Landwirtschaftliche Lehranstalten

Landwirtschaftliche Lehranstalten

Landwirtschaftliche Lehranstalten sind ein wesentliches und notwendiges Beförderungsmittel der Landwirtschaft. Man unterscheidet höhere, mittlere und niedere l. L. Die Hauptarten sind: 1) landwirtschaftliche Hochschulen, 2) landwirtschaftliche Mittelschulen (höhere landwirtschaftliche Lehranstalten), 3) Ackerbauschulen, 4) landwirtschaftliche Winterschulen, 5) landwirtschaftliche Fortbildungsschulen, 6) landwirtschaftliche Spezialschulen für einzelne Zweige: Haushaltung, Hopfenbau, Weinbau, Obstbau, Gemüsebau, Wiesenbau, Flachsbau, Brennerei etc. Nicht direkt für den Unterricht, aber doch auch für die Förderung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnis in landwirtschaftlichen Kreisen sind die Landwirtschaftlichen Versuchsstationen (s. d.) bestimmt. Die landwirtschaftlichen Hochschulen (Hochschulen für Bodenkultur, landwirtschaftliche Institute an den Universitäten und technischen Hochschulen, landwirtschaftliche Akademien) sind Unterrichtsanstalten, welche die höchste wissenschaftliche Ausbildung in der Landwirtschaft zu erteilen haben, und zwar für solche Personen, die sich für das Lehrfach an Mittel- und Ackerbauschulen ausbilden und Eigentümer, Pächter, Verwalter größerer Landgüter sind. Die allgemeine höhere Schulbildung und praktische Erlernung der Landwirtschaft genügen heute nicht mehr für die Ausbildung, die der landwirtschaftliche Beruf erfordert. Geboten ist außerdem eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung in der Landwirtschaftslehre, in den für die landwirtschaftliche Produktion wichtigen Naturwissenschaften, in der Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft, im Landwirtschaftsrecht. Wünschenswert ist ferner eine allgemeine wissenschaftliche Ausbildung. Eine solche Ausbildung kann nur auf besondern höhern Lehranstalten gewährt werden, die Universitätsinstitute oder doch mit Universitäten in Verbindung stehende Lehranstalten oder selbständige landwirtschaftliche Hochschulen sind. Die erste höhere landwirtschaftliche Lehranstalt gründete in Deutschland der Begründer des rationellen landwirtschaftlichen Betriebs, Albrecht Thaer. Schon im 18. Jahrh. gab es an fast allen deutschen Universitäten Lehrstühle für Landwirtschaft, aber die Landwirtschaftslehre war ein Zweig der Kameralwissenschaft, und der akademische Unterricht in ihr war nur für Kameralisten bestimmt. Als Thaer es unternahm, den landwirtschaftlichen Betrieb auf der Grundlage der neuern Forschungen in der Nationalökonomie und den Naturwissenschaften und der praktischen Erfahrungen rationell zu gestalten, fühlte er das Bedürfnis, den zahlreichen Schülern, die zu ihm nach Celle kamen, um seinen Wirtschaftsbetrieb kennen zu lernen, auch theoretischen Unterricht zu erteilen (1802). 1804 siedelte er nach Preußen über und gründete 1806 in Möglin (bei Wriezen, im Oderbruch) das landwirtschaftliche Institut, seit 1819 königliche akademische Lehranstalt des Landbaues, in dem nun ein systematischer Unterricht in der Landwirtschaftslehre und in den Naturwissenschaften erteilt wurde. Mit dem theoretischen Unterricht war zugleich der praktische auf dem Gut Möglin verbunden. Nach dem Vorbilde dieser Lehranstalt entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. eine Reihe andrer höherer landwirtschaftlicher Lehranstalten, gewöhnlich Akademien genannt: in Hohenheim (1818 durch Schwerz), Ungarisch-Altenburg (1818), Idstein (1818 durch Albrecht, 1834 nach Hofgeisberg bei Wiesbaden verlegt), Schleißheim (1822 durch Schönleutner, 1852 nach Weihenstephan verlegt), Jena (1826 durch F. G. Schulze), Tharandt (1829 durch Schweizer), Eldena (1835 durch F. G. Schulze), Regenwalde (1842 durch K. Sprengel), Proskau (1847), Poppelsdorf (1847), Weende bei Göttingen (1851), Waldau bei Königsberg (1858). Alle Anstalten waren mit einer größern rationell betriebenen Gutswirtschaft verbunden, der eigentliche Unterricht aber war ein theoretischer mit praktischen Demonstrationen. 1861 griff J. v. Liebig in einer Rede die isolierten Akademien an, ihr folgte ein heftiger Streit; aber die Ansicht Liebigs, den höhern landwirtschaftlichen Unterricht an die Universitäten zu verlegen, trug den Sieg davon. Fast alle isolierten Lehranstalten wurden aufgehoben: Möglin (1862), Waldau (1868), Tharandt (1869), Hofgeisberg (1871), Eldena (1877), Proskau (1880), bestehen blieben nur die landwirtschaftlichen Akademien Hohenheim, Poppelsdorf bei Bonn, Weihenstephan und Tetschen-Liebwerd. Dagegen wurden neu gegründet die Universitätsinstitute in Halle a. S. (1863), Leipzig (1869), Gießen (1871), Königsberg i. Pr. (1876), Kiel (1881), Breslau (1881), Rostock, die Institute in Jena und Weende, jetzt Göttingen, wurden Universitätsinstitute, in München wurde an der Technischen Hochschule (1874) und in Berlin ein besonderes landwirtschaftliches Institut in Verbindung mit der Universität (1881) errichtet. Seit 1872 in Wien die selbständige Hochschule für Bodenkultur mit vier Jahrgängen und 1874 in Berlin die landwirtschaftliche Hochschule errichtet wurden, entstanden damit den Universitätsinstituten in vieler Beziehung überlegene Konkurrenten. Zur Erprobung der erlangten wissenschaftlichen Ausbildung in der Land-, Forstwirtschaft oder Kulturtechnik werden in Wien Staatsprüfungen abgehalten und zwar eine allgemeine über begründende Disziplinen und zwei Fachprüfungen (Produktions- und Betriebsfachprüfung), außerdem strenge (Diploms-) Prüfungen und Befähigungsprüfungen für Kandidaten landwirtschaftlicher Lehrerstellen an Ackerbau-, mittlern landwirtschaftlichen, Waldbau-, mittlern forstwirtschaftlichen Schulen und das Lehramt des Obst- und Weinbaues und der Kellerwirtschaft.

Die landwirtschaftlichen Mittelschulen (Landwirtschaftsschulen) sind für künftige mittlere Landwirte bestimmt. Der Unterricht ist ein mehrjähriger; der theoretische erstreckt sich auf landwirtschaftliche und naturwissenschaftliche Disziplinen, zuweilen ist mit ihm auch noch ein praktischer Unterricht in der landwirtschaftlichen Technik verbunden. Die Landwirtschaftsschulen entstanden in Deutschland zuerst in größerer Zahl in den 1850er Jahren (1860 gab es 45) und befanden sich auf dem Land oder in Landstädten inmitten eines landwirtschaftlichen Betriebes. Der Leiter des letztern war auch Dirigent der Anstalt. Die meisten waren Privatunternehmungen, die aber vom Staat unterstützt und beaufsichtigt wurden. 1858 wurde in Hildesheim die erste Landwirtschaftsschule gegründet, an der nur theoretischer Unterricht, dieser aber gründlicher und umfassender erteilt wurde als in den theoretisch-praktischen landwirtschaftlichen Lehranstalten. Die Verbreitung rein theoretischer Landwirtschaftsschulen geschah anfangs nur langsam, seit dem Ende der 1860er Jahre vermehrten sie sich aber schneller, der Unterricht wurde umfangreicher und höher. In Preußen ist für die Landwirtschaftsschulen eine generelle Regelung (Reglements vom 10. Aug. 1875, 9. Mai 1877 und 15. Nov. 1892) erfolgt. Sie bilden eine Mittelstufe zwischen niedern Ackerbauschulen und landwirtschaftlichen Hochschulen und werden vom Staat subventioniert. Die Landwirtschaftsschule hat drei Klassen mit je einjährigem Kursus; zur Aufnahme in die untere ist die Reise für die Tertia eines Gymnasiums oder einer Realschule erster Ordnung vorgeschrieben. Der Unterricht erstreckt sich auf Religion, zwei fremde Sprachen, Geographie und Geschichte, Mathematik, Naturwissenschaften (wöchentlich 8–10 Stunden), Landwirtschaftslehre (wöchentlich 4–6 Stunden), Zeichnen, Turnen, Singen. Das Abiturientenzeugnis berechtigt zum einjährigen Militärdienst.

Zu den niedern Schulen gehören die Ackerbauschulen, die landwirtschaftlichen Winterschulen und landwirtschaftlichen Fortbildungsschulen, beide vorzugsweise für die niedere bäuerliche und landwirtschaftliche Arbeiterbevölkerung bestimmt und meist theoretische Lehranstalten. In jenen Schulen wird der Unterricht, der systematisch ist, nur im Winter erteilt, die Ausbildung dauert einen bis zwei Winter. Der landwirtschaftliche Unterricht wird von einem besondern Landwirtschaftslehrer, dem Vorsteher der Schule, erteilt, für die Elementar- und Realfächer werden andre Lehrer des Ortes in Anspruch genommen. Die landwirtschaftlichen Fortbildungsschulen haben den Zweck, den aus der Schule entlassenen Söhnen der kleinen ländlichen Grundbesitzer oder der ländlichen Arbeiter im Winter abends Gelegenheit zu bieten, sich in den Elementarfächern weiter fortzubilden und einige Kenntnisse in der Naturwissenschaft und in der Landwirtschaftslehre zu erwerben. Am verbreitetsten sind diese Schulen in Württemberg, nächstdem in Bayern und in der Rheinprovinz. Außer den bisher erwähnten landwirtschaftlichen Lehranstalten gibt es in Deutschland noch zahlreiche Spezialschulen, die lediglich die Ausbildung in bestimmten Zweigen des landwirtschaftlichen Betriebes bezwecken (s. oben, Nr. 6). Hierher gehören die höhern Gärtnerlehranstalten und pomologischen Institute in Potsdam, Proskau und Geisenheim, in Österreich Klosterneuburg, Eisgrub etc.; die Weinbauschulen (Winzerschulen), in Deutschland in Trier, Kaiserslautern, Oppenheim, Weinsberg und Karlsruhe, in Österreich in Klosterneuburg, Feldsberg, Krems, Retz, St. Michele in Tirol, in Marburg, Stauden (Krain) etc., zahlreiche landwirtschaftliche Wanderlehrer, Hufbeschlagschulen, Molkereischulen, Instruktoren, niedere Gärtnerlehranstalten, Garten- und Obstbauschulen, Baum-, Wiesenbau-, Forst- u. Waldbauschulen sowie verschiedene landwirtschaftlich technische Anstalten. Eine genaue Übersicht über die einzelnen in Deutschland vorhandenen landwirtschaftlichen Lehranstalten und Versuchsstationen gibt alljährlich der zweite Teil des »Landwirtschaftlichen Kalenders« von Mentzel u. Lengerke.

In Österreich existierten Ende März 1905: eine Hochschule (Wien), ein landwirtschaftliches Institut an der philosophischen Fakultät der Universität Krakau, 4 Lehrkanzeln für Landwirtschaft an den Technischen Hochschulen (Wien, Graz, Prag, Brünn), 5 höhere landwirtschaftliche Lehranstalten (Akademien: Mödling, Tetschen-Liebwerd, Tabor, höhere Lehranstalt für Brauindustrie in Wien und die k. k. höhere Lehranstalt für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg), 9 landwirtschaftliche Mittelschulen (Chrudim, Kaaden, Raudnitz-Hracholusk, Neutitschein, Prerau, Oberhermsdorf, Czernichow, Dublany, Czernowitz), 105 niedere Ackerbau- und Winterschulen, 12 Molkerei- und Haushaltungsschulen, 22 niedere Schulen für Garten-, Obst- und Weinbau, 4 für Brauerei und Brennerei, eine für Seidenraupenzucht (Görz). Zu diesen Schulen kommen in Ungarn die ungarische landwirtschaftliche Akademie Ungarisch-Altenburg, die Mittelschulen in Keszthely, Debreczin, Kolosz-Monostor, Kaschau und Kreuz und zahlreiche niedere Schulen. – In Frankreich besteht seit 1879 als einzige Anstalt für den hochschulmäßigen Unterricht (enseignement supérieur) das Institut national agronomique in Paris, das die Ablegung einer allgemeinen Schlußprüfung mit Diplomsverteilung obligatorisch macht. Den landwirtschaftlichen Mittelschulen entsprechen drei écoles nationales d'agriculture, den theoretisch-praktischen Ackerbauschulen die écoles pratiques d'agriculture; neben diesen Staatsanstalten bestehen noch ähnlich den niedern Ackerbauschulen private fermes-écoles auf musterhaft bewirtschafteten Landgütern. Belgien hat seit 1890 neu geregelt eine höhere Unterrichtsanstalt: Institut agricole d'enseignement supérieur in Gembloux mit dreijährigem Kursus und eine Anzahl Ackerbauschulen. In Italien besteht außer zahlreichen niedern Schulen die mit der Universität verbundene Lehranstalt in Pisa, die Scuola superiore di agricoltura in Mailand und Portici; in Rußland die landwirtschaftliche Akademie Petrowskaja bei Moskau und das land- und forstwirtschaftliche Institut in Neu-Alexandria. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika sind die daselbst bestehenden zahlreichen Agricultural colleges entweder mit »Universitäten« oder Ingenieurschulen verbunden und schreiben Unterrichtserteilung und Werkstättenarbeiten sowie planmäßig betriebene körperliche Übungen vor. Vgl. »Die landwirtschaftliche Hochschule zu Berlin« (Berl. 1881); »Statistik der landwirtschaftlichen und zweckverwandten Unterrichtsanstalten Preußens für die Jahre 1900, 1901 und 1902« (2. Ergänzungsband zu Thiels »Landwirtschaftlichen Jahrbüchern«, das. 1903); Kühn, Das Studium der Landwirtschaft an der Universität Halle (Halle 1888); Langsdorff, Organisation des landwirtschaftlichen Unterrichtswesens im Königreich Sachsen (Dresd. 1876); L. v. Stein, Die staatswissenschaftliche und die landwirtschaftliche Bildung (Bresl. 1880); Strauch, Didaktik und Methodik des Unterrichts an landwirtschaftlichen Schulen (Leipz. 1903); Havenstein, Beiträge zum landwirtschaftlichen Schul- und Genossenschaftswesen (Bonn 1904); »Die land- und forstwirtschaftlichen Lehranstalten Österreichs« (jährlich in der »Land- und forstwirtschaftlichen Unterrichtszeitung des k. k. Ackerbauministeriums«, auch im Sonderdruck); Zimmerauer, Die land- und forstwirtschaftlichen Schulen in Österreich (Wien 1900, in deutscher und französischer Sprache).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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