Gleichgewicht, chemisches

Gleichgewicht, chemisches

Gleichgewicht, chemisches (thermodynamisches). Manche chemische Reaktionen können sich unter gleichen Umständen in entgegengesetztem Sinne vollziehen, z. B. kann sich bei derselben Temperatur und demselben Druck sowohl aus Ammoniakgas und Salzsäuregas Salmiakdampf bilden, wie auch umgekehrt Salmiakdampf in die beiden Gase zersetzen. Es tritt schließlich ein Gleichgewichtszustand ein, wenn in derselben Zeit ebensoviel Salmiakdampf neu gebildet wie zersetzt wird. Das Mengenverhältnis der dann in der Gasmischung vorhandenen Bestandteile ist vom Druck und der Temperatur abhängig und läßt sich nach den Sätzen der Thermodynamik berechnen. Eine solche Berechnung wurde zuerst 1873 von A. Horstmann ausgeführt auf Grund des Satzes, daß im Falle des Gleichgewichts die Entropie (s. d.) ein Maximum sein muß. Da das Gemenge der drei Gase im Falle des Gleichgewichts an allen Stellen dieselbe Zusammensetzung hat (homogen ist), nennt man ein derartiges chemisches Gleichgewicht ein homogenes. Würde man das Gasgemenge herstellen durch Verdampfen von festem Salmiak in einem luftleeren Gefäß, wobei so viel der festen Substanz vorhanden sein mag, daß nicht alles verdampft, so hat man den Fall eines heterogenen Gleichgewichts, da zwei Phasen (nach Gibbs) vorhanden sind, die jede für sich homogen ist (das Dampfgemenge und der feste Salmiak), die aber durch eine Grenzfläche (Unstetigkeitsfläche) voneinander geschieden sind. Insofern die beiden Phasen (der hylotropen Gruppe Salmiak nach Ostwalds Bezeichnung) nebeneinander existieren, nennt man sie koexistent. Die aus dem Entropieprinzip sich ergebende Gleichgewichtsbedingung kann man auch so aussprechen, daß für koexistente Phasen das chemische (thermodynamische) Potential gleich sein muß. Unter diesem Potential versteht man die auf die Masseneinheit des betreffenden Stoffes eintretende Energieänderung, wenn man sich eine virtuelle Verschiebung des Gleichgewichtszustandes ausgeführt denkt (ähnlich der Ermittelung der Gleichgewichtsbedingung durch Betrachtung der Energieänderungen bei virtueller Verschiebung im Fall eines mechanischen Gleichgewichtszustandes). Eis und Wasserdampf oder Wasser und Wasserdampf sind ebenfalls zwei verschiedene Phasen eines Stoffes (Wasser), die koexistieren können. Ist z. B. die Temperatur gegeben, so läßt sich aus der Gleichgewichtsbedingung der zugehörige Druck finden. Für die Koexistenz von drei Phasen (Eis, Wasser und Dampf), den Tripelpunkt, ist durch die Gleichung sowohl Temperatur als Druck bestimmt, das System ist ein nonvariantes im Gegensatz zu den vorigen, die monovariante heißen. Würde man zu dem Wasser noch Salz hinzufügen, also ein System aus zwei Komponenten bilden, so sind vier Phasen möglich, demgemäß auch ein vierfacher oder Quadrupelpunkt. Allgemein gilt die sogen. Phasenregel von Gibbs: »Die Maximalzahl der Phasen, die in einem Punkte koexistieren können, ist um zwei größer als die Zahl der Komponenten«. Die Zahl der Komponenten ist übrigens nicht identisch mit der der gemischten chemischen Stoffe, so ist z. B. in dem oben besprochenen Falle des Salmiaks nur eine Komponente anzunehmen. Vgl. Gibbs, Thermodynamische Studien (a. d. Engl. von Ostwald, Leipz. 1892); van t'Hoff, Études de dynamique chimique (Amsterd. 1884) und Vorlesungen über theoretische und physikalische Chemie, Heft 1 (2. Aufl., Braunschw. 1901); Planck, Vorlesungen über Thermodynamik (Leipz. 1897); Bakhuis Roozeboom, Die heterogenen Gleichgewichte (Braunschw. 1901); Ostwald, Lehrbuch der allgemeinen Chemie, Bd. 2 (2. Aufl., Leipz. 1902); Nernst, Theoretische Chemie (4. Aufl., Stuttg. 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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