Manteltiere

Manteltiere

Manteltiere (Tunikaten, Tunicata, hierzu Tafel »Manteltiere«), marine, in gewisser Beziehung den Wirbeltieren nahestehende Tiere, deren meist sack- oder tonnenförmiger Körper von einem Mantel (Tunica), d. h. einer eigentümlichen, oft außerordentlich dicken, bald gallertigen, bald lederartigen oder knorpeligen Hülle, umgeben ist (Fig. 3, 5, 7 der Tafel, und Tafel »Aquarium I«, Fig. 3, 6 u. 10). Diese Hülle wird von der eigentlichen Haut des Tieres abgeschieden und enthält einen der Zellulose nahe verwandten Stoff. Zuweilen sind die am Boden festsitzenden Seescheiden durch einen mehr oder weniger langen Stiel mit der Unterlage verbunden (Fig. 2). Sie besitzt eine sogen. Ingestionsöffnung zur Einfuhr von frischem Wasser und den Nahrungssubstanzen, und eine zweite, die Egestionsöffnung, zur Entfernung des zum Atmen unbrauchbar gewordenen Wassers sowie der Exkremente, Eier etc. Beide Öffnungen liegen entweder einander nahe (Fig. 3) oder an den entgegengesetzten Körperenden (Fig. 7) und sind durch Muskeln verschließbar. Dem Mantel liegt innen die eigentliche Haut dicht an. Von ihr umschlossen ist vorn die sehr geräumige Atemhöhle, in der das Wasser mit der Kieme in Berührung kommt. Die Kieme selbst besteht bei vielen Manteltieren aus einem grobmaschigen Sack (Fig. 6), bei andern aus einem hohlen Zylinder mit durchbrochener Wandung (Fig. 7) oder einfach aus einem dünnen, in der Atemhöhle ausgespannten Band mit vielen Lücken. In allen Fällen bewegt sich das Wasser, durch zahllose Flimmerhaare in fortwährender Strömung längs den Wandungen der Kieme erhalten, vom Vorderende nach hinten, wo im Grunde der Atemhöhle der Eingang zum Darmkanal liegt. Die Nahrungsteilchen werden schon vom Mund ab durch eine besondere Flimmerrinne (Endostyl, Hypobranchialrinne), die einen zähen Schleim absondert, nach hinten zur Eingangspforte des Darmkanals geleitet. Der Darm mündet durch den After entweder direkt in den hintern Teil der Atemhöhle oder in einen besondern Abschnitt derselben, die sogen. Kloake. Neben dem Darm liegt das dünnwandige, beutelförmige Herz (Fig. 7). Das Blut wird von ihm einige Minuten in den Gefäßen in einer bestimmten Richtung vorwärts getrieben, hört dann kurze Zeit ganz zu fließen auf und strömt darauf umgekehrt, so daß die kurz vorher als Arterien fungierenden Gefäße nun zu Venen werden und umgekehrt. Das Nervensystem besteht in der Hauptsache aus einem Ganglion zwischen Ingestions- und Egestionsöffnung, in dessen Nähe sich meist ein Auge sowie ein Gehörbläschen befindet. Die Geschlechtswerkzeuge sind im allgemeinen einfach gebaut. Die M. sind Zwitter, jedoch pflegt die Reise der einen der der andern Geschlechtsstoffe vorauszugehen. Neben der geschlechtlichen ist die ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Knospung sehr verbreitet. Diese liefert Kolonien, bei denen die Individuen häufig ganz bestimmt und charakteristisch gruppiert sind (z. B. Fig. 1 u. 4). Die Eier mancher M. entwickeln sich in der Atemhöhle oder der Kloake, so daß dann die Jungen lebendig geboren werden. Bei der einen Hauptgruppe der M., den im Alter festsitzenden Seescheiden (s. d.), schwärmen sie, mit einem später abfallenden Ruderschwanz versehen, noch eine Zeitlang umher, heften sich dann an und bilden bei einem Teile derselben sofort durch Knospung eine kleine Kolonie. Bei der andern Hauptgruppe, den frei schwimmenden Salpen (s. d.), wechselt geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung regelmäßig miteinander ab. so daß ein Generationswechsel vorliegt. Der Bau der Larven ist wichtig für die Auffassung der Tunikaten, da sie wie die Wirbeltiere eine Chorda dorsalis und einen dorsal gelegenen Nervenstrang (dem Rückenmark entsprechend) besitzen (vgl. Seescheiden). Infolge dieser Charaktere hauptsächlich stellt man die M. in die Nähe der Wirbeltiere, mit denen sie verwandt sein dürften, jedoch offenbar eine Reduktion ihrer Organisation erfuhren, wie der höhere Bau der Jugendformen gegenüber demjenigen der ausgebildeten Tiere zeigt. – Die M. sind ausschließlich Bewohner des Meeres. Teils sind sie auf allen möglichen Unterlagen festgewachsen und finden sich dann sowohl an der Flutgrenze als in bedeutenden Tiefen; teils schwimmen sie auf der Oberfläche oft weit von den Küsten und in großen Scharen umher. Sie nähren sich von kleinsten tierischen und pflanzlichen Wesen, die mit dem Wasser in ihre Atemhöhle geraten. Viele unter ihnen leuchten mit prachtvollem Licht. Fossile Formen sind bisher nicht aufgefunden worden. Vgl. Heller, Untersuchungen über die Tunikaten des Adriatischen Meeres (Wien 1875–78); Beneden und Julin, Recherches sur la morphologie des Tuniciers (Gent 1886); Herdman, Report on the Tunicata, etc. (Lond. 1883–89); Giard, Recherches sur les Synascidies (Par. 1872); Lahille, Recherches sur les Tuniciers des côtes de France (Toulouse 1890); Seeliger, Tunikaten, in Bronns »Klassen und Ordnungen des Tierreichs« (Leipz. 1893 bis 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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