Meßbildverfahren

Meßbildverfahren

Meßbildverfahren (Photographometrie, Photogrammetrie), diejenige Messungsmethode, bei der man die für Winkelbestimmungen nötigen Maße aus besonders zu diesem Zweck aufgenommenen Photographien entnimmt. Das M. beruht auf der Eigenschaft des in der Camera erzeugten photographischen Bildes als einer ebenen Perspektive.

Fig. 1 u. 2. Meßbildverfahren.
Fig. 1 u. 2. Meßbildverfahren.

Daraus folgt, daß: 1) das Objektiv vollkommen richtig zeichnen muß, d. h. gerade Linien müssen im Bild auch gerade erscheinen, 2) in der Camera die optische Achse genau senkrecht über dem Kreuzpunkt eines auf der Bildebene angebrachten, genau rechtwinkligen Fadenkreuzes steht. Aus diesen beiden, recht schwer zu erfüllenden Bedingungen geht schon hervor, daß die gewöhnlichen photographischen Cameras zu Meß bildzwecken nicht brauchbar sind. Bei astronomischen und bei Wolkenaufnahmen kommt noch die genaue Kenntnis des Winkels hinzu, den die Platte mit der Horizontalebene gebildet hat. Wie das photographische Bild in der Camera zustande kommt, ist in Fig. 1 dargestellt. Von einem beliebigen Objekt ab gehen die Strahlen ao und bo geradlinig durch das Objektiv O und treffen die Bildebene in a' und b'. Es entstehen die ähnlichen rechtwinkligen Dreiecke apo und a'p'o in der Horizontalebene und abo und a'b'o in der vertikalen Ebene. Die in der Camera so gegebenen Dreiecksseiten kann man genau messen. Die allen horizontalen Dreiecken gemeinschaftliche Seite Op, die Brennweite F des Objektivs, wird ein für allemal genau gemessen und darum als bekannt an genommen. Die andern Seiten werden als Abszissen auf dem Horizont, als Ordinaten senkrecht zu diesem aus dem Bild entnommen. Auf diese Weise erhält man in der Camera für jeden Bildpunkt ein System von Koordinaten, die dem in der Natur gedachten System des Horizonts und der Hauptvertikale genau entsprechen. Kennt man nun den Abstand eines einzigen Punktes in der Natur vom Hauptpunkt o des Objektivs im Horizont, so findet man nach bekannten Regeln der Trigonometrie alle andern in Horizontal- und Vertikalprojektion. Damit ist das M. auf dieselben Grundlagen zurückgeführt, auf denen die niedere Geodäsie und der Meßtisch beruhen. Erstere bestimmt Horizontal- und Vertikalwinkel mittels Fernrohrvisur an den geteilten Kreisen. letzterer trägt die Visuren gleich als Winkelschenkel aufs Papier. Das letztere tut die Meßbildkunst auch, nur ersetzt sie den Ausblick in die Natur durch das photographische Bild, das gleich Hunderte von mühsam in der Natur einzustellenden, abzulesenden und einzeln auszuschreibenden Visuren enthält. Sie kürzt die eigentliche Aufnahmearbeit im Freien, allerdings unter erhöhten Anforderungen an die geistige Tätigkeit, sehr ab und verlegt sie in die bequeme Stube.

Wie bei jeder Fernmessung, muß auch hier nach Fig. 2 eine bekannte Länge, die Basis, I-II, gegeben sein, an deren Enden die Horizontal- und Vertikalwinkel angetragen werden, um ein beliebiges Objekt Z in seiner Lage c gegen 1–11 festzulegen. In Fig. 2 sind die von den Standpunkten I und II aus aufgenommenen Bilder so dargestellt, als wären sie durch Drehung um den Horizontalfaden H aus ihrer ursprünglichen vertikalen Ausnahmestellung in die Horizontalebene, dem Zeichenbrett, umgelegt. Die Hauptvertikale V fällt dann mit der Brennweite F zusammen. In der Camera entsteht, wie Fig. 1 zeigt, das photographische Bild im Negativ verkehrt. In Fig. 2 sind die Bilder, anstatt nach rückwärts, nach vorwärts vom Aufnahmezentrum aus gerichtet, dargestellt. Hierdurch werden die Bilder, dem Positiv entsprechend, wieder aus der verkehrten in die aufrechte Stellung zurückgeführt. Die Lage eines Punktes c in der Horizontalprojektion ergibt sich nun aus den Winkeln, die seine durch I und II hindurchgehenden Strahlen mit F bilden. Diese Winkel aber sind durch die Brennweite F und die durch direkte Messung aus den Bildern zu entnehmenden Abszissen gegeben. Die Höhe Z ergibt sich aus den Vertikaldreiecken, die in Fig. 2 um I-c und II-c in die Zeichenebene herabgelegt dargestellt sind. Es ist die gesuchte Höhe Z= Ic. Z'/Ic1. Dieses einfache Exempel kehrt bei jeder Höhen bestimmung wieder und muß aus allen Bildern, die diese Höhe zeigen, den gleichen Wert ergeben. Hierin liegt aber eine Kontrolle der Messungen untereinander, die kein andres Meßverfahren in nur ähnlicher Weise bietet.

Zuerst hat Lambert (geb. 1728 zu Mülhausen i. E., gest. 1777 als Oberbaurat in Berlin) gelehrt, daß man aus einer richtig gezeichneten Perspektive die geometrische Zeichnung ableiten könne. Beautemps-Beaupré hat dies tatsächlich versucht, Porro hat zuerst das photographische Bild dazu benutzt, scheiterte aber an der frühern Unvollkommenheit der Apparate, die erst Laussedat in Paris zu überwinden vermochte. Seine erste auf langen Vorarbeiten beruhende Karte eines Terrainabschnittes erschien 1867 auf der Pariser Ausstellung. Meydenbauer kam 1858 bei der Aufnahme mittelalterlicher Bauwerke ganz selbständig auf den Gedanken, das lebensgefährliche Messen und Zeichnen auf Leitern und Gerüsten durch Umkehren des durch Photographie erzeugten Bildes zu ersetzen. Er beschränkte sich auch schließlich auf diese Anwendung des Meßbildverfahrens allein, während sämtliche andre Mitarbeiter die Terrainaufnahme behandelten. Auch Meydenbauers erste Arbeit entstand 1867, und dann verschwand auf eine Reihe von Jahren die ganze Meßbildkunst aus der Öffentlichkeit, während die Hauptvertreter, Laussedat in Paris und Meydenbauer in Berlin, an der Vervollkommnung weiter arbeiteten. Mit den gewaltigen Fortschritten in der praktischen Photographie wurden die Schwierigkeiten der Aufnahmen im Freien allmählich überwunden, und die Photogrammetrie erlangte große Bedeutung in den Ländern, in denen Hochgebirge zu kartieren waren, zuerst in Italien, wo schon Porro vorgearbeitet hatte, dann in Nordamerika, Österreich und Japan. Mit dieser Beschränkung auf das Hochgebirge hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Die unregelmäßigen Formen der Fels- und Eispartien machen das Auffinden identer Punkte sehr schwierig, wenn die Bilder nach verschiedenen Richtungen hin aufgenommen wurden, also so, daß die photographischen Platten in einem beliebigen Horizontalwinkel zueinander gestanden hatten. Dieser Umstand kam bei Meydenbauers Architekturaufnahmen gar nicht in Betracht, erschwerte aber die Arbeit bei Hochgebirgsaufnahmen ganz außerordentlich. Erst von Schönemann in Soest theoretisch, dann von Pulfrich in Jena praktisch wurde eine Methode ausfindig gemacht, wonach aus Bildern, die in verhältnismäßig geringem Abstand, aber in durchaus parallel gerüsteten Instrumenten hergestellt sind, aus den geringen Verschiebungen der Abstände der Bildpunkte von der Hauptvertikalen die Entfernungen tabellarisch abgelesen werden. Von Pulfrich wurde ein Stereokomparator konstruiert, der diese Verschiebung mit außerordentlicher Genauigkeit auf Grund des stereoskopischen Sehens zu messen gestattete. Das stereoskopische Sehen basiert auf dem natürlichen Sehen mit beiden Augen; wie hier, so erscheinen auch da zwei mit parallel gerichteter Camera aufgenommene Bilder als ein einziges und infolge der, gegenüber dem Augenabstand, großen Basis mit hochgesteigerter Plastik. Hierdurch wird es ermöglicht, die in dem zur Beobachtung dienenden binokularen Mikroskop angebrachte Marke (wandernde Marke) auf jeden Punkt der Landschaft einzustellen und die Parallaxe p, d. h. die Differenz der Abszissen beider Bilder, zu messen. Die Entfernung E eines Punktes der Landschaft in rechtwinkliger Richtung von der Basis B aus ist alsdann E = B.F/p, wobei F die Brennweite des Instrumentes ist. Damit erlangte die Meßbildkunst für Terrainaufnahmen eine bis dahin ganz unerreichte praktische Bedeutung. Professor Laas konnte nach dieser Methode mit Instrumenten, die, von Meydenbauer gebaut, in der Bordkante eines großen Schiffes befestigt waren, die genaue Gestalt der Meereswogen bestimmen. Daß die Meßbildkunst in der Astronomie ungeahnte Erfolge erzielt, ist allgemein bekannt. Die photographische Ortsbestimmung, d. h. Berechnung der Ortslage nach geographischer Länge und Breite, hat zuerst Fr. Stolze 1877 gelehrt. Die Instrumente, meist Kombinationen von Theodolit und Camera, hat fast jeder nach seinen eignen Ideen gebaut, nur Meydenbauer hat wegen der großen Platten, 40×40 cm, je 1 kg wiegend, die Camera auf einen starken Grundkreis ohne Stengel gebaut. Sein Archiv der Baudenkmäler in Berlin umfaßt bereits 11,000 Originalmeßbilder deutscher Baudenkmäler, die in Bild und Maß so für Jahrhunderte erhalten sind, wenn sie selbst längst vom Erdboden verschwunden sein werden. Außer den Genannten hat noch eine große Zahl von Mitarbeitern bei der Ausbildung der Meßbildkunst gewirkt, am ausführlichsten Koppe auf Grund der Vorarbeiten zur Jungfraubahn in »Die Photogrammetrie oder Bildmeßkunst« (Weim. 1889) und »Photogrammetrie u. internationale Wolkenmessung« (Braunschw. 1896). Literarisch verbreitet sich über alle Fortschritte in der Meßbildkunst E. Doležal im »Jahrbuch für Photographie und Reproduktionstechnik«, im »Archiv für wissenschaftliche Photographie« und in der »Photographischen Korrespondenz«. Eigne Arbeiten lieferten: Finsterwalder in der »Zeitschrift für Instrumentenkunde«, 1895 über Vermessung des Vernagtferners, v. Hübl, »Karlseisfeld-Forschungen der k. k. Geographischen Gesellschaft« (in deren Abhandlungen 1901, Nr. 1) und in den »Mitteilungen des k. u. k. Militärgeographischen Instituts« (Wien). Mit der Theorie haben sich befaßt: Jordan, Haugk, Pietsch, besonders aber A. Schell: »Der photogrammetrische Stereoskopapparat«, »Die Bestimmung der optischen Konstanten eines zentrierten sphärischen Systems mit dem Präzisionsfokometer« und »Das Universalstereoskop und Konstruktion und Betrachtung stereoskopischer Halbbilder« (in den Sitzungsberichten der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien 1903 u. 1904), ferner C. Pulfrich in der »Zeitschrift für Instrumentenkunde« (1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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