Gneist

Gneist

Gneist, Heinrich Rudolf Hermann Friedrich von, Rechtsgelehrter und Politiker, geb. 13. Aug. 1816 in Berlin, gest. daselbst 22. Juli 1895, wurde 1836 Auskultator, promovierte 1838 und habilitierte sich 1839 als Privatdozent, blieb aber dabei in der Praxis tätig, seit 1841 als Assessor, dann als Hilfsrichter beim Kammergericht und später beim Obertribunal. Nach seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor (1844) veröffentlichte er die zivilistische Monographie »Die formellen Verträge des neuern römischen Obligationenrechts« (Berl. 1845) und später die Schrift »Die Bildung der Geschwornengerichte in Deutschland« (das. 1849). 1850 gab er seine Stellung als Hilfsarbeiter am Obertribunal auf, um sich ausschließlich seinem Lehramt und ausgedehnten Studien über öffentliches Recht zu widmen, als deren Frucht zuerst die kleine Schrift »Adel und Ritterschaft in England« (Berl. 1853), dann sein Hauptwerk. »Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht« (das. 1857–63, 2 Tle., mit 1 Ergänzungsband; 3. Aufl. des 1. Teils in 2 Bdn. 1883–84; 3. Aufl. des 2. Teils 1876), erschien. Hieran schlossen sich: »Budget und Gesetz nach dem konstitutionellen Staatsrecht Englands« (Berl. 1867); »Die Stadtverwaltung der City von London« (das. 1867); »Verwaltung, Justiz, Rechtsweg, Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach englischen und deutschen Verhältnissen« (das. 1869); »Englische Verfassungsgeschichte« (das. 1882; ins Englische übersetzt von Ashworth, Lond. 1886, 2 Bde); »Das englische Parlament« (Berl. 1886; engl. von Shee, 1886). 1858 wurde G. zum ordentlichen Professor befördert, nachdem er die Institutionen des Gajus und die Justinians synoptisch u. d. T.: »Institutionum et regularum juris romani syntagma« (Leipz. 1858, 2. Aufl. 1880) herausgegeben hatte. Seine parlamentarische Wirksamkeit begann 1858 mit seinem Eintritt in das preußische Abgeordnetenhaus, dem er ebenso wie dem deutschen Reichstag bis zu seinem Ende angehört hat. In den Tagen des Konflikts zählte er zu den durch Schärfe des Urteils und Klarheit der Bestrebungen am meisten hervorragenden Mitgliedern der liberalen Opposition. Die Militärfrage beleuchtete er in der Flugschrift »Die Lage der preußischen Heeresorganisation« (Berl. 1862). Das Verhalten der Staatsregierung im »Kulturkampf« verteidigte er gegen die Angriffe der Klerikalen. Im Reichstag stand er auf seiten der nationalliberalen Partei. Im November 1875 wurde er zum Mitglied des Oberverwaltungsgerichts ernannt, welches Amt er jedoch 1877 wieder niederlegte. Im Mai 1888 wurde er von Kaiser Friedrich III. in den Adelstand erhoben. Ein eifriger Förderer aller praktisch-politischen Fragen der Gegenwart, schrieb er noch: »Soll der Richter auch über die Frage zu befinden haben, ob ein Gesetz verfassungsmäßig zustande gekommen?« (Berl. 1863); »Freie Advokatur« (das. 1867); »Die Selbstverwaltung der Volksschule« (das. 1869); »Die konfessionelle Schule« (das. 1869); »Die bürgerliche Eheschließung« (das. 1869); »Die preußische Kreisordnung« (das. 1870); »Der Rechtsstaat« (das. 1872, 2. Aufl. 1879); »Vier Fragen zur deutschen Strafprozeßordnung« (das. 1874); »Gesetz und Budget« (das. 1879); »Die preußische Finanzreform« (das. 1881); »Die nationale Rechtsidee von den Ständen und das preußische Dreiklassenwahlsystem« (das. 1894) u.a. Vgl. K. Walcker, Rudolf v. G. (Berl. 1888); Gierke, R. v. G., Gedächtnisrede (das. 1895).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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