Jesus Christus

Jesus Christus

Jesus Christus, der Stifter der christlichen Religion. Der Doppelname beruht auf einer erstmalig bei Paulus begegnenden Kombination des Personennamens (Jeschua, später verkürzte Form für Jehoschua, Josua, »Gott hilft«) mit dem Amtsnamen Christus (d. i. Messias). Die Kombination selbst aber beruht auf dem Urteil, das das älteste Bekenntnis der christlichen Gemeinde darstellt: »Jesus ist der Christus«, d. h. in dieser bestimmten Persönlichkeit haben sich die messianischen Weissagungen und Hoffnungen erfüllt. Diese Idee vom Messias (s. d.) ist das ausschließliche Eigentum und Erbe des jüdischen Volkes gewesen. Während die Mythologie andrer Völker die sozialen und politischen Ideale in Gestalt eines goldenen Zeitalters an den Anfang der Geschichte verlegt, überträgt der monotheistische Gottesglaube Israels dieselben in die letzte Zukunft, von der Vergangenheit nur das Kolorit entlehnend. Ein neuer David, der die vom alten Nationalhelden ins Werk gesetzte Herrschaft des auserwählten Volkes über die Völker der Erde vollenden sollte, wurde in demselben Maße mit glühender Sehnsucht erhofft, wie die äußern Verhältnisse des jüdischen Staates immer ärmlicher und kläglicher, der Abstand zwischen dem, was die Vergangenheit versprochen, und dem, was die Gegenwart gehalten hatte, immer weiter und trostloser wurde. Seit den Tagen des Exils hatte das jüdische Volk nacheinander persische, ägyptisch-ptolemäische und syrisch-seleukidische Knechtschaft gekostet, und der hasmonäischnationalen Herrschaft war rasch das Zwangsregiment der idumäischen Herodesdynastie gefolgt, die selbst wieder von der Gnade der Römer lebte. Noch in die letzte Zeit ihres Begründers verlegt die Sage der Christengemeinde die Geburt ihres Stifters (Matth. 2,1 ff.; Luk. 1,5). Das Geburtsjahr Jesu differiert somit um etwa 6 Jahre von dem Jahre 753 der Stadt Rom = 1 v. Chr., in dessen Dezember man herkömmlicherweise die Geburt verlegt. Die zwei Formen der Geburtsgeschichte, wie sie in den beiden ersten Kapiteln der nach Matthäus und nach Lukas genannten Evangelien vorliegen, schließen sich gegenseitig in allen Stücken aus, mit Ausnahme zweier Punkte, auf denen das dogmatische Interesse, das beiden gemeinsam zugrunde liegt, durchschlägt. Während nämlich Jesus aus dem galiläischen Städtchen Nazareth oder Nazara stammte (Matth. 13,54–57; 21,11), daher er auch im Leben wie im Tod immer »Jesus von Nazareth« heißt, wie er als bloßer Einwanderer nicht hätte heißen können, mußte er wegen des Micha 5,1 (vgl. Matth. 2,5) vorfindlichen Kennzeichens der Messianität aus der Davidsstadt Bethlehem in Judäa sein. Um nun aber zu zeigen, daß er hier geboren sei, läßt die Geburtssage bei Matthäus seine Familie hier von alters her wohnen und erst vor den Heroväern nach Galiläa flüchten, während Lukas zwar von der richtigen Voraussetzung ausgeht, die Eltern Jesu hätten in Nazareth gewohnt, dieselben aber vermöge eines äußerst künstlichen Apparats, wobei die Geburt Jesu um etwa 12 Jahre verspätet wird, vorübergehend und gerade so lange nach Bethlehem versetzt, als nötig war, um das Jesuskind dort geboren werden zu lassen. Der zweite Punkt der Übereinstimmung betrifft die sogen. vaterlose Erzeugung, die jungfräuliche Geburt Jesu. Während die beiden Geschlechtsregister (Matth. 1,1–17; Luk. 3,23–38) ursprünglich auf der Voraussetzung der Vaterschaft des Joseph beruhen, während Matthäus unbefangen von Jesu Vater, Mutter, Brüdern, Schwestern (12,46; 13,55. 56), Lukas von seinen Eltern redet (2,27. 33. 41. 43. 48), während Markus überhaupt von einer Geburtsgeschichte schweigt, Jesu Mutter und Brüder aber als auf die besondere Rolle, die er später aufnimmt, auch nicht im geringsten vorbereitet darstellt (3,21. 31), wird Matth. 1,18–25 die vaterlose Erzeugung in legendarischer Form eingeführt und findet sich Luk. 1,35 eine förmliche Theorie der Gottessohnschaft Jesu, wie sie nur in heidnisch-christlichen Kreisen um sich greifen konnte. Innerhalb des Judentums nämlich hieß zunächst Israel als auserwähltes Volk der Sohn Gottes (2. Mos. 4,23; Jer. 31,9). Wie nun aber der Messias persönlich dasjenige ist, was das ganze Volk sein sollte, so heißt auch er, mit Bezug auf Psalm 2,7, »Sohn Gottes«, und in diesem messianischen Sinn ist die Bezeichnung immer gefaßt, wo sie bei Matthäus und Markus Jesu dargeboten wird. Die griechisch-römische Welt dagegen wußte von Gottessöhnen in handgreiflicherm Sinne; sie fand solche nicht bloß in den Heroen des Mythus, sondern sogar in geschichtlichen Persönlichkeiten, wie Pythagoras, Platon, Alexander, Augustus. Das Christentum hat derartigen Vorstellungen immerhin die grobsinnlichen Elemente abgestreift, daher die Gotteskraft des Heiligen Geistes (s. Heiliger Geist) als Vermittelung der Zeugung aufgefaßt.

Dieselbe idealisierende mythische Bearbeitung und Darstellung des Lebens Jesu, die solchergestalt in den beiden Geburtsgeschichten obwaltet, beeinflußt übrigens bis zu einem gewissen Grad auch diejenigen Teile der Lebensgeschichte Jesu, deren irdische Wirklichkeit noch durch die Hülle einer von alttestamentlichen Erinnerungen und messianischer Dogmatik bedingten, halb poetischen Darstellungsform deutlichst zu erkennen ist. Zugestandenermaßen stehen der geschichtlichen Wirklichkeit am nächsten die Evangelien des Markus und des Matthäus, so daß sich die neuern kritischen Darstellungen des Lebens Jesu in der Regel nur durch ein Übergewicht der Bevorzugung, die dem einen oder dem andern der beiden genannten Evangelisten zuteil wird, unterscheiden. Noch größere Übereinstimmung herrscht in einer von theologischem Vorurteil und dogmatisch-apologetischer Tendenz emanzipierten Wissenschaft hinsichtlich des dritten und des vierten, d. h. der spätern Evangelien. Dasjenige des Lukas hält sich zwar noch im allgemeinen an den überkommenen Stoff, behandelt ihn aber im einzelnen schon vom Standpunkt einer »gesteigerten« Vorstellung von der Gottessohnschaft, während das vierte, nach Johannes genannte Werk gleich mit der Spekulation über das übersinnliche, göttliche Wesen Jesu beginnt, von vornherein weniger Geschichte als Theologie in Aussicht stellt und den ganzen Rahmen der ältern Form der Berichterstattung auf allen Punkten durchbricht (s. Evangelium). So ist es z. B. erst Folge dieser Johanneischen Umgestaltung und Erneuerung, wenn die Zeitdauer der öffentlichen Wirksamkeit Jesu auf etwas mehr oder weniger als drei Jahre ausgedehnt erscheint. So lange hätte er sich, zumal als erklärter Messias, der Hochflut der hierarchisch-pharisäischen Opposition und der rücksichtslosen Praxis der römischen Polizei gegenüber schwerlich halten können. Dem ältern (synoptischen) Bericht zufolge hat Jesus die messianische Fahne erst am Tage seines Einzugs in Jerusalem offen und vor allem Volk entfaltet, um sie etwa eine Woche über aufrecht zu halten, während seine öffentliche Wirksamkeit denselben Quellen zufolge etwa von einer Osterzeit zur andern reichte. Bezüglich der Chronologie schwanken die neuern Forschungen innerhalb des Zeitraums von 29 an bis 33, ja 35. Beachtenswert bleibt jedenfalls die schon in der Mitte des 2. Jahrh. nachweisbare und dann, trotz der glänzenden Autorität des vierten Evangeliums, noch lange festgehaltene Überlieferung, wonach Jesus ein volles Jahr oder auch ein Jahr und etliche Monate öffentlich gewirkt hätte.

Auch die äußern Umrisse dieses öffentlichen Auftretens lassen sich auf Grund der angedeuteten Quellenverhältnisse noch einigermaßen feststellen und fast bestimmter noch das geistige Bild, in dem sich die alttestamentliche und jüdische Messiasidee auf dem Grunde des religiösen und sittlichen Bewußtseins Jesu abzeichnete. Charakteristisch ist gleich der Anfang und Anlaß der öffentlichen Laufbahn. Die Stimme, die ihn aus der Stille und Zurückgezogenheit des bis in sein gereiftes Mannesalter zu Nazareth geübten Bauhandwerks (Mark. 6,3) auf den öffentlichen Schauplatz rief, war »die Stimme eines Predigers in der Wüste«, es war die gewaltige Bewegung, die ein Mann hervorgerufen hatte, der sich bewußt war, unmittelbar an der Schwelle des messianischen Zeitalters zu stehen, der aber für das Eintreten desselben nur Vorbedingungen rein sittlicher Art kannte. Dies war der Buß prediger Johannes der Täufer (s. d.). Was man auch bezüglich der Einflüsse, die, sei es von essäischer, sei es von pharisäischer Seite her, auf Jesus erfolgt wären, vermutet hat, mit Sicherheit läßt sich, abgesehen von den Bildungselementen, die dem heranwachsenden Sohne Nazareths der Verkehr mit den Lehrern der Synagoge und die eigne selbständige Lektüre des Alten Testaments lieferten, nur noch reden von dem tiefgehenden, lange nachwirkenden Eindruck, den die Gestalt des Wüstenpredigers auf ihn gemacht hat, der da kein Rohr war, im Wind hin und her bewegt, kein Mann in weichen Kleidern, wie sie in den Häusern der Könige eine entsprechende Moral predigen, aber ein Prophet und mehr als ein Prophet (Matth. 11,7–14). Und doch wußte sich Jesus in dem Moment, als er dieses Wort über den Täufer gesprochen hat, auch schon innerlich von ihm geschieden. Zwar gehörte auch er zu den Zahllosen, die dem Ausruf des Täufers Folge geleistet und am Jordan die Taufe empfangen hatten; auch er hat anfangs nur dieselbe Rede geführt wie der Täufer: »Nahe ist das Himmelreich«. Gleichwohl war dieses sein »Himmelreich« doch ein andres als jenes gut alttestamentliche Königtum Gottes, wie es im Anschluß an die Reden der Propheten eben noch ihr letzter und größter verkündigt hatte (Matth. 11,11). Bezeichnend für die sittliche Vertiefung, die Jesus dem Begriff des messianischen Reiches gab, sind vielmehr jene Seligpreisungen, womit die Bergpredigt beginnt. Wenn hier die Nichtshabenden gepriesen werden, die doch alles haben; die nach der Gerechtigkeit Hungernden und Durstenden, weil sie satt werden sollen; die reinen Herzens sind, weil sie Gott schauen; die Friedensstifter, weil sie Gottes Kinder heißen werden (Matth. 5,3 ff.): so spricht sich in alledem ein vom reinsten und tiefsten Gefühl aller drückenden Widersprüche des zeitlichen Daseins getragenes Bewußtsein aus, aber auch ein Bewußtsein, das in demselben Augenblick. da es seine Schranken anerkennt, schon über dieselben erhaben ist und sich sammelt im seligen Gefühl der Einheit der eignen Lebenszwecke mit dem seiner Erfüllung allein ganz sichern Zwecke Gottes.

Während also nach der vulgär jüdischen Weltanschauung vornehmlich Siege über die Feinde, Herrschaft über alle Heiden und ein glänzendes Genußleben zu den Merkmalen der dem ganzen Volk als Lohn für seine Gesetzestreue in Aussicht gestellten messianischen Herrlichkeiten gehören, bieten dafür die von der Reichspredigt Jesu angeschlagenen Töne eine Reihe von wechselnden Ausdrücken für das in ihm mächtig pulsierende und ihn ganz ausfüllende Leben der Religion selbst. Was aber so in der unmittelbaren Erfahrung einer unvergleichlich intensiv arbeitenden, jederzeit zugleich aufnehmen den und ausgebenden, religiösen Natur mit Einem Schlage gesetzt ist, das selige Gefühl unverkümmerter Einheit mit Gott, das legt sich für die nach Ausdruck ringende Vorstellung in einer Zweiheit von religiösen Begriffen auseinander. zu deren Bezeichnung die Namen »Vater« und »Sohn« dienen. Daher die eigentümliche Wärme persönlichster Empfindung, die der Gottesbegriff hier gewinnt. Der Name »Vater«, im Alten Testament nur vereinzelt anklingend, ist in der Verkündigung Jesu zum eigentlich begriffbestimmenden Namen Gottes geworden, wie denn auch in den urchristlichen Gemeinden Jesu Gebetsruf »Abba« widertönte und die Apostel stetig grüßen »vom Vatergott und seinem Sohn J.« Nennt sich dementsprechend Jesus selbst aber den »Sohn«, so geschieht solches wenigstens in den synoptischen Evangelien noch ganz im Zusammenhang und unter Voraussetzung derselben Weltanschauung, der zufolge auch in der Bergpredigt gerade solche Menschen »Söhne Gottes« heißen, die auf dem Weg sittlichen Wachstums das annähernd zu werden im Begriff sind, was der »allein gute« Gott und »Vater« im Himmel ewig schon ist und immerdar bleibt (Matth. 5,9. 45. 48; Luk. 6,35. 36). Indem nun Jesus den jüdischen Messiasbegriff in der Richtung vertiefte, daß daraus der Sohn wurde, der diesen Gott als Vater erkannt und der Welt geoffenbart hat (Matth. 11,27), also der Schöpfer des wahren Gottesbewußtseins ist, war er sich wohl bewußt, in einen unversöhnlichen Widerspruch mit den glänzenden Messiasträumen seines Volkes zu treten. Es ist daher nicht zufällig geschehe etc., wenn er im Anfang seiner Reichspredigt überhaupt mit Enthüllungen über seine eigne Person zurückhielt. Was er predigte während der ersten glücklichen Wochen und Monate des »galiläischen Frühlings«, das ist die Kunde vom Reiche Gottes, das als ein jenseitiges doch als eine innerlich wirkende Macht nahe, ja schon da sei; das war der Vater, dessen Liebesherrlichkeit ihm die Lilien auf der Flur und die goldene Saat auf den Feldern, wovon die »Gleichnisse« sprechen, noch mehr aber freilich die innere Harmonie des eigensten persönlichen Lebens offenbarte. Sofort sehen wir solche, die glauben oder gern glauben möchten an sein Wort, ihm begierig folgen; ja selbst Heilungen gehen von der Gesundkraft seines Wesens aus, und wunderhafte Wohltaten werden in seiner Umgebung erlebt. Wenn gerade solche Vorkommnisse, wie sie auch später im Leben des Bernhard von Clairvaux, des Franz von Assisi u. a. bezeugt sind, von der evangelischen Berichterstattung mit Vorliebe erfaßt und je länger, desto sagenhafter durchgebildet werden, so ist doch nicht zu übersehen, daß derselbe wundersüchtige Trieb schon bald nach seinem ersten Auftreten ihm trotz seiner abweisenden Erklärung (Matth. 16,4; Mark. 8,12) selbst fortwährend neuere und größere Wunder ab- und ansah, zumutete und aufdrang. Daß solche »Wunder« geschahen, selbst ohne daß Jesus sie beabsichtigte (Mark. 5,25 f.), sagt er selbst: »Dein Glaube hat dir geholfen« (Mark. 5,34), und wo er keinen Glauben findet, da bleiben auch die Erfolge aus (Mark. 6,5. 6). Er selbst hatte es auf eine Wirksamkeit durch das Wort abgesehen, das »Zeichen des Propheten Jonas«, das hingereicht halte, die Niniviten zur Umkehr zu bewegen (Matth. 12,39. 41). »Gottesreich, Vater und Menschensohn« – um das Dreigestirn dieser Grundbegriffe bewegte sich seine Verkündigung. Daß er dabei, um sein persönliches Sohnesbewußtsein zum Ausdruck zu bringen, gerade den dunkeln und vielgedeuteten Ausdruck »Menschensohn« (s. d.) wählte, hängt vielleicht mit der universalern Wendung zusammen, die der jüdisch-partikularistische Messiasbegriff in seinem Mund an nehmen sollte, freilich ohne sich deshalb abzulösen von dem volkstümlichen Lebensgrund der alttestamentlichen und jüdischen Vorstellungswelt, die vielmehr so sehr auch den Rahmen seiner eignen Vorstellungen bildete, daß er die Tragweite seiner eignen Wirksamkeit sowie diejenige seiner Jünger zunächst nicht über die Grenzen des Volkes Israel ausgedehnt dachte (Matth. 10,5. 6. 23; 15,24). Daß das messianische Heil mittelbar auch für die Heiden bestimmt sei, ist nachweisbar von Jesus selbst erst mit Deutlichkeit ausgesprochen worden beim Abschied aus Galiläa (Luk. 13,25–30) und in Jerusalem (Matth. 21,41. 43). Während der ersten galiläischen Zeit dagegen ist Jesus ganz der echte Sohn seines Volkes, und die im Munde des letztern gebräuchlichen Bezeichnungen der Heiden sind auch ihm selbst nicht fremd geblieben (Matth. 7,6; 15,26); auch die weltbürgerlichen Ideen, die damals durch die Welt gingen, übten keinen nachweisbaren Einfluß auf ihn aus, das römische Staatsleben sowenig wie die griechische Wissenschaft und Weltanschauung. Erst als der Himmel über seinem galiläischen Paradies anfing, trüber zu werden, als die dunkeln Wolkenschatten der pharisäischen Opposition und hierarchischen Verfolgungssucht darüber hinliefen und auch der Volksanhang anfing, seinen jederzeit zweifelhaften Charakter zu offenbaren, verändert sich allmählich die Stellung Jesu. Es begannen die Enttäuschungen, die feindlichen Zusammenstöße, die Rückzüge, wie wir ihn denn in der Tat von jetzt an weniger ständig in Kapernaum, öfters dagegen am einsamen Nordufer des Sees finden. Die Opposition der eigentlichen Führer des Volkes, der pharisäischen Schriftgelehrten und Synagogenvorstände, hatte er hauptsächlich dadurch hervorgerufen, daß er im Sinn einer freien und gesunden, innerlich begründeten Sittlichkeit sich über den ganzen unabsehbaren Kram von Satzungen und Observanzen hinwegsetzte, mit denen sie das Leben des Menschen auf Schritt und Tritt umgeben und zum mühseligsten Werkdienst herabgewürdigt hatten; daß er ferner trotz aller in der Sache nie verleugneten Pietät gegen das mosaische Gesetz doch dieselbe Kritik unbefangen auch an der gesamten Außenseite desselben übte und namentlich in dem Bewußtsein, daß nicht der Sabbat, sondern der Mensch Selbstzweck sei (Mark. 2,27), sich freien Geistes von aller Qual und Knechtung lossprach, welche die altheilige, im Laufe der Jahrhunderte nur immer peinlicher gewordene Sabbatsitte mit sich führte; daß er endlich die ganze Art von Sittlichkeit, womit die Pharisäer durch pedantische Befolgung zahlloser Gebote und Verbote das Heil des messianischen Regiments für das Volk und das ewige Leben für den Einzelnen dem Himmel abzuringen und abzuzwingen gedachten, als ein ungenießbares, mühsames Gebräu, als ebenso fadenscheinigen wie hochmütigen und prunkenden Werkdienst kennzeichnete, dem gegenüber er seine Jünger anwies, sich an keine menschliche Autorität zu verkaufen, niemand in diesem Sinn »Vater« zu nennen, vielmehr die Größe des Menschen ausschließlich nach dem Maße seiner Dienstleistung zu beurteilen, ja sogar die traurige Blöße des seiner Schuld bewußten und nach Vergebung seufzenden, aber auch seinerseits zur Vergebung geneigten Sünders als kostbar und vor Gott wertgehalten zu erachten. »Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!«

Je länger, desto vernehmbarer machen sich daher die Anklagen auf Zöllner- und Sünderfreundschaft, auf Entweihung des Sabbats, auf Bruch der überlieferten Satzungen, auf Widerspruch gegen das Gesetz geltend; es kommt schon in der Landschaft Genezareth zu einigen herben Konflikten, infolge deren Jesus endlich im Spätherbst diese Zentralstätte seines Schaffens ganz ausgibt und den Winter über auf Fluchtwegen zubringt, die ihn bald westlich in das Gebiet der heidnischen Stätte Tyrus und Sidon, bald östlich in die Dekapolis, zuletzt auch nördlich an die Quellen des Kleinen Jordans, in die Nähe von Cäsarea Philippi, führen. Hier richtete er, der bisher fast nur von seinem Werk und Reich, kaum je von seiner Person gesprochen hatte, die entscheidende Frage an den Kreis der Zwölf, die ihm treu geblieben und bis dahin gefolgt waren, und jetzt entrang sich dem Munde des Sprechers derselben, des galiläischen Fischers Simon, genannt Petrus, das richtige, von Jesus selbst herausgeforderte Wort und Bekenntnis, wonach sie in ihrem Meister niemand anders als den Messias selbst gefunden zu haben überzeugt waren. Vor diesen Moment (Mark. 8,27. 28) setzt daher die älteste Darstellung, abgesehen von zwei Fällen der rätselhaften Selbstbezeichnung als »Menschensohn« (Mark. 2,10. 28), keinerlei messianische Bekenntnisse, Anerkennungen und Demonstrationen.

Einstweilen war aber als eine neue Errungenschaft die Erfahrung gemacht worden, daß dem tatsächlich sich steigernden Unglauben der lauter Enttäuschungen bereitenden Volksgenossen verheißend das religiöse Bedürfnis und manche Empfänglichkeit der Heiden welt gegenübertreten sollte. Samariter bewiesen mehr sittlichen Gehalt als Juden, der Hauptmann von Kapernaum, das kananäische Weib zeigten mehr Glaubenskraft, als Jesus in Israel je gesehen hatte. Er staunte, und sein Geist rang sich los von den nationalen Schranken, wenngleich die Tränen, beim Anblick Jerusalems vergossen, beweisen, wie wenig leichten Herzens er sein Volk aufgab. Aber auch noch in einer andern Beziehung war es keineswegs der alttestamentliche und nationale Messias, der jetzt eine Gemeinde sammelte. Denn schon stand der Todesentschluß fest, der daher dem aufsteigenden Messiasjubel der Jünger sofort als Dämpfer entgegengesetzt wird (Mark. 8,29–31). Jesus hatte verzichtet auf zeitlichen Erfolg. Die Vielen, die ihm auch jetzt noch immer zuströmten, waren doch nur die regbarsten Teile einer Masse, die in ihrer überwiegenden Mehrheit sich nicht von der herrschenden Partei zu lösen vermochte. Angesichts dieses Mißerfolges blieb ihm nur übrig, entweder zurückzutreten und auf sein Messiastum zu verzichten, noch ehe er sich offenkundig dazu bekannt hatte, oder aber, dabei beharrend, die unausbleiblichen Folgen, Verwerfung und Verurteilung von seiten des eignen Volkes, Hinrichtung von seiten der römischen Obergewalt, auf sich zu nehmen, den letzten Ausgleich aber von Gottes Allmacht und Gerechtigkeit zu erwarten. In dieser Richtung gehen jetzt fast alle seine Gedanken und Reden, und so wurde in der letzten galiläischen Zeit der Gegensatz gegen die Farbenglut der nationalen Messiasträume bis dahin durchgekämpft, daß der Träger des neuen, des religiös-sittlichen Messiastums, anstatt über die Höhen der Erde im Sturmschritt überwältigender Erfolge zu wandeln, vielmehr als demütiger und armer Diener der Menschheit das Kreuz derselben zu schleppen und, erliegend unter der Last der heraufbeschwornen Feindschaft, an Einem Marterpfahl mit dem geringsten und zertretensten ihrer Glieder zu enden entschlossen war. Den Glauben an den gleichwohl im letzten Hintergrund stehenden, von und in Gott selbst verbürgten Sieg seiner Person und Sache, den Glauben an das »Reich Gottes« (s. d.) und seine Realisierbarkeit, rettete er, indem von nun an sich steigernde Weissagungen eine glänzende Wiederkunft in Herrlichkeit in baldige, von Freunden und Feinden zu erlebende Nähe stellten. Dieser Glaube an die Wiederkunft in Herrlichkeit war somit die Form, in welcher der Widerspruch, an dem sein Messiastum zu scheitern schien, nämlich der Gegensatz des wirklichen Geschicks zu den messianischen Erwartungen und dem ganzen Gottesglauben des Volkes, sich wie für die älteste Gemeinde, so ohne Zweifel auch, falls nicht eine ganze Menge von Christussprüchen für unecht erklärt werden soll, für den Stifter derselben selbst ausgeglichen und aufgelöst hat. Die lichte Zukunft im Auge, hat Jesus die Katastrophe seines äußern irdischen Geschicks selbst heraufbeschworen. Denn wenn er nach allen Erfahrungen, die er über die Aufnahme seiner Reichspredigt beim Volk und über den Widerstand gegen sie bei den Gegnern gemacht hatte, jetzt vom Nordende seines Wirkungskreises aus in direktem Wege nach Süden Judäa aufsuchte, um in der Hauptstadt selbst, am Sitz der Machthaber, zu erscheinen, so kann dieser so folgenreiche Schritt nur aus der Überzeugung von der Notwendigkeit hervorgegangen sein, daß seine zur Entscheidung reife Sache nicht länger in der Schwebe zu halten sei. Als der Frühling wieder nahte, sehen wir ihn inmitten galiläischer Passahpilger in Jerusalem einziehen und bei dieser Gelegenheit die erste ganz unmißverständliche messianische Demonstration wagen, ja sogar im Tempelvorhof selbst tätlich gegen die Praxis der bestehenden Autoritäten vorgehen. Die Katastrophe folgte fast auf dem Fuße nach, und schon die Sonne des ersten großen Festtags der Osterwoche sah auf das Kreuz herab. Jesus starb unter Vorangehen der sadduzäischen Priesterpartei, die in ihm, dem Messias, zugleich die volkstümlichen Reichsgedanken und Zukunftsschwärmereien treffen wollte und dabei den Vorteil hatte, von der pharisäischen Demagogie selbst tatkräftig unterstützt zu werden. Am letzten Abend vor seiner Verhaftung und Hinrichtung war er noch einmal mit dem engern Jüngerkreis allein, um hier ein die Seinen unter sich und mit ihm unlösbar verbindendes Liebesmahl zu feiern. Das Weitere s. Christentum und Christologie.

Literatur über das Leben Jesu.

Die Literatur über das Leben Jesu ist seit fast 100 Jahren in steigendem Wachstum begriffen, schon an sich ein Zeichen einer Krisis, die über das christliche Bewußtsein der Gegenwart hereingebrochen ist. Auf dem Standpunkt des ältern Rationalismus steht H. E. G. Paulus (»Das Leben Jesu als Grundlage einer reinen Geschichte des Urchristentums«, Heidelb. 1828, 2 Bde.); ästhetisch-rationalistische Gesichtspunkte befolgt Karl Hase (»Das Leben Jesu, für akademische Vorlesungen«, 5. Aufl., Leipz. 1865; »Geschichte Jesu«, das. 1876, 2. Aufl. 1891). Die kritische Richtung konsequent verfolgend, hat David Friedr. Strauß (»Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet«, Tübing. 1835 bis 1836, 2 Bde.; 4. Aufl. 1840; für das deutsche Volk bearbeitet, Leipz. 1864; 13. Aufl., Bonn 1903) den Erzählungsgehalt der Evangelien als Mythus aufgefaßt, in dessen vergrößerndem, durch alttestamentliche Vorbilder und messianische Erwartungen gebildetem Reflex nur wenige einfache Linien der geschichtlichen Wahrheit erkennbar blieben. Anderseits hat Weiße (»Die evangelische Geschichte, kritisch und philosophisch bearbeitet«, Leipz. 1838, 2 Bde.), von der Ursprünglichkeit des Markus-Evangeliums ausgehend, historische und unhistorische Bestandteile zu scheiden versucht, und gleichzeitig ließ Gfrörer (»Geschichte des Urchristentums«, Stuttg. 1838, 5 Bde.) das Christentum auf dem Boden des vom Talmud aus zu erkennenden Judentums aufwachsen. Beide haben bei aller Ablehnung des Mirakels gegen die Auflösung des ganzen Lebens Jesu in Mythologie erstmalig beachtenswerte Instanzen vorgebracht. Über eine Flut von Gegnerschriften vgl. Strauß, Streitschriften zur Verteidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der gegenwärtigen Theologie (Tübing. 1837). Ein ähnliches Aufsehen wie Strauß in Deutschland erregte in Frankreich das Werk von Renan: »Vie de Jésus« (Par. 1863, 18. Aufl. 1882; deutsch, zuletzt Leipz. 1902), das auf reizendem landschaftlichen Hintergrunde das Bild eines liebenswürdigen und heitern Propheten zeichnet, der, einmal in Gegensatz zu Pharisäern und Priestern getreten und zum Fortgehen auf dieser Bahn gedrängt, sich allmählich darin gefällt, den mit der Wundergabe ausgerüsteten Messias zu spielen, bis er diesen Genuß mit dem Tode büßt. Gegen Renan schrieben auf freiestem Standpunkt Albert Réville, Colani, Schérer und Coquerel. Gleichfalls mit der Menschheit Jesu vollen Ernst machen wollte Schenkels »Charakterbild Jesu« (Wiesbad. 1864, 4. Aufl. 1873), in dem mit Zugrundelegung des zweiten Evangeliums das Leben Jesu vorzugsweise nach der Seite seiner der Satzungsreligion entgegentretenden Lehrwirksamkeit hin dargestellt wird. Das Trifolium »Strauß, Renan, Schenkel« wurde nun sofort wieder zum Gegenstand des Angriffs von kirchlich und traditionell gerichteten Schriftstellern, unter denen auf katholischer Seite Veuillot (»Leben unsers Herrn J.«, deutsch, Köln 1864), Pere DidonJésus-Christ«, Par. 1891 u. ö.; deutsch, Regensb. 1892), Le CamusVie de Notre Seigneur Jésus-Christ«, Par. 1883; 6. Aufl. 1901; deutsch, Freib. 1893–95, 2 Bde.), LeroyJésus-Christ, sa vie et son temps«, Par. 1899–1903), J. Grimm (»Das Leben Jesu nach dem 4. Evangelium«, 2. Aufl., Regensburg 1890–99, 7 Bde.), Sepp und Haneberg (»Das Leben Jesu«, 4. Aufl., das. 1898–1902, 5 Bde.), auf protestantischer van Oosterzee (»Das Bild Christi nach der Schrift«; »Geschichte oder Roman«, beides deutsch, Hamb. 1864) und Edmond PressenséJésus-Christ, son temps, sa vie, son œuvre«, Par. 1865, 7. Aufl. 1884; deutsch, Halle 1866) genannt werden mögen. Um die kritische Feststellung der Grundlagen machte sich verdient: WeizsäckerUntersuchungen über die evangelische Geschichte, ihre Quellen und den Gang ihrer Entwickelung«, Gotha 1864, 2. Aufl. 1901). Vermittelnd schrieb Krüger-Velthusen: »Das Leben Jesu« (Elberf. 1872). Die über das Leben Jesu Christi angefachte wissenschaftliche Bewegung hat dann auch das nachgelassene »Leben Jesu« von Schleiermacher (Berl. 1864) sowie dasjenige von Bunsen (im 9. Bd. des »Bibelwerks«, Leipz. 1865) an das Licht gebracht, mit denen das unklar apologetisch gehaltene »Christus und seine Zeit« von H. Ewald (3. Ausg., Göttingen 1867) den allgemeinen Standpunkt teilt. Auf umfassendster Durchforschung des gesamten Materials ruht Keims Werk: »Geschichte Jesu von Nazara, in ihrer Verkettung mit dem Gesamtleben seines Volkes« (Zürich 1867–72, 3 Bde.; dritte [kurze] Bearbeitung, 2. Aufl. 1875). Ähnlich, jedoch statt des Matthäus den Markus zugrunde legend, stehen auch Hausrath (»Neutestamentliche Zeitgeschichte«, Teil 1: »Die Zeit Jesu«, Heidelb. 1868; 3. Aufl. 1879) und Wittichen (»Das Leben Jesu in urkundlicher Darstellung«, Jena 1876), während auf gleicher Grundlage Volkmar (»Jesus Nazarenus und die erste christliche Zeit«, Zürich 1882) wieder näher an Dav. Fr. Strauß (s. d.), bez. Bruno Bauer (s. d. 4) heranrückt, B. Weiß eine die apologetischen Bemühungen in ermäßigender Form zusammenfassende Darstellung gibt (»Das Leben Jesu«, Berl. 1882; 4. Aufl. 1902, 2 Bde.), zu der Beyschlags Werk ein farbenreicheres Seitenstück bildet (»Das Leben Jesu«, Halle 1885–86, 2 Bde.; 4. Aufl. 1901–02). Beide versuchen das synoptische Bild wieder in den johanneischen Rahmen zu schieben. Ebenso J. Chr. K. v. Hofmann (»Die biblische Geschichte des Neuen Testaments«, Nördling. 1883), EdersheimThe life and times of Jesus the Messiah«, Lond. 1883; 10. Ausg. 1900, 2 Bde.; Auszug 1890), FarrarLife and teaching of Jesus Christ«, das. 1874 u. ö.; deutsch, 5. Aufl., Hannover 1899, und »The life of lives«, 1900), StalkerThe life of Christ«, Lond. 1884; deutsch, 3. Aufl., Tübing. 1901), Nösgen (»Geschichte Jesu Christi«, Münch. 1891). Von eigentümlichen kritischen Voraussetzungen theosophischer Natur geht Delff (»Die Geschichte des Rabbi Jesus von Nazareth«, Leipz. 1889) aus. Den geschichtlichen Standpunkt vertreten in neuester Zeit Albert RévilleJésus de Nazareth«, Par. 1897, 2 Bde.), Oskar Holtzmann (»Leben Jesu«, Tübing. 1901), P. W. Schmidt (»Die Geschichte Jesu«, 4. Aufl., das. 1903, 2 Bde.). Mit besonderm Erfolg ist man neuerdings bemüht, die Ergebnisse der geschichtlichen Forschung größern Leserkreisen in anschaulichen, kritisch begründeten Darstellungen nahe zu bringen. Erwähnung verdienen R. Otto (»Leben und Wirken Jesu«, Götting. 1902), H. Weinel (»Jesus im 19. Jahrhundert«, Tübing. 1903 u. ö.), K. FurrerVorträge über das Leben Jesu«, Zürich 1904; 2. Aufl. 1905), A. Neumann (»Jesus, wer er geschichtlich war«, Freiburg 1904), W. Bousset (»Jesus«. Halle 1904). Eine geschichtliche Bearbeitung vom katholischen Standpunkte lieferte H. SchellChristus. Das Evangelium und seine weltgeschichtliche Bedeutung«, Mainz 1903). Vgl. auch A. Harnack, Das Wesen des Christentums (Leipz. 1900 u. ö.), und die dadurch veranlaßte Literatur.

Als Stifter der christlichen Religion bildete J. auch für die mittelalterliche Dichtung den Hauptgegenstand des Interesses. Die epische wie die lyrische Poesie ist überwiegend christlich-religiösen Inhalts; in der erstern sind der naiv-charaktervolle niederdeutsche »Heliand« (d. h. Heiland) eines unbekannten Verfassers und der poetisch minder bedeutende »Krist« des Weißenburger Mönches Otfried, beide dem 9. Jahrh. angehörend, vor allem zu nennen. Seit dem Aufkommen der Laienbildung des Rittertums (12. Jahrh.) treten im Epos weltliche Stoffe in den Vordergrund, die geistlichen und vor allem die das Leben und Leiden Christi behandelnden erfahren aber eine ganz neue Gestaltung im Drama, das sich im Anschluß an den Gottesdienst entwickelte und besonders seit dem 14. Jahrh. durch die aufblühende Kultur des Bürgertums gefördert wurde (s. Weihnachtsspiele, Passionsspiele, Osterspiele). Neues Leben gewann diese Form des Dramas im Zeitalter der Reformation und später durch die Opern- und Oratoriendichtung des 17. Jahrh. Die bei mystischen Schriftstellern schon seit dem 14. Jahrh. beliebte geistliche Erotik, die Auffassung der Seele als der Braut Christi, findet im Zeitalter der Gegenreformation bedeutende und gefühlvolle Neugestaltung in den Gedichten des Jesuiten Fr. v. Spee, und zur selben Zeit zeichnet sich J. Balde durch seine lateinische Lyrik ähnlichen Charakters aus. Aber die bedeutendste Wendung in der poetischen Ausdeutung des Lebens Jesu erfolgte erst im Zeitalter der Empfindsamkeit durch Klopstocks »Messias« (1748–73), ein Werk, in dem das lyrische Element durchaus überwiegt und dem ähnliche von geringerm Wert folgten. Im 19. Jahrh. sind zwar zahlreiche Versuche gemacht worden, das größte Problem der Weltgeschichte im Epos und Drama (darunter auch ein Entwurf Richard Wagners von 1849, gedruckt 1887) zu gestalten, aber keiner war von durchschlagendem Erfolg. Im allgemeinen dringt die Überzeugung durch, daß sich das Leben Jesu zu dichterischer Behandlung in dem Maße weniger eignet, als die naiv-andächtige Betrachtung unvermeidlich durch dogmatische und kritische Sorgen gekreuzt und gehemmt wird. Nur die Lyrik zeitigte neue Blüten von unvergänglichem Duft und Glanz im Kirchengesang und Kirchenlied (s. d.). Vor allem aber war das durch die Musik gehobene Wort zum Ausdruck dieser innigsten religiösen Regungen geeignet. Da nun die verweltlichte Oper solchem Gegenstande nicht mehr gewachsen war, gewann seit dem Beginn des 18. Jahrh. die neue Gattung des Oratoriums immer größere Bedeutung. Derartige Christus-Oratorien dichteten Bernardoni (gesetzt von M. A. Ziani, 1706), Pariati (gesetzt von J. J. Fux, 1718), Metastasio (von Caldara, 1730), Pasquini (von Hasse, 1744); auch das ganze Leben umspannende Oratorien-Trilogien nahmen bereits im 18. Jahrh. Komponisten in Angriff, so Joh. W. Hertel (»Jesus in Banden«, »Jesus vor Gericht« und »Jesus in Purpur«, Schwerin 1782–83), später S. Neukomm (»Grablegung«, »Auferstehung«, »Himmelfahrt«, 1820), Fr. SchneiderChristus das Kind«, »Christus der Meister«, »Christus der Erlöser«, 1827–38). Von neuern Christus-Oratorien seien genannt die von Liszt (1866), Fr. Kiel (1879), A. Rubinstein (1888, geistliche Oper), F. Draeseke (1903, Mysterium in drei Abteilungen und einem Vorspiel). – S. auch Christusbilder.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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