Gesetzesauslegung

Gesetzesauslegung

Gesetzesauslegung (Interpretation der Gesetze im weitern Sinn) ist die auf Erforschung des Inhalts eines Gesetzes gerichtete Tätigkeit und die Ableitung von Rechtssätzen aus gegebenen Rechtsgrundsätzen. Die G. setzt ein vorhandenes Gesetz voraus. Möglicherweise können aber über die Echtheit seines Textes Zweifel obwalten, und es muß dann zunächst eine wissenschaftliche Untersuchung hierüber stattfinden. Eine solche die Feststellung des echten Textes einer Gesetzesurkunde bezweckende Untersuchung und Prüfung heißt Kritik; sie kann sich auf die Echtheit der Urkunde im ganzen (höhere Kritik) oder nur auf einzelne Teile (Sätze und Worte) derselben (niedere Kritik) beziehen. Wer aber den wirklichen Inhalt eines Gesetzes kennen will, muß den Willen des Gesetzgebers erforschen: dies ist die juristische Interpretation im engern Sinne. Die hierzu regelmäßig zu Gebote stehenden Mittel sind zunächst grammatische. Der Ausleger hat aus dem grammatischen Zusammenhang die Bedeutung der Gesetzesworte festzustellen (grammatische Auslegung). Führt diese zu keinem Ziele, so ist der wirkliche Wille des Gesetzgebers aus dem Zusammenhang der betreffenden Gesetzesstelle, aus dem Gedankengang des ganzen Gesetzes zu erforschen (logische Interpretation). Findet die G., daß die Absicht des Gesetzgebers weiter geht als der gewöhnliche Wortsinn, so ist die weitere Bedeutung zu wählen (extensive Interpretation); findet sie aber, daß die Worte zu weit gefaßt sind, dann ist die gewollte engere Bedeutung maßgebend (restriktive Interpretation). Im Zweifel ist die mildere und billigere Meinung vorzuziehen. Korrektorische (ein andres Gesetz erklärende oder erläuternde) Gesetze, singuläre Rechte und Privilegien sind im Zweifel so zu interpretieren, daß die geringste Abweichung von dem bestehenden Recht angenommen wird. Strafgesetze sind in der Regel in dem engern Wortsinn zu nehmen; eine ausdehnende Interpretation ist auch hier zulässig, nur ist diese wohl zu unterscheiden von der Analogie (s.d.). Man hat die Regeln der G. systematisch darzustellen versucht und dieses System die »juristische Hermeneutik« genannt. Im Gegensatz zu den genannten beiden Interpretationsarten, der grammatischen und logischen, die man unter der Bezeichnung Doktrinalinterpretation zusammenzufassen pflegt, steht die Legalinterpretation, d. h. eine Auslegung, die nicht durch die Wissenschaft, sondern durch eine rechtserzeugende Gewalt geschieht; diese kann die Gesetzgebung (authentische Interpretation) oder auch das Gewohnheitsrecht (Usualinterpretation) sein. Die authentische Interpretation hat rückwirkende Kraft, sofern nicht eine Sache bereits durch rechtskräftiges Urteil, Vergleich etc. abgetan ist. Ähnliche Grundsätze wie für die G. gelten im allgemeinen auch für die Interpretation von Rechtsgeschäften, nur daß selbstverständlich diese Auslegung auf die Feststellung des Willens der Beteiligten ausgeht. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches bestimmt deshalb ausdrücklich, daß bei Auslegung von Willenserklärungen der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist, während Verträge nach § 157 so auszulegen sind, wie Treue und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern, doch so, wie im gegebenen Falle jeder billig denkende Mensch sie auslegen würde. Vgl. außer den Lehrbüchern des Pandektenrechts: Lang, Beiträge zur Hermeneutik des römischen Rechts (Stuttg. 1857); Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte (Jena 1897); Schneider, Treu und Glauben im Zivilprozesse (Münch. 1903); Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte (Berl. 1902).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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