Hebräische Literatur

Hebräische Literatur

Hebräische Literatur, die alte Nationalliteratur der Hebräer, von der zwar nur ein verhältnismäßig geringer Teil auf die Gegenwart gekommen ist, die aber durch den außerordentlichen Einfluß, den sie auf die christlichen und islamitischen Völker ausübte, eine welthistorische Wichtigkeit erster Größe erlangt hat und noch jetzt vielfach, mit den neutestamentlichen Schriften zusammen, geradezu als die klassische Literatur des religiösen Geistes überhaupt gilt. In der Tat zieht sich die religiöse Ader so reich und voll schlagend wie kaum bei einem andern der alten asiatischen und afrikanischen Religionsvölker durch fast alle diese Bücher. An die Spitze der hebräischen Literatur wird herkömmlicherweise Moses (s. d.) gestellt. Wahrscheinlich aber haben die Hebräer die Schreibkunst erst von den Kanaanitern übernommen. Die vorhandenen Reste der althebräischen Literatur gehören frühestens der Königszeit an (s. Hebräische Sprache), waren aber teilweise vorbereitet durch alte Sagen und Lieder, einzelne Nachrichten, Inschriften, Satzungen u. dgl. Wie bei allen Völkern, so ist auch bei den Hebräern die Poesie älter als die Prosa. Reste davon haben sich erhalten im sogen. Pentateuch (s. d.) und den Geschichtsbüchern des Alten Testaments, sofern hier einzelne poetische Stücke, wie das »Brunnenlied« (4. Mos. 21) und das Lied der Deborah (Richter 5), auch Spuren der Fabel und des Rätsels (Jotham und Simson) eingestreut sind. Ausdrücklich wird auf frühere Sammlungen verwiesen, die verloren gegangen sind, wie das »Buch der Kriege Jahvehs (Jehovas)« und das »Buch der Redlichen«. Als Bahnbrecher der poetischen Literatur galten einer spätern Zeit David für die lyrische, Salomo für die gnomische Dichtung.

Im allgemeinen kann man die verschiedenen Erzeugnisse der hebräischen Literatur nach Form und Inhalt folgendermaßen klassifizieren: Gesetz, Prophetie, Geschichte, Lyrik, Spruchdichtung und Lehrgedicht. Das Gesetz oder die festen Einrichtungen des israelitischen Gottesstaates sind in den fünf Büchern Mosis oder dem Pentateuch (s. d.) niedergelegt, entstanden in und seit der spätern Königszeit, endgültig redigiert erst durch und seit Esra. Die Prophetie umfaßt die Vorträge und Reden der als Ratgeber der Könige, als warnende, strafende und tröstende Leiter und Seelsorger des Volkes besonders in den Zeiten des Abfalls und des Unglücks tätigen Männer, die, nachdem sie in den Zeiten eines Elias und Elisa eine politische Führerrolle innegehabt hatten, später auch schriftstellerisch tätig waren (s. Prophet). Ihre Reden bilden eine Art von rhetorischer Lyrik, die improvisatorisch vorgetragen wird, aber sich oft zum höchsten Schwung erhebt. Die Geschichte erscheint zunächst teils als poetische Sage, teils als an Ortsnamen, Gebräuche und Sprichwörter anknüpfende historische Erinnerung. Die mythischen Zeiten vor Samuel und David sind in den Büchern Mosis, in Josua und dem Buch der Richter dargestellt. Die spätere Geschichtschreibung ist in der Form der Bücher Samuels, der Könige und der Chronik, mit der die Bücher Esra und Nehemia zusammenhängen, auf uns gekommen, ruht aber auf dem Grund einer ältern Königsgeschichte, auf die sie sich durchweg bezieht. Die hebräische Poesie kennt weder eine künstliche Mischung der Silben, wie die griechischrömische, noch den Klang der Reime, wie die romanische und germanische Poesie; dagegen sind Anfänge von Strophenbau und rhythmische Gliederungen (zu 3,4,5,7 Hebungen) bemerkbar. Den Mangel der äußern Symmetrie ersetzt sie oft durch den sogen. Parallelismus der Glieder, dessen Wesen darin besteht, daß mehrere, meist zwei, Sätze oder Satzglieder so nebeneinander gestellt werden, daß sie dem Sinne nach sich irgendwie entsprechen, ergänzen oder ausschließen. In dieser Gestalt begegnet uns die hebräische Poesie in den einfachen Sinnsprüchen, deren die sogen. Sprüche Salomos (s. d.) und die ursprünglich gleichfalls der hebräischen Literatur angehörige, vollständig nur noch griechisch vorhandene Spruchsammlung des Jesus Sirach (s. d.) viele enthalten. Aber schon diese Bücher bieten auch ganze Ketten von innerlich zusammenhängenden Sentenzenreihen, und im Buch Hiob begegnet uns ein vollständiges, der Auflehnung wider die ererbte Vergeltungslehre gewidmetes Lehrgedicht in dialogischer Form mit lyrischen Einlagen und epischem Prolog und Epilog. Der Grundcharakter der hebräischen Poesie ist übrigens der lyrische, wie auch die Psalmen (s. d.), die vielleicht schon von David an bis auf die Hasmonäerzeit herabreichen, die eigentlichen Perlen dieser Literatur bilden. Zu welchem Reichtum sich die althebräische Poesie entfaltet hatte, ersieht man aber auch aus Überbleibseln einer rein weltlichen Literatur, wohin man besonders das den üppigsten Zeiten des Nordreichs entstammende sogen. Hohelied Salomos (s. d.) zu rechnen hat. Die sogen. Klagelieder Jeremias' sind Elegien auf den Untergang Judas, und der schon in der griechischen Zeit geschriebene Prediger Salomo (s. d.) ist ein philosophisches Zeugnis für den Zerfall der alten sittlich-religiösen Weltauffassung. Vgl. die sogen. Einleitungen in das Alte Testament und Herder, Vom Geiste der ebräischen Poesie (1782; hrsg. von Hoffmann, Gotha 1890, 2 Tle.); E. Meier, Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Hebräer (Leipz. 1856); Nöldeke, Die alttestamentliche Literatur (das. 1868); Reuß, Geschichte der heiligen Schriften Alten Testaments (2. Aufl., Braunschw. 1890); Kautzsch, Abriß der Geschichte des alttestamentlichen Schrifttums (Freiburg 1897); Sievers, Studien zur hebräischen Metrik (Leipz. 1901–02, 2 Tle.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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