Seilerwaren

Seilerwaren

Seilerwaren, aus Hanf, Flachs und anderm Fasermaterial durch Zusammendrehen hergestellte Seile, Taue, Bindfäden, Schnüre, Stricke und ähnliche Produkte. Hanf eignet sich durch die Länge und Festigkeit seiner Fasern ganz besonders zu S. (s. Hanf, S. 769), Flachs wird nur zu dünnen Bindfäden benutzt. Andre Rohstoffe sind: Lindenbast zu Brunnenseilen, Packstricken und Trockenschnüren für Papierfabriken; ostindischer Hanf oder Sunnhanf, neuseeländischer Flachs, Manilahanf und Jute, Aloehanf, dann Hanf- und Flachsabfall (Werg), Pferde-, Kuh- und dergleichen Haare und Draht (Drahtseile [s. d.]). Die Pflanzenfasern erhalten eine Vorbereitung durch Hecheln (s. Flachs) auf groben Hecheln und Hechelmaschinen, und zwar um so seiner, je seiner das Fabrikat werden soll. Aus dem gehechelten Material wird zuerst Garn gesponnen, und aus Garn durch wiederholtes Zusammendrehen werden Bindfäden, Seile und Taue gebildet und zwar mit der Hand oder auf Maschinen. Zur Handarbeit dient die Reeper- oder Seilerbahn, ein langer, freier, geschützter Platz mit dem Seilerrade, das aus einem hölzernen Gestell besteht, in dem etwa 1,5 m über dem Fußboden 4–8 horizontale Spindeln parallel gelagert sind, die von einem 1,5 m großen Rad vermittelst Schnüre in Drehung versetzt werden und an den freien Enden Haken zur Befestigung des Spinnmaterials tragen. Der Seiler bindet sich den Hanf um den Leib, zieht ein entsprechendes Büschelchen Fasern heraus, hängt dieses mit einer Öse (Müsche) in einen der Haken des Rades und schreitet nun rückwärts fort, wobei sich neue Fasern herausziehen, die mit den ersten zusammengedreht werden. In der rechten Hand hält er den Spinnlappen, durch den er den gesponnenen Faden glättet. Die so erhaltenen Fäden werden dann in beliebiger Zahl zu Litzen zusammengedreht. Wenn die Fäden parallel nebeneinander gelegt und an beiden Enden untereinander vereinigt werden (Sch eren, Ausschweifen), so haben sie das Bestreben, sich auszudrehen. Um dies zu vermeiden, bringt man jedes Ende des Fadenbündels an einen Haken und dreht auf der einen Seite in dem entgegengesetzten Sinne, in dem die Fäden gedreht sind (Abbrühen). Dadurch folgt man dem vorhandenen Bestreben und erhält eine Litze. die, sich selbst überlassen, nicht wieder ausgeht. Wünscht man eine drallere, härtere Beschaffenheit der Litze, so wendet man das Abschnüren an, wobei die Fäden nur an dem einen Ende vereinigt, an dem andern aber noch an besondern drehbaren Häkchen befestigt sind, von denen sie, während die Litze bereits gebildet wird, noch im Sinne der ursprünglichen Drehung des Fadens nachgedreht werden. Bei stärkern Litzen werden die Haspeln (Spulen) in rotierende Gabeln gelegt, die sämtlichen von ihnen ausgehenden Fäden durch eine Öse gezogen und an dem in derselben Richtung rotierenden Haken eines kleinen Wagens (Seilwagen) befestigt. In demselben Maße, wie dieser zurückbewegt wird, bildet sich von der Öse ab die Litze mit der entgegengesetzten Windung wie die einzelnen Faden.

Fig. 1–3. Seilmaschine.
Fig. 1–3. Seilmaschine.

Drei oder vier solcher Litzen werden dann zu einem Seil vereinigt nach genau denselben Prinzipien. Zum Zusammendrehen von Tauen (Tauschlagen) wird mit Vorteil die Seilmaschine (Seillitzenspinnmaschine) benutzt, die Litzen, auf Spulen gewickelt, übernimmt, zusammendreht und sofort aufwickelt. Die drei Litzen befinden sich auf den Spulen H (s. Abbildung), werden von den sich drehenden Walzen I abgezogen und über die Rollen K einem mit drei Kerben versehenen Körper M (Lehre) zugeführt, damit sie gleichmäßig zusammenlaufen und zwar in dem Rohre O. Über diesem liegt der Rahmen G G, der, von der Welle P mittels Kegelräder um eine vertikale Achse rotierend, die Litzen zusammendreht, die sich dann als Tau auf die große Spule D aufwickeln, die von der durch die Schnurrolle E gedrehten Welle F mitgenommen wird. Die Rahmen mit den Spulen H H drehen sich um vertikale, in den Lagern N gehaltene Achsen Q durch die Zahnräder B, B und C von der Welle P aus, um den Draht zu ersetzen, der durch das entgegengesetzte Zusammendrehen in O verloren geht. Das Abziehen der Litzen durch die Walzen I erfolgt durch eine Schraube ohne Ende J. Die Rollen K sitzen in Gabeln eines Ringes L, der auf die Säule A geschoben ist, der die Lehre M trägt. Durch einen besondern Mechanismus wird die Spule D auf F hin und her geschoben, um das Tau regelmäßig aufzuwickeln. Die fabrikmäßige Erzeugung beginnt mit dem Verspinnen des vorbereiteten Fasermaterials auf groben Spindelbänken. Mehrere solcher Garne werden dann auf Zwirnmaschinen zu Schnüren, Litzen oder Kordeln zusammengedreht, die man durch weiteres Zusammendrehen zu Seilen etc. vereinigt. Bilden die Litzen bereits ein fertiges Fabrikat (Bindfaden), so bringt man sie auf Knäuelwickelmaschinen (s. d.) in die Form von Knäueln oder auf Haspeln in die Form von Strähnen. Feinere Fäden dieser Art werden poliert, indem man sie mit Schlichte (s. d.) tränkt und über Polierwalzen (mit Kokusnußfaserstricken umwickelte Walzen) hinwegführt und auf dampfgeheizten Trommeln trocknet; oft werden sie vorher gebleicht und gefärbt, auch aus Fäden von verschiedener Farbe gezwirnt. Die im Handel vorkommenden Waren sind entweder direkt aus Fäden (Bindfaden, Sackband, Schnuren, Korden, Stricke) oder aus Litzen gedreht (Stränge, Schnuren, Leinen, Seile oder Taue, glatte, flache oder Bandseile). Bindfaden wird in der Regel durch Zusammendrehen zweier Fäden gebildet, die man beim Schnüren sehr wenig nachdreht, so daß die Bindfäden geschmeidig bleiben. Sackband ist dreischäftig und hat stärkern Draht, dient zum Binden von Säcken, Verpacken u. dgl. Noch stärker gedreht sind die Schnuren, z. B. zum Anhängen der Bleilote oder Senkbleie. Korden bestehen aus zwei oder drei Fäden, die von allen S. den stärksten Draht haben. Stricke nehmen von dem einen zum andern Ende an Dicke ab und bestehen aus Flachs oder Hanf und Werg; sie gehören zu den geringsten S. Stränge werden als Zugstränge für Fuhrwerke benutzt; sie sind aus besserm Material gefertigt als Stricke und werden aus vier Litzen von je 3–4 Fäden zusammengedreht. Zügel sind nach Art der Stränge verfertigt, aber weniger sorgfältig. Leinen bilden den Übergang zu den Seilen (Fangleinen, Packleinen, Wäschleinen). Die stärkern Leinen sind aus vier, die dünnern aus drei Litzen gedreht. Zwischen Seilen und Tauen ist eine scharfe Grenze nicht zu ziehen. Bei Seilen zum allgemeinen Gebrauch, außer zum Seewesen, ist der Umfang selten größer als 18–20 cm; sie sind gewöhnlich vierschäftig und haben in der Mitte ein dünneres Seil, die Seele, die jedoch bei Seilen unter 8 cm Umfang weggelassen wird. Bandseile entstehen durch Vereinigung nebeneinander liegender und abwechselnd entgegengesetzt gedrehter Rundseile, die durch eine quer hindurchgestochene Hanfschnur oder einen Metalldraht zusammengenäht werden. Vgl Denhöfer, Das illustrierte Seilerbuch (2. Ausg., Leipz. 1869); Rohrbach, Das Seilergewerbe (Weim. 1886); Reutlinger, Taschenbuch für Seiler (4. Aufl., Offenbach 1906); »Deutsche Seiler-Zeitung« (Berl.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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