Handlungslehrling

Handlungslehrling

Handlungslehrling ist eine Person, die zwecks Erlernung des kaufmännischen Gewerbes in den Dienst eines Kaufmanns tritt. Während das alte Handelsgesetzbuch die Verhältnisse der Handlungslehrlinge und Handlungsgehilfen gemeinsam regelte, hat das neue Handelsgesetzbuch das Lehrlingswesen in den § 76–82 neu und selbständig geregelt unter Hinweis darauf, daß die Vorschriften über Handels und Konkurrenzverbot, über Pflichten des Prinzipals für das persönliche Wohl zu sorgen, über Fortbezug des Gehalts und Unterhalts bei unverschuldeter Verhinderung an der Leistung der Dienste, über Konkurrenzklausel und Zahlung einer Konventionalstrafe für den H. die gleichen sind wie für den Handlungsgehilfen (s. d.). Ein Lehrvertrag ist nicht vorgeschrieben, jedoch bedürfen minderjährige Handlungslehrlinge zur Abschließung eines Dienstvertrags der Genehmigung des Vaters; werden sie bevormundet, so bedarf es bei allen Dienst-, Arbeits- und Lehrverträgen, die über ein Jahr hinaus dauern sollen, der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Eine schriftliche Abschließung des Lehrvertrags empfiehlt sich außer aus Gründen der gegenseitigen Klarheit schon deswegen, weil der Lehrherr Ansprüche wegen unbefugten Austritts aus der Lehre gegen den Lehrling, bez. dessen Vater nur dann geltend machen kann, wenn der Lehrvertrag schriftlich abgeschlossen wurde (§ 79 des Handelsgesetzbuches). Lehrherren oder Lehrmeister, die nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sind, dürfen Handlungslehrlinge weder in ihr Geschäft aufnehmen noch sich mit deren Anleitung befassen. Geschieht dies trotzdem, so kann die Polizei zwangsweise die Entfernung des Handlungslehrlings vornehmen (§ 81), und außerdem erfolgt Bestrafung bis zul 50 Mk. (§ 82). An sich endet das Lehrverhältnis mit Ablauf der vereinbarten oder ortsüblichen Lehrzeit, jedoch können Lehrherr und Lehrling im ersten Monate der Lehre, der als Probezeit gilt, ohne Grundangabe und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist auf das Ende dieses Monats kündigen. Eine mehr als drei Monate betragende Probezeit darf überhaupt nicht vereinbart werden. Ebenso kann der Lehrling im ersten Monate nach dem Tode des Lehrherrn kündigen (§ 77). Will der Lehrling zu einem andern Gewerbe oder Beruf übertreten, so endigt das Lehrverhältnis spätestens einen Monat nach Abgabe einer diesbezüglichen schriftlichen Erklärung durch den Lehrling oder seinen gesetzlichen Vertreter. Unter anderm Gewerbe ist ein Gewerbe, das nicht Handelsgewerbe ist, zu verstehen, unter Beruf eine dauernde Tätigkeit nichtgewerblicher Art. Es genügt demnach nicht Wechsel der Geschäftsart innerhalb der Grenzen des Handelsgewerbes. Tritt der Lehrling jedoch vor Ablauf von neun Monaten in irgend ein andres Geschäft als H. ein, so ist er dem bisherigen Lehrherrn zum Ersatz des diesem durch die vorzeitige Beendigung des Lehrverhältnisses entstandenen Schadens verpflichtet. Hatte der neue Lehrherr Kenntnis von dem Sachverhalt, so hast et auch dieser (§ 78). Abgesehen hiervon können beide Teile bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Außer den für die Handlungsgehifen (s. d.) geltenden wichtigen Gründen hat das Handelsgesetzbuch in § 82 für Handlungslehrlinge noch besonders bestimmt, daß ein Grund zur außerordentlichen Kündigung auch darin liegt, daß der Lehrherr seine Verpflichtungen in einer dessen Gesundheit, Sittlichkeit oder Ausbildung gefährdenden Weise verletzt. Verläßt der H. grundlos die Lehre, so kann der Lehrherr auf Schadenersatz klagen, erhält einen solchen aber nur, wenn, wie bereits oben angedeutet, der Lehrvertrag schriftlich abgeschlossen wurde. Eine zwangsweise Zurückführung in die Lehre ist nur zulässig, wenn der Lehrling noch nicht unbeschränkt geschäftsfähig ist und er gegen oder ohne den Willen seiner Eltern oder seines gesetzlichen Vertreters die Lehre verlassen hat. Die Bezahlung eines Lehrgeldes hängt von freier Vereinbarung oder dem Ortsgebrauch ab. Die Lehre selbst soll sich auf alle bei dem Betriebe des Geschäftes vorkommenden kaufmännischen Arbeiten erstrecken und soll möglichst zielbewußt und planmäßig sein, insonderheit darf der Lehrling nicht zu andern, abseits seines Berufes liegenden Arbeiten verwendet werden. Zum Besuche des Gottesdienstes wie der Fortbildungsschule ist ihm die erforderliche Zeit zu gewähren (§ 76). An sich und richtigerweise erhält der Lehrling für seine Dienstleistungen kein Entgelt, ist dies jedoch der Fall, so kann der Lehrherr daraus nicht etwa das Recht ableiten, seine ihm gesetzlich gegen den Lehrling obliegenden Verpflichtungen zum Teil unerfüllt zu lassen. Schließlich sei noch erwähnt, daß Handlungslehrlinge nach § 1 des Invalidenversicherungsgesetzes vom vollendeten 16. Lebensjahr an versicherungspflichtig sind, und daß sie in irgend einer Krankenkasse versichert sein müssen (§ 1 u. 3b des Krankenkassenversicherungsgesetzes).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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