Hanau [2]

Hanau [2]

Hanau, Stadt (Stadtkreis) im preuß. Regbez. Kassel, ehedem Hauptstadt der Grafschaft H., liegt am Einfluß des Krebsbaches und der Kinzig in den Main, 98 m ü. M., und besteht aus den durch den Paradeplatz getrennten Stadtteilen Alt- und Neustadt, von denen die letztere zu Ende des 16. Jahrh. von vertriebenen Niederländern und Wallonen gegründet ist. Unter den zu gottesdienstlichen Zwecken bestimmten Gebäuden (4 evangelische und eine kath. Kirche sowie eine Synagoge) sind nennenswert: die Johanniskirche (1658–79 erbaut), die sehr alte Marienkirche (früher Kollegiatkirche), mit der Gruft der Grafen von H., sowie die wallonisch-niederländische Kirche (1600 erbaut), ein eigenartiger Bau, dessen Grundfläche aus zwei ineinander gefügten Kreisen besteht.

Wappen von Hanau.
Wappen von Hanau.

Von andern Gebäuden sind bemerkenswert: das Schloß, ehedem Residenz der Grafen, mit Park, das 1733 erbaute Rathaus mit Turm, das Theater etc. Erwähnenswert ist der Marktbrunnen aus dem Jahre 1621 (s. Tafel »Brunnen«, Fig. 10). An Denkmälern befinden sich dort Denksteine zur Erinnerung an die Entsetzung der Stadt 1636 und an die Schlacht bei H. (30. Okt. 1813) sowie Denkmäler der Brüder Grimm u. des Grafen Philipp Ludwig II., des Gründers der Neustadt. Vom Main geht ein kurzer Kanal bis vor die Stadt und dient zugleich als Hafen. Die Zahl der Einwohner beträgt (1900) mit der Garnison (zwei Infanteriebataillone Nr. 166 und ein Ulanenregiment Nr. 6) 29,846 Seelen, davon 6305 Katholiken und 657 Juden. Der Haupterwerbszweig ist die Fabrikation von Bijouteriewaren in Gold und Juwelen, von goldenen Ketten und Silberwaren (1800 Arbeiter) sowie die Diamantenschleiferei. Außerdem hat H. Fabrikation von Tabak und Zigarren, Maschinen, Platina-, Aluminium- und Lederwaren, Hüten, Papier, Teppichen, Schokolade etc., Eisengießereien, Holzschneidereien, lithographische Anstalten, Gewürzmühlen, Bierbrauerei und in der Nähe eine große Pulverfabrik. Der Handel, unterstützt durch eine Handelskammer und eine Reichsbanknebenstelle, befaßt sich außer den Industrieerzeugnissen besonders mit Holz, Drogen, Kolonialwaren, Wein, Getreide und Spiritus. Für den Eisenbahnverkehr ist H. Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Frankfurt-Bebra, Friedberg-H., Frankfurt-Aschaffenburg u. a. An Bildungs- und andern ähnlichen Anstalten hat H. ein Gymnasium (1607 als Hohe Landesschule gegründet), eine Oberrealschule, Zeichenakademie, eine naturwissenschaftliche Gesellschaft, einen Geschichtsverein, in dessen Hause die Funde der Ausgrabungen in der Umgegend und die des Totenfeldes bei dem nahen Rückingen aufgestellt sind, einen Kunst-, Kunstindustrie- und Kunstgewerbeverein, Landkrankenhaus, Diakonissenhaus, Waisenhaus etc. Von Behörden haben in H. ihren Sitz: ein Landgericht, das Landratsamt für den Landkreis H., Hauptsteueramt und eine Spezialkommission. Die städtischen Behörden setzen sich zusammen aus 14 Magistratsmitgliedern und 36 Stadtverordneten. Zum Landgerichtsbezirk H. gehören die 22 Amtsgerichte zu Bergen, Bieber, Birstein, Burghaun, Eiterfeld, Fulda, Gelnhausen, Großenlüder, H., Hilders, Hünfeld, Langenselbold, Meerholz, Neuhof, Orb, Salmünster, Schlüchtern, Schwarzenfels, Steinau, Wächtersbach, Weyhers und Windecken. – In der Nähe das Schloß Philippsruhe und das Wilhelmsbad mit Eisenquellen.

Die in der Umgebung Hanaus aufgefundenen zahlreichen Urnen, Münzen etc. deuten darauf hin, daß der Gründung der Stadt wahrscheinlich eine römische Ansiedelung vorherging. 1393 wurde H. zur Stadt erhoben, von dem Grafen Philipp 1528 befestigt und mit einem neuen Schloß geziert. Bedeutung erhielt die Stadt erst, als gegen Ende des 16. Jahrh. eine aus ihrem Vaterlande der Religion wegen vertriebene Kolonie von Niederländern sich hier niederließ. Im Dreißigjährigen Kriege 1636 von den Kaiserlichen unter General Lamboy belagert, wurde die Stadt 13. Juni 1636 durch ein schwedisches Korps unter dem Landgrafen Wilhelm V. von Kassel entsetzt, was einem nahen Walde den Namen Lamboywald und Veranlassung zu dem jetzt noch jeden 13. Juni gefeierten Lamboyfest gab. Im Februar 1638 wurde H. von den Kaiserlichen unter dem Grafen Wilhelm von Nassau-Dillenburg doch erstürmt, welcher der abenteuerlichen Herrschaft, die der schwedische Befehlshaber, ein Schotte namens Ramsay, führte, ein Ende machte. Vgl. Wille, H. im Dreißigjährigen Krieg (Hanau 1886).

In der neuern Kriegsgeschichte ist H. durch die Schlacht vom 30. und 31. Okt. 1813 denkwürdig geworden. Nach dem Abschluß des Vertrags von Ried (8. Okt. 1813) zwischen Bayern und Österreich zog der bayrische General Wrede an der Spitze eines bayrisch-österreichischen Heeres über Würzburg nach H., um den nach der Leipziger Schlacht dem Rhein zueilenden Franzosen den Rückzug abzuschneiden, und erreichte 28. Okt. mit seiner Vorhut H. Seine ganze Streitmacht zählte nach den Entsendungen, die er gemacht, noch etwa 40,000 Mann. Die Franzosen aber, 60,000 Mann stark, warfen 29. Okt., nachdem sie den Engpaß zwischen Schlüchtern und Gelnhausen ohne Hindernis passiert, die vereinzelten Abteilungen Wredes östlich von H. zurück und nahmen Langenselbold mit Sturm. Als Napoleon 30. Okt. aus dem Lamboywald, der vor Wredes Front lag, hervorbrach, ward er zwar vom feindlichen Geschütz mit wirksamem Feuer empfangen und erlitt große Verluste; indes Drouet brachte Wredes Artillerie durch 50 Kanonen zum Schweigen, und ein Angriff der französischen Kavallerie durchbrach die bayrisch-österreichische Schlachtreihe. Wrede zog sich unter großen Verlusten über die Lamboybrücke auf das linke Ufer der Kinzig zurück. Am Morgen des 31. Okt. nahm Napoleon H., und der größte Teil seiner Armee konnte auf der freien Straße nach Frankfurt abmarschieren. Wrede schritt nun zu einem Angriff, um den Nachtrab der Franzosen abzuschneiden. Die Verbündeten nahmen das noch von zwei französischen Regimentern besetzte H. mit Sturm wieder, wobei Wrede selbst schwer verwundet ward; doch gelang es ihnen nicht, sich der Kinzigbrücke zu bemächtigen und dadurch den französischen Nachtrab abzuschneiden. Derselbe marschierte, 14,000 Mann stark, unter Mortier während der Nacht über die Lamboybrücke nach Frankfurt ab. Der Kampf der beiden Tage hatte den Verbündeten gegen 9000 Mann gekostet. Vgl. Dörr, Die Schlacht von H. (Kassel 1851); »Die Schlacht bei H. am 30. und 31. Oktober 1813« (Hanau 1863); Junghans, Geschichte der Stadt und des Kreises H. (das. 1887); Zimmermann, Hanauer Chronik mit Kultur- und Sittengeschichte (das. 1897 ff.); Winkler u. Mittelsdorf, Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt H. (das. 1900).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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