Grenze [2]

Grenze [2]

Grenze, einer der wichtigsten Begriffe der neuern Mathematik. Der Begriff der G. tritt schon bei der Verwandlung gewisser Brüche in Dezimalbrüche auf. Will man z. B. 1/3 in einen Dezimalbruch verwandeln, so findet man, daß die Dezimalbrüche 0,3, 0,33, 0,333 etc. sämtlich kleiner als 1/3 sind, wieviele Dezimalstellen mit der Ziffer 3 man auch hinter dem Komma hinzufügen mag, daß aber anderseits die Dezimalbrüche 0,4, 0,34, 0,334 etc., bei denen die letzte Dezimalziffer immer gleich 4 gesetzt ist, sämtlich größer sind als 1/3, daß also der Unterschied zwischen 1/3 und jedem der Dezimalbrüche 0,3, 0,33 etc. der Reihe nach kleiner ist als 0,1, 0,01, 0,001 etc. Obwohl also der Dezimalbruch 0,333 ... niemals = 1/3 ist, wie viele Dreien man auch hinter dem Komma setzen mag, so kommt er doch dem Werte 1/3 um so näher, je mehr Dreien man setzt, und wenn man genügend viele Dreien setzt, kann man den Unterschied zwischen beiden so klein machen, wie man nur will. Man sagt in diesem Falle: der Bruch 1/3 ist die G., der (oder der Grenzwert, dem) sich die Dezimalbrüche 0,3, 0,33, 0,833 etc. immer mehr nähern, oder der sie zustreben, je weiter man in der Reihe dieser Dezimalbrüche fortschreitet. In diesem Sinn ist es auch zu verstehen, wenn man sagt, daß der Bruch 1/3 gleich ist dem ins Unendliche fortgesetzten Dezimalbruch 0,333 ... (mit lauter Dreien), denn diesen unendlichen Dezimalbruch selbst kann man niemals vollenden, sondern nur als die G. erklären, der man auf dem angegebenen Weg immer näher kommt, ohne sie jemals wirklich zu erreichen. Während hier der Bruch 1/3 als gemeiner Bruch vollständig durch Zahlen ausgedrückt ist und nur, wenn man ihn als Dezimalbruch darstellen will, zu einem solchen Grenzverfahren (Grenzprozeß) nötigt, gibt es andre Größen, die überhaupt nicht genau durch Zahlen darstellbar sind, sondern denen man durch Rechnung nur beliebig nahekommen kann. Eine solche schon von den alten Griechen betrachtete Große ist die Diagonale eines Quadrats von der Seitenlänge 1, eine Größe, die geometrisch konstruierbar, deren Vorhandensein also zweifellos ist. Nach dem pythagoreischen Lehrsatz ist das Quadrat dieser Diagonale gleich 12+12 = 2, die Diagonale selbst wird also durch die Zahl x dargestellt, deren Quadrat x2 = 2 ist, und ihre Berechnung kommt hinaus auf die Ausziehung der Quadratwurzel x = √2 aus 2. Diese Aufgabe ist nicht genau lösbar, wohl aber kann man z. B. nach dem gewöhnlichen Verfahren zum Ausziehen einer Quadratwurzel (s. Wurzel) eine Reihe von Zahlen, a1, a2, ... bilden (die drei ersten sind: 1, 1,4, 1,41), die so beschaffen sind, daß jede großer ist als die vorhergehende, daß ihre Quadrate a21, a22, ... sämtlich kleiner sind als 2, daß aber der Unterschied zwischen 2 und jeder der Zahlen a21, a22, ... immer kleiner wird, je weiter man in der Reihe dieser Zahlen fortgeht, und daß dieser Unterschied, wenn man nur die Reihe weit genug fortsetzt, schließlich kleiner wird als ein Millionstel, ein Billionstel etc., kurz, so klein, wie man nur will. Daraus folgt, daß die Zahlen a1, a2, ... selbst sämtlich kleiner sind als die Unbekannte √2 daß sie sich aber dem Wert √2 immer mehr nähern, und daß der Unterschied zwischen √2 und jeder der Zahlen a1, a2, ... beliebig klein wird, wenn man in dei Neihe der Zahlen a1, a2, ... weit genug geht. Die Zahl √2 ist daher die G., der die Zahlen a1, a2, ... immer näher und näher kommen. Bezeichnet man eine beliebige der Zahlen a1, a2, ... mit an, wo also n irgend eine der ganzen Zahlen 1, 2, 3, ... bedeutet, so kommt also an der Unbekannten √2 um so näher, je großer n ist, und die Differenz. √2 – an kann so klein gemacht werden, wie man nur will, wenn man nur das n groß genug wählt. Man drückt das kurz so aus: lim an = √2 (gelesen limes für n gleich unendlich n = ∞ von an ist gleich √2; limes ist das lateinische Wort für G.). Während das Vorhandensein der Zahl √2 wenigstens immer noch durch geometrische Konstruktion gesichert ist, gibt es auch Zahlen, zu denen man überhaupt auf keinem andern Wege gelangen kann als durch einen solchen Grenzprozeß. Am einfachsten ist es, wenn man zwei Reihen von Zahlen angeben kann, die eine a1, a2, ..., in der jede Zahl größer ist als die vorhergehende, aber kleiner als die zu bestimmende Zahl x und die andre b1, b2, ..., in der jede Zahl kleiner ist als die vorhergehende, aber größer als x. Dann liegt x zwischen am, und bn oder, wie man sagt, es ist zwischen den Grenzen am und bn eingeschlossen, unter m und n beliebige große Zahlen verstanden. Den Inbegriff aller Zahlen, die zwischen zwei Zahlen am und bn liegen, nennt man ein Intervall, wir können daher beliebig viele Intervalle angeben, deren jedes x enthält, da ferner am+1 größer ist als am und bn+1 kleiner als bn und jedes a kleiner als jedes b, so ist das Intervall von am+1 bis bn+1 ganz in dem Intervall von am bis bn enthalten, und wir können somit beliebig viele Intervalle am bis bn, am+1 bis bn+1, am bis bn+2 etc. angeben, deren jedes x enthält und überdies ganz in dem vorhergehenden enthalten ist. Damit x vollständig bestimmt sei, ist nur noch nötig, daß sich die Grenzen, zwischen denen es eingeschlossen werden kann, schließlich beliebig nahe aneinander wählen lassen, daß also die Intervalle beliebig klein gemacht werden können, es muß demnach die Differenz bn-am dadurch, daß man m und n beide groß genug wählt, kleiner gemacht werden können als jede noch so kleine Zahl. Wenn das der Fall ist, so streben augenscheinlich am und bn mit wachsendem m und n beide derselben G. zu, und es ist lim am = lim bn = x. Allgemeiner m = ∞ n = ∞ kann man sich nun auch irgend eine nach einem bestimmten Gesetz gebildete Reihe von Zahlen c1, c2, c3, ... gegeben denken und die Bedingungen aufstellen, unter denen c., mit wachsendem n einer bestimmten endlichen G. zustrebt. Auf diesem Wege haben Heine und G. Cantor die Theorie der irrationalen Zahlen (s. Irrational) begründet, indem sie jede solche Zahl durch eine unendliche, nach einem bestimmten Gesetze gebildete Reihe von rationalen Zahlen (s. Rational) c1, c2, ..., eine sogen. Fundamentalreihe ersetzten, deren Glieder einer bestimmten endlichen G. zustreben. Man hat dabei den Vorteil, daß man diesen Grenzwert selbst gar nicht zu betrachten braucht, sondern aus den Fundamentalreihen, die zwei solche Zahlen repräsentieren, sofort eine Fundamentalreihe ableiten kann, welche die Summe oder das Produkt dieser beiden Zahlen repräsentiert. Man nennt deshalb die irrationalen Zahlen wohl auch Reihenzahlen. Auf derselben Art von Grenzprozeß beruht auch der Begriff der Summe einer konvergenten unendlichen Reihe (s. d.). Andre Arten von Grenzprozessen führen in der Differentialrechnung (s. d.) zum Begriff des Differentialquotienten und in der Integralrechnung (s. d.) zum Begriff des Integrals. Allgemeine Regeln zur Bestimmung von Grenzwerten und zum Nachweis ihrer Existenz findet man in den Lehrbüchern der Differential- und Integralrechnung. – Grenzbegriffe nennt man solche Begriffe, die als Grenzfälle andrer Begriffe durch einen dem hier betrachteten Grenzprozeß ähnlichen Denkprozeß hervorgehen. Solche Begriffe sind z. B. in der Geometrie: Fläche, Linie und Punkt. Die Fläche kann aufgefaßt werden als die G., der sich ein Körper immer mehr nähert, je mehr eine seiner drei Dimensionen. die Dicke, abnimmt. In demselben Sinn ist die Lini, die G. einer Fläche, deren Breite unaufhörlich abnimmt und der Punkt die G. einer Linie, deren Länge immer kleiner und kleiner wird.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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