Gräber, vorgeschichtliche

Gräber, vorgeschichtliche

Gräber, vorgeschichtliche (prähistorische Gräber, hierzu die gleichnamigen Tafeln I u. II), sind mit den in ihnen enthaltenen Skelettresten und den Geräten, Schmucksachen, Waffen, Tongefäßen u. dgl., die man dem Toten mit ins Grab zu geben pflegte (Grabbeigaben), von größter Wichtigkeit für die Beurteilung des vorgeschichtlichen Menschen und seiner Kultur. Man unterscheidet der Zahl nach Einzelgräber, gewöhnlich größere Monumente, häufig an. hervorragenden Punkten, auf Berghöhen u. dgl. gelegen, und als Hünengräber, Hünenbetten, Hügelgräber, Hunnengräber, Heidengräber, Teufelsbetten, Riesenbetten etc. bezeichnet. Sind die Gräber aus Steinblöcken aufgebaut (Dolmen, s. d.) oder mit Steinen umstellt, so heißen sie gewöhnlich Steingräber, auch Steingang, Ganggräber, Gangbaue, Speckseiten, Allées couvertes, Jayantières, Galgal (Westfrankreich), Sesi (auf Pantelleria), Hünenbetten, Bülten- oder Bülzenbetten, Teufelsbetten, Riesenbetten, Riesenstuben, Riesenkeller, Hünenkeller, Riesenkammern, Teufelskeller, Teufelsküchen, Teufelskammern, Teufelsaltäre, Teufelskanzeln, Brautkamp, Brauttanz, Brautkoppeln, Brautsteine, Hinkelsteine, Henkensteine, Hünensteine, Steingang, Steintanz, Dannsenstein, Danzelstein, Schluppsteine, Sonnensteine, Karlssteine, Steinkirche, Steintische, in Skandinavien: Jättestuer, Dysser, Steendysser, in Portugal Antas. Bestehen sie aus Erdhügeln (tumuli), so werden sie meist Heidenhügel, Teufelsberge, Urnenhügel, Brandhügel, Heidenküppel, Dreihügel (wendisch: Trigorki), Glockenhügel, Lauschhügel, Lausehügel, Hutberg, Wachthügel, Königshügel, Königsgräber, Lutchenberge, Lutchenwohnungen, Malhügel, Quarzberge, in Böhmen Mohile, Mogile, in Rußland Kurgane genannt. Auf den Gräberfeldern liegen mehrere, häufig eine große Anzahl von Begräbnissen, an einer Stelle beisammen. Hierher gehören die Hügelfelder, Urnenfelder, Hünenkirchhöfe, Heidenkirchhöfe, Wendenkirchhöfe, Urnenfriedhöfe etc. Nicht selten hat dasselbe Grab mehrere Begräbnisse aufgenommen.

Der äußern Form nach lassen sich unterscheiden a) Flachgräber (unterirdische Begräbnisse) mit Bedeckung aus ausgelegten kleinen Steinen oder ohne solche oder auch mit regelmäßigen Steinumfassungen (Steinsetzungen) in Form von Kreisen, Rechtecken, zuweilen auch die Umrisse eines Schiffes nachahmend (Schiffssetzungen, Tafel II, Fig. 5 u. 6); b) Hügelgräber, Kegelgräber, Römerhügel (oberirdische Begräbnisse) mit und ohne innere Steinsetzungen in Form von innern Steinkreisen, Steinhaufen, oder mit aus Steinen zusammengesetzten und mit Steinen bedeckten kistenförmigen Behältern für die Überreste des Bestatteten (Steinkisten, Kistengräber, Tafel II, Fig. 9–11), oder mit Holzeinbauten in Form von hammerförmigen, aus Bohlen und Balken gezimmerten Behältern für die Bestatteten, oder auch nur mit aus ausgehöhlten Baumstämmen hergestellten Särgen (Baumsärge, Totenbäume, Einbäume, Tafel II, Fig. 12). Den Grabhügel umgibt manchmal ein Graben. Zu den Hügelgräbern gehören die Langhügel (in Skandinavien Lang-dysse, in England long-barrows genannt, Tafel I, Fig. 4), Riesenbetten, Hünenbetten, Bülzenbetten, Brautkämpe, Glocken- oder Rundhügel, Lausehügel, Hutberge, Königshügel, auch die Hügelgräber mit eingesetzten Bautasteinen (s. d., Tafel II, Fig. 7) etc. c) Steinkammern (megalithische Gräber), aus großen Steinblöcken errichtet und entweder ganz frei stehend oder halb mit Erde bedeckt (Tafel I, Fig. 1, 3 u. 5–7), oder aber in einem künstlichen Erdhügel befindlich und mit einem ebenfalls aus Steinen errichteten schmalen und niedrigen, oft nur röhrenformigen Zugang versehen (Ganggräber, in Skandinavien: Ganggrifter, Gangbauten, s. Dolmen). Hierher gehören die Riesenstuben (in Skandinavien Jättestuer, Tafel I, Fig. 2), Teufelskeller, Speck eiten etc. Dem Inhalte nach unterscheidet man nach der Anzahl der in ein und demselben Grabe gefundenen Bestattungen: Einzelbestattungen, mehrfache Bestattungen (Familiengräber) und Massenbestattungen.

Der Bestattungsart nach sind zu unterscheiden: a) Skelettgräber, in denen die Leiche in unversehrtem Zustand beigesetzt wurde (Tafel II, Fig. 1 u. 2).

Tonurne mit Leichenbrand im Flachgrab.
Tonurne mit Leichenbrand im Flachgrab.

Zuweilen finden sich Anzeichen, daß der Leichnam mit Asche und Kohlenstückchen bestreut wurde, vielleicht ein Zeichen der Erinnerung an früher gebräuchlich gewesene Feuerbestattung. b) Brandgräber, mit vollständiger Leichenverbrennung, in denen man nur die Asche des verbrannten Leichnams findet (Tafel II, Fig. 3, 4, 8 u. 11); c) Brandgräber mit teilweiser Leichenverbrennung (minderer Leichenbrand); d) Teilgräber; in diesen ist nur ein Teil des Leichnams verbrannt, der übrige Teil des Körpers unverbrannt beigesetzt.

Die in den Gräbern gefundenen Beigaben (Grabfunde) bekunden die Absicht, den Verstorbenen für das Jenseits mit den ihm dort nötigen Gebrauchsgegenständen zu versehen und ihm für die Reise dorthin Zehrung mit auf den Weg zu geben, oder ihn nur mit dem, was er an sich trug, der Erde zu übergeben, damit er die ihm im Leben lieb gewesenen Gegenstände dort nicht vermisse. Zum Zeichen, daß sie dem Toten geweiht seien, oder auch, um sie für den fernern Gebrauch untauglich zu machen, damit sie nicht gestohlen würden, wurden sie häufig zerbrochen. Es finden sich hiernach in den vorgeschichtlichen Gräbern Reste von Kleidern, Geräte, Waffen, Schmuck, zerschlagene Tierknochen. Pferdeschädel, Rinderschädel, Trümmer von Wagen und Pferdegeschirren etc. In den Brandgräbern sind die Beigaben häufig durch das Feuer bei der Verbrennung stark mitgenommen. Bei den Skelettgräbern ist der Kopf der Leiche sehr oft nach einer bestimmten Himmelsgegend gerichtet, was auf Vorstellungen deutet, die in Beziehung zu dem Lauf der Sonne und deren Verehrung stehen. In der Nähe von größern Begräbnisplätzen stößt man nicht selten auf Spuren von Ansiedelungen, und ebenso findet man zuweilen Begräbnisse innerhalb größerer Ansiedelungen.

Die Bestattung der Toten ist in verschiedenen Abschnitten der vorgeschichtlichen Zeit wesentlich verschieden gewesen. Die Beisetzung der Leichen in Höhlen ist schon in der paläolithischen Zeit (s. Steinzeit) bezeugt (Höhlengräber von Mentone) und vielleicht die älteste Bestattungsform. Grabgrotten aus neolithischer Zeit sind nachgewiesen in den Bergen von Wales (England) sowie in den südlichen und östlichen Departements Frankreichs (Grotte von Aurignac im Departement Obergaronne, Grotte von Duruthy bei Sordes im Depart. Niederpyrenäen, Grabgrotten der Lozère etc.). Der Steinzeitmensch scheute nicht davor zurück, schwer zugängliche Höhen zu erklimmen, um dort für sich selbst eine Zufluchtsstätte, für seine Toten eine sichere Ruhestätte zu gewinnen. Daher haben jene Höhlen, die während der Steinzeit von Menschen bewohnt wurden, häufig zugleich zur Bestattung der Toten gedient. Die Leichen wurden entweder vollständig ausgestreckt oder in kauernder Stellung bei gesetzt. Auch die Bevölkerung der Kjökkenmöddinger (s. d.) hat ihre Toten in manchen Gegenden (Portugal) an derselben Stelle begraben, wo sie ihre gemeinsamen Mahlzeiten verzehrte. Die Pfahlbaubewohner scheinen ihre Toten in der Regel am Ufer der Seen und Sümpfe, in denen man die Reste ihrer Ansiedelungen findet, begraben zu haben. Der Bestattung in Höhlen steht diejenige in künstlichen Grabgrotten, wie sie z. B. de Baye im Depart. Marne (Frankreich) als Aushöhlung der dortigen Kreidebänke nachgewiesen hat. sehr nahe. Neben den im vorhergehenden erwähnten Bestattungsformen hat in neolithischer Zeit die Bestattung in megalithischen Grabkammern (Dolmen, s. d.) eine wichtige Rolle gespielt. Doch waren es wohl meist nur besonders angesehene Personen oder deren Angehörige, die man auf solche Weise auszeichnete. Während der ältern Bronzezeit Nordeuropas bestattete man die Leichen unverbrannt wie in der jüngern Steinzeit. Speziell während dieses Abschnittes der Prähistorie sind die oben beschriebenen Steinkisten, über die dann der Grabhügel aufgeschüttet wurde, vorzugsweise im Gebrauch. Die Steinkisten sind in der ältesten Bronzezeit groß und gewöhnlich mit mehreren Leichen belegt, später werden sie kleiner, und gegen das Ende der Bronzezeit nach der Einführung der Leichenverbrennung schrumpfen sie zu fußlangen Quadraten zusammen oder verschwinden gänzlich, indem eine Tonurne anfangs innerhalb der Steinkiste, später ohne dieselbe den Leichenbrand aufnimmt, wenn derselbe nicht ganz einfach in eine Erdgrube gebettet und mit einem Steine zugedeckt wird (s. Textfigur). Mit der Einführung der Leichenverbrennung geht Hand in Hand eine verminderte Neigung zur Ausschmückung und Ausrüstung der irdischen Überreste der Verstorbenen. Das berühmte Gräberfeld von Hallstatt, das der »Hallstattperiode« (s. Metallzeit) den Namen gegeben hat, besteht aus »Flachgräbern«, die z. T. Skelette, z. T. kalzinierte Überreste der Leichen enthalten haben. In beiden Kategorien von Gräbern finden sich Beigaben von aus Eisen und Bronze hergestellten Waffen und Geräten, Gold-, Bernstein- und Glaszieraten, Tongefäße von charakteristischer Form etc. Von Naue wurden in oberbayrischen Gräbern aus der jüngern Hallstattperiode besonders häufig Reste von jungen Ebern aufgefunden; diese Eberbeigaben hängen wahrscheinlich mit gewissen religiösen Vorschriften zusammen. In den Gräbern Ostfrankreichs, die der La Tène-Periode angehören, wurden Skelette aufgefunden; die La Tène-Gräber Schwedens sind meistens Flachgräber mit verbrannten Knochen, die in einer Urne oder in freier Erde ruhen. Die Errichtung von Grabhügeln ist durch die Ausbreitung des römischen Einflusses und namentlich des Christentums in vielen Gegenden außer Gebrauch gekommen. In der römischen Zeit waren Steinsärge oder sargähnliche Kisten mit dachförmigem Deckel, aus großen Ziegeln oder flachen Steinen zusammengesetzt, vielfach gebrauchlich. Für die merowingisch-fränkische Zeit sind die Reihengräber (reihenförmige Anordnung der als Flachgräber hergestellten Grabstätten) charakteristisch. S. auch Afrikanische und Amerikanische Altertümer. Vgl. Hoernes, Die Urgeschichte des Menschen (Wien 1892); Schurtz, Urgeschichte der Kultur (Leipz. 1900); Vix, Die Totenbestattung in vorgeschichtlicher und geschichtlicher Zeit (das. 1896); Tewes, Die Steingräber der Provinz Hannover (Hann. 1898); Sophus Müller, Nordische Altertumskunde (deutsch, Straßb. 1898); Petersen, Über die verschiedenen Formen der Steinaltergräber in Dänemark (im »Archiv für Anthropologie«, Bd. 15, 1884); Montelius, Sur les tombeaux et la topographie de la Suède pendant l'âge de la pierre (in »Compte rendu du Congrès international«, Stockh. 1876); Heierli, Urgeschichte der Schweiz (Zürich 1901). Weitere Literatur s. bei Artikel »Totenbestattung«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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