Nattern

Nattern

Nattern (Colubridae Gthr.), Familie der giftlosen Schlangen, schlank gebaute Tiere mit deutlich abgesetztem, kleinem, länglichem, geschildetem Kopf, vollständiger, gleichmäßiger Bezahnung und doppelten Schilderreihen an der Unterseite des in eine lange Spitze auslaufenden Schwanzes. Die etwa 250 Arten sind über die ganze Erde verbreitet und finden sich bis gegen den Polarkreis; viele lieben feuchte Gegenden und Gewässer, manche bevorzugen trockne Orte. Sie sind sehr beweglich und munter, echte Tagtiere, schwimmen zum Teil vorzüglich, klettern auch gut und nähren sich von kleinen Reptilien und Lurchen, aber auch von kleinen Säugetieren, Vögeln und Fischen. In kältern Gegenden verbringen sie den Winter in Erstarrung; im Frühjahr legt das Weibchen 10–30 Eier an einen feuchtwarmen Ort und überläßt deren Zeitigung der Sonnenwärme oder trägt sie so weit aus, daß die Jungen unmittelbar vor oder nach dem Legen die Eihülle sprengen. Die Ringelnatter (Wassernatter, Unke, Schnake, Tropidonotus natrix Gesn., Coluber natrix L., s. Tafel »Schlangen III«, Fig. 3), bis 1,6 m lang, hat einen kleinen, flach gedrückten, deutlich vom dünnen Hals abgesetzten Kopf, mäßig langen Schwanz, auf dem Rücken scharf gekielte Schuppen, ist graublau, auf dem Rücken bläulich, grünlich, selbst schwarz und mit zwei Reihen dunkler Flecke, weiter unten seitlich weiß gefleckt, auf dem Bauch schwarz, das Weibchen mit zwei weißen, das Männchen mit zwei gelben Mondflecken hinter den Schläfen (Krone). Sie findet sich in Europa, Westasien und Nordwestafrika bis 1800 m ü. M. und lebt besonders in Buschwerk am Wasser, in feuchten Wäldern, im Ried und Sumpf, aber auch weit entfernt vom Wasser und in der Nähe menschlicher Wohnungen, in Mist- und Müllhaufen, in Kellern, Enten- und Hühnerställen. Vom November bis März oder April hält sie sich verborgen. Sie sonnt sich gern, strei st viel umher, kriecht ziemlich schnell, klettert gut, schwimmt trefflich und kann lange unter Wasser verweilen. Bisweilen ruht sie auf dem Rücken schwimmender Enten (daher der Aberglaube, daß sie mit Enten sich paare). Sie ist völlig harmlos; gereizt sucht sie zwar zu beißen, doch vermag sie nichts auszurichten und verteidigt sich schließlich nur durch ihren stinkenden Unrat. Sie frißt hauptsächlich Frösche, auch Eidechsen, Kröten, Molche und Fische, kann aber monatelang hungern; Wasser trinkt sie selten. Die Paarung erfolgt im Mai und Juni; das Weibchen legt im Juli, August oder September 15–35 perlschnurartig zusammenhängende, weiße Eier (die Hahneneier des Volksglaubens) von der Größe der Taubeneier, mit weicher, biegsamer Schale und sehr wenig Eiweiß, an feuchte Orte unter Mist, Laub, Moos, in lockere Erde. Nach drei Wochen schlüpfen die 15 cm langen Jungen aus, um welche die Mutter sich nicht kümmert. In der Gefangenschaft hält sie sich ohne besondere Pflege recht gut. In der Heidenzeit hielt man an der Ostsee in jedem Haus eine unverletzbare Natter, die angebetet und mit Milch getränkt wurde. Sie galt als glückbringende Hausschlange und als Heilgenius. Nach dem Volksglauben hatte sie vier kurze Füße und war am ganzen Leib mit Augen bedeckt. Die glatte Natter (österreichische, thüringische Natter, Schling-, Hasel-, Kragennatter, Haselwurm, Jach-, Zornschlange, Coronella laevis Lac., s. Tafel »Schlangen III«, Fig. 4), 60–100 cm lang, mit mittelgroßem, plattem, wenig abgesetztem Kopf, großen Schildern auf dem Kopf, kurzem Schwanz und glatten Rückenschuppen ohne erhabene Kiele; sie ist oberseits braun mit großem dunklern Fleck im Nacken und zwei Reihen dunklerer Flecke längs des Rückens, einem dunkelbraunen Streifen hinter den Augen, unterseits stahlblau oder rotgelblich und weißlich, auch oft dunkler gefleckt. Sie findet sich in Süd- und Mitteleuropa, auch noch in Norwegen, Ägypten und im Kaukasus, in Deutschland in allen Mittelgebirgen, bewohnt meist sonnige Abhänge, ist viel lebhafter als die Ringelnatter, geht nicht freiwillig ins Wasser, frißt hauptsächlich Eidechsen, auch Blindschleichen und Mäuse und umschlingt regelmäßig ihre Beute. Sie ist bisweilen ungemein jähzornig, wird aber in der Gefangenschaft meist bald sehr zahm. Aus ihren im August und September gelegten 3–13 Eiern kriechen die 15 cm langen Jungen sofort aus. Die Äskulapschlange (Coluber [Calopelti] Aesculapii Gesn., Tafel III, Fig. 5), 1,5 m lang, mit ziemlich kleinem, wenig abgesetztem, an der Schnauze gerundetem Kopf, langem Hals und mittellangem Schwanz, am Vorderkörper mit glatten, nach hinten zu aber mit sehr schwach gekielten Schuppen, ist oberseits bräunlich graugelb, unterseits weißlich, am Hinterkopf jederseits mit einem gelben Fleck und auf dem Rücken und an den Seiten weiß getüpfelt. Sie hält Winterschlaf und erscheint erst im Juni, liebt die Nähe alten Gemäuers, ist höchst anmutig, klettert sehr geschickt, geht nicht freiwillig ins Wasser, nährt sich besonders von Mäusen und legt nur etwa 5 Eier. In der Gefangenschaft zeigt sie sich anfangs meist sehr boshaft und verschmäht oft lange Zeit die Nahrung. Sie ist in Italien, Süddeutschland und Südösterreich heimisch und geht ziemlich weit nach Mitteldeutschland, bis Thüringen und den Harz, hinaus. In Oberhessen ausgesetzt, hat sie sich dort vollkommen akklimatisiert. Die Äskulapschlange, welche die römischen Damen im Sommer zur Kühlung um ihren Hals legten, ist bei uns sehr wärmebedürftig und sucht warme Quellen auf. Da nun an solchen Orten sehr häufig Asklepiasheiligtümer errichtet wurden und die Schlange als heiliges Tier des Gottes angesehen wurde, so entstand die Sage, die Römer hätten in Deutschland überall, wo sie warme Quellen fanden und Heilbäder errichteten, die Schlange angesiedelt. 291 v. Chr. wurde eine Schlange als Heilgenius aus dem Heiligtum des Äskulap in Epidaurus nach Rom gebracht, und alsbald soll die Pest, die damals in Rom wütete, gewichen sein. Diese Schlange war wohl die Vierstreifennatter (Coluber quadrilineatus) oder die Zornnatter (Zamenis).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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