Gartenpflanzen

Gartenpflanzen

Gartenpflanzen (hierzu Tafel »Entstehung der Gartenpflanzen I« in Farbendruck, und Tafel II), aus der freien Natur in den Garten herübergenommene und im wesentlichen unverändert gebliebene oder infolge der veränderten Vegetationsbedingungen von der ursprünglichen Form mehr oder weniger abweichende Gewächse. Manche Arten variieren mehr als andre, und von solchen mit besonders starker Variabilität werden schon lange verschiedene Kulturformen in den Gärten kultiviert, die Zucht neuer Gartenformen in großem Maßstab ist aber hauptsächlich eine Errungenschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrh. Von den meisten Arten sind nur wenige Formen gezüchtet worden; von andern Arten kennen wir zwar mehrere Gartenformen, die aber nur einer oder wenigen Rassen angehören, wie beim Löwenmaul, Alpenveilchen, der Balsamine etc. Von verhältnismäßig wenigen G. werden zahlreiche Rassen mit je sehr vielen Formen gezüchtet. Zu diesen gehören Rosen, Nelken, Astern, Chrysanthemum, Knollenbegonien, Pelargonien, Fuchsien, Petunien, Pensee; von einigen dieser G. sind mehrere tausend Formen gezüchtet worden, doch befindet sich nur ein Teil derselben in Kultur, weil minderwertige Formen bald wieder verschwinden.

Am häufigsten treten in der Kultur, bedingt zunächst durch bessere Ernährung, Vergrößerungen auf. Riesenformen, wie Riesenhanf, Riesenmais etc., kehren aber bei der Weiterkultur, wenn sie nicht sehr kräftig ernährt werden, leicht zur Stammform zurück. Vergrößerungen der Laubblätter zeigen sich nicht selten bei Gehölzen an Wassertrieben (Lodentrieben). In den Gärtnereien werden großblätterige Formen als varietates grandifoliae oder macrophyllae, großblütige Formen als grandiflorae oder macranthae, großfrüchtige Formen als macrocarpae bezeichnet. Verkleinerungen, die an der ganzen Pflanze auftreten, liefern die sogen. Zwergformen, v. nanae, die bei sehr gedrängter Verzweigung v. compactae genannt werden. Ausbildung kleiner Blätter, kleiner Blüten und kleiner Früchte tritt verhältnismäßig selten auf. Endlich ändert sich bisweilen die Stellung der einzelnen Pflanzenteile zum Horizont. Zweige, die normal mehr oder weniger horizontal stehen, nickende Blumen oder Blütenstände können sich aufrichten (r. strictae, erectae, pyramidales, v. floribus erectis), anderseits können auch Zweige sich senken, wodurch die Trauerformen (v. pendulae) entstehen.

Nicht selten sind Änderungen der Farbe, doch beschränken sie sich gewöhnlich auf einen bestimmten Farbenkreis; Blau variiert meist in Rosa, Violett oder Weiß, Blutrot in Rosa und Weiß, Zinnoberrot in Orange und Gelb, Violett in Blau und Weiß, selten in Rosa; Gelb fast nur in Weiß, Weiß meist gar nicht oder allenfalls in Zartrosa oder Zartblau. Die Farbenänderung ist eine vollständige oder eine partielle, in letzterm Fall unregelmäßig oder regelmäßig. Bisweilen treten auch drei- und vierfache Farbvariationen an demselben Organ auf (v. tricolores, quadricolores). An Stengeln tritt außer allgemeiner Rotfärbung sonst grüner Stengel nur noch weiße, gelbe oder hellgrüne Längs-, selten Querstreifung auf (v. striatae, zebrinae). Bei Laubblättern treten einfarbige Variationen in Rot, Hellgrün, Blaugrün oder Gelb auf, höchst selten in Weiß; in letzterm Falle sind aber nicht alle Blätter weiß. Die roten Varietäten (v. purpureae, atropurpureae) sind zum Teil wohl nur stafimorpher Natur. Häufiger tritt die abnorme Farbe unregelmäßig als Punkte, Flecke (v. punctatae, maculatae) oder regelmäßig als Streifen, bald am Nande, bald über die Blattfläche hin, oder auch als Einfassung der Nerven (v. marginatae, striatae, reticulatae) auf. Im allgemeinen werden Formen mit weiß- oder gelbgrün gezeichneten (panachierten) Blättern auch als v. variegatae bezeichnet. An den Blumenblättern tritt die abweichende Färbung ebenfalls entweder auf der ganzen Blattfläche gleichmäßig oder nur partiell auf. Die erstern werden als v. albiflorae, floribus roseis, rubris, cyaneis, atropurpureis etc., die letztern als v. fl. punctatis, maculatis, striatis, marginatis etc. bezeichnet. Farbvariationen der Früchte treten besonders an Obstpflanzen auf, seltener bei beerenfrüchtigen Ziersträuchern (v. fructu albo, coeruleo, viridi).

Änderungen in der Konsistenz der Organe treten an Wurzeln, Stengeln und Blättern auf (Wurzel-, Stengel-, Blatt- und Blütengemüse). Hierher gehört auch übermäßige Korkbildung (v. suberosae) an Zweigen. Die Form des Stengels wird durch Verbänderung (Fasziation) bisweilen flach und geht in mehr oder weniger gewundene Form über (v.cristatae, monstrosae). Ganzrandige Blätter erhalten mehr oder weniger tief eingeschnittene Ränder (v. foliis dissectis, laciniatis, incisis, v. asplenifoliae, muscosae), breitblätterige Pflanzen bilden schmale Blätter oder umgekehrt. Sehr mannigfaltig sind die Formänderungen der Blütenteile. Aktinomorphe Blüten werden zygomorph, zygomorphe dagegen aktinomorph. Diese Änderungen treten als Korrelationserscheinungen zu der Änderung der Stellung der Blüten, aber auch selbständig auf, namentlich bei dichtgedrängt stehenden Blüten der Kompositen, Dipsazeen etc. Blumenblätter können auch mehr oder weniger eingeschnittene Ränder erhalten (v. laciniatae, fimbriatae). Kelch-, Staubblätter, sowohl im ganzen als auch ihre einzelnen Teile: Staubfaden, Konnektiv, Staubbeutel sowie, Fruchtblätter, ferner Nektarien können die Gestalt der Blumenblätter annehmen, womit meist gleichzeitig eine Änderung der Farbe und Konsistenz eintritt (Petalodie); dadurch entstehen eine Reihe der gefüllten Blumen (v. flore pleno, v. duplex). An der Oberfläche von Stengeln werden Haare stärker oder schwächer ausgebildet und dadurch meist Farbänderungen hervorgerufen. Auf Laub- und Blumenblättern entstehen Emergenzen, die bei erstern Stachelform, bei letztern Haar- oder Blattform annehmen können. Änderungen können auch in der Zahl der Organe auftreten: statt paarweise opponierter Laubblätter treten nicht selten dreizählige Quirle auf (Judenmyrte). Die Zahl der Blumen-, Staub- und Fruchtblätter kann sich vermehren (v. flore pleno zum Teil).

Die meisten Änderungen können sowohl für sich allein als auch in Verbindung mit andern auftreten. Die Tafeln zeigen eine Anzahl solcher meist kombinierter Abweichungen. Verkleinerung des Wuchses, verbunden mit reicherer Verzweigung und zugleich größern Blüten, zeigt Reseda odorata compacta (Tafel II, Fig. 4 u. 5). Verkleinerung des Wuchses ohne Verzweigung, dagegen bandartige Verbreiterung des rot gewordenen Stengels zeigt Celosia cristata (Tafel II, Fig. 6 u. 7). Umwandlung regelmäßiger Blüten in unregelmäßige, zygomorphe, sehen wir bei Dahlia variabilis (Tafel II, Fig. 8 u. 11). Bei dieser treten auch noch zahlreiche Farbenvariationen auf. Die Füllungserscheinungen sind hier sowie bei Chrysanthemum indicum (Tafel II, Fig. 12 u. 13) auf Gleichartigwerden der normal verschieden gestalteten Rand- und Scheibenblüten zurückzuführen. Während aber bei Dahlia variabilis die Gestalt der Einzelblüten nur wenig Variabilität zeigt, so daß zu Rassenmerkmalen im wesentlichen Wuchsformen gewählt wurden, auch die Färbung der Blumen mehr in den Vordergrund tritt und die Größe der Blumen sowie die größere oder geringere Füllung von Bedeutung sind, in der Form der Blumen aber nur Tüten- und flache Form und erst neuerdings nach erfolgter Kreuzung mit Dahlia Juarezi (s. unten) auch der Länge nach zurückgerollte Form auftritt, zeigen bei Chrysanthemum indicum auch die Einzelblumen große Formenmannigfaltigkeit (Tafel II, Fig. 13), neben der bedeutende Farbenvariabilität einhergeht. Daher wurden hier Rassen nach der Gestalt der Blüten aufgestellt. Echte Füllung der Blüten, hervorgerufen durch Petalodie, treffen wir bei Mimulus cupreus calycanthemus an (Tafel II, Fig. 3); hier ist der Kelch blumenblattartig gefärbt und vergrößert; seine Konsistenz ist ebenfalls blumenblattartig geworden. Die häufigste Füllungserscheinung wird durch Petalodie der Staubblätter hervorgerufen (Tafel II, Fig. 1 u. 2). Beispiele für solche Petalodie der Staubblätter bieten Nelken, Fuchsien, Levkojen, Pelargonien, Begonien (Tafel I, Fig. 1 u. 5–8). Bei diesen allen treten zugleich noch andre Abweichungen auf, namentlich Variationen in der Größe und der Farbe und Vergrößerungen sowie Vermehrung der einzelnen Teile. Bei Fuchsien sind außerdem Exkreszenzbildungen an den petaloiden Organen nicht selten.

Während ein Teil der aufgeführten Änderungen nur auf vegetativem Wege fortgepflanzt werden kann, greifen andre Änderungen so tief in die ganze Organisation der Pflanzen ein, daß sie sich auch durch geschlechtliche Vermehrung fortpflanzen, vererben. Meist ist in letzterm Falle die Vererbung auf die nächste Nachkommenschaft nur eine geringe, wird aber konstanter mit der Zahl der Generationen.

Während die Variationserscheinungen ohne Zutun des Gärtners auftreten und meist nicht nach Belieben hervorgerufen werden können, ermöglicht die Kreuzung, bestimmte Rassen und Formen zu züchten. In den meisten Fällen befruchten die Züchter zwei Pflanzen derselben Art, welche die gewünschte Eigenschaft, wenn auch in unvollkommenem Maße, besitzen, miteinander. Aus der Nachkommenschaft werden die Individuen herausgesucht, die einen Fortschritt nach der zu züchtenden Form hin darstellen, und wieder miteinander befruchtet. Auf diesem Wege der künstlichen Zuchtwahl gelangt man schließlich zu der gewünschten Form. Nachdem sie erreicht ist, sucht man sie samenbeständig zu machen. Dies gelingt oft durch wiederholte Inzucht, und je länger die Inzucht fortgesetzt wird, desto größer wird die Samenbeständigkeit. Dieser Weg muß bei den Pflanzen, die nur einmal blühen und fruchten und dann absterben, in den meisten Fällen eingeschlagen werden. Bei allen Pflanzen, die erst nach mehreren Jahren zur Blüte gelangen, also sehr vielen Stauden und den Holzgewächsen, wählt man die vegetative Vermehrung. Jede aus einem Steckling oder Edelreis der neuen Form erwachsene Pflanze zeigt genau dieselben Eigenschaften. Hierauf beruht die Vermehrung unsrer meisten Obstgehölze, Kartoffeln, ausdauernden Florblumen (Rosen, Nelken, Chrysanthemum, Georginen, Canna, Coleus etc.). Manche Pflanzen, wie Blattbegonien, Gloxinien, Peperonien etc., lassen sich auch durch abgeschnittene Blätter vermehren. Den Kreuzungserscheinungen analog können bei Veredelung Eigenschaften der Unterlage auf das Edelreis und Eigenschaften des letztern auf die Unterlage übertragen werden (Buntfärbung der Blätter, Variation des Wuchses). Während im allgemeinen durch Kreuzbefruchtung nur neue Formen von geringer Abweichung erzielt werden, liefert die Hybridisierung, die Befruchtung der Blüten zweier oder mehrerer verschiedener Arten, zumeist eine stärker abweichende Nachkommenschaft, die zur Rassenzüchtung verwendet werden kann. Die auf diesem Weg erzielten neuen G. bedeuten nicht selten einen sehr großen Fortschritt auf dem Gebiete des Gartenbaues. Als hierher gehörige Beispiele aus neuerer Zeit seien genannt die großblumigen Canna-Rassen, die Kaktusdahlien, Bastarde zwischen Dahlia variabilis und D. Juarezi (Tafel II, Fig. 8–10); ältern Ursprungs derselben Kategorie sind Nelken, Pensees, Petunien, Fuchsien, Kalzeolarien, Knollenbegonien (Tafel I, Fig. 1–4, 6–8). Eine bei Orchideen, Liliazeen und Palmen angewendete Methode der Neuzüchtung besteht in der Bastardierung zweier Arten verschiedener Gattungen. Man erzielt hierbei gewöhnlich einen so auffallenden Unterschied der Nachkommenschaft gegen die Elternpflanzen, daß man sie als eigne Gattungen bezeichnen könnte.

In einzelnen Fällen gelingt es, durch Änderung der Vegetationsbedingungen, namentlich der Ernährung, Abweichungen hervorzurufen. Eine der ältesten derartigen Abweichungen besteht in der Umwandlung der rötlichen Blütenfarbe bei Hydrangea durch Zusatz von Eisen oder Alaun zu der Erde in eine bläuliche. Die Abweichung ist aber nicht konstant und verschwindet an derselben Pflanze wieder, wenn man die abweichende Ernährung ändert. Ebenfalls auf Ernährungsursachen ist die Petalodie der Levkojen (Tafel I, Fig. 6) zurückzuführen. Indem man die Pflanzen zeitweise kümmerlich ernährt, zwingt man sie zur Petalodie, d. h. zur Bildung gefüllter Blüten.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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