Kriegsrecht

Kriegsrecht

Kriegsrecht (Kriegsvölkerrecht, Jus belli, Droit de la guerre), im subjektiven Sinne das Recht zur Kriegführung, im objektiven Sinne die völkerrechtlichen Grundsätze, die während eines Krieges für die Kriegführenden untereinander wie gegenüber den neutralen Staaten gelten. In letzterm Sinne zerfällt das K. wieder in das ordentliche, Kriegsmanier, Kriegsgebrauch, Kriegssitte, und in das außerordentliche, Kriegsräson genannt. Ersteres umfaßt alle Normen des Kriegsrechts, die unter normalen Verhältnissen während eines Krieges zur Anwendung kommen, letzteres ist der Inbegriff der Maßregeln, die für außergewöhnliche Fälle und als Repressalien in Anwendung kommen, um den Zweck des Krieges zu erreichen. Derartige Kriegsgebräuche hat es zu allen Zeiten gegeben, verschieden je nach der Bildungsstufe der Völker, nach ihren wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnissen und vor allem nach der sittlichen Auffassung der Jahrhunderte. Eine festere Gestalt haben sie erst angenommen mit der Einführung stehender Heere. Es lag nahe, diese Kriegsgebräuche und vor allem die von allen Kulturstaaten in Kriegszeiten übereinstimmend befolgten auszubilden, zu erweitern und durch internationales Übereinkommen sie zu einem allgemein gültigen, alle Völker und Heere bindenden Gesetze zu erheben, mit andern Worten einen Codex belli, ein K., zu schaffen. Alle diese Versuche sind mehr oder minder gescheitert und werden diesem Schicksal zweifelsohne auch in Zukunft verfallen. Mit Recht sagt daher der Große Generalstab in seiner neuesten offiziellen Publikation über den »Kriegsbrauch im Landkrieg« (s. unten), daß unter K. nicht etwa eine durch internationale Verträge eingeführte lex scripta (geschriebenes Gesetz), sondern nur ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Übereinkommen, eine Schranke der Willkür zu verstehen ist, die Brauch und Herkommen, Menschenfreundlichkeit und berechnender Egoismus errichtet haben, für deren Beachtung aber ein äußerer Zwang nicht vorhanden, sondern nur die Furcht vor Repressalien ausschlaggebend ist. Gewisser Härten wird der Krieg nie entbehren können, die einzig wahre Humanität wird sogar vielfach in ihrer rücksichtslosen Anwendung liegen.

Als Quellen des Kriegsrechts kommen außer den Arbeiten einzelner Gelehrten und Vereinigungen, so insbes. das von Hugo Grotius in der ersten Hälfte des 17. Jahrh. veröffentlichte »Recht des Krieges und des Friedens«; Bluntschlis 1866 veröffentlichtes Werk »Das moderne K.« (s. unten) und das vom Institut de droit international 1880 einstimmig angenommene Handbuch des Kriegsrechts: »Les lois de la guerre sur terre«, vor allem die zwischen einzelnen Staaten rechtsverbindlich abgeschlossenen Verträge über die von ihnen während eines Krieges zu beobachtenden Grundsätze in Betracht. Hier sind zu nennen: 1) Die Pariser Deklaration vom 16. April 1856, welche die Kaperei abschaffte und das Seebeuterecht beschränkte; 2) die Genfer Konvention (s. d.) vom 22. Ang. 1864 und 3) die Petersburger Konvention vom 11. Dez. 1868, die vor allem die Verwendung von Explosivgeschossen aus Handfeuerwaffen untersagte; 4) die Haager Konventionen 1899 (s. Friedenskonferenz, S. 109). Für die einzelnen Staaten sind von besonderer Bedeutung die Vorschriften, die die oberste Militärgewalt bezüglich der Kriegführung für ihr Heer erläßt und die vielfach eine Kodifikation des Kriegsrechts enthalten. So ließ Präsident Lincoln 1863 durch Lieber die sogen. Amerikanischen KriegsartikelInstructions for the governement of armies of the United States in the field«) ausarbeiten und als Instruktion für das Heer verkünden. Deutschland hat die Grundsätze, die es während eines Krieges bez. des Kriegsgebrauches beobachten wird, in der bereits erwähnten Veröffentlichung seines Großen Generalstabs niedergelegt. Im einzelnen verbreitet es sich hier über die Kriegsgebräuche gegenüber der feindlichen Armee, wobei es feststellt, was zur feindlichen Armee zu rechnen, was als Mittel der Kriegführung zu betrachten, wie verwundete und erkrankte Soldaten zu behandeln, was bei dem Verkehr zwischen den kriegführenden Armeen durch Parlamentäre zu beobachten, wie Kundschafter, Spione, Deserteure, Überläufer und Zivilpersonen im Gefolge der Armee zu behandeln, wie das Zeichen der Genfer Konvention, das rote Kreuz im weißen Feld, zu verwenden, wie endlich die verschiedenen Arten von Kriegsverträgen (s. d.) abzuschließen sind. Ein zweiter Teil behandelt die Kriegsgebräuche gegenüber dem feindlichen Land und seiner Bewohner, indem es Grundsätze aufstellt über die Rechte und Pflichten der Bewohner des feindlichen Landes, deren Privateigentum, über das Beutemachen und Plündern, über die Zwangslieferungen und Kriegsschatzungen und endlich über die Verwaltung des besetzten feindlichen Gebietes. Den Schluß bilden die Grundsätze, die dem Kriegsgebrauch gegenüber den neutralen Staaten zugrunde gelegt werden. Deutschland hat in dieser offiziellen Veröffentlichung als oberste Richtschnur die Grundsätze allgemeiner Menschlichkeit soweit nur möglich berücksichtigt, jedoch mit Recht offen und ehrlich wie bereits auf der Haager Friedenskonferenz erklärt: Anwendbar ist jedes Kriegsmittel, ohne das der Zweck des Krieges nicht erreicht werden kann, verwerflich dagegen ist jeder Akt der Gewalt und Zerstörung, der durch den Kriegszweck nicht gefordert war. Hierbei ist der subjektiven Freiheit und Willensentscheidung der Vorgesetzten freie Hand gelassen, entscheiden sollen allein die Gebote der Religion und Ehre, der Zivilisation, die in der Armee lebende Tradition und der allgemeine Kriegsgebrauch. Eine weitere Bindung des Kommandierenden, ein weiteres Festlegen des einzelnen Staates ist unmöglich, da mit dem Wesen und Endziel eines Krieges unvereinbar. Vgl. außer den Lehrbüchern des Völkerrechts: »Les lois de la guerre sur terre. Manuel publié par l'Institut de droit international« (Brüssel 1880); Grotius, Drei Bücher über das Recht des Krieges und des Friedens (deutsch von Kirchmann, Berl. 1869–70, 2 Bde.); Bluntschli, Das moderne K. der zivilisierten Staaten (2. Aufl., Nördling. 1874); Gentile, Diritto di guerra (Livorno 1877); Twiß, Rights and duties of nations in time of war (3. Aufl., Lond. 1884); Nys, Le droit de la guerre et les précurseurs de Grotius (Brüssel 1883); Pillet, Les lois actuelles de la guerre (2. Aufl., Par. 1901); »Conférence internationale de la paix« (hrsg. vom holländischen Ministerium des Äußern 1899); Rougier, Les guerres civiles et le droit des gens (Par. 1902); Mérignhac, Les lois et coutumes de la guerre sur terre d'après le droit international moderne et les codifications de la conférence de la Haye de 1899 (das. 1903); »Kriegsbrauch im Landkrieg« (Heft 31 der »Kriegsgeschichtlichen Einzelschriften«, hrsg. vom Großen Generalstab, Berl. 1902).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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