Metrik

Metrik

Metrik (v. griech. métron, »Maß«, hier: Versmaß) als Kunst: die rhythmische Gestaltung des poetischen Kunstwerkes, als Wissenschaft: die Lehre von den rhythmischen Formen der Poesie, erweitert: die Lehre von der Verskunst überhaupt, indem in der M. der neuern Poesie z. B. auch das nichtrhythmische Kunstmittel des Reimes abgehandelt zu werden pflegt. Über den Unterschied von Rhythmik und M. s. Rhythmus. Die landläufigen Hauptlehren der M. beruhen auf der metrischen Theorie des klassischen Altertums, die als besondere Wissenschaft in der Zeit nach Alexander d. Gr. durch die sogen. Grammatiker (d. h. Philologen) ausgebildet wurde, also in einer Zeit, wo die Poesie die Verbindung mit Musik (und Tanz) gelöst hatte und zur Lese- und Buchpoesie geworden war. Es sind zwei metrische Systeme erkennbar, ein älteres, das weniger schematisch verfährt und namentlich der von Aristoxenos begründeten Rhythmik noch näher steht (Varro, 1. Jahrh. v. Chr., Cäsius Bassus, 1. Jahrh. n. Chr., u. a.), und ein jüngeres, das unter anderm in dem erhaltenen Hauptwerk der antiken M., in dem »Encheiridion« (»Handbuch«) des Hephästion (2. Jahrh. n. Chr.) vorliegt. Bei den neuern ist ein gründliches Studium der antiken Metra erst durch Einzeluntersuchungen der Engländer Bentley (1662 bis 1742) und Porson (1759–1808) wieder angeregt worden. Epochemachend wurden die zusammenfassenden Werke von Gottfried Hermann, namentlich die »Elementa doctrinae metricae« (Leipz. 1816). Weitere Förderung brachte Aug. Boeckh (1785–1867), besonders indem er wieder mehr an die Rhythmik und die Musik der Alten anknüpfte, in seinen drei Büchern »De metris Pindari« (1811, in Boeckhs Ausgabe des Pindar, Bd. 1). Hieran schließen sich namentlich die gemeinsamen Arbeiten von Aug. Roßbach und Rud. Westphal (»M. der Griechen im Verein mit den übrigen musischen Künsten«; dritte Bearbeitung als: »Theorie der musischen Künste bei den Hellenen«, Bd. 1: »Rhythmik«, Leipz. 1885; Bd. 2: »Griechische Harmonik und Melopöie«, 1886; Bd. 3, 1. Teil, von R. W. und H. Gleditsch: »Allgemeine Theorie der griechischen M.«, 1887, und 2. Teil: »Griechische M. mit besonderer Rücksicht auf die Strophengattungen«, 1888). Bequeme Zusammenfassungen der griechischen und römischen M. gaben W. Christ (2. Aufl., Leipz. 1879), Lucian Müller (2. Ausg., das. 1885) und R. Klotz (»Grundzüge der altrömischen M.«, das. 1890).

Neben dem antik-klassischen Lehrgebäude treten die metrischen Lehren andrer alter Völker (wie Semiten, Eranier und Inder) in den Hintergrund. Besonders zu bemerken ist indes, daß in der altnordischen (und zwar in der norwegisch-isländischen) Literatur seit dem 12. Jahrh. mit verschiedenen Anleitungen zur Skaldenkunst etwas auftritt, was sich mit der metrischen Wissenschaft der Griechen und Römer vergleichen läßt (der 2. und namentlich der 3. Teil [Háttatal] der Edda des Snorri Sturluson um 1222, u. a.). Auch die sogen. Tabulaturen der altdeutschen Meistersinger sind hier zu erwähnen. Opitz' »Buch von der deutschen Poeterei« (1624) führt die neuere wissenschaftliche Literatur ein. Aufschlüsse über die M. der wichtigern Völker nachklassischer Zeit geben namentlich Ed. Sievers (»Altgermanische M.«, Halle 1893), H. PaulDeutsche M.«, Straßb. 1893, 2. Aufl. 1905; aus dem »Grundriß der germanischen Philologie«), A. Tobler (»Vom französischen Versbau«, 4. Aufl., Leipz. 1903), Lubarsch (»Französische Verslehre«, Berl. 1879), KastnerHistory of french versifications«, Oxford 1903), J. MinorNeuhochdeutsche M.«, Straßb. 1893, 2. Aufl. 1901), wo sich auch das Nötige über die frühere Literatur findet, F. Saran (»Der Rhythmus des französischen Verses«, Halle 1904). Eine von Martin Opitz bis heute und namentlich am Anfang des 19. Jahrh. unter dem Einfluß des klassizistischen Geschmacks viel verhandelte Hauptfrage ergibt sich aus der beschränkten Möglichkeit, einen Kompromiß zwischen der quantitierenden antiken und der modernen Verskunst zu schließen, in der die Führung dem Akzent zufällt; vgl. Rhythmus und Prosodie.

Neuerdings hat man auch mit dem Versuch begonnen, die Methode der Vergleichung, die auf Sprache, Sage, Sitte u. a. mit so viel Erfolg angewendet worden ist, auch für die M. fruchtbar zu machen; zuerst Westphal (»Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung«, 9. Band, 1860), sodann Bartsch, Allen, Möller und besonders Usener (»Altgriechischer Versbau«, Bonn 1887), sodann wiederum Westphal in seiner »Allgemeinen M. der indogermanischen und semitischen Völker« (Berl. 1893). So unsicher die Ergebnisse dieser Forschungen noch sind, so scheint doch in der Tat ein vierhebiger Kurzvers Gemeingut schon der indogermanischen Zeit gewesen zu sein. Ihm am nächsten stehen die ältesten Langverse der eranischen Poesie (vgl. Geldner, Über die M. des jüngern Avesta, Tübing. 1877), bei den Indern der Anushtubh der Weden und nach dessen Vorbild der klassische Vers des indischen Epos, der Çloka. Reste des Urverses vielleicht auch im griechischen Hexameter und in gewissen volkstümlichen Liedern der Griechen, im Nationalvers der Italiker (versus Saturnius), im altgermanischen Versbau und auch in der Volkspoesie der Slawen (nach Usener). Überall haben die alten Kurzverse eine Neigung, sich zu paaren (Langverse). Alles einzelne über die vorhistorische Urmetrik ist aber sehr problematisch.

Von den Grundsätzen der klassischen M. sei nach dem Überblick über die Geschichte der metrischen Wissenschaft folgendes hervorgehoben. Da die M von der rhythmischen Gestaltung der Sprache handelt, hat sie die Lehre vom Rhythmus (s. d.) und von der Prosodie (s. d.) zur Voraussetzung. Ihr nächster Gegenstand ist die rhythmische Periode oder der Vers, und sie hat ihren Namen davon, daß ihre wichtigste Aufgabe das Messen des Verses ist. Als Metron oder Maß dient den antiken Metrikern und ihren Nachfolgern entweder der Versfuß (monopodische Messung) oder eine Verbindung zweier Füße (dipodische Messung). Betrachtet werden von ihnen zunächst die einfachen (d. h. gleichfüßigen) Metra, wie z. B. der Hexameter, sodann die aus verschiedenen Füßen zusammengesetzten, wobei es einen Unterschied macht, ob der Vers nur rhythmisch verschiedene Glieder (Kola) vereinigt (zusammengesetzte Metra, z. B. Bild im Fließtext), oder ob die rhythmische Verschiedenheit schon innerhalb der Kola vorhanden ist (gemischte Metra oder Logaöden, z. B. Bild im Fließtext : Ińtegér vitáe scelerisque púrus). Dabei werden immer die besondern Kunstregeln der einzelnen Versformen und auch ihre Verbindung zu Systemen abgehandelt. Bei der römischen Poesie ist noch besonders darauf zu achten, wie die Nachahmung der griechischen Technik (seit etwa 200 v. Chr.) hier den national-italischen Versbau zurückdrängt, dessen klassischer Vers der Saturnier ist (Malúm dabúnt Metélli Náevió poétae). Viel verhandelt ist der Streit, ob der Saturnier (s. Saturnischer Vers) ein quantitierender (Ritschl) oder ein akzentuierender Vers (O. Keller) sei. Weiteres s. unter den Artikeln »Deutsche Verskunst, Nordische Verskunst, Romanische Verskunst, Reim, Vers«. – In der Musik ist M. die Lehre von den Taktarten und dem Aufbau der Perioden. Vgl. Riemann, System der musikalischen Rhythmik und M. (Leipz. 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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