Konstitution [2]

Konstitution [2]

Konstitution, in der Medizin gewöhnlich die einem Individuum eigentümliche Körperbeschaffenheit, namentlich in bezug auf die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und schädliche Einflüsse im allgemeinen. Man bezeichnet als eine gute K. eine solche, bei der alle Organe des Körpers mit gleicher gesunder Lebensenergie begabt sind, bei der alle Funktionen des Körpers ohne Störung und regelmäßig von statten gehen. Dadurch nun, daß bei vielen Individuen das Gleichgewicht der Körperverrichtungen gestört ist, indem eine der letztern schwächer oder stärker hervortritt, entsteht die Verschiedenheit der individuellen K. So unterscheidet man eine robuste oder kräftige, eine debile oder schwächliche, eine floride oder reizbare, eine torpide oder träge, dann auch eine lymphatische und nervöse K. und erkennt diese Formen schon am Körperbau, Blick, Gesichtsausdruck, an der Farbe und Beschaffenheit der Haut, an den Äußerungen der körperlichen, geistigen Tätigkeit etc. Dieser ältere Begriff der K. ist ein ziemlich verschwommener und verschiedenartige Dinge umfassender; die Wissenschaft, die sich gerade neuerdings wieder mehr dem konstitutionellen Faktor bei der Entstehung von Krankheiten zugewendet hat, muß ihn enger umgrenzen. Man kann als K. bezeichnen die dauernde individuelle Eigenart eines Organismus, die sich in der individuell verschiedenen Reaktion gegenüber äußern Einflüssen zu erkennen gibt. Sie kann erworben werden, namentlich in frühem Lebensalter, z. B. auch durch Schädlichkeiten, welche die Frucht im Mutterleib betreffen; wichtiger ist jedoch die Vererbung. Eine minderwertige K. ist häufig bei Nachkommen von Säufern, Syphilitischen und manchen andern chronisch Erkrankten. Man muß bei solchen erblich belasteten Individuen annehmen, daß die konstitutionelle Minderwertigkeit durch die Eigenschaften der elterlichen Keimzellen (des Samens und des Eies) übertragen werden. Die krankhafte K. ist keineswegs gleichbedeutend mit Krankheit, sie ist nur eine Vorbedingung, die bei gegebener Gelegenheit die Ausbildung einer bestimmten Krankheit begünstigt und deckt sich insofern teilweise mit der Disposition (s. Krankheit). Beispiele von Konstitutionsanomalien sind: die Bluterkrankheit (Hämophilie), eine vererbbare Anomalie der Blutbeschaffenheit und die Gefäße; die abnorme Durchlässigkeit des Nierengewebes für Eiweiß bei der physiologischen Albumínuríe, einer harmlosen Affektion; oder die individuell gesteigerte Empfänglichkeit einzelner Menschen gegen Gifte (Arsenik) oder sonst harmlose Arzneimittel (Antipyrin und ähnlichem). Eine besondere Stellung unter den Konstitutionsanomalien nehmen die vererbbaren zellularen Stoffwechselkrankheiten, die Gicht, Fettsucht und Zuckerharnruhr ein. Die an besondere im einzelnen unbekannte Anomalien des Zellenlebens gebundene ererbte Krankheitsanlage kann hier bei belasteten Individuen verborgen, latent bleiben oder durch mancherlei schädliche Einflüsse des Lebens zu schweren Stoffwechselstörungen führen. Diese drei vererbbaren Stoffwechselkrankheiten werden wegen ihrer konstitutionellen Grundlage ganz besonders als Konstitutionskrankheiten bezeichnet. Ob bei der individuellen Empfänglichkeit für Tuberkulose eine spezifische und vererbbare K. in Frage kommt, ist noch nicht sicher anerkannt, aber sehr wahrscheinlich. Es ist einleuchtend, daß die K. für den Verlauf vieler Krankheiten, auch solcher, die von konstitutionellen Faktoren ganz unabhängig sind, z. B. akuter Infektionskrankheiten, von großer Bedeutung ist, indem bei ungünstiger K. leichter ein übler Ausgang erfolgt. Wie die K. zustande kommt, ist noch wenig erforscht, jedenfalls ist dabei die Übertragung elterlicher Eigenschaften durch Vererbung besonders bedeutungsvoll, demnächst die Einwirkung dauernder äußerer Verhältnisse (Klima, Bodenbeschaffenheit etc.). Deshalb zeigt sich wie bei einzelnen Personen, auch bei Bevölkerungsgruppen, den Bewohnern eines kleinern oder größern Gebietes, zuweilen eine dauernde eigenartige Neigung zu bestimmten Erkrankungen (endemische K.), die daselbst gewissermaßen heimisch sind. Hier wirken Klima, Beschaffenheit des Bodens und des Trinkwassers, Einrichtungen des Ortes und des Hauses, Nahrung und Erwerbsweise, Sitten und Gebräuche bestimmend, ohne daß man imstande wäre, im einzelnen Falle die Ursachen mit Sicherheit anzugeben. Vgl. Liebermeister, Über die Ursachen der Volkskrankheiten (Basel 1865); Österlen, Die Seuchen. ihre Ursachen, Gesetze und Bekämpfung (Tübing. 1873); Beneke, Die anatomischen Grundlagen der Konstitutionsanomalien des Menschen (Marb. 1878); Hoffmann, Lehrbuch der Konstitutionskrankheiten (Stuttg. 1893); Martius, Pathogenese innerer Krankheiten (Wien 1900). – In der Chemie versteht man unter K. die eigenartige Gruppierung der Atome im Molekül einer chemischen Verbindung.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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