Kestner

Kestner

Kestner, 1) Johann Christian, bekannt durch seine Beziehungen zu Goethe, geb. 28. Aug. 1741 in Hannover, gest. 24. Mai 1800 in Lüneburg, Sohn eines Beamten, studierte 1762–65 in Göttingen die Rechte und wurde im Mai 1767 als Sekretär des außerordentlichen Gesandten am Reichskammergericht J. Ph. K. Falcke nach Wetzlar berufen. Hier lernte er Charlotte Buff (s. d. 1) kennen, mit der er sich 4. April 1773 vermählte. Noch in demselben Jahr kehrte K. in seine Vaterstadt zurück, wo er eine Anstellung als Archivsekretär fand und 1784 zum Rat, später zum Hofrat befördert wurde. Ein Mann von guter Durchschnittsbegabung und von gewissenhaftem und wackerm Charakter, ist K. durchaus nicht das Vorbild zum Albert in Goethes »Werther«. Vgl. das von seinem Sohn August K. (s. unten) herausgegebene Werk »Goethe und Werther. Briefe Goethes, meist aus seiner Jugendzeit« (Stuttg. 1854, 2. Aufl. 1855); Herbst, Goethe in Wetzlar (Gotha 1881); E. Wolff, Blätter aus dem Werther-Kreis (Bresl. 1894).

2) Georg August, Sohn des vorigen, Diplomat und Kunstförderer, geb. 28. Nov. 1777 in Hannover, gest. 5. März 1853 in Rom, studierte in Göttingen Rechtswissenschaft, hörte daneben aber auch die kunstgeschichtlichen Vorlesungen von Fiorillo und wurde nach Beendigung seiner Studien Hofgerichtsauditor und 1803 Geheimer Kanzleisekretär. Nachdem Hannover 1810 an das Königreich Westfalen gekommen war, schied K. aus dem Staatsdienst. Vorher (vom Sommer 1808 bis Herbst 1809) hatte er sich in Italien aufgehalten, wo er mit Thorwaldsen, Koch, den Riepenhausen und andern Künstlern in nähern Verkehr getreten war. Nach mehreren Versuchen, andre Berufe zu ergreifen, ließ sich K. in Linden bei Hannover als Notar nieder. Bei dem Ausbruch des Krieges gegen Napoleon nahm er im Beaulieuschen Korps am Feldzuge teil, und als nach eingetretenem Frieden die alten Verhältnisse in Hannover wiederhergestellt wurden, trat er in den Staatsdienst zurück. Im Frühjahr 1817 wurde er mit einer hannoverschen Gesandtschaft, die mit der päpstlichen Regierung über die Verhältnisse der katholischen Kirche in Hannover verhandeln sollte, als Legationssekretär nach Rom geschickt. Nach Beendigung dieser Verhandlungen, die sieben Jahre dauerten, wurde K. anfangs hannoverscher Geschäftsträger, später Ministerresident, der als solcher auch die englischen Interessen wahrzunehmen hatte, da England bei der päpstlichen Regierung nicht diplomatisch vertreten war. In Rom knüpfte er bald nähere Beziehungen zu Cornelius, Overbeck und den übrigen neudeutschen Malern an, die er gegen Goethes Angriffe in »Kunst und Altertum« in der Schrift »Über die Nachahmung in der Malerei« (Frankf. a. M. 1818) verteidigte. Fortan nahm er sich aller in Rom weilenden deutschen Künstler mit Wärme an und förderte ihre Interessen. Durch den ihm befreundeten Baron v. Stackelberg wurde er auch dem Studium des klassischen Altertums zugeführt, und als praktisches Ergebnis erwuchs daraus das deutsche Archäologische Institut, das er unter dem Protektorate des preußischen Kronprinzen 1829 in Gemeinschaft mit Bunsen, Gerhard, Thorwaldsen, Panofka u. a. gründete (vgl. Archäologische Institute). Nach Bunsens Fortgang von Rom (1838) wurde er Vorsitzender des Instituts. Auch nach Aufhebung des Ministerresidentenpostens blieb K. in Rom. Außer verschiedenen Aufsätzen in Zeitschriften veröffentlichte er noch: »Abhandlung über die Frage: Wem gehört die Kunst?« (Berl. 1830); »Overbecks Werk und Wort« (Frankf. a. M. 1841); »Römische Studien« (Berl. 1850). Nach seinem Tod erschien: »Goethe und Werther« (s. oben: Kestner 1). Vgl. H. Kestner-Köchlin, Briefwechsel zwischen August K. und seiner Schwester Charlotte (Straßb. 1904). Die von ihm in Rom gesammelten Kunstwerke (römische Altertümer, Gemälde u. dgl.) erbte sein Neffe Hermann K. (gest. 1890 in Hannover), der damit das Kestnermuseum in Hannover gründete.

3) Charles, Industrieller, geb. 30. Juni 1803 in Straßburg als Enkel von K. 1), gest. 12. Aug. 1870, studierte in Göttingen Chemie, trat dann in die von seinem Vater 1816 zu Thann gegründete chemische Fabrik und wurde nach dessen Tod 1846 alleiniger Inhaber der Fabrik, die er mit seinen Schwiegersöhnen, besonders dem Chemiker und französischen Senator Scheurer-K., leitete. K. hat die chemische Großindustrie im Elsaß begründet. Er führte die Fabrikation der Schwefelsäure nebst allen Nebenfabrikationszweigen in großartigem Maßstab ein und lieferte alle für die elsässische Färberei und Zeugdruckerei erforderlichen Chemikalien, besonders Zinnverbindungen und Weinsäure. Die Darstellung der letztern gab Veranlassung zur Entdeckung der Traubensäure. K. fabrizierte ferner viele Farbstoffe und Destillationsprodukte des Holzes. Auch zeigte er wahrhaft väterliche Sorge für das Wohl der Arbeiter. K. war 1848 Mitglied der Konstituante, 1850 der Legislative. Bei Gelegenheit des Staatsstreichs wurde K. in Mazas eingekerkert und dann verbannt, nach einiger Zeit aber begnadigt. Vgl. Eggers, Die K., eine genealogische Skizze (Brem. 1882, Nachtrag 1905).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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