Bart [1]

Bart [1]

Bart, der dem männlichen Geschlechte des Menschen und einiger Säugetiere (Affen, Ziegenbock) eigentümliche Haarwuchs, der beim Eintritt in das mannbare Alter auf und unter dem Kinn, auf dem hintern Teil der Backen und über der Oberlippe als Lippen- oder Knebelbart (Schnurrbart), Backenbart, Kinnbart und Kehlbart erscheint. Die Barthaare (über ihren Bau s. Haare) sind starrer als die Haupthaare und richten sich in der Farbe nicht immer nach letztern. Der Rotbart bei nördlichen Völkern; Blaubart eine Abart des schwarzen Bartes. Ein B. aus zarten, wenig gefärbten Haaren heißt Milchbart Beim Weib erscheint ein Bärtchen auf der Oberlippe oft nach den klimakterischen Jahren, stärkerer B. ist nur ausnahmsweise entwickelt (vgl. »Zeitschrift für Ethnologie«, Bd. 8, 11,13). Die kaukasische Menschenrasse besitzt den stärksten Bartwuchs; Völker mit straffem Haupthaar, wie Indianer, Nord- und Ostasiaten, Malaien, auch die Hottentotten, haben sehr geringen Bartwuchs. Das Barthaar unterliegt denselben Krankheiten wie das Haupthaar, ihm eigen ist die Bartsinne.

Der Wert des menschlichen Bartes wurde bei den verschiedenen Völkern verschieden angeschlagen. Meist galt er als Zeichen der Männlichkeit, obwohl er kein Beweis dafür ist, sowenig wie das Fehlen des Bartes durchaus fehlende Männlichkeit anzeigt. Im Orient stand er von alters her hoch in Ehren, und mit Ausnahme der Ägypter, die nur einen schmalen und kurzen B. am Kinne stehen ließen, wurde er allgemein in vollem Wuchs getragen. Die Hebräer gaben ihm durch Abstutzen verschiedene Gestalten, salbten ihn fleißig und hielten ihn für die größte Zierde des Mannes. Daher war es eine Beschimpfung, wenn jemand unfreiwillig der B. abgeschoren ward. In der Trauer raufte oder schnitt man die Barthaare ab oder ließ den B. ungereinigt. Sklaven durften keinen B. tragen, denn der B. war zugleich das Zeichen des freien Mannes. Gleiche Grundsätze galten durch den ganzen Orient. Auch die Griechen betrachteten in den ältern Zeiten den B. als einen Würde verleihenden Schmuck des reifern männlichen und des Greisenalters. Man ließ den B. um Wangen, Lippen und Kinn wachsen. Kyniker, Philosophen und dergleichen Leute trieben mit dem V., dessen langem Wuchs und Struppigkeit eine gewisse Koketterie. Erst durch Alexander d. Gr. wurde das Bartscheren üblich. Die neue, vermutlich aus dem Orient und Ägypten entlehnte Sitte fand zwar in manchen Staaten heftigen Widerstand, und besondere Gesetze verboten das Bartabnehmen; trotzdem gewann sie rasche Verbreitung. Das Gewerbe der Barbiere war daher bei den Griechen sehr wichtig und die Barbierstuben die Quelle der Stadtneuigkeiten und des Stadtklatsches. Alexanders Nachfolger blieben dieser Sitte auch für ihre Person treu, und seitdem erscheinen die Bildnisse der Mitglieder der makedonischen Dynastien mit wenigen Ausnahmen bartlos. Ebenso sind auch die Bildnisse von Dichtern, wie Menander, Ärzten, wie Asklepiades, Philosophen, wie Aristoteles, ohne B. Die Sophisten behielten indes die frühere Sitte noch bei. Die Römer trugen den B. unrasiert bis um 300 v. Chr., um welche Zeit zuerst Tonsores, d. h. Barbiere, aus Sizilien nach Rom gekommen sein sollen. Scipio Africanus war der erste, der sich täglich rasieren ließ. Seitdem folgten die meisten diesem Beispiel. Daher erscheinen die Bildnisse aus dem letzten Jahrhundert der Republik und bis Hadrian fast durchgängig bartlos; in den niedern Ständen aber wurde das Rasieren nicht ganz allgemein. Die höhern Stände in Rom ließen nur bei Trauer den B. wachsen (barba promissa). Der Tag der ersten Bartabnahme war ein Festtag, weil der Jüngling dadurch zum Mann wurde. Das abgeschnittene Haar pflegte man einer Gottheit zu weihen. Hadrian war der erste, der sich den B. wieder wachsen ließ, um Muttermale im Gesicht zu verbergen; nach ihm wurde dies wieder allgemein üblich. Wie bei den ältern Germanen, den Westgoten und Burgundern das Abscheren des Bartes ein Zeichen der Unfreiheit und des Verlustes der Ehre war, so trugen auch die Edlen der Langobarden Locken und langen B. bei geschornem Hinterkopf, die Franken zur Zeit der Merowinger kurzen Vollbart. Zur Zeit Karls d. Gr. trugen die Vornehmen höchstens einen Schnurrbart, das Volk vollen B. Bei den Sachsen und Franken kam um die Mitte des 10. Jahrh. der B. als Auszeichnung der höhern Stände wieder in Aufnahme und erhielt sich als solche, teils kurz, teils lang getragen, bis zum 12. Jahrh. Später herrschte fast das ganze Mittelalter hindurch bei den höhern Ständen im allgemeinen die Bartlosigkeit, nur ältere Männer trugen oft einen Vollbart. Während man also im Okzident mehr dahin neigte, den B. ganz oder teilweise zu scheren, hielt man dagegen im Orient den Bartschmuck für unveräußerlich. Hieraus entstanden Streitigkeiten zwischen der griechischen und römischen Kirche. Die griechischen Geistlichen nahmen sich der Bärte an und schmähten auf die bartlosen Heiligen der Lateiner. Fürsten, Ritter, Krieger, Künstler, Gelehrte und Staatsmänner trugen aber auch im Abendland seit dem Ende des Mittelalters meist wieder Bärte. Berühmt ist der Knebel- und dreizackige Kinnbart Heinrichs IV. (»Henri quatre«) von Frankreich. Im 17. und 18. Jahrh. standen B. und Perücke in Wechselwirkung. Je mehr die Perücke in Aufnahme kam, desto mehr wurde der B. verdrängt, der bei Einführung der Puderperücken und des Zopfes fast völlig verschwand. Nur Militärpersonen trugen Schnurrbärte. Friedrich II. war stets glatt rasiert. Peter d. Gr. besteuerte die Bärte, um die Russen äußerlich zu zivilisieren; nur die Bauern und Geistlichen durften den B. unbesteuert tragen. Daß Philipp V. von Spanien das Abnehmen des Bartes begünstigte, erregte Unzufriedenheit beim Volk. Unter Ludwig XIV. waren die Schnurrbärte in großer Gunst, und sowohl der König selbst als Turenne, Condé, Colbert, Corneille, Molière etc. gefielen sich in dieser Mode. Gegen Ende des 18. Jahrh. verbreitete sich von England über den Kontinent die Sitte, einen kurz gehaltenen Backenbart (favoris) zu tragen, aus dem sich später die sogen. Kotelettes entwickelten. Bis zum Ende des 17. Jahrh. trugen auch die protestantischen Geistlichen Schnurr- und Zwickelbärte; sie verschwanden aber mit dem ersten Jahrzehnt des 18. Jahrh. In Rußland, teilweise auch in Polen, Galizien und Ungarn trägt heute noch der Bauer seinen vollen B.; auch die russischen Landgeistlichen (Popen) tragen volle Bärte. Besondere Regulierungen mußte der B. beim Militär durchmachen. So war in der englischen Armee der Schnurrbart bis 1840 verbannt, seitdem ist er gesetzlich eingeführt. Der Henri quatre war in Frankreich früher sehr üblich, unter dem zweiten Kaiserreich der Kinnbart à la Napoleon III., und in neuester Zeit trägt man besonders Spitzbärte bei ausrasierten Wangen. Seit 1848 wurde das Barttragen allgemein, auch beim Militär. Indessen wurden bald die Bärte, namentlich die sogen. Demokratenbärte, politisch verdächtig, und so wurde bei dem Militär jene Freiheit des Barttragens wieder beschränkt; in Hessen-Kassel war sogar unter Friedrich Wilhelm I. den Zivilbeamten das Tragen eines Vollbartes verboten. Vor 1843 war den Militärpersonen in Kurhessen vorgeschrieben, ihren B. in Form eines W zu tragen. In Deutschland ist in neuester Zeit der Vollbart, anfangs mit, später ohne ausrasiertes Kinn, sehr gewöhnlich geworden, worauf Kaiser Wilhelm I. und Kaiser Friedrich III. von Einfluß gewesen sind. Nach dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. wurde wieder der Schnurrbart mit künstlich durch Schnurrbartbinde aufwärts gezogenen Spitzen Mode. Auch in Österreich ist nach dem Beispiel des Kaisers Franz Joseph H. der Vollbart mit ausrasiertem Kinn (sogen. Kotelettbart) weit verbreitet, während in Frankreich und Italien der Knebel-mit Spitzbart am häufigsten vorkommen. In Polen und besonders in Ungarn blühen die Schnurrbärte. Der ganze Orient ist dem B. treu geblieben. Der Mohammedaner schwört beim B. des Propheten und bei seinem eignen, und über das Kinn des Sultans darf kein Schermesser gehen. Vgl. außer den größern Werken über Kostümkunde: Dulaure, Pogonologie (Par. 1786); (Schelle) »Geschichte des männlichen Bartes bei allen Völkern« (a. d. Franz., Leipz. 1797); Dom Calmet, Histoire de la barbe de l'homme (Par. 1826); Philippe, Histoire de la barbe (das. 1845); Falke, Haar und B. der Deutschen (im »Anzeiger des Germanischen Museums«, 1858); Fleischer, Wertschätzung und Pflege von Haar und B. (Leipz. 1885).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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