinen Schriften sind zu nennen: »Versuch zur Herstellung des historischen Standpunktes für die Kritik der neutestamentlichen Schriften« (Erlang. 1845); »Vorlesungen über Katholizismus und Protestantismus« (das. 1846; 2. Aufl. 1848, 2 Bde.); »Über christliches Familienleben« (Frankf. 1854; 8. Aufl., Augsb. 1889); »Die Kirche im apostolischen Zeitalter« (Frankf. 1852; 3. Aufl., Augsb. 1879); »Döllingers Auffassung des Urchristentums« (Erlang. 1862); »Die Strafgesetze in Bayern zum Schutze der Sittlichkeit« (Münch. 1868); »Die Gleichnisse Christi« (Frankf. 1867, 2. Aufl. 1875); »Die Bergpredigt Christi« (Basel 1867; 2. Aufl., Augsb. 1878); »Die Genesis nach ihrer moralischen und prophetischen Bedeutung« (Basel 1870; 3. Aufl. 1898 u. d. T.; »Die Anfänge der Heiligen Geschichte«); »Über den christlichen Staat« (Frankf. 1875); »Christian Heinrich Zellers Leben« (Basel 1876, 2 Bde.); »Über die Gefahren und Hoffnungen der christlichen Kirche« (2. Aufl., das. 1878); »Inbegriff der christlichen Lehre« (das. 1886, 3. Aufl. 1896); ferner außer der Biographie seines Vaters (s. oben): »Griechenlands Schicksale vom Anfang des Befreiungskriegs bis auf die gegenwärtige Krisis« (Frankf. 1863). Vgl. Wigand, H. W. T.' Leben, zum Teil von ihm selbst erzählt (Basel 1887).

3) Karl, Mediziner, Bruder des vorigen, geb. 20. April 1822 in München, gest. 28. April 1895 in Leipzig, studierte in München, Berlin, Wien und Paris, machte den zweiten schleswig-holsteinischen Krieg unter Stromeyer als freiwilliger Arzt mit und wurde 1848 Prosektor für pathologische Anatomie in München, 1854 Professor der Chirurgie in Erlangen, 1867 in Leipzig. 1870 machte er als konsultierender Generalarzt im 12. Armeekorps den Krieg gegen Frankreich mit. Er untersuchte die feinern Vorgänge der Wundheilung (veröffentlicht in Pitha und Billroths »Handbuch der allgemeinen und speziellen Chirurgie«, Stuttg. 1867), förderte die Technik der Hauttransplantation und benutzte als einer der ersten Salizylsäure als Verbandmittel. Auch machte er experimentelle Untersuchungen über die Ansteckungsfähigkeit der Cholera, erforschte 1852 die Entwickelung der innern Genitalien und lieferte eine bahnbrechende Arbeit über Epithelialkrebs (Leipz. 1865). Vgl. His, Karl Ludwig und Karl T., akademische Gedächtnisrede (Leipz. 1895).

4) Ludwig, Maler, Bruder des vorigen, geb. 12. April 1825 in München, besuchte die dortige Akademie, zuerst als Bildhauer unter Schwanthaler, dann unter Heß, Schnorr und Schorn. Nachdem er eine Sakuntala (1848) u. a. gemalt, begab er sich nach Rom und malte Szenen aus dem italienischen Volksleben sowie einen Hiob unter seinen Freunden. 1852 reiste er mit seinem Vater nach Athen, wo er drei Jahre als Lehrer an der Kunstgewerbeschule wirkte und die dortige byzantinische Kirche des heil. Nikodemus mit Fresken schmückte, und 1856 wurde er nach Wien berufen, wo er Fresken in der griechischen Kirche und Bilder für den Baron Sina (Charon, Bacchuszug, Klage der Thetis) ausführte. 1860 folgte er einem Rufe nach St. Petersburg, wo er zahlreiche Bilder in den Kapellen der Großfürsten Nikolaus und Michael und in der protestantischen Katharinenkirche malte. Nach seiner Rückkehr entstanden für die Stiftskirche in Kempten die Auferweckung der Tochter des Jairus und Christus in Gethsemane, später die Predigt des Paulus auf dem Areopag, Christus am Teiche Bethesda, Christus in der Wüste, Alarich in Athen, Kreuztragung Christi, segnender Christus, Himmelfahrt u. a.

5) Friedrich von, Architekt, Sohn von T. 2), geb. 18. April 1852 in Marburg, besuchte 1868–73 das Polytechnikum in Stuttgart und bildete sich dann im Atelier von Mylius und Bluntschli für den praktischen Beruf aus. 1877 und 1878 bereiste er Italien und Griechenland und entwarf dann mit dem Maler Keuffel die Kartons für die dekorativen Malereien im Haupttreppenhaus des neuen Stadttheaters in Frankfurt a. M. Auf Grund dieser Arbeiten wurde er 1879 als Professor der Architektur an die Kunstakademie und die Technische Hochschule in München berufen. Er beteiligte sich an der Konkurrenz um den Zentralbahnhof in Frankfurt a. M. und 1881 an der Konkurrenz um die Rheinbrücke in Mainz. Hier erhielt sein mit den Ingenieuren Lauten und Bilfinger entworfenes Projekt den ersten Preis. Bei der Konkurrenz um das deutsche Reichstagsgebäude wurde ihm ebenfalls der erste Preis zuerkannt, doch ward er nicht mit der Ausführung betraut. 1881 bereiste er Kleinasien, 1881 Ägypten und Syrien. Seitdem entwickelte er eine lebhafte Tätigkeit im Privatbau. Mit dem Bildhauer v. Ruemann zusammen schuf er den Brunnen in Lindau, das Bayerndenkmal bei Wörth und den Luitpoldbrunnen in Landau. Seine Hauptwerke sind der 1897 vollendete Münchener Justizpalast, das Neue Justizgebäude daselbst (s. Tafel »Münchener Bauten I«, Fig. 1, und Tafel II, Fig. 6) und das neue Kurhaus in Wiesbaden (1907). T. veröffentlichte: »Die Königsburg von Pergamon« (Stuttg. 1882).


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