Guise [2]

Guise [2]

Guise (spr. gwīs'), Nebenzweig des Hauses Lothringen, das die Herrschaft G. 1473 als Mitgift erhalten hatte. Die namhaftesten Träger dieses Namens sind.

1) Claude von Lothringen, Stammvater der Familie, dritter Sohn des Herzogs René II. von Lothringen, geb. 1496, gest. 12. April 1550, hieß zuerst Graf von Aumale, ließ sich 1506 in Frankreich nationalisieren und vermählte sich 1512 mit der Prinzessin Antoinette von Bourbon. Hauptsächlich durch die Gunst Dianens von Poitiers kam die Familie rasch empor. Claude war mit einem jährlichen Einkommen von 14,000 Frank nach Frankreich gekommen; hier ward er Besitzer von Aumale, Guise, Joinville, Elbeuf und Mayenne und hatte auch Güter in der Picardie und Normandie. Zu seinen Gunsten wurde 1527 die Grafschaft G. in ein Herzogtum verwandelt. Er hinterließ von seiner Gemahlin Antoinette von Bourbon (vgl. Pimodau, La mère des Guises, Antoinette de Bourbon, Par. 1889) fünf Töchter, von denen die älteste, Maria, durch ihre Vermählung mit Jakob V. von Schottland die Mutter der unglücklichen Maria Stuart ward, und sechs Söhne, unter denen Franz, Claude von Aumale und der Kardinal Karl die bedeutendsten waren. Alle diese Glieder des Hauses G. hielten eng zusammen und wendeten ihre bedeutenden Fähigkeiten zu gegenseitiger Förderung an. Sie behaupteten von den Karolingern abzustammen und deshalb an Rang der königlichen Familie mindestens gleich zu stehen. Vgl. Literatur bei G. 9).

2) Jean, Bruder des vorigen, geb. 1498, gest. 1550, ward 1518 Kardinal, Erzbischof von Lyon, Reims und Narbonne, Bischof von Metz und sechs andern Bistümern und war ein einflußreicher Staatsmann Franz' I. und Heinrichs II.

3) Franz von Lothringen, Herzog von, ältester Sohn von G. 1), geb. 15. Febr. 1519 in Bar, gest. 18. Febr. 1563, war einer der größten Kriegshelden Frankreichs. Bei Lebzeiten seines Vaters den Titel eines Grafen von Aumale führend, zeichnete er sich schon früh aus, so bei der Belagerung von Boulogne 1545. 1552 erhielt er den Oberbefehl in Metz, das er mit 20,000 Mann gegen die 60,000 Mann starke Armee Karls V. mit rücksichtsloser Tatkraft verteidigte, so daß im Januar 1553 das Belagerungsheer abziehen mußte. 1556 befehligte er das französische Heer in Italien, konnte aber Neapel nicht erobern. 1557 erwarb er glänzenden Ruhm durch die Eroberung von Calais, der letzten englischen Besitzung in Frankreich (1558); hierauf nahm er noch Diedenhofen. Nach dem Tode Heinrichs II. (1559) bemächtigten sich Franz von G. und sein Bruder, der Kardinal, völlig der Gewalt über den jungen und schwachen König Franz II., der unter dem Einfluß ihrer Nichte Maria Stuart, seiner Gemahlin, stand. Um die protestantischen Bourbonen zu verdrängen, verfolgten sie deren Glaubensgenossen mit fanatischer Wut. Der Tod Franz' II. (5. Dez. 1560) beraubte G. seines herrschenden Einflusses. Doch schloß er mit dem Connétable von Montmorency und dem Marschall Saint-André die unter dem Namen des Triumvirats bekannte Verbindung, zu der später auch König Anton von Navarra trat, und welche die Verdrängung der damals religiös duldsamen Königin-Mutter Katharine von Medici von der Regentschaft bezweckte. Infolge des Blutbades von Vassy, welches das Gefolge des Herzogs im März 1562 unter einer reformierten Versammlung anrichtete, brach der erste Hugenottenkrieg aus. G. eroberte Rouen, Bourges und andre Städte und trug bei Dreux 19. Dez. 1562 über die Protestanten einen vollständigen Sieg davon. Im Februar 1563 unternahm er die Belagerung von Orléans, wurde aber von einem protestantischen Edelmann, Poltrot de Meré aus Angoumois, erschossen. Er hinterließ vier Sohne und eine Tochter, Katharine, die an Ludwig von Bourbon, Herzog von Montpensier, verheiratet wurde. Vgl. Brisset, François de G. (Par. 1840, 2 Bde.); Cauvin, Vie de François de Lorraine (Tours 1878); de Ruble, L'assassinat de François de Lorraine duc de G. (Par. 1898).

4) Karl von G., Kardinal von Lothringen, Bruder des vorigen, geb. 17. Febr. 1524 in Joinville, gest. 26. Dez. 1574, wurde schon im Alter von 9 Jahren Erzbischof von Reims und 1555 Kardinal. Er zeichnete sich ebenso durch feinste Bildung, fruchtbaren und durchdringenden Geist, wie durch gänzlichen Mangel an moralischer Gesinnung aus. Herrschgierig, habsüchtig, listig, glaubenslos, verbarg er den schändlichsten Egoismus durch äußerlich untadeligen Lebenswandel, würdevolles Benehmen und heuchlerische Frömmigkeit. Als Gesandter Heinrichs II. schloß er mit Papst Paul IV. 15. Dez. 1555 ein Kriegsbündnis gegen Karl V. und Philipp II. Unter Franz II. (1559–60) war der Kardinal der wahre Herr des Staates und regierte mit despotischer und grausamer Härte, offen auf das Ziel hinarbeitend, seinem Hause die Krone Frankreichs zu verschaffen. Unter Karl IX. wurde er zunächst von allem Einfluß entfernt, so daß er aus Ärger auf dem Trienter Konzil, wo er 1562 an der Spitze der Reformpartei gestanden hatte, 1563 zur Kurie überging und den Sieg der päpstlichen Partei entschied. Später kam er wieder nach Paris, hatte aber an der Bartholomäusnacht keinen direkten Anteil, da er damals in Rom war. Vgl. Guillemin, Le Cardinal de Lorraine (Reims 1847).

5) Heinrich I. von Lothringen, Prinz von Joinville, dann Herzog von G., le Balafré, der Benarbte, genannt, ältester Sohn von G. 3), geb. 31. Dez. 1550, gest. 23. Dez. 1588, ward am Hofe Heinrichs II. erzogen. Seit seinem 14. Jahre focht er mit Mut und Geschick, aber auch mit glühendem Glaubenshaß gegen die französischen Protestanten. Er war einer der Anstifter der Bartholomäusnacht und nahm, um den Tod seines Vaters zu rächen, die Ermordung Colignys persönlich auf sich. In einem Treffen gegen deutsche Hilfstruppen der Hugenotten bei Dormans 1575 erhielt er eine Wunde, die ihm den Beinamen Le Balafré verschaffte. Als Heinrich III. nach Anschauung der eifrigen Katholiken nicht entschieden genug gegen die Protestanten auftrat, wählten jene G. zu ihrem Führer, den hierzu außer seiner Abstammung noch der Vorzug eines schönen und imponierenden Äußern empfahl. Er bildete 1576 die sogen. heilige Ligue. Sofort begann ein neuer Bürgerkrieg (bis 1580). Der Tod des einzigen Bruders Heinrichs III. (1584), die Thronanwartschaft des ketzerischen Heinrich von Navarra, die allen eifrigen Katholiken unerträglich war, belebte die Hoffnungen der G., die französische Krone zu erlangen. Die Ligue war diesem Plane günstig. Heinrich von G. und seine Brüder und Oheime schlossen im Januar 1585 ein Bündnis mit Spanien, das dafür das Versprechen der Abtretung mehrerer französischer Provinzen erhielt. G. besetzte im März 1585 die Städte im südlichen und westlichen Frankreich mit Truppen seiner Partei, nötigte im Juli den König zu einem Vertrag, nach dem nur die katholische Religion im Reiche geduldet werden sollte, und gab dadurch zu dem sogen. Krieg der drei Heinriche Veranlassung. Er erregte im Mai 1588 zu Paris einen Aufstand (den »Barrikadentag«), um den der Mäßigung verdächtigen König im Louvre gefangen zu nehmen. Dieser entkam zwar, doch ließ er sich zu dem den Protestanten sehr ungünstigen Unionsedikt bewegen; gleichzeitig wurden G. die Rechte eines Connétables erteilt und der schwache Kardinal von Bourbon, ein Werkzeug der G., zum Thronfolger erklärt. Zur Befestigung dieses Zustandes ward im Oktober der Reichstag zu Blois versammelt; doch hier ließ König Heinrich den übermächtig gewordenen G. ermorden. Mit ihm sank die Macht und der Glanz des Hauses G. Vgl. Rénauld, Henri de Lorraine, duc de G. (Par. 1879); Cauvin, Henri de G., le Balafré (Tours 1881).

6) Karl von G., Marquis und später Herzog von Mayenne, Bruder des vorigen, geb. 26. März 1554, gest. 3. Okt. 1611, übernahm nach dem Tode seiner beiden Brüder die Leitung der Ligue, nannte sich Generalleutnant des Königreichs und strebte nach dem Tode des Kardinals von Bourbon (1590) selbst nach der Krone von Frankreich. Indes der zwar ehrgeizige, aber langsame und mit ungeheurer Fettleibigkeit behaftete Mann war einem Gegner wie Heinrich IV. nicht gewachsen. Er unterlag bei Arques und Ivry, unterwarf sich 1596 und wurde dann zum Gouverneur von Isle-de-France ernannt.

7) Ludwig II., Kardinal von G., Bruder der beiden vorigen, geb. 6. Juli 1555 in Dampierre, gest. 24. Dez. 1588, folgte 1574 seinem Oheim im Erzbistum von Reims. Er stellte sich mit seinem Bruder an die Spitze der Ligue und wurde bei der Ermordung seines Bruders in Blois ins Gefängnis geworfen und daselbst tags darauf hingerichtet.

8) Karl von Lothringen, Herzog von G., ältester Sohn von G. 5) und der Katharina von Kleve, geb. 20. Aug. 1571, gest. 1640 in Cuna bei Siena, ward nach der Ermordung seines Vaters zu Blois gefangen genommen und saß bis 1591 im Schloß zu Tours, entfloh dann und kämpfte anfangs gegen Heinrich IV., unterwarf sich aber bald, wurde zum Statthalter der Provence ernannt und leistete dem König sehr ersprießliche Dienste, mußte aber unter Ludwig XIII. Frankreich verlassen, da er Richelieu verdächtig geworden war, und begab sich nach Florenz.

9) Heinrich II. von Lothringen, Herzog von G., vierter Sohn des vorigen, geb. 4. April 1614 in Blois, gest. im Juni 1664 in Paris, verband sich mit Spanien und einer Anzahl französischer Unzufriedenen zu der »Ligue für den allgemeinen Frieden der Christenheit« gegen den Kardinal Richelieu. Dieser erhielt aber davon Kunde. G. mußte sich nach Flandern retten und ward im September 1641 zum Tode verurteilt. Seiner Güter und Würden beraubt, heiratete er zu Brüssel die Witwe des Grafen von Bossut, Honorée de Berghes. Nach Richelieus und Ludwigs XIII. Tod durfte er nach Paris zurückkehren und wurde in seine Würden und Güter wieder eingesetzt. Der Aufstand in Neapel unter Masaniello erregte in ihm den Wunsch, die Rechte des Hauses Anjou, dem er entstammte, auf Neapel geltend zu machen. Er stellte sich deshalb im November 1647 an die Spitze der Insurgenten und machte sich zum Herrn des Landes. Jedoch nicht lange nachher wurde er nach tapferster Gegenwehr von den Spaniern gefangen und erst 1652 auf Veranlassung des Prinzen Condé freigelassen. (Vgl. Loiseleur, L'expédition du duc de G. à Naples, Par. 1875.) Er lebte fortan als Großkammerherr am Hofe Ludwigs XIV. in großem Ansehen und starb ohne Nachkommen. Seine »Mémoires« (Par. 1669, 2 Bde.), wahrscheinlich teils vom Grafen Raimund von Modena, teils von seinem Sekretär Saint-Yon verfaßt, stehen in Petitots »Collection des mémoires relatifs à l'histoire de France«, Bd. 55 und 56 (das. 1826; deutsch, Frankf. 1670). – Das Geschlecht der Herzoge von G. aus dem Hause Lothringen erlosch 17. März 1696 mit Elisabeth von Orléans, Herzogin von G., vermählt mit dem Neffen des vorigen, Louis Joseph von Lothringen, Prinzen von Joinville (gest. 1671). Die Besitzungen fielen an die Condés, die nächsten einheimischen Agnaten. Vgl. Bouillé, Histoire des ducs de G. (Par. 1850, 4 Bde.); J. de Croze, Les Guise, les Valois et Philippe II (das. 1866, 2 Bde.); Forneron, Les ducs de G. et leur époque (2. Aufl., das. 1893, 2 Bde.); de Pimodau, La mère des G., Antoinette de Bourbon (das. 1889).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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