Kirchenverfassung

Kirchenverfassung

Kirchenverfassung, die rechtliche Organisation der Kirchengemeinschaft. Die frühesten Christengemeinden wurden untereinander nur durch ihre Glaubensgemeinschaft, durch das natürliche Übergewicht der Mutterkirchen und durch das Apostolat zusammengehalten. Die verfassungsrechtliche Entwickelung nimmt ihren Ausgang von dem Episkopenamt, dem ursprünglich neben dem Diakonat einzigen Gemeindeamt. Im 3. Jahrh. erheben sich über den Bischöfen die Erzbischöfe, je einer über einen Kreis von Bischöfen, der dadurch zusammengehalten wird, daß er am erzbischöflichen Sitz regelmäßige Synoden (s. d.) zu halten gewohnt ist. Nachdem sodann die Kirche vom Staat anerkannt worden war (s. Kirchenpolitik), wurde das römische Reich in noch größere kirchliche Sprengel eingeteilt, indem die Erzbischöfe zu Rom, Konstantinopel, Alexandria und Antiochia als Patriarchen den Erzbischöfen ihres Bezirks übergeordnet wurden. Die Patriarchate von Alexandria und Antiochia sind später durch den Islam der Sache nach beseitigt worden; die von Konstantinopel und Rom blieben, und jedes beanspruchte die Gesamtherrschaft (Primat) in der Kirche, wobei der römische Patriarch sich seit dem 5. Jahrh. auf seine Stellung als Nachfolger des Apostelfürsten Petrus berief. Da es keinem von beiden Patriarchen gelang, allgemeine Anerkennung zu gewinnen, so trennten sich die griechische und die römische Kirche. In der griechischen behauptet der konstantinopolitanische Patriarch noch heute einen Rest seines Einflusses, nur daß er für Rußland durch ein oberstes, vom Kaiser ernanntes Regierungskollegium (heiliger Synod) ersetzt ist. In der römischen Kirche trat frühzeitig das Bestreben hervor, die päpstliche Machtentfaltung zu begünstigen, und den Schwerpunkt der K. in den Papst zu verlegen, so daß Erzbischöfe und Bischöfe allmählich zu päpstlichen Bevollmächtigten herabsanken. Diesem seit Papst Gregor VII. durchgeführten sogen. Kurial- oder Papalsystem trat zwar seit dem 14. Jahrh. eine Ansicht entgegen, die der Gesamtheit der Erzbischöfe und Bischöfe (dem Generalkonzilium) die oberste Regierungsgewalt in der Kirche zuschrieb und den Papst bloß als vorsitzenden Beamten dieser Aristokratie anerkennen wollte (sogen. Episkopalsystem), allein das Vatikanische Konzil 1869 hat diesen alten Streit zwischen Papal- und Episkopalsystem endgültig zugunsten des erstern entschieden. – In den protestantischen Territorien brachte die Reformation die Kirchengewalt an die Landesherren, die sie fortan lediglich als Bestandteil der Staatsgewalt ausübten (Territorialsystem). Die Aussicht über die Kirche des Landes (das Kirchenregiment) ließ jetzt der Landesherr durch kollegialisch verfaßte, aus Theologen und Juristen gemischte Behörden, Konsistorien, und unter ihnen durch von ihm angestellte Superintendenten verwalten (sogen. Konsistorialverfassung). Wo das Kirchenregiment solchergestalt von der Landesherrschaft nicht übernommen werden konnte, weil sie, wie z. B. in Frankreich, der Reformation, ohne sie doch unterdrücken zu können, feindlich gegenüberstand, da gestaltete sich die evangelische K. als Verein; in Frankreich speziell unter dem Einfluß der Calvinschen Idee: die Einrichtung, daß die Einzelgemeinde von einem Ältestenkollegium (Presbyterium, consistoire) regiert werde, gehöre zur göttlich vorgeschriebenen Kirchenform. So formierte Einzelgemeinden schlossen sich dann zu größern Kreisen zusammen, die sich durch Synoden, aus geistlichen und weltlichen Abgeordneten der Presbyterien zusammengesetzt, gemeinschaftlich regierten. Diese Gestalt der evangelischen K., die von Belgien und Holland her zur Zeit der Albaschen Verfolgung auch an den Niederrhein verpflanzt wurde, wird von ihren zwei Hauptelementen die presbyterial-synodale genannt (Presbyterial-Synodalverfassung). Sie hat sich in Deutschland weiter ausgebreitet, seitdem durch die Entwickelung der staatlichen Toleranz das Landeskirchentum zurücktritt, erscheint hier aber gewöhnlich in der Art, daß Presbyterien und Synoden nur neben beibehaltenen Konsistorien und Superintendenturen eingerichtet werden (sogen. gemischte K.). S. Kirche. Vgl. Friedberg, Die geltenden Verfassungsgesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen (mit 3 Ergänzungsbänden, Freiburg 1885–92), Das geltende Verfassungsrecht der evangelischen Landeskirchen (Leipz. 1888) und Lehrbuch des Kirchenrechts (5. Aufl., das. 1903); Sohm, Kirchenrecht, Bd. 1: Die geschichtlichen Grundlagen (das. 1892).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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