Jura [4]

Jura [4]

Jura, zentraleuropäisches Gebirgssystem, das von den Alpen durch die schweizerisch-schwäbische Hochebene getrennt ist. Es erstreckt sich von Voiron nordwestlich von Grenoble in Frankreich auf etwa 700 km durch den Westen und Nordwesten der Schweiz über Schwaben und Bayern bis zum Fichtelgebirge. In dieser Ausdehnung ist der J. mehr ein geognostischer als orographisch einheitlicher Begriff. Denn wenn auch in dem weithin sich erstreckenden Gürtel dieselben Abteilungen der Juraformation herrschen, so ist doch in den beiden Strecken, in die man den J. einteilt, der Gebirgsbau wesentlich verschieden. In der Tat ist auch erst nach der Erkenntnis der Identität der geologischen Formationsglieder der Name J. auf diejenigen Gebirgsstrecken ausgedehnt worden, die nordöstlich vom Rheinwinkel (bei Basel) sich erstrecken.

Der J. zerfällt in zwei Hauptteile: 1) den französisch-schweizerischen J. (Mons Jurassus, vom keltischen Jor oder Joria = Wald) oder J. im engern und eigentlichen Sinn, ein Faltengebirge, das sich als nördliche und nordwestliche Abzweigung der Westalpen von Grenoble bis zur Lägern bei Zürich und in einer schmalen Zone von Tafelbergen bis zum Rhein bei Basel und Schaffhausen hinzieht; 2) den deutschen oder schwäbisch-fränkischen J. (s. unten, S. 383), der sich als Tafeljura vom Randen (Kanton Schaffhausen) bis zum Fichtelgebirge erstreckt.

Der französisch-schweizerische Jura (s. Karte »Schweiz« und die »Geologische Karte der Alpen«) umfaßt ein vorherrschend aus Kalkstein bestehendes Gebiet, das im W. und N. etwa begrenzt wird durch die Orte Lons-le-Saunier, Dôle (Burgund), Montbéliard, Basel und Schaffhausen (Randen). Tektonisch zerfällt es wie der ganze J. in zwei scharf getrennte Teile: 1) den Ketten- oder Faltenjura, ein von Voiron bei Grenoble über Neuenburg zur Lägern (s. d.) bei Zürich hinziehendes, steileres, etwa 360 km langes und gegen das schweizerische Mittelland konkaves, nach NW. und N. über Lons-le-Saunier-Besançon, den Blauen und Hauenstein bei Basel hin konvexes Gebirge; 2) den Tafeljura oder Plateaujura, außerhalb dieses konvexen Bogens gegen die Saône, im Baselland, Aargau und dem Randen (Schaffhausen) aus Tafelbergen bestehend.

Geologisches. Die Hauptmasse des Faltenjura, von dem hier allein die Rede ist, bilden die Glieder der Juraformation, Kalke, Mergel von Lias, Dogger und Malm; nur in den Nordketten und im äußersten Westen (Besançon, Salins) tritt insular die tiefere Trias mit Gips und Steinsalz führendem Keuper und Muschelkalk auf. Unter dem reich entwickelten obern oder weißen J. (Malm) lagern vom Bielersee nach W. Neokom, Urgon und Gault. Jüngere Kreide und Nummulitengesteine fehlen überall. Dagegen finden sich durch das ganze Gebirge als lokale Verwitterungsprodukte alttertiäre Bohnerze, ferner mitteltertiäre Meeres- und Süßwasserablagerungen als Teile der großen Molassedecke des schweizerischen Mittellandes. Darüber breiten sich, besonders in den Tälern, vorherrschend alpine erratische Schuttmassen der Eiszeiten aus, in Höhen von mehr als 1000 m nebst Ablagerungen lokaler Juragletscher.

Da die Molasse die Muldentäler konkordant erfüllt, muß die Faltung postmiocän sein, und weil die ältesten Ablagerungen der Gletscherzeit (Deckenschotter) diskordant auf den Falten ruhen (vgl. Lägern), präglazial, d. h. im Pliocän, stattgefunden haben. Noch läßt das junge Faltengebirge deutlich eine Scharung von Mulden (Synklinalen) und Gewölben (Antiklinalen) erkennen, von welch letztern tektonisch zwischen Biel und Delle etwa 20 nachweisbar sind. Die Zahl der orographischen Ketten ist eine größere, weil viele Gewölbe zerrissen, in Antiklinaltäler und Kämme zerlegt worden sind. Im N., an der Grenze gegen den Tafeljura, etwa vom Paßwang (1207 m) südlich von Basel bis zur Lagern, stauten sich die Falten. Es kam zu Überschiebungen, zur Schuppenstruktur, die in zahlreichen Pultbergen zum Ausdruck kommt. Ein altes Antlitz zeigen die Freiberge (Franches-Montagnes) im Berner und Neuenburger J., eine durch Alpenflüsse präglazial zugehobelte Rumpfebene (Peneplain); später hob sich der ganze Südostrand des Kettenjura zu den höchsten Erhebungen, die der J. aufweist.

Wie alle Kalkgebirge zeigt der J. eine ausgiebige unterirdische Entwässerung. Das Wasser versiegt in zahlreichen Spalten und Löchern (Entonnoirs, Emposieux, Fondrières), weitet Höhlen (grottes, baumes) aus, veranlaßt die Bildung von Dolinen (z. T. mit Seen, z. B. Lac de Taillères im Kanton Neuenburg) und tritt in Stromquellen (Sources vauclusiennes) zutage, wie die Aubonne, Venoge, Orbe, Doux, Loue, Serrières etc. Die Zahl der Bäche und Flüsse ist daher klein, z. B. Doubs, Ain, Loue, Areuse, Birs. Im Gegensatz zu den tektonisch und uniform angelegten, meist blinden Muldentälern, von denen einzelne relativ breit (Delémont, Val de Ruz), andre hoch gelegen sind (La Brévine, La Chaux-de-Fonds, Les Ponts, Jouxtal 1000 m), haben die oberirdischen Gewässer epigenetische und offenbar antezedente Täler herausgeschnitten, woraus sich die Bildung der bisweilen fast kraterförmigen Quertäler oder Clusen (z. B. Court-Moutier längs der Birs, Underverlier, St.-Sulpice u. a.) erklärt. Flankentälchen werden von Ruz durchflossen, und kleine Isoklinaltäler heißen heute noch im provenzalischen Dialekt Combes.

Der südliche oder französisch-waadtländische J. enthält neben den niedrigsten südlichen Anfängen die höchsten Gipfelhöhen (Crêt de la Neige 1723 m, Mont Tendre in der Waadt 1680 m, Dôle 1678 m), weist aber den einfachsten Gebirgsbau und die ausgedehntesten Ketten und Längstäler (Jouxtal) auf. Im Kanton Neuenburg und in der Franche-Comté besitzt der J. seine größte Breite und Massenerhebung, während seine Gipfelhöhen um etwa 100 m hinter den südlichen zurückbleiben. Der Mont Chasseron erhebt sich zu 1611 m, die Tête de Rang zu 1423, der Chasseral oder Gestler zu 1609 m. Es liegen Môtiers im Val Travers 740, Le Locle 925, La Chaux-de-Fonds sogar 992 m hoch, während der Paß von Les Loges, zwischen diesem Ort und Neuenburg, 1286 m Höhe erreicht. Im nördlichen Teil, dem Berner, Baseler und Aargauer J., sind die Höhen immer noch bedeutend, darunter berühmte Aussichtspunkte: der Kurort Weißenstein (1284 m), die Hasenmatt (1449), die Röthifluh (1398 m), die Gislifluh (774 m). Es ist dies der verwickeltste und am tiefsten aufgerissene Teil des J. Der Gebirgsbau des J. macht ihn zu einer mächtigen Schutzmauer gegen sein westliches Nachbarland: die wenigen das Gebirge überschreitenden Straßen führen alle durch leicht zu verteidigende Felsengen (Cluses). Die Cluses von Balsthal, Moutier und die Pierre Pertuis verteidigen die Zugänge von N. und NW., die über Basel und Porrentruy in die innere Schweiz führen; durch die von Vuiteboeuf führt der Weg aus Burgund nach Grandson. Das Fort Les Rousses, das drei Straßen aus Burgund nach der Schweiz beherrscht, die durch das Jouxtal, die über den Paß von St.-Cergues nach Nyon und die durch das Dappental nach Genf führende, ist in französischen Händen, ebenso der durch das Fort L'Ecluse verteidigte Zugang auf der Lyon-Genfer Straße. Mehrere Eisenbahnen überschreiten jetzt den J.: im Paß von Jougne, im Val de Travers, Val aux Loges und im Mont Sagne, in der Pierre Pertuis, Solothurn-Weißenstein-Rausschlucht-Münster, in den Pässen von La Croix und Glovelier, im untern Hauenstein und im Bözberg sowie am Rhein entlang. Längs seines ganzen Ostfußes führt eine Eisenbahn nach Genf.

Klimatisch kann man folgende Höhenregionen unterscheiden: 1) Zone des Acker- und Weinbaues (mit Nußbäumen, Buchsbaum, vereinzelt echten Kastanien) in 400–500 m Höhe; 2) Buchenzone, 450–900 m hoch; 3) Bergregion oder Zone des Tannenwaldes, 700 (900)-1300 m hoch, enthält unten vorherrschend Weißtanne, oben Rottanne, mit zahlreichen Torfmooren in den Synklinalen, und Weiden; 4) von 1300 m die oberste oder subalpine Region mit Baumgrenze in etwa 1400 m, zahlreichen »Sennbergen« und einer subalpinen bis alpinen Flora (Edelweiß an der Dôle). In den Hochtälern (900–1000 m) mit großen Schneemassen, spätem Frühling, kühlen Sommertagen und sonnenreichen Wintern, in denen das Thermometer bis -40° fällt, werden noch Roggen, Hafer, Gerste, Kartoffeln und etwas Gemüse gepflanzt. Die Kargheit des Bodens und Ungunst des Klimas über der Ackerbauzone bedingte eine relativ geringe Siedelung und Armut der Bevölkerung, die im schweizerischen Anteil im NO. Deutsch, im übrigen großen Teil Französisch spricht und mit Ausnahme des Gebietes des ehemaligen Bistums Basel verherrschend zur reformierten Kirche gehört.

Die einst weitverbreitete Eisenindustrie hat fremder Konkurrenz weichen müssen, und nur wenige Eisenwerke verhütten noch das tertiäre Bohnerz des J. in der Schweiz, so im Birstal (s. Delémont). Von Salinen sind nur am Westfuß in Frankreich die alten von Salins und Lons-le-Saunier und die schweizerischen »Rheinsalinen« (s. Rheinfelden und Schweizerhalle) zu bemerken. Im Val Travers und zu Seyssel (an der Rhone) gibt es Asphaltgruben. Unter den Industriezweigen ist vor allem die Fabrikation von Uhren und Spieldosen ausgedehnt, mit Zentren in La Chaux-de-Fonds, Le Locle, Ste.-Croix, Moutier, Biel. Vgl. Thurmann, Esquisses orographiques de la chaîne du J., Teil 1: Porrentruy (Bern 1852); »Livret-guide géologique dans le J. et les Alpes de la Suisse« (Internationaler geologischer Kongreß, Lausanne 1894).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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