Hennegau

Hennegau

Hennegau (lat. Hannonia, franz. le Hainaut, nach dem Flüßchen Haine benannt), früher Grafschaft im nordwestlichen Deutschland, gegenwärtig teils zu Belgien, teils zu Frankreich gehörig, grenzte an Flandern und Artois, das Gebiet von Cambrai, die Picardie und Champagne, das Stift Lüttich und die Grafschaft Namur. In den ursprünglich von Nerviern bewohnten, dann zur römischen Provinz Belgica secunda, bez. zum Franken- und Karolingerreich gehörigen Gebieten, die das heutige H. bilden, herrschte seit Mitte des 9. Jahrh. ein einheimisches Grafengeschlecht, das von einer Tochter Kaiser Lothars I. abstammte, wiederholt in Lotharingien die Herzogswürde bekleidete und unter Reginar IV. (998) durch Eroberung von Mons (s. d.) sich einen festen Stützpunkt verschaffte. Die Heirat der Witwe Hermanns von H., Richeldis, mit Balduin VI. von Flandern (I. von H.) hatte vorübergehend (1051–71) die Vereinigung beider Grafschaften zur Folge. Balduin V. (VIII. von Flandern), den Kaiser Friedrich I. 1188 mit der Grafschaft Namur (s. d.) belehnte, vereinigte nach dem Tode seines Schwagers Philipp von Elsaß (1191) H. zum zweitenmal mit Flandern (s. d.). Sein Sohn Balduin VI. (IX.) wurde 1204 erster lateinischer Kaiser zu Konstantinopel. 1202 fielen H. und Flandern an seine Tochter Johanna, 1244 aber an deren Schwester Margarete, die 1212 Burchard von Avesnes und, nach Ungültigkeitserklärung ihrer ersten Ehe, 1223 Wilhelm von Dampierre geheiratet hatte. Die langwierigen, durch die damalige französisch-deutsche Gegnerschaft stark beeinflußten Kämpfe zwischen ihren Söhnen aus beiden Ehen endeten damit, daß ihr Enkel Johann von Avesnes nach ihrem Tode (1280) H. erhielt; 1299 erbte er von mütterlicher Seite auch die Grafschaft Holland (s. d.). Durch seine seit 1324 mit Kaiser Ludwig dem Bayer (s. d.) vermählte Enkelin Margarete kam H. (nebst Holland etc.) 1345 an das Haus Bayern, 1433 durch deren Urenkelin Jakobäa (s. d.) an das Haus Burgund (s. d.). Seit 1477 im Besitz des Hauses Habsburg, unter Karl V. eine der 17 allen Provinzen der Niederlande (s. d.), gehörte H. 1555–1714 der spanischen Linie, die 1678 im Frieden von Nimwegen die seit Mitte des 11. Jahrh. mit H. vereinigte Grafschaft Valenciennes endgültig an Frankreich abtreten mußte. Seit 1714 ein Teil der österreichischen Niederlande, seit 1794 in den Händen der französischen Republik, wurde H. 1815 (mit Einverleibung der vormals flandrischen Landschaft Tournaisis, des namurschen Distrikts Charleroy sowie einiger Teile von Brabant und Lüttich) eine Provinz des Königreichs der Vereinigten Niederlande und gehört seit 1830 zu Belgien (s. d.). S. die »Geschichtskarte von Deutschland II.« und die Geschichtskarte bei Frankreich. Vgl. Gislebert, Chronicon Hanoniense (hrsg. von W. Arndt, Hannov. 1869); Devillers, Description analytique de cartulaires et de chartiers de Hainaut (Mons 1865 bis 1878, 8 Bde.) und Cartulaire des comtes de Hainaut 1337–1436 (Brüss. 1881–96, 6 Bde.); de Reiffenberg und J. Vandervin, Histoire du comté de Hainaut (das. 1849–51, 3 Bde.); Duvivier, Recherches sur le Hainaut ancien du VII. an XII. siècle (das. 1865) u. La querelle des d'Avesnes et des Dampierre (das. 1894, 2 Bde.).

Die heutige belgische Provinz Hennegau grenzt im N. an die belgischen Provinzen West- und Ostflandern und Brabant, im O. an Namur und im S. und W. an Frankreich, hat einen Flächenraum von 3722 qkm (67,6 QM.). Die Einwohner, 1902: 1,171,418 (314 auf 1 qkm), sind größtenteils Wallonen. Die Provinz zerfällt in die zur ehemaligen Grafschaft H. gehörigen Arrondissements: Mons, Soignies und Ath und die neu hinzugekommenen: Tournai, Charleroy und Thuin. Hauptstadt ist Mons. Vgl. Bernier, Dictionnaire géographique, historique, etc., du Hainaut (neue Ausg., Mons 1891).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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