Moscherosch

Moscherosch

Moscherosch, Johann Michael, namhafter deutscher Satiriker, geb. 5. März 1601 in Willstädt (Amtsbez. Kehl) als Sohn des dortigen protestantischen Kirchenseniors und Amtmanns, gest. 4. April 1669 auf einer Reise in Worms, stammte aus einer aragonesischen Familie (Mosen Rosch = Herr Rodrigo). Er studierte in Straßburg und wurde, nachdem er einige Zeit in Frankreich zugebracht hatte, 1626 Hofmeister bei dem Grafen von Leiningen-Dachsburg, 1630 Amtmann bei dem Grafen von Criechingen und 1635 Amtmann bei dem jungen protestantischen Herzog Bogislaw von Croy zu Finstingen a.d. Saar, wo Kriegswirren, Räuberwirtschaft, Hungersnot und Pest ihm das Leben verbitterten; auch erfuhr er viel häusliches Leid: 1632 starb seine erste, 1635 seine zweite Frau. Um 1643 wurde er in der damals schwedischen Festung Benfelden als Kriegsrat angestellt und später als Staatssekretär und Fiskal nach Straßburg versetzt, 1656 aber zum gräflich hanauischen Kriegs- und Kirchenrat ernannt. Später legte er dieses Amt nieder und diente dem Kurfürsten von Mainz, dann, seit 1664, der Landgräfin von Hessen. 1645 wurde er mit dem Beinamen »Der Träumende« in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen. Sein Hauptwerk sind die »Wunderlichen und wahrhaftigen Gesichte (Visionen) Philanders von Sittewalt« (um 1640; verbesserte Ausg., Straßb. 1642–43, 2 Bde.; dann, um ein »Gesicht« vermehrt, das. 1650, weitere rechtmäßige Auflagen 1665 und 1667). Philander bedeutet »Menschenfreund«; Sittewalt ist Anagramm von »Willstaet«, M. ' Geburtsort, und soll außerdem natürlich an »Sitte« und »walten« anklingen. Als Vorbild dienten ihm die »Sueños« des Spaniers Quevedo, die er in der französischen Bearbeitung des »Sieur de la Geneste« (1633) kennen lernte (vgl. Wirth, M.'. Gesichte Philanders von Sittewald'. Das Verhältnis der Ausgaben zueinander und zur Quelle, Erlang. 1887). Während sich M. in den frühern Teilen genauer an sein Vorbild hielt und die allgemeine Satire vorwalten ließ, wurde er späterhin durchaus selbständig und schilderte die unglücklichen Zustände Deutschlands in der Epoche des großen Krieges, vor allem die sittliche Verwilderung, den Mangel an nationalem Selbstgefühl, das Modeunwesen, die Sprachmengerei, die »Neusüchtigkeit«, die Trinksitten, die falsche »Reputation«, die verkehrte Denkweise einzelner Stände (Pfarrer, Ärzte, Richter etc.); die bestialische Grausamkeit der Soldaten gibt ein hochinteressantes kleines Wörterbuch der »Feldsprache« und schildert überall das Erschaute und Erlebte; der Schauplatz des besonders rühmenswerten »À la mode Kehraus« ist die Burg Geroldseck bei Finstingen (vgl. Schlosser im »Bulletin de la Société pour la conversation des monuments historiques d'Alsace«, Bd. 16, 1893). M. ist ein tiefdringender Geist, der die Übel der Zeit an ihrer Wurzel erfaßt, eine kernhafte Willensnatur, seine nationale und protestantische Gesinnung mit Nachdruck verfechtend. Neue Ausgaben besorgten Dittmar (die ersten vier Gesichte, mit Biographie, Berl. 1830) und Bobertag (Auswahl, in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Bd. 32, Stuttg. 1884). Unter seinen übrigen deutschen Schriften ist besonders die »Insomnis cura parentum. Christliches Vermächnuß oder Schuldige Vorsorg Eines Trewen Vatters« etc. (Straßb. 1643; Neudruck von L. Pariser, Halle 1893) bemerkenswert, ein pädagogisches Büchlein, das er 1641 zunächst im Hinblick auf seine eignen Kinder niedergeschrieben hatte. Eine andre Schrift: »Die Patientia«, ist erst neuerdings (in Munckers »Forschungen zur neuern Literaturgeschichte«, Münch. 1897) von Pariser mühsam aus verworrenen hinterlassenen Papieren M.' zusammengestellt und herausgegeben worden. Vgl. Nickels, M. als Pädagog (Leipz. 1883); Pariser, Beiträge zu einer Biographie von M. (Münchener Dissertation, 1891); Martin, Joh. Mich. M. (im »Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte und Altertumskunde«, Bd. 3, Metz 1891).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Moscherosch — ist der Name folgender Personen: Johann Michael Moscherosch (1601–1669), Staatsmann, Schriftsteller, Satiriker und Pädagoge Quirinus Moscherosch (1623–1675), deutscher Theologe und Dichter Diese Seite ist eine Begriffsklärung …   Deutsch Wikipedia

  • Moscherosch — (Mosenrosh), 1) Hans Michael, nicht, wie man gewöhnlich sagt, eine Übersetzung von Kalbskopf, als Schriftsteller bekannt unter dem Namen Philander v. Sittewald; stammte aus einer aragonischen Ritterfamilie, die unter Karl V. nach Deutschland… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Moscherosch — Moschĕrosch, Joh. Mich., eigentlich Mosenrosh, Schriftsteller unter dem Pseudonym Philander von Sittewald, geb. 5. März 1601 zu Wilstett in Baden, gest. 4. April 1669 zu Worms als Geheimrat der Landgräfin von Hessen; Hauptwerk: »Wunderliche und… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Moscherosch — Moscherosch, eigentlich Mosenrosh, Hans Michael, mit dem Schriftstellern amen des Philander von Sittewald, geb. 1600 zu Wilstädt im sog. Hanauerländlein (gegenwärtig bad.) aus einer aus Aragonien eingewanderten Familie. Amtmann zu Krichingen,… …   Herders Conversations-Lexikon

  • MOSCHEROSCH Joh. Michael — in Societate Frugifera dictus Philander a Sittenwald, Wilstatti in Comitatu Hanovico natus, Praefectus Grichingensis primum, inde Vinstingensis; Consilianus porro Bellicus suecicus, Secretarius et Fiscalis Argentoratensis, Consiliarius Hanovicus …   Hofmann J. Lexicon universale

  • Moscherosch, Johann Michael — ▪ German satirist pseudonym  Philander Von Sittewald   born March 5, 1601, Willstädt, near Strassburg [now in Germany] died April 4, 1669, Worms  German Lutheran satirist whose bitterly brilliant but partisan writings graphically describe life in …   Universalium

  • Moscherosch — Mọscherosch,   Johann Michael, Pseudonym Philander von Sịttewald, Schriftsteller, * Willstätt (bei Kehl) 5. 3. 1601, ✝ Worms 4. 4. 1669; wurde 1645 als »der Träumende« in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen. Sein kulturhistorisch… …   Universal-Lexikon

  • Johann Michael Moscherosch — (* 7. März 1601 in Willstätt; † 4. April 1669 in Worms) war ein deutscher Staatsmann, Satiriker und Pädagoge in der Zeit des Barock. Inhaltsverzeichnis 1 Leben …   Deutsch Wikipedia

  • Quirinus Moscherosch — Quirin(us) Moscherosch (getauft 14. Dezember 1623 in Willstätt; † 19. April 1675 in Straßburg) war evangelischer Pfarrer und Gelegenheitsdichter in Bodersweier bei Straßburg. Er war der jüngste Bruder des Satirikers und Epigrammatikers Johann… …   Deutsch Wikipedia

  • МОШЕРОШ (Moscherosch) Ханс Михаэль — (1601 69) немецкий писатель сатирик. Автор книги Видения Филандера фон Зиттевальда (1643) …   Большой Энциклопедический словарь

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”