Hydrologische Versuchsanstalten

Hydrologische Versuchsanstalten

Hydrologische Versuchsanstalten, Einrichtungen, die zur Bearbeitung wissenschaftlicher Fragen für Wasserbau und Schiffbau bestimmt sind, bestehen in Dumbarton bei Glasgow (1882), Haslar bei Gosport (1886), Spezia (1889), Washington (1896–98), Bremerhaven (1900), Berlin (1902). Wasserbaulaboratorien, die lediglich zu Arbeiten über die Bewegung des Wassers etc. dienen, sind in Dresden und Karlsruhe vorhanden. Die Berliner Anstalt liegt auf der Schleuseninsel im Landwehrkanal bei Charlottenburg und besteht aus einer Vorhalle mit den vier Stadtbahnbogen und der anschließenden Halle mit dem großen Versuchsbecken. In einem Abschnitt der Vorhalle liegt die kleine Versuchsrinne, die ausschließlich zu wasserbaulichen Versuchen kleinern Maßstabes und zu Vorführungen beim Unterricht der Technischen Hochschule dienen soll. Das große Versuchsbecken hat eine Wasserspiegelbreite von 10,5 m und eine Wassertiefe von 3,5 m und gestattet die Anwendung von Schiffsmodellen von 1 m Breite und 7 m Länge. Die Aufgaben, mit denen sich die Anstalt zu beschäftigen hat, erstrecken sich 1) im Gebiet des Wasserbaues auf die Erforschung der Gesetze der Bewegung des Wassers in offenen und geschlossenen Leitungen, Flüssen und Kanälen, auf die Bestimmung der Geschwindigkeit und Menge des über Wehre, durch Schützen, Schleusen, Ventile, Austrittsöffnungen etc. fließenden Wassers; auf die Ermittelung der Staugesetze, die Messung der Geschwindigkeit des fließenden Wassers, die Einrichtung der dazu dienenden Geräte, ihre Anwendung und Eichung; auf die Untersuchung der Bewegung der Geschiebe in den Wasserläufen, der Gestaltung ihrer Sohle und Ufer, der Bildung von Anlandungen, des Angriffs des Wassers auf die Ufer und auf Bauwerke und des Einflusses von Uferbefestigungen, Regulierungswerken und sonstigen Einbauten auf die Ausbildung der Gewässer und ihre Wasserführung; ferner auf die Wasserstandsbeobachtungen und die Anordnung der dazu dienenden Instrumente; auf die Untersuchung der Bewegung des Wassers im Erdreich und im Mauerwerk sowie der dadurch entstehenden Veränderungen im Innern dieser Körper, bezüglich ihrer Festigkeit, Dauer und Standsicherheit; auf die Ermittelung der Widerstände des Wassers gegen die Bewegung fester Körper, wie Schützen, Schieber, Ventile, Klappen, Tore etc.; auf die Bestimmung des Wasser- und Erddruckes gegen Mauern und Wände und die Bedingung ihrer Standsicherheit; auf die Prüfung des mechanischen und chemischen Angriffes des Wassers gegen die Baustoffe, ihre Anstriche und sonstigen Schutzmittel; endlich auch auf die Erforschung der Gesetze der Wellenbildung und Wellenbewegung. 2) Im Gebiete des Schiffbaues werden Modellversuche und Untersuchungen angestellt zur Bestimmung des Widerstandes des Wassers gegen die Bewegung der Schiffskörper und der zu ihrer Fortbewegung erforderlichen Kräfte nach Form, Größe, Oberflächenbeschaffenheit der Schiffe behufs Ermittelung günstiger Schiffsformen und Konstruktionen; zur Erforschung der Wellenbildung bei der Bewegung der Schiffskörper und der Lage des Schiffes im Wasser; zur Bestimmung der Schlingerbewegung der Schiffe und zur Bestimmung der Widerstände der Schiffspropeller und der zu ihrem Antrieb erforderlichen Kräfte. – Zur Klärung und Lösung der genannten Fragen sollen in der Anstalt nicht nur für die Staatsbehörden Versuche und Untersuchungen ausgeführt werden, sondern auch die Lehrer der Technischen Hochschule Gelegenheit finden, den Unterricht durch Vorführung von Versuchen zu fördern und für wissenschaftliche Arbeiten Versuche durchzuführen, endlich soll auch die Anstalt auf Wunsch und Antrag von Behörden oder Privaten, gegebenenfalls auf deren Kosten, für bestimmte wissenschaftliche oder praktische Zwecke Versuchsarbeiten ausführen, insoweit der Betrieb es gestattet. Die Reichsmarine hat das Recht, die Schleppversuchsanstalt jährlich drei Monate für ihre Zwecke zu benutzen.

Die englischen Schiffsbaumeister William Froude und R. E. Froude haben die ersten gründlichen Untersuchungen über die Größe des Gesamtwiderstandes angestellt, den verschiedene übliche Schiffsformen bei ihrer Fortbewegung im Wasser erleiden; dabei ergab sich zunächst, daß dieser Gesamtwiderstand zwei Urfachen hat: einmal die Oberflächenreibung des Schiffskörpers mit dem Wasser, und zweitens derjenige Widerstand, der von den bei der Fortbewegung des Schiffes durch das Wasser erzeugten Wellen (Bug- und Heckwellen, hauptsächlich von der Bugform abhängig) und Wirbeln (Söggströmungen am Heck je nach dessen Form) hervorgerufen wird. Der Reibungswiderstand ist von der Größe und Beschaffenheit (glatt oder rauh) der eingetauchten Schiffsoberfläche, von der Schiffsgeschwindigkeit und von der Dichtigkeit (dem Salzgehalt und der Temperatur) des Wassers abhängig. Der zweite, nämlich der Wellen und Wirbel bildende Widerstand ist lediglich von der Schiffsform abhängig, also vom Völligkeitsgrad des Schiffes, vom Verhältnis der Länge zur Breite, von der Schärfe der Wasserlinien des Bugs und des Hecks; man nennt diesen Widerstand deshalb auch den Widerstand der Schiffsform. Für den Reibungswiderstand ist auf Grund zahlreicher Versuche eine empirische Formel aufgestellt worden, die es möglich macht, ihn ohne weitere Versuche für jedes Schiff wie auch für jedes Schiffsmodell zu berechnen. Um den Widerstand der Schiffsform zu finden, stellte William Froude Schleppversuche mit Schiffsmodellen an, bei denen für die verschiedensten Modellgeschwindigkeiten und Modellformen die Gesamtwiderstände der Modelle mit Hilfe von Registrierapparaten gefunden wurden. Von diesen Gesamtwiderständen wurden die auf einfache Weise berechneten Reibungswiderstände der betreffenden Modelle abgezogen, so daß sich als Reste die Widerstände der Modellformen ergaben; um hieraus schließlich den Widerstand der Form bei den Schiffen selbst zu berechnen, wendete Froude das Newtonsche Gesetz von der mechanischen Ähnlichkeit an, wonach die für die Fortbewegung zweier geometrisch ähnlicher und mit korrespondierenden Geschwindigkeiten sich bewegender Körper erforderlichen Kräfte sich wie die dritten Potenzen der linearen Abmessungen dieser Körper verhalten (wobei unter korrespondierenden Geschwindigkeiten die Geschwindigkeit v des Modells und v. Vn die des Schiffes zu verstehen ist, wenn n das Verhältnis der linearen Abmessungen des Schiffes zum Modell bedeutet). Wenn S den Gesamtwiderstand des Schiffes, s den des Modells, R den Reibungswiderstand des Schiffes, r den des Modells, W den Widerstand der Schiffsform, w den der Modellform bezeichnet, so ist also S = R+W, und s = r+w; nach dem erwähnten Newtonschen Gesetz ist aber W = w.n3, also auch S = R+w.n3. Man kann also die am Modell gemachten Beobachtungen bei entsprechender Berücksichtigung der Reibungswiderstände unmittelbar für die wirkliche Schiffsform im großen ausnutzen. Der Zweck dieser theoretischen Versuche ist ein ungemein praktischer: man sucht für eine bestimmte Schiffsgröße (Deplacement) diejenige Schiffsform, die bei einer bestimmten Geschwindigkeit die kleinste Maschinenkraft, also den geringsten Kohlenverbrauch fordert, und erhält einen höchst ökonomischen Frachtdampfer; oder man sucht für eine bestimmte Schiffsgröße und für eine von dieser abhängige Maschinenkraft die günstigste Schiffsform, um möglichst große Geschwindigkeit zu erreichen, und erhält einen vorzüglichen Schnelldampfer.

Die Schleppmodell-Versuchsstation des Norddeutschen Lloyd

(Hierzu die gleichnamige Tafel.)

Nachdem der Norddeutsche Lloyd eigne Erfahrungen auf der Schleppmodell-Versuchsstation der italienischen Marine in Spezia gemacht hatte, entschloß er sich zum Bau einer ähnlichen Anstalt, die von dem Schiffsbaumeister des Norddeutschen Lloyd, J. Schütte, mit bedeutenden Vervollkommnungen ausgestattet wurde. Die Station befindet sich in Bremerhaven in der Nähe des neuen Kaiserhafens, neben dem großen Kaiserdock, und ist seit 1900 in Betrieb. Die ganze unter Dach befindliche Fläche der Anstalt mißt 2041 qm und verteilt sich auf folgende Räume: eine lange Halle mit dem Schleppbecken, die Modellgießerei, den Raum für die Modellschneidemaschine, die Werkstatt, den Zeichensaal, zwei Geschäftszimmer, einen Akkumulatorenraum und ein Magazin. Dazu kommt noch eine Filteranlage von rund 1083 qm Fläche. Das Schlepp becken (Fig. 2 der Tafel) ist aus Holz gebaut, im Lichten 164 m lang, 6 m breit und 3,7 m tief. Im Vordergrunde des Bildes schwimmt ein Paraffinmodell neben dem 9,5 m langen, 1,7 m breiten und 1,25 m tiefen Schacht. Von diesem Schacht aus können Beobachter das am Schleppwagen befestigte Modell und seine Meßinstrumente genau nachprüfen und richtig einstellen, auch dem Modell selbst mit Hilfe von Ballaststückchen den genauen Tiefgang geben; während solcher Arbeiten wird der Schleppwagen über den Schacht gefahren. Der Schleppwagen (Fig. 3) läuft auf Schienen über dem Schleppbecken und kann mit Hilfe eines Elektromotors in verschiedenen, genau meßbaren und gleichmäßigen Geschwindigkeiten über das ganze Schleppbecken hin und her gerollt werden. Der Schleppwagen zieht das unter ihm frei im Wasser schwimmende Modell mit sich; das Modell ist durch Federn mit dem Wagen verbunden, deren Biegung oder Streckung genau die Kraft anzeigt, die zur Überwindung des Gesamtwiderstandes des Modells beim Schleppen durch das Wasser erforderlich ist. Der Federzug oder die Kraftleistung der Federn wird während der ganzen Fahrt von dem Stift eines Registrierapparats auf Papier ausgezeichnet; gleichzeitig registriert ein andrer Apparat die Fahrgeschwindigkeit des Modells, und ein dritter Registrierapparat zeichnet die kleinen Hebungen und Senkungen des Modells während der Fahrt auf, die eine Folge der Wellenbildungen sind und ebenfalls den Schiffswiderstand vermehren. Da diese Wellenbildungen besonders abhängig von der Schiffsform sind, indem der vom Schiff in Fahrt gebildete Wellenzug gewöhnlich einen Wellenberg in der Nähe des Vorderschiffes (Bugwelle), zuweilen auch am Hinterschiff einen zweiten Wellenberg (Heckwelle) erzeugt, deren Lage bei verschiedenen Schiffsformen sehr verschieden ist, so ist es nötig, bei den Schleppversuchen die Bug- und Heckwellenformen möglichst genau zu beobachten. Dies geschieht mit Hilfe eines photographischen Apparats, der auf dem Schleppwagen dicht über dem Wasserspiegel neben dem Modell angebracht ist; mit diesem Apparat werden während der Schleppversuche eine Reihe von Momentaufnahmen der vom Modell gebildeten Wellenzüge gemacht. Diese Photographien geben ohne weitere Rechnung Aufschluß über Mängel in der Schiffsform; denn jede hohe Bugwelle vermehrt den Widerstand, eine günstig, d. h. hinter dem Nullspant (dem größten Querschnitt des Schiffes) liegende Heckwelle aber hilft gewissermaßen den Schiffskörper mitschieben, während eine große Heckwelle hinter dem Hintersteven saugend, also zurückhaltend wirkt. Der Einfluß der richtigen Lage und Form des das Schiff begleitenden Wellenzuges, also der Bug- und Heckenwellenform und -Lage, ist sehr groß und derart, daß unter Umständen eine Verlängerung des Schiffskörpers und Vermehrung der Schiffsgröße möglich ist, ohne daß der Gesamtwiderstand dadurch vergrößert wird. Auf Grund solcher Untersuchungen sind in der Tat schon eine Reihe von Handelsschiffen und auch ein deutsches Kriegsschiff (Küstenpanzerschiff Hagen) verlängert worden, ohne bei unveränderter Maschinenkraft an Geschwindigkeit nach dem Umbau verloren zu haben.

Die Modellgießerei (Fig. 1) dient zur Herstellung der Schiffsmodelle, mit denen Schleppversuche angestellt werden sollen. Die Modelle werden zunächst in einem mit bestem Ton gefüllten Kasten hergestellt, und zwar als Hohlform; in die Form wird, um Hohlguß zu ermöglichen, das Hohlgerippe eines Modellkerns, wie Fig. 1 zeigt (jedoch vorher mit Leinwand überzogen und mit Ton bestrichen), eingesetzt. Das Modell selbst wird ganz aus Paraffin gegossen; Fig. 1 zeigt links den Schmelzofen, in dem das Paraffin im Wasserbade geschmolzen wird. Mit einem fahrbaren Kran wird das gegossene und erkaltete Modell aus seiner Form gehoben und dann auf den Wagen der Modellschneidemaschine gesetzt; in dieser sehr sinnreich erfundenen Fräsmaschine wird das Modell mit Hilfe von zwei rotierenden Messern auf Millimeter genau nach der Konstruktionszeichnung geschnitten. Der die Maschine leitende Modellarbeiter hat weiter nichts zu tun, als mit einem Handrad einen Stift stets genau auf der sich ebenfalls hin und her bewegenden Konstruktionszeichnung folgen zu lassen. Die Schneidemaschine wird elektrisch angetrieben, die Messer machen etwa 1600 Umdrehungen in der Minute. Wenn das Modell fertig geschnitten ist, wird es genau für den gewünschten Tiefgang belastet und schließlich zur Vornahme der Versuche an den Registrierapparaten des Schleppwagens befestigt.

Die Schleppversuche dienen aber nicht allein dazu, die für einen bestimmten Zweck günstigste Schiffsform zu suchen, sie geben auch Aufschluß über die richtige Lage der Schraubenwellen und über die günstigste Schraubenform. Bei Doppelschraubendampfern ist es nämlich durchaus nicht gleichgültig für die beste Maschinenleistung, in welcher Weise die zuweilen ziemlich weit aus dem Schiffskörper heraustretenden Schraubenwellen sowohl zueinander als zum Schiffskörper gelagert sind. Die günstigste Schraubenform kann ebenfalls nur durch eine Reihe von Versuchen endgültig festgestellt werden. Alles in allem genommen, bietet die Schleppmodellversuchsstation die Möglichkeit, die Schiffspläne aller wichtigen deutschen Schiffe zunächst genau auf ihre Güte zu prüfen, ehe der Bau selbst begonnen wird; kleinere und größere Fehler in den Schiffsformen können auf diese Weise billig entdeckt und abgestellt werden, und die Leistungsfähigkeit der neuen Schiffe kann gegen früher, wo man vielfach wegen der zweckmäßigen Form im Finstern herumtappte und gleich auf gut Glück den Versuch im großen wagen mußte, ganz wesentlich gehoben werden. Auch für die Theorie des Schiffbaues sind an der Hand dieser Versuche wichtige Fortschritte zu erwarten.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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