Liebig

Liebig

Liebig, 1) Justus, Freiherr von, Chemiker, geb. 8. Mai 1803 in Darmstadt, gest. 18. April 1873 in München, arbeitete 1818 als Lehrling in der Apotheke zu Heppenheim, studierte dann seit 1819 in Bonn und Erlangen, ging 1822 nach Paris, wo er bei Thénard arbeitete, und erwarb durch seine Arbeit über die Knallsäure die Gunst A. v. Humboldts, der ihm das Privatlaboratorium Gay-Lussacs eröffnete, und auf dessen Empfehlung er 1824 außerordentlicher und 1826 ordentlicher Professor der Chemie in Gießen wurde. Hier errichtete er das erste chemische Laboratorium für experimentellen Unterricht und erhob die Universität zu einem Zentralpunkt des chemischen Studiums. Sein Laboratorium wurde vorbildlich für alle Zweige der naturwissenschaftlichen Experimentalforschung. L. betätigte eine außerordentliche Begabung als Lehrer; aus allen Ländern strömten ihm Schüler zu, und eine große Zahl der hervorragendsten Chemiker der Gegenwart hat sich in Gießen unter ihm gebildet. Er errang der Chemie eine bedeutende Stellung in Deutschland, und durch sein Wirken hat sich die Überzeugung Bahn gebrochen, daß die Chemie mehr sei als Experimentierkunst, daß sie als Wissenschaft gelehrt und gelernt werden müsse. Als Forscher wurde L. auf dem Gebiet der Chemie, der Physiologie und der Landwirtschaft Reformator. Er schuf als mächtigstes Hilfsmittel der organischen Chemie eine verbesserte Elementaranalyse, die in den wesentlichsten Zügen noch heute gebräuchlich ist. Er untersuchte zahlreiche organische Säuren, studierte die Einwirkung des Chlors auf den Alkohol, wobei er das Chloroform und das Chloral entdeckte; die Theorie der Ätherbildung suchte er durch eine neue Versuchsreihe aufzuklären, und bald darauf entdeckte er das Aldehyd. Auch über die Alkaloide, die Zuckerarten, die Cyanverbindungen und über die Metallverbindungen hat er viele Untersuchungen angestellt; er entdeckte die Hippursäure, das Kreatinin, die Inosinsäure und das Tyrosin, unterschied das Syntonin vom Blutfibrin und entdeckte im Melanin und Ammelin die ersten künstlich darstellbaren, stickstoffhaltigen Basen. Ohne Zweifel muß er sowohl nach der Zahl seiner Entdeckungen als auch nach deren Bedeutung der fruchtbarste Chemiker seiner Zeit genannt werden. Epochemachend waren seine mit Wöhler angestellten Forschungen über die Benzoylverbindungen, von denen die eigentlich rationelle Behandlung der organischen Chemie datiert. Ungemein fruchtbar erwiesen sich seine Arbeiten über die Gärung, die er lediglich durch chemische Prozesse zu erklären suchte. Er verwarf die gegnerische biologische Anschauung, die bis in die neueste Zeit die herrschende blieb, bis Buchners Entdeckungen den Stand der Dinge wieder zu Liebigs Gunsten verschoben. Seit 1839 wandte sich L. hauptsächlich dem Studium der Ernährung des Pflanzen- und Tierkörpers zu. Er wies die Wichtigkeit der Mineralstoffe für die Pflanzen und besonders für den Ackerbau überzeugend nach, stellte die Bedeutung der organischen Substanz im Boden fest und wurde der größte Reformator des Feldbaues im 19. Jahrh. Über seine Lehren entspann sich ein langer und heftiger Streit, der endlich zugunsten Liebigs entschieden wurde, nachdem dieser seine Theorien vielfach ausgebaut und modifiziert hatte. Es ist gar nicht abzumessen, in wie hohem Grade durch Liebigs Neuerungen das Wirtschaftsleben beeinflußt wurde. Auch für die Lehre von der Ernährung der Tiere schuf er eine neue Basis. Er zeigte, daß das Tier die Hauptbestandteile seines Blutes in der Nahrung fertig gebildet finden müsse, unterschied zwei Gruppen von Nahrungsstoffen: die hauptsächlich der Blutbildung dienenden Eiweißkörper und die zur Wärmeerzeugung im Körper verwendeten stickstofffreien Substanzen, und lehrte, daß zur Fett bildung und Fettablagerung im Körper andre Stoffe, die nicht Fett sind, mitwirken müssen, etc. Seine Untersuchungen über das Fleisch und über die Zusammensetzung der Muskelfaser wurden auch für das praktische Leben wichtig, insofern sich daran die Darstellung des Fleischextrakts knüpfte. Ausser letzterm gab L. die Bereitung einer leichtverdaulichen und nahrhaften Fleischbrühe für Kranke, einer Suppe zur Ausfütterung der Kinder und eines nahrhaften Brotes an. Mit Rücksicht auf diese Arbeiten, die Entdeckung als Arzneimittel sehr wichtig gewordener Körper, die Bereicherung der chemischen Technik mit manchen Methoden (Blutlaugensalzfabrikation, Silberspiegel, Pyrogallussäure als Entwickler in der Photographie, Superphosphat) und vor allem mit Rücksicht auf seine Entdeckung der Gesetze des Feldbaues darf man behaupten, daß kein andrer Gelehrter der Menschheit ein größeres Vermächtnis hinterlassen hat. 1845 wurde ihm der Adel verliehen, 1852 folgte er einem Ruf nach München, wo er, von der Leitung eines großen Unterrichtslaboratoriums befreit, fast ausschließlich seinen physiologischen Forschungen lebte. Er wurde dort 1860 Präsident der Akademie der Wissenschaften und Generalkonservator der wissenschaftlichen Sammlungen des Staates, auch Vorstand des Kapitels des Maximiliansordens für Kunst und Wissenschaft. Die deutschen Landwirte brachten ihm ein Ehrengeschenk, das er zu einer Stiftung (Liebigstiftung) für die Förderung der Agrikulturwissenschaft bestimmte. In München wurde ihm 1883 ein Marmordenkmal (von Wagmüller, s. Tafel »Bildhauerkunst XVII«, Fig. 14), in Darmstadt 1877 eine Bronzebüste (von Bersch) und 1890 in Gießen ein Standbild (von Schaper) gesetzt. Sein Bildnis s. Tafel »Chemiker I«. Von Liebigs Schriften sind besonders hervorzuheben: »Anleitung zur Analyse organischer Körper« (Braunschw. 1837, 2. Aufl. 1853); »Über das Studium der Naturwissenschaft« (das. 1840); »Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie« (das. 1840, 9. Aufl. 1875; Bd. 1: »Der chemische Prozeß der Ernährung der Vegetabilien«; Bd. 2: »Die Naturgesetze des Feldbaues«); »Die Tierchemie, oder die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie« (das. 1842, 3. Aufl. 1847); »Handbuch der organischen Chemie, mit Rücksicht auf Pharmazie« (aus der von ihm besorgten letzten Ausgabe von Geigers »Handbuch«, Heidelb. 1843); »Bemerkungen über das Verhältnis der Tierchemie zur Tierphysiologie« (das. 1844); »Chemische Briefe« (das. 1844; 6. Aufl., Leipz. 1878); »Chemische Untersuchungen über das Fleisch und seine Zubereitung zum Nahrungsmittel« (Heidelb. 1847); »Über einige Ursachen der Säftebewegung im tierischen Organismus« (Braunschw. 1848); »Die Grundsätze der Agrikulturchemie, mit Rücksicht auf die in England angestellten Untersuchungen« (2. Aufl., das. 1855); »Herr Dr. Wolff und die Agrikulturchemie« (das. 1855); »Über Theorie und Praxis in der Landwirtschaft« (das. 1856); »Naturwissenschaftliche Briefe über die moderne Landwirtschaft« (das. 1859); »Suppe für Säuglinge« (3. Aufl., das. 1877); »Über Gärung, über Quelle der Muskelkraft und Ernährung« (Leipz. 1870); Über »Franz Bacon von Verulam und die Methode der Naturforschung« (Braunschw. 1863); »Induktion und Deduktion« (Münch. 1865); »Die Entwickelung der Ideen in der Naturwissenschaft« (das. 1866); »Reden und Abhandlungen« (Leipz. 1874). Mit Poggendorff und Wöhler und vielen andern Chemikern schrieb er das »Handwörterbuch der reinen und angewandten Chemie« (Braunschw. 1837–64, 9 Bde.; 2. Aufl., Bd. 1 u. 2, 1857–63), das seit 1871 in neuer Bearbeitung von Fehling, Hell u.a. als »Neues Handwörterbuch der Chemie« (seit Fehlings Tode redigiert von Hell und Häußermann) erscheint; mit Kopp begann er 1849 den »Jahresbericht über die Fortschritte der Chemie, Physik, Mineralogie und Geologie« (Gießen); auch gab er mit Geiger u.a. die »Annalen der Pharmazie« (Heidelb. 1832–39) heraus und als deren Fortsetzung mit Wöhler, später auch mit Kopp die »Annalen der Chemie und Pharmazie«. Mit seinem Sohn Georg (s. unten. L. 2) gab Liebigs Schwiegersohn, M. Carriere, »Reden und Abhandlungen von J. L.« (Leipz. 1874) heraus; auch veröffentlichte Georg v. L. mit Echtermayer den Briefwechsel seines Vaters mit Th. Reuning über landwirtschaftliche Fragen (Dresd. 1884). A. W. Hofmann gab heraus: »Aus Justus Liebigs und Friedr. Wöhlers Briefwechsel« (Braunschweig 1888, 2 Bde.), Carriere: »Berzelius und L., ihre Briefe von 1831–1845« (Münch. 1893), Kahlbaum u. Thon den Briefwechsel mit Schönbein (Leipz. 1900), Kahlbaum den Briefwechsel mit Friedr. Mohr (das. 1904). Vgl. Th. v. Bischoff, Über den Einfluß des Freiherrn v. L. auf die Entwickelung der Physiologie (Münch. 1874); Erlenmeyer, Über den Einfluß des Freiherrn v. L. auf die Entwickelung der reinen Chemie (das. 1874); Vogel, J. Freih. v. L. als Begründer der Agrikulturchemie (das. 1874); Kolbe, L. der Lehrer, Gelehrte und Reformator (in »Unsere Zeit«, Leipz. 1874); Hofmann, The lifework of L. in experimental and philosophic chemistry (Lond. 1876); Pohl, Justus v. L. und die landwirtschaftliche Lehre (Berl. 1885); Shenstone, J. von L., his life and work (Lond. 1895); Roth, J. v. L. ein Gedenkblatt (Stuttg. 1898); Gedächtnisschriften von A. Naumann (Braunschw. 1903), E. v. Meyer (Leipz. 1903), Bolhard u. Knapp (das. 1903); Kohut, Justus v. L., sein Leben und Wirken (Gießen 1904).

2) Georg, Freiherr von, Mediziner, Sohn des vorigen, geb. 17. Febr. 1827 in Gießen, gest. 31. Dez. 1903 in München, studierte in Gießen und Berlin, trat 1853 in den Dienst der Englisch-Ostindischen Kompanie in Bombay, wurde 1856 Professor am Hindu-College in Kalkutta, 1859 Bezirks- und Salinenarzt in Reichenhall, gab 1873 diese Stellung auf und ging seitdem nur noch im Sommer zur Ausübung der Praxis nach Reichenhall, während er im Winter in München lebte, wo er sich 1877 als Privatdozent für Klimatologie und Balneologie habilitierte. Er arbeitete namentlich über balneologische Fragen und über die Wirkung des erhöhten Luftdrucks und schrieb: »Reichenhall, sein Klima und seine Heilmittel« (6. Aufl., Reichenhall 1889); »Der Luftdruck in den pneumatischen Kammern und auf Höhen« (Braunschw. 1898).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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