Deutschland

Deutschland

Deutschland (Deutsches Reich, franz. Allemagne, engl. Germany), das im Herzen Europas, zwischen den vorherrschend slawischen Ländern des Ostens und den romanischen des Westens und Südens liegende, im SO. an Deutsch-Österreich und im N. an das stammverwandte skandinavische Dänemark grenzende Land.

Tabelle

I. Lage, Grenzen, Flächeninhalt.

(Hierzu die politische Übersichtskarte »Deutsches Reich«.)

Das Deutsche Reich ist durch Verträge zwischen dem ehemaligen Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten (Nov. und Dez. 1870) und durch Erwerbung der Länder Elsaß und Deutsch-Lothringen im Frieden zu Frankfurt (10. Mai 1871) gebildet und umfaßt alle Länder des ehemaligen Deutschen Bundes, mit Ausnahme von Österreich, Luxemburg, Limburg und Liechtenstein, jedoch mit Einschluß der preußischen Provinzen Ost- und Westpreußen, Posen und Schleswig und des Reichslandes Elsaß-Lothringen (s. Tabelle). Es reicht vom westlichsten Punkte der preußischen Rheinprovinz beim Dorf Isenbruch im Regbez. Aachen, unter 5°52', bis zum östlichsten Ende der Provinz Ostpreußen beim Dorf Schilleningken, unweit Schirwindt an der Scheschuppe, unter 22°53' östl. L. Der südlichste Punkt liegt am Ursprung der Stillach, eines Quellflusses der Iller, in den Algäuer Alpen, unter 47°16', der nördlichste beim Dorf Nimmersatt nördlich von Memel, unter 55°54' nördl. Br. Die Entfernung von Tilsit bis Metz beträgt 1305, von Hadersleben bis Kempten 860, von Swinemünde bis Bautzen 315 und von Trier bis Wunsiedel 400 km. Im N. grenzt D. an die Nordsee, Dänemark und die Ostsee; im O. an Rußland und Österreich (Galizien); im S. an Österreich von der Weichsel bis an den Bodensee und an die Schweiz; im W. an Frankreich, Luxemburg, Belgien und die Niederlande.

Tabelle

In den Größenzahlen der obigen Tabelle sind die Wasserflächen der Hasse und Küstengewässer, die an der Ostsee 4054, an der Nordsee 2654, zusammen 6708 qkm betragen, sowie der Anteil Deutschlands am Bodensee (309 qkm) nicht gerechnet. Vor 1866 umfaßten die Staaten des Deutschen Bundes 630,098 qkm (11,441 QM.). Gegenwärtig nimmt das Deutsche Reich unter den Staaten Europas nach seinem Flächeninhalt die vierte, nach der Zahl seiner Bevölkerung die zweite Stelle ein, da es an Einwohnerzahl nur Rußland, an Umfang außer diesem nur Schweden-Norwegen und Österreich-Ungarn nachsteht.


II. Bodengestaltung.

(Hierzu die »Fluß- und Gebirgskarte«; ferner die »Geologische Karte« und »Karte der nutzbaren Mineralien«, mit Textblatt, bei S. 764.)

Die Oberfläche des Deutschen Reiches zerfällt (nach Pencks auf geologischen Untersuchungen beruhender Darstellung) in folgende sechs Hauptgruppen:

I. Die Deutschen Kalkalpen, welche die Osthälfte des Südrandes umrahmen, sind hier durch die Längstäler der Salzach, des Inn und der Ill von den Zentralalpen, im W. durch das Rheintal von den Schweizeralpen geschieden. Sie teilen sich in die Algäuer Alpen (mit der 2643 m hohen Mädele Gabel) zwischen Bodensee und Lech, einige Gruppen der Nordtiroler Kalkalpen zwischen Lech und Inn, wie das Wettersteingebirge (mit der 2964 m hohen Zugspitze, dem höchsten Gipfel Deutschlands), die Altbayrischen Voralpen und die Berchtesgadener Alpen, einen Teil der Salzburger Gruppe (mit dem 2714 m hohen Watzmann), im O. des Inn.

II. Das Alpenvorland, auch Oberdeutsche oder Schwäbisch-Bayrische Hochebene genannt, reicht nordwärts bis zum Deutschen Jura und Böhmerwald und geht im W. in das schweizerische, im O. in das österreichische Alpenvorland über. Bei einer Länge von 250 und einer Breite von 140 km bedeckt es eine Fläche von etwa 26,000 qkm und hat die Gestalt eines langgedehnten Fünfecks. Der südliche Teil zeigt eine Reihe von Seen und Hochmooren, die durch einen Wall von 80–100 m Höhe, den Überrest alter Gletschermoränen, im N. begrenzt werden. Daran schließt sich eine nach N. allmählich abfallende Hochebene. Die nördlichste Landstufe nimmt das Donautal ein, das im obern Laufe zahlreiche Moore, im O. die fruchtbare Ebene von Straubing aufweist. Zwischen Regen und Ilz erhebt sich der Bayrische Wald (Einödriegel 1126 m), von ihm durch einen 16 km breiten Landstreifen getrennt der Böhmerwald (Arber 1457 m), und jenseit der zu 500 m herabsinkenden Pforte von Furth i. W. beginnt der sich bis in die Gegend von Eger hinziehende Oberpfälzer Wald.

III. Das südwestdeutsche Becken wird im N. vom Rheinischen Schiefergebirge, dem hessischen Berglande und dem Thüringer Wald umschlossen, im S. reicht es bis zum Schweizer Jura, im O. zum Deutschen Jura, im W. dringen seine Ausläufer weit nach Frankreich hinein. Das Mittelglied bildet die Oberrheinische Tiefebene, an die sich zu beiden Seiten Stufenlandschaften anschließen. Die Tiefebene, die der Rhein nach Durchbrechung des Schweizer Jura bis Mainz durchfließt, wird von zwei langgedehnten Gebirgszügen eingerahmt. Im W. erheben sich die Vogesen (Sulzer Belchen 1423 m) und jenseit der sogen. Zaberner Steige die Hardt (Kalmit 681 m); die Verbindung mit dem Rheinischen Schiefergebirge stellt dann das Pfälzer Bergland (Donnersberg 687 m) her. Auf dem rechten Rheinufer zieht sich den Vogesen gegenüber der Schwarzwald (Feldberg 1494 m) hin, an den sich jenseit der Kraichgauer Lücke der Odenwald (Katzenbuckel 628 m) anschließt; dieser setzt sich durch den Spessart (Geiersberg 609 m) unmittelbar in das hessische Bergland fort. In der Rheinebene liegt ganz isoliert bei Freiburg der Kaiserstuhl (558 m). Durch die Kraichgauer Lücke steht mit der Oberrheinischen Tiefebene die fränkisch-schwäbische Stufenlandschaft in Verbindung, die ostwärts bis zum Deutschen Jura, im N. bis zur Wasserscheide von Main und Werra, also fast bis zum Thüringer Walde reicht. Auf einen Streifen ebenen Landes, der sich von Unterfranken (Grabfeld) bis zur Nagold im westlichen Württemberg hinzieht und in der Mitte etwa 200–300 m hoch ist, folgt eine Reihe von Erhebungen, die am Main als Haßberge, Steigerwald, Frankenhöhe stattlich emporragen, aber auch in Württemberg sich als Ellwanger Forst, Limburger Berge, Schurwald etc. verfolgen lassen. Gegen das Donautal wird diese Landstufe durch den Schwäbisch-Fränkischen Jura (Lemberg 1015 m) abgeschlossen. Er heißt in seinem Hauptteil Rauhe Alb und an der Grenze von Württemberg und Bayern Härtfeld. Der Jura steigt mauerartig an und wird nur von kurzen, steilen Tälern durchschnitten; seine Abdachung ist nach dem Alpenvorland hin eine allmähliche, dagegen der Abfall nach dem Vorlande des Böhmerwaldes um so steiler. Auf der Juraplatte sind die Täler meist trocken und zeigen grubenartige Vertiefungen (Dolinen), dagegen sind die Täler wasserreich, die in die Platte eingeschnitten sind. Jenseit des Nördlinger Rieses in Bayern streicht der Fränkische Jura in nordöstlicher Richtung bis in die Gegend von Regensburg, darauf in nördlicher Richtung bis zur Breite von Nürnberg und endlich in fast nordwestlicher über den Main hinaus bis zur Main-Werrrascheide (Großer Gleichberg 678 m). Eine ähnliche Stufenlandschaft von geringerer Erhebung baut sich im W. der Oberrheinischen Tiefebene auf, es ist die lothringische. Sie beginnt jenseit der Zaberner Steige mit der Lothringer Seenplatte, einer Ebene von 200–300 m Höhe. Im W. erheben sich noch mehrere Landstufen, von denen die westlichste, die Lothringer Juraplatte, von der Maas durchströmt wird.

IV. Die mitteldeutsche Gebirgsschwelle erstreckt sich von der Maas bis zur Elbe und beginnt im W. mit dem Rheinischen Schiefergebirge. Dieses hat die Form eines Trapezes und eine Breite von 150 km. Es wird durch den Rhein und dessen Nebenflüsse Lahn und Mosel in vier Teile geschieden; in den beiden südlichen Bergzügen Taunus im O. und Hunsrück im W., deren höchste Gipfel der Feldberg (880 m), bez. der Erbeskopf (816 m) sind, tritt der plateauartige Charakter des Schiefergebirges am wenigsten hervor, um so mehr in den beiden Nordhälften jenseit der Lahn und Mosel. Da erheben sich auf dem linken Rheinufer die Eifel (Hohe Acht 760 w), die sich durch eine Reihe kleiner Vulkankegel und kreisrunder Wasserbecken, der sogen. Maare, auszeichnet, und nordöstlich davon die Schneifel. Auf dem rechten Rheinufer liegt südlich der Sieg das Siebengebirge (464 m), zwischen der Lahn und der obern Steg der Westerwald (657 m), sowie weiter im NO. das Rothaargebirge (696 m) und das Plateau von Winterberg (Kahler Astenberg 827 m). Die beiden letztern sind das Quellgebiet zahlreicher Flüsse, die teils zum Rhein (Lahn, Sieg. Ruhr mit Lenue), teils zur Fulda (Eder) strömen. Nördlich von der Sieg im westfälischen Sauerland liegt die Ebbe, auf der die Wupper entspringt. An das Schiefergebirge schließt sich ostwärts das hessische Berg- und Hügelland an, das sich bis nach Thüringen hin über eine Fläche von 100 km Breite erstreckt. Es wird vom Taunus durch die sogen. Hessische Senke getrennt, die nur in der Wetterau eine fruchtbare Ebene bildet, weiter nach N. aber in ein welliges Hügelland übergeht. Die einzelnen Bergrücken, die sich östlich von dieser Senke zwischen der Kinzig im S. und der mittlern Weser hinziehen, faßt man unter dem Namen des Hessischen Waldgebirges zusammen; dazu gehört der Vogelsberg (Taufstein 772 m) im S., das Knüllgebirge (632 m), der Habichtswald (595 m) bei Kassel, der Hohe Meißner (749 m), der Solling (513 m) an der Weser sowie im äußersten Nordwesten die Egge. Eine eigentümliche Erscheinung innerhalb des ganzen deutschen Mittelgebirges bietet im O. des Vogelsberges die Rhön dar, die im O. aus langgedehnten plateauartigen Rücken (hier Wasserkuppe 950 m), im NW. aus einzelnen kegelförmigen Bergkuppen besteht. Eine dritte Gruppe innerhalb der mitteldeutschen Gebirgsschwelle bildet Thüringen. Im SO. wird die Verbindung mit dem böhmischen Massiv durch das Fichtelgebirge hergestellt. Dieses wird allerdings nicht mehr als Mittelpunkt des deutschen Gebirgssystems betrachtet, nimmt aber in hydrographischer Beziehung als Quellgebiet von Nab, Main, Saale und Eger eine zentrale Stellung ein. Es besteht aus fünf gewölbartigen Bergrücken (Schneeberg 1053 m), fällt steil nach SW., aber sanft nach N. ab und findet in nordwestlicher Richtung eine Fortsetzung im Frankenwald (Kieferle 868 m), dessen Abdachung nach NO. (zur Leipziger Bucht) gleichfalls eine allmähliche ist. Erst wo sich im O. ein Steilabfall des Gebirges zeigt, beginnt das Hauptgebirge Thüringens, der Thüringer Wald. Dieser besteht aus einem nordwestlich streichenden schmalen Hauptkamm von 800–900 m Höhe mit mehreren niedrigen Gipfeln (Beerberg 983 m, Inselsberg 914 m), eingesenkten Pässen und einigen Seitenkämmen. Der Hauptkamm bricht an der Werra plötzlich mit 500 m Höhe ab. Nördlich davon dehnt sich zwischen Werra und Saale die 100–300 m hohe Thüringer Platte aus, deren Steilabsturz verschiedene Namen führt, wie oberes Eichsfeld, Dün, Hainleite, Schmücke, Hainich etc. Isoliert liegt im N. der 466 m hohe Kyffhäuser. Diese Platte bildet den Übergang zum Harz, der bei einer Länge von 100 km und einer Breite von 30 km einen völlig plateauartigen Charakter zeigt; er erscheint als eine im W. 600 m (Oberharz), im O. 400 m (Unterharz) hohe Platte, aus welcher der Brocken zu 1142 m Höhe emporsteigt. Die nördlich vom Harz und dem hessischen Berglande liegenden Bodenerhebungen faßt man unter dem Namen des subhercynischen Hügellandes zusammen. Dieses besteht aus dem nördlichen Harzvorland, das sich nach N. abdacht und im Regenstein bei Blankenburg eine bemerkenswerte Höhe besitzt, aus dem ostfälischen Hügelland, auf dem sich Hils, Ith und Deister zwischen Leine und Weser erheben, und dem Weserberglande, das vom Rheinischen Schiefergebirge durch die breite Bucht von Münster getrennt ist. Das Weserbergland enthält vornehmlich zwei parallele Bergzüge, im N. das Weser- und das Wiehengebirge, welche die Weser in der Westfälischen Pforte durchschneidet und voneinander trennt, und im W. den in nordwestlicher Richtung verlaufenden Teutoburger Wald (Völmerstod 464 m).

V. Die nördliche Umwallung Böhmens. Das böhmische Landbecken hat die Gestalt eines schräg gestellten Vierecks, das drei seiner Seiten dem Deutschen Reiche zukehrt. Während an der Südwestseite der Böhmerwald eine Abgrenzung gegen das deutsche Alpenvorland bildet, dehnt sich an der Nordwestflanke das sächsische Erzgebirge, an der Nordostflanke, von letzterm durch das niedrigere Lausitzer Bergland getrennt, der lange Zug der Sudeten aus. Das Erzgebirge (Keilberg in Böhmen 1238 m, Fichtelberg in Sachsen 1204 m) erscheint als eine dachförmige Erhebung, die nach S. gegen das Egertal steil abfällt, sich aber nach N. sanft verflacht und hier den Eindruck einer Hochebene macht, die nur von einzelnen niedrigen Kuppen überragt wird. Vorgelagert ist im W. das Vogtländer oder Elsterbergland, im N. das sächsische Mittelgebirge, das sich bis zur Elbe hinzieht. Zwischen das Erzgebirge und die Lausitzer Platte schiebt sich zu beiden Seiten der Elbe eine schräge, nach NW. sich allmählich senkende Platte ein, durch die sich der Fluß ein tiefes Bett ausgewaschen hat, es ist das Elbsandsteingebirge (oder die Sächsische Schweiz), dessen höchster Gipfel, der Große Schneeberg (723 m), schon in Böhmen liegt. Das Gebirge macht wegen seiner engen, steilrändigen Täler und kühnen Felsbildungen einen äußerst malerischen Eindruck. Denselben Charakter trägt auch das meist schon auf böhmischem Gebiet liegende Lausitzer Gebirge (Lausche 791 m). Nördlich von diesem dehnt sich zwischen Elbe und Neiße das Lausitzer Bergland aus, das in einzelnen Gipfeln bis zu 600 m ansteigt und sich nach N. allmählich verflacht. Im O. der Lausitzer Platte bildet in der Umwallung Böhmens die sogen. Lausitzer Bucht, die. von der Neiße durchflossen wird, einen Einschnitt. Östlich davon beginnen die Sudeten, ein aus einzelnen parallelen Kämmen zusammengesetztes Rückengebirge mit beckenartigen Einsenkungen. Ihr westlicher Teil umfaßt das Isergebirge (schon in Böhmen), den Hohen Iserkamm (Hinterberg 1126 m, Tafelfichte 1122 m) nördlich davon und das aus zwei parallelen Kämmen bestehende Riesengebirge. In dem nördlichen preußischen Kamm erheben sich die höchsten Gipfel, im W. das Hohe Rad (1509 m), im O. die Schneekoppe (1603 m). In dem Längstal zwischen jenem und dem südlichen, böhmischen Kamm entspringt die Elbe. Während sich das Riesengebirge nach Böhmen hin allmählich abdacht, fällt es nordwärts steil zum Kessel von Hirschberg ab. Der mittlere Teil der Sudeten, der von der militärisch wichtigen Pforte von Landeshut bis zum Paß von Mittelwalde reicht, besteht aus dem Eulengebirge (Hohe Eule 1014 m) und dem damit parallel streichenden Adlergebirge (Böhmische Kämme). Zwischen den beiden erhebt sich das Plateau der Heuscheuer (919 m), das sich jenseit des Passes von Reinerz als Habelschwerdter Gebirge fortsetzt. Dem Westrande der Heuscheuer ist da, wo sich auf böhmischem Boden die sonderbaren Felsformationen von Adersbach und Wekelsdorf zeigen, in Schlesien das kohlenreiche Waldenburger Gebirge (Heidelberg 936 m) vorgelagert. Der östliche Teil der Sudeten trägt nicht mehr den Charakter des Rückengebirges, sondern zeigt breite Erhebungen. Östlich vom Neißetal erhebt sich das Glatzer Schneegebirge (Glatzer Schneeberg 1425 m), nordöstlich davon der Reichensteiner Kamm; beide finden ihre Fortsetzung auf österreichischem Gebiet im Zuge des Altvaters (1430 m), an den sich weiter östlich ein 500–700 m hohes Plateau, das Gesenke, anschließt, das gleichfalls außerhalb der deutschen Grenzen liegt.

VI. Das norddeutsche Flachland dehnt sich zwischen dem deutschen Mittelgebirge und den Küsten der Nord- und Ostsee in nach O. beträchtlich zunehmender Breite aus und bietet als eine nur selten durch Hügel unterbrochene Ebene geringe Abwechselung dar, zumal da nur selten verschiedene Formen der Bodenbekleidung einander nahe gerückt sind. Denn im östlichen Flachlande tritt das Ackerland in fast unermeßlicher Ausdehnung auf, während die sandigen Erhebungen meist mit Wald bestanden sind; im W. bedecken anderseits Moore oder Heideland weite Flächen. Im einzelnen lassen sich im östlichen Flachland mehrere in nordsüdlicher Richtung aufeinander folgende Zonen unterscheiden: Die Küsten der Ostsee steigen allmählich zu einer über 100m hohen Schwelle an, die sich von der Jütischen Halbinsel bis nach Ostpreußen erstreckt und wegen ihres Reichtums an Seen die Baltische Seenplatte genannt wird. In Holstein, wo sie als schmale Hochfläche auftritt, liegen ihre größten Höhen (Bungsberg 168 m) nach der Ostsee hin, die in mehreren Buchten (Föhrden) tief ins Land eindringt. Jenseit der Eider, in Holstein, macht die Platte eine Schwenkung nach O. und ist mit Seen bedeckt. Eine tiefe Einsenkung, die im N. in die Lübecker Bucht übergeht, trennt sie von der Mecklenburgischen Platte, die zahlreiche große und ziemlich tiefe Seen aufweist (s. unten); ihr höchster Gipfel ist der Ruhner Berg (178 m). Auch auf ihr ist die Abdachung und Entwässerung nach außen, also nach der Elbe zu gerichtet, während der Ostsee nur wenige Wasseradern zuströmen. Im O. wird die Platte vom Odertal durchbrochen, nimmt aber in Pommern und Westpreußen an Breite und Höhe (Turmberg 331 m) zu und verfolgt eine nordöstliche Richtung. Durch das breite Weichseldelta ist von ihr die Preußische Seenplatte getrennt, die sich allmählich von der Ostsee entfernt und sich bis zum Niemen in Rußland fortsetzt. Auf ihr zeigen sich noch beträchtliche Erhebungen (im W. die Kernsdorfer Höhe 313 m, im O. die Seesker Höhen 309 m) sowie in Ostpreußen eine Unzahl von Seen (s. unten). Von der Ostsee wird diese Platte durch eine Vorstufe getrennt, die bei Elbing und im Samland anmutige Hügel trägt.

Im S. der Seenplatte ziehen sich mehrere Talzüge hin, die in westlicher Richtung konvergieren; sie haben teils den ostdeutschen Flüssen auf einer Strecke ihres Laufes als Bett gedient, teils sind sie zu Kanalverbindungen unter diesen benutzt worden. Der nördliche Talzug beginnt an der Weichsel bei Thorn und folgt dem Laufe der Netze und untern Warthe bis zum Odertal, das er bis Oderberg begleitet, um sich dann zur Elbe zu wenden, die er bei Wittenberge erreicht. Der mittlere schließt sich in Polen an das Tal des Narew an, folgt dem Laufe der Weichsel und Bzura, begleitet den mittlern, westwärts gerichteten Lauf der Warthe, wendet sich zur Oder und untern Spree und trifft mit dem nördlichen Zug im Elbtal zusammen. Der dritte, südliche Zug beginnt in Rußland bei den Rokitnosümpfen, folgt der Piliza, zieht sich in Schlesien längs der oberschlesisch-polnischen Platte hin, überschreitet die Oder bei Glogau und geht in westlicher Richtung zur Elbe. Diese drei großen Längstäler werden vielfach durch die Flüsse, welche die zwischen jenen liegenden höhern Flächen durchfurchen, miteinander verbunden, wodurch in einzelnen Landschaften, wie in der Mark Brandenburg, ein reichgegliedertes Talnetz entsteht. Am Südrande dieser Zone zieht sich von der Oberschlesischen Platte nach NW. eine Reihe von Grenzrücken hin, die rechts der Oder in Oberschlesien als Trebnitzer Berge (Weinberg 311 m) und zwischen Oder und Bober bei Glogau als Katzenberge (200 m) auftreten. Daran schließen sich im W. die Niederlausitzer Hügel (Rückenberg bei Sorau 229 w) an und jenseit der Senke des Spreewaldes der Fläming, der bei Belzig zu 201 m ansteigt. Zwischen Elbe und Aller dehnt sich dann in einer Breite von 70 km bei 270 km Länge die Lüneburger Heide aus, deren höchste Erhebung 171 m Höhe erreicht.

Weiter im W. kommt zwischen der Nordsee und den Ausläufern des subhercynischen Hügellandes der Charakter der Ebene am vollständigsten zur Geltung. Weite Strecken sind mit Mooren bedeckt, unter denen die größten das Hochmoor von Ostfriesland (700 qkm), das Arembergische Moor (1600 qkm) und das Bourtanger Moor (1300 qkm) sind. Zwischen den Sümpfen ziehen die Flüsse regellos dahin, nur die Weser und Ems durchschneiden diese durchfeuchtete Ebene zwischen trocknen Ufern, die sich aus langen Dünenreihen aufbauen. Die trocknen sandigen Flächen in der Moorlandschaft sind mit Heidekraut bedeckt, während Wald nur selten auftritt.

Über die geologische Beschaffenheit Deutschlands und die Lagerstätten nutzbarer Mineralien vgl. die Textbeilage zu den beifolgenden Karten; Literatur S. 799.


III. Gewässer.

(Vgl. die »Fluß- und Gebirgskarte«, S. 761.)

D. grenzt an zwei Meere, die Nordsee und die Ostsee. An der Nordsee, die D. in einer Länge von 300 km (davon kommen 160 auf Schleswig-Holstein, 4 auf Hamburg, 44 auf Oldenburg und 90 auf Hannover) bespült, ist zwischen der Festlandsküste und einem äußern Küstensaum zu unterscheiden; der letztere besteht aus einer Reihe von Inseln, die das 8–16 km breite Wattenmeer seewärts abgrenzen. Von diesen Inseln gehören Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog und Spiekeroog zur Provinz Hannover, Wangeroog zu Oldenburg, Neuwerk zu Hamburg, Amrum, Sylt und Röm sowie zahlreiche Inseln im Wattenmeer (Föhr, Pellworm, Nordstrand und die Halligen) zu Schleswig-Holstein. Unter den Busen der Nordsee sind der Dollart, der Jadebusen und die busenartig erweiterten Mündungen der Weser, Elbe und Eider zu merken. Die wichtigsten Leuchttürme an der Nordsee sind auf Sylt, auf Amrum, an der Mündung der Eider, auf Neuwerk, vor Bremerhaven (2), Wangeroog, Norderney und Borkum. Die Tiefe am äußern Eingang zur Elbe und Weser beträgt etwa 20, zur Jade 10–15, zur Osterems 23 und zur Westerems 34 m. Die deutsche Küste an der Ostsee ist 1365 km lang; davon kommen 442 auf die Provinzen Ost- und Westpreußen, 427 auf Pommern, 105 auf Mecklenburg, 15 auf Lübeck und Oldenburg und 375 km auf Schleswig-Holstein. Von ganz besonderm Reiz ist die schleswig-holsteinische Ostseeküste. Steilküsten und tiefe, schmal und weit in das Land eindringende Busen (Föhrden) verleihen der oft bewaldeten Uferlandschaft eine hohe Anmut, und die Dünen fehlen hier fast gänzlich. Die wichtigsten Busen an diesem Teil der Küste sind die von Hadersleben, Apenrade, Flensburg, die Schlei, sowie die von Eckernförde und Kiel. Letztere sowie der Flensburger Busen geben die ausgezeichnetsten Häfen ab. Zwei größere Inseln liegen an dieser Küste: Alsen, durch den an seiner schmälsten Stelle nur 250 m breiten Alsensund, und Fehmarn, durch den nur 3 m tiefen Fehmarnschen Sund vom Festland getrennt. Zwischen den Inseln Fehmarn und Rügen dringt die Lübecker Bucht tief in das Land hinein und teilt sich im Hintergrunde durch die Halbinsel Klützerort in das Lübsche Fahrwasser und in den Busen von Wismar, in dem die Insel Pöl liegt; an der holsteinischen Seite ist hier noch die Neustädter Bucht zu erwähnen. An der pommerschen Küste bildet die Pommersche Bucht an der Mündung der Swine einen nicht unbedeutenden Einschnitt in das Land. Im W. derselben liegt die Insel Rügen, deren Küste ebenso wie die des nahen Festlandes von den Meeresfluten außerordentlich zerrissen ist. Da sind die Tromper Wiek an der Nordseite, die Prorer Wiek an der Ostseite von Rügen; sodann zwischen Rügen und dem Festland eine Reihe von Gewässern (der Greifswalder Bodden mit dem Rügenschen Bodden und der Dänischen Wiek, dem Strelasund, auch schlechthin Bodden genannt, und die Prohner Wiek mit dem Kubitzer Bodden), in die von O. das Landtief, von NW. zwischen Hiddensee und dem Festlande das Tief von Barhöft hinein führen. Andre Gewässer befinden sich im Innern von Rügen, darunter der Große Jasmunder Bodden; noch andre trennen die Insel Zingst und die Halbinsel Darß vom Festlande (der Grabow, der Barther, Bodstedter und Saaler Bodden). Von der Mündung der Swine bis zur Landspitze Rixhöft ist die Küste der Ostsee sehr einförmig; darauf schneidet sie zwischen dieser Landspitze und der von Brüsterort als Danziger Bucht tief in das Land ein. Durch die Halbinsel Hela wird ein Teil derselben als Putziger Wiek abgetrennt. Aber auch hier ist die Küste, wie weiter nördlich bis zur russischen Grenze, meist einförmig. Die Dünenbildung ist von der Swine an vorherrschend; sie entwickelt sich aber am großartigsten auf den Nehrungen, besonders auf der Kurischen. Die Tiefe am Eingang zum Busen von Flensburg beträgt 23–28, zu dem von Kiel 12, zur Trave 5, zur Swine 8, zur Persante 4,6, Stolpe 4, zur Weichsel bei Neufahrwasser 5,4, zum Pillauer Tief 4,4 und zum Memeler Tief 6 m. Eigentümlich ist der deutschen Ostseeküste die Haffbildung. Die Hasse sind große Süßwasserseen von nicht erheblicher Tiefe und Mündungsseen von Strömen und werden von der See nur durch schmale Landstriche getrennt: das Kurische Haff durch die Kurische Nehrung, das Frische Haff durch die Frische Nehrung und das Pommersche Haff durch die Inseln Usedom und Wollin. Unter den mit Leuchttürmen versehenen Landspitzen an der Ostsee treten besonders hervor: Kekenishöi auf Alsen, Bülkerhuk am Kieler Busen, Puttgarden auf Fehmarn, Arkona auf Rügen, Rixhöft und Hela in Westpreußen und Brüsterort in Ostpreußen.

[Flüsse.] Unter den 150 Flüssen des Reiches sind 7 Ströme, von denen die Memel, Weichsel und Oder zur Ostsee, die Elbe, Weser und der Rhein zur Nordsee, die Donau zum Schwarzen Meer fließen. Die Weser allein gehört ganz zu D.; Memel, Weichsel, Oder und Elbe haben ihren Ursprung außerhalb; der Rhein entspringt im Ausland und mündet im Ausland; die Donau nimmt in D. ihren Ursprung und mündet außerhalb. Wichtige Küstenflüsse sind im Gebiete der Ostsee: der Pregel, die Warnow und Trave; im Gebiete der Nordsee: die Eider und Ems. Die Memel (poln. Niemen, 788 km lang, davon nur 112 in D.) entspringt in Rußland, tritt als ein schiffbarer Fluß bei Schmalleningken ins preußische Gebiet, nimmt rechts die Jura und links die Scheschuppe auf und teilt sich in der Tilsiter Niederung in zwei Hauptarme, Ruß und Gilge, die, wiederum mehrfach verzweigt, in das Kurische Haff münden. In letzteres fließen ferner noch die Minge und Dange nördlich und der Nemonien südlich von den Memelarmen. Der schiffbare Pregel (126 km lang) entsteht durch die Vereinigung der Inster, Pissa und Angerapp, verstärkt sich links durch die schiffbare Alle, entsendet rechts die Deime zum Kurischen Haff und ergießt sich in das Frische Haff, in das ferner bis zur Nogatmündung noch die Passarge und der Elbing fließen. Die Weichsel (1050 km lang, 45 auf der Grenze von Oberschlesien, 239 in Preußen) wird bereits an der Grenze von Oberschlesien, wo sie die Přemsza aufnimmt, schiffbar und tritt als bedeutender Strom bei Ottlotschin in das Reich ein, wo sie links die Brahe (in Posen), das Schwarzwasser, die Ferse und Mottlau nebst der Radaune, rechts die Drewenz, Ossa und Liebe aufnimmt. An der Montauer Spitze teilt sie sich in die Weichsel und Nogat und am Danziger Haupt in die Danziger und Elbinger Weichsel. Die Nogat und die im Sommer wasserleere Elbinger Weichsel münden ins Frische Haff, während sich die Danziger Weichsel in zwei Armen bei Neufähr und Neufahrwasser in die Ostsee ergießt. Zwischen Weichsel und Oder sind zahlreiche Küstenflüsse (Rheda, Leba, Stolpe, Wipper, Persante, Rega) vorhanden, die alle auf der Pommerschen Platte entspringen. Die Oder (905 km lang, 769 km schiffbar, davon 741 in D.) ist überwiegend ein deutscher Fluß; sie durchfließt die Provinzen Schlesien, Brandenburg und Pommern, wird bei Ratibor schiffbar, bildet in Pommern das Pommersche Haff und fließt aus diesem in drei Armen (Peene, Swine und Dievenow) zur Ostsee. Ihre wichtigsten Zuflüsse sind rechts: die Klodnitz, Malapane, Weida, Bartsch, Warthe (712 km lang, 368 km in D. schiffbar) nebst Netze und die Ihna; links: die Oppa, Glatzer Neiße, Weistritz, Katzbach, der Bober nebst Queis, die Lausitzer Neiße, die Uker und Peene. Unter den Küstenflüssen zwischen Oder und Elbe sind die Recknitz, Warnow (128 km lang, 37 km schiffbar), Trave, Schwentine und Eider (188 km lang, 140 km schiffbar), von denen die letztere bereits zur Nordsee geht, die bedeutendsten. Die Elbe (1165 km lang, 866 km schiffbar, davon 742 in D.) tritt im Elbsandsteingebirge oberhalb Schandau aus Böhmen nach D. über, durchfließt das Königreich Sachsen, die Provinz Sachsen nebst Anhalt, berührt Brandenburg, Hannover, Mecklenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein und mündet in der Breite von 15 km bei Kuxhaven in die Nordsee. In D. empfängt sie rechts: die Schwarze Elster, die Havel mit Rhin, Dosse und Spree, die Elde und Stör, links: die Mulde, Saale (mit Weißer Elster, Ilm, Unstrut und Bode), Ohre, Jeeze, Ilmenau, Este, Schwinge, Oste und Medem. Die Weser (451 km lang und schiffbar) entsteht bei Münden aus der Werra (mit Hörsel) und Fulda (mit Eder); sie fließt meist durch preußische Lindesteile, berührt aber auch braunschweigisches, bremisches und oldenburgisches Gebiet, nimmt rechts die Aller (mit Oker und Leine), Lesum und Geeste, links die Diemel, Werre und Hunte auf und mündet unterhalb Bremerhaven, 12 km breit, in die Nordsee. Die Ems (330 km lang, 224 km schiffbar), in Westfalen und Hannover, empfängt rechts die Haase und die Leda, bildet den Dollart und mündet in zwei Armen (Oster- und Westerems) zu beiden Seiten der Insel Borkum in die Nordsee. Der Rhein (1225 km lang, 886 km schiffbar, davon 721 in D.) wird erst unterhalb des Bodensees ein deutscher oder vielmehr bis Basel ein halbdeutscher Fluß, insofern er hier die Grenze zwischen D. und der Schweiz bildet. Von Basel bis Mainz durchströmt er die Oberrheinische Tiefebene. Bei Bingen tritt er in das Gebiet des Schiefergebirges ein, das er am Fuße des Siebengebirges oberhalb Bonn verläßt, um von nun an seinen Unterlauf zu beginnen. Unterhalb Emmerich verläßt er D. Unter den Nebenflüssen des Rheins auf der rechten Seite sind die bemerkenswertesten: die Kinzig, Murg, der Neckar (397 km lang, 188 km schiffbar) mit Enz, Kocher und Jagst, der Main (495 km lang, 390 km schiffbar) mit Regnitz, Tauber, Fränkischer Saale, Kinzig und Nidda, die Lahn, Sieg, Wupper, Ruhr, Emscher und Lippe; auf der linken: die Ill, Nahe, Mosel (505 km lang, 344 km schiffbar, mit Sauer und Saar), Ahr und Erst. Zur Maas in den Niederlanden fließen die Roer und Niers, ebendaselbst zur Neuen Yssel die Berkel und zum Zuidersee die Vechte. Die Donau durchströmt in östlicher Hauptrichtung die süddeutsche Hochebene und liegt bei Passau noch 287 m ü. M. Sie ist 2860 km lang, 2574 km schiffbar, davon 356 in D. Die wichtigsten Nebenflüsse der Donau während ihres Laufes durch D. sind auf der rechten Stromseite: die Iller, der Lech, die Isar, der Inn (510 km lang, 226 km in D.), die sämtlich in den Alpen entspringen und auf der Schwäbisch-Bayrischen Hochebene in die Donau fließen. Die wichtigsten Nebenflüsse der Donau auf der linken Seite in D. sind: die Wörnitz, Altmühl, Nab und der Regen.

[Landseen.] Nach den nordischen Reichen Schweden und Norwegen und Rußland ist kein Land Europas reicher an Landseen als D. Es hat zwei Zonen, die durch eine Reihe von Seen ausgezeichnet sind, im S. und im N. Die südliche Seezone zieht sich längs des Nordfußes der Alpen hin (s. oben). Man zählt im südlichen Bayern gegen 70 Seen. Der größte aller deutschen Seen ist der Bodensee, der schönste der Königssee bei Berchtesgaden. Zu den größern der Bayrischen Hochebene und der dahinterliegenden Bayrischen Alpen gehören noch der Walchen-, Kochel-, Ammer-, Staffel-, Würm- (Starnberger), Tegern-, Schlier- und Chiemsee. Die nördliche Seezone umgibt die Ostsee auf ihrer ganzen Ausdehnung von Schleswig bis zur äußersten Ostgrenze gegen Polen und enthält eine außerordentliche Zahl von Seen (die beiden Mecklenburg allein zählen 223). Die wichtigsten Seen westlich von der Oder sind: der Plöner und Selenter See in Schleswig-Holstein, die Müritz und der Schweriner See in Mecklenburg, die Ukerseen in Brandenburg; zwischen Oder und Weichsel: der Drazigsee auf dem Landrücken, die Madüe am Fuße desselben und unter den Strandseen der Lebasee, alle drei in Pommern, der Wdzydzesee in Westpreußen und der Goplosee an der obern Netze in Posen; endlich im O. von der Weichsel: der Geserichsee auf der Grenze von West- und Ostpreußen, der Mauer-, Löwentin- und Spirdingsee im ostpreußischen Masurenland. Außerdem sind noch zu bemerken: der Süße See bei Eisleben in der Provinz Sachsen, das Steinhuder Meer östlich und der Dümmersee westlich von der Weser im Flachlande der Provinz Hannover und der Laacher See in der Rheinprovinz.

[Kanäle.] Unter den Kanälen haben eine allgemeine Wichtigkeit: die Verbindung zwischen Memel und Pregel (Gilge, Seckenburger Kanal, Großer Friedrichsgraben und Deime); der Elbing-Oberländische Kanal zwischen den Seen auf der Grenze von Ost- und Westpreußen wegen seiner geneigten Ebenen; der Bromberger Kanal (27 km) zwischen Brahe und Netze, Verbindungsglied zwischen Weichsel- und Odergebiet; der Müllroser oder Friedrich-Wilhelmskanal (27 km) und der Oder-Spreekanal (100,6 km) zwischen Oder und Spree und der Finowkanal (69,5 km) zwischen Oder und Havel, alle drei eine Verbindung zwischen dem Oder- und Elbgebiet vermittelnd; der Elbe-Travekanal (67,6 km) von Lauenburg nach Lübeck; der Alte und der Neue Plauesche Kanal (bez. 34,6 u. 30 km) zwischen Havel und Elbe; der Eiderkanal (32 km) zwischen Ostsee und Eider (Nordsee) und der Kaiser Wilhelm-Kanal (98,6 km) von der Kieler Bucht zur Elbmündung; der Dortmund-Emskanal (272 km) von Dortmund über Münster zur Ems; der Ludwigskanal (172 km) zwischen Regnitz und Altmühl (Main und Donau) verbindet Rhein- und Donaugebiet; der Rhein-Rhone- (323 km, davon 132 in D.) und der Rhein-Marue-Kanal (315 km, davon 108 in D.) in Elsaß-Lothringen mit Fortsetzungen weit nach Frankreich hinein. Eine Kanalverbindung zwischen Rhein, Weser und Elbe (Mittellandkanal) ist geplant. Vgl. die Karte »Deutschlands Schiffahrtsstraßen« beim Art. »Kanal«.

Sümpfe, Moore und Brücher gibt es besonders auf der Schwäbisch-Bayrischen Hochebene: Erdinger und Dachauer Moos östlich und westlich von der Isar, Donauried und Donaumoos an der Donau zwischen Ulm und Donauwörth und bei Ingolstadt; sodann in den nördlichen Küstenländern, hier vorzüglich als Hochmoore auf der Grenze der Marsch und Geest in Hannover, Oldenburg und Schleswig-Holstein, aber auch weit landeinwärts zu beiden Seiten der Ems, Hunte und Weser (das Bourtanger Moor auf der Grenze gegen die Niederlande); ferner in der Nähe der Ostsee die Moore in Hinterpommern, namentlich am Haff und am Lebasee, und in Ostreußen am Kurischen Haff zwischen Deime und Ruß. Weiter im Innern gibt es große Moorstrecken noch in Posen (Netze- und Obrabruch), Brandenburg (Havelländisches und Rhinluch, Warthebruch, Spreewald), in der Provinz Sachsen (Drömling an der Aller und Ohre), Westfalen etc. Einige von diesen Mooren erscheinen als unkultivierbar, wie das große Moorbruch in Ostpreußen, andre aber gehen durch Anlage von Kanälen einer Kultur entgegen, besonders in Hannover, wo bereits seit längerer Zeit blühende Moor- (bei Bremen) und Fehnkolonien (in Ostfriesland) bestehen.

[Mineralquellen.] Von den zahlreichen Mineralquellen Deutschlands gehören viele zu den heilkräftigsten Europas. Die an Mineralquellen reichsten Gegenden Deutschlands sind: der Schwarzwald, das Niederrheinische Schiefergebirge, das Wesergebirge, die Sudeten, das Riesengebirge. Ungemein groß ist die Zahl der kohlensäurereichen Quellen des Niederrheinischen Gebirges, von denen die berühmtesten Selters und Geilnau diesseits, Tönnisstein in der Nähe des Laacher Sees jenseits liegen; aber es erstreckt sich dieser Kohlensäurereichtum noch weit nordostwärts bis ins Gebiet der untern Weser; dort sind die Stahlquellen von Driburg, Pyrmont, Rehburg und die mit 697 m Tiefe erbohrte warme Solquelle von Rehme (Oeynhausen) zu bemerken, zu denen am Südostfuß des Rheinischen Schiefergebirges der warme Sprudel von Nauheim hinzukommt. Wie die Kohlensäureexhalation, so steht wohl auch der Reichtum an Thermen im Gebiete des Niederrheinischen Gebirges in Verbindung mit der frühern vulkanischen Tätigkeit in den Rheingegenden. Wiesbaden, Schlangenbad, Ems, Bertrich, die Quellen im Ahrtal, die Schwefelquellen von Aachen und Burtscheid gehören zu den besuchtesten des Reiches. Auch der Schwarzwald besitzt in Baden-Baden, Wildbad und dem lange verschollenen Römerbad Badenweiler berühmte Thermen; ebenso haben Sudeten und Riesengebirge (Warmbrunn) ihre Thermen. Über ganz D. sind Solquellen (Kreuznach u. v. a.), Eisensäuerlinge (Langenschwalbach, Pyrmont, Wildungen), Schwefelquellen u. a. zerstreut, aber keine davon ist so besucht und verschickt so viel Wässer wie Kissingen. – Unter den Seebädern sind die wichtigsten an der Nordsee: Helgoland, Borkum, Norderney, Wangeroog, Wyck auf Föhr und Westerland auf Sylt; an der Ostsee: Borby bei Eckernförde, Kiel, Travemünde, Warnemünde, Saßnitz, Binz, Göhren, Putbus, Zinnowitz, Heringsdorf, Ahlbeck, Swinemünde, Misdroy, Kolberg, Zoppot, Kahlberg, Pillau, Kranz, Neukuhren und Schwarzort. Vgl. »Deutschlands Heilquellen und Bäder« (hrsg. vom kaiserlichen Gesundheitsamt, Berl. 1900), weitere Werke s. Balneologie.


IV. Klima, Pflanzen- und Tierwelt.

(Hierzu die »Klimakarte von Deutschland«, mit Textblatt.)

Über das Klima Deutschlands vgl. die besondere Textbeilage zur beifolgenden Karte.

[Pflanzenwelt.] D. bildet einen Abschnitt der mitteleuropäischen Waldzone, seine Pflanzendecke setzt sich aus der baltischen und der alpinen Flora zusammen. Erstere beherrscht das norddeutsche Tiefland südwärts bis zu einer durch Schlesien und Sachsen verlaufenden, dann um den Harz sich erhebenden und am Nordrande des Rheinischen Schiefergebirges endenden Linie, die ungefähr mit der nördlichen Verbreitungsgrenze der Edeltanne zusammenfällt. Die Alpenflora greift von der Schweiz, Tirol und Salzburg aus auf die deutschen Kalkalpen im Algäu und in Südbayern über und sendet von hier Ausstrahlungen längs der Alpenflüsse auch in die Donauhochebene aus. Eine zweite alpine Vegetationsinsel, die Sudeten, zeichnet sich durch den Besitz einiger arktischer, in den Alpen fehlender Pflanzenarten aus. Auch auf einige Hochgipfel des übrigen deutschen Mittelgebirges sind Alpenpflanzen übergegangen. Das zwischen der Edeltannengrenze und dem alpinen Gebiet Südbayerns eingeschlossene Gebiet trägt vorwiegend eine Hügel- und Bergwaldflora (Hercynische Flora), deren Charakter in den tiefern Lagen mehr baltisch, in den höhern Bezirken subalpin oder alpin ist. Im mittlern Deutschland herrscht die Niederungsflora bis etwa 150 m, darüber folgt zwischen 150 bis 500 m die der Hügelzone und zwischen 500–1100 m die der Bergwaldregion; über letzterer breitet sich bis 1300 m ein Gesträuchgürtel und über diesem bis 1600 m die alpine Region aus; in den deutschen Alpen beginnt letztere dagegen erst bei 1700 m. Die Zahl der aus der Schweiz und Österreich auf die Bayrischen Alpen übertretenden Hochgebirgsarten beträgt etwa ein Drittel der in dem Hauptalpenzug einheimischen. Die Strauchregion besitzt meist ausgedehnte Bestände von Legföhren, Alpenrosen, Grünerlen und Zwergweiden, seltener sind Zwergwacholder und Savestrauch. In den Bergwäldern um Garmisch und Berchtesgaden wachsen auch Zirbelkiefern. Die Fichte bildet den Hauptbestandteil der obersten Bergwälder und erhebt sich bis 1820 m, während die Lärche bis 1900 m aufsteigt. Zahlreiche alpine und baltische Holz- und Krautpflanzen begleiten den Bergwald, mit dem Bergmatten und polster- oder teppichbildende Felspflanzenbestände abwechseln. Im Bergwalde der deutschen Mittelgebirge bilden den obersten Gürtel bis zur Baumgrenze Fichtenwälder, deren Boden in der Regel von niedrigem Vaccinium-Gebüsch bedeckt wird; an den Waldbächen und Quellrinnsalen, oberhalb 800 m, wachsen höhere Stauden, wie Eisenhut, Ranunculus aconitifolius, Mulgedium, Senecio Fuchsii u. a. Kurzhalmige, süße Gräser setzen das Grundgewebe der Bergwiesen zusammen, die nicht selten durch Reichtum von Orchideen sich auszeichnen. Die aus Riedgräsern oder Torfmoosen entstehenden Hochmoore werden häufig von sumpfliebenden Sträuchern, wie Ledum, Zwergkiefern, Sumpfbirken u. a., überwuchert. Felsspalten und Geröllhalden, auch die Bergheiden mit Calluna, Empetrum u. a. beherbergen einzelne Alpenflüchtlinge. Weiter am Gebirge abwärts nuschen sich Edeltannen und einzelne Laubholzarten dem Fichtenwald bei; die Sträucher (wie Rosa alpina, Ribes alpinum u. a.) sind z. T. noch alpinen Ursprungs. Unter 800 m herrscht bereits häufiger die Buche in geschlossenen Waldbeständen, deren Unterschicht an frühblühenden Stauden, wie Hepatica, Mercurialis, Orobus vernus u. a., reich zu sein pflegt. In den Mischwäldern aus Fichte, Buche und Edeltanne steigen die bergansässigen Gewächsarten am tiefsten abwärts. Die Wälder des Tieflandes und der Hügelregion bestehen teils aus geschlossenen Buchenwaldungen mit unbegrastem Boden, teils aus Mischwäldern mit Eichen, Eschen, Zitterpappeln, Ulmen u. a., teils auch aus lichten Hainen mit zusammenhängender Grasnarbe. Das Überschwemmungsgebiet der Flüsse und feuchte Niederungen werden von Auenwäldern mit Eichen, Zitterpappeln, Birken, Hainbuchen u. a. besiedelt, deren Untergrund oft eine Decke von Sumpfgräsern trägt. Nasse Brücher werden durch Bestände von Erlen, Sumpfbirken und Weiden, dürrer, trockner Boden durch Kiefernwald mit Heidegesträuch und Vaccinium gekennzeichnet. Hagedorngebüsche begleiten die Hügelgehänge, langhalmige, bittere Gräser den von Grundwasser feucht erhaltenen Boden der Talwiesen; stagnierendes Wasser ruft Binsen, Wollgräser und Torfmoose hervor. Die auf trocknem Boden gern erscheinenden und doch feuchtigkeitsbedürftigen Heidekrautbestände sind in ihrer reinsten Form besonders für Nordwestdeutschland charakteristisch und beherbergen daselbst auch eine Anzahl atlantischer Pflanzen, wie Genista anglica, Myrica Gale u. a. Trockne Sandhügel und Kiesflächen des Tieflandes tragen zerstreute Gruppen von Ginster, Thymian, Zypressen-Wolfsmilch, Mülerpfesser und Schafschwingel. An lehmigen, warmen Talgehängen der norddeutschen Strombetten haben sich auch einzelne Ausstrahlungen der pontischen Steppenflora, wie Federgräser (Stipa) u. a., in schwachen Resten erhalten; die Torfmoore, als relativ kälteste Teile des Landes, enthalten dagegen Überbleibsel der arktischen Flora, wie Ledum, Andromeda, Scheuchzeria u. a., die während der Eiszeit ihr Areal weiter ausgedehnt hatte. Einen später erst eingewanderten Teil der norddeutschen Flora stellen die Pflanzen der Flußufer und Niederungen dar, von denen eine Anzahl von S. oder SO. der Stromrichtung folgend eingedrungen ist und dann in D. eine deutliche Nord- oder Nordwestgrenze erreicht. Die vorherrschende Ufervegetation wird von Erlen, Weiden und schilfähnlichen Gräsern, von Pestwurz (Petasites), Nasturtium-Arten u. a. hergestellt; an Seen und Teichen breiten sich reichliche Schilf- und Binsenbestände mit eingemengten Rohrkolben, Igelskopf, Wasserliesch, Froschlöffel und Kalmus aus. Stehende Wasserflächen werden von Seerosen, Schwimmknöterich und grünen Decken aus Wasserlinsen überzogen. Eine durch fleischige Blätter oder Stengel auffallende Vegetation zeichnet salzhaltige Stellen des Binnenlandes und die Seeküsten aus (s. Salzpflanzen); letztere besitzen außerdem in den Dünengräsern und den Stranddisteln eigenartige Vegetationsformen (s. Strandpflanzen).

Dem Ursprung nach besteht die Flora Deutschlands fast ganz aus Einwanderern andrer Florengebiete, da das Land während der Glazialzeit sowohl im nördlichen Tiefland als von den Alpen her mit einem ausgedehnten Gletschermantel überzogen war und nur im mittlern Teil eine dauernde Vegetation sich erhalten konnte. Dieselbe scheint z. T. arktischen Charakter besessen zu haben. Dem Abschmelzen des Eises folgte eine trockne und warme Periode, während welcher Steppenpflanzen aus SO. in D. einwanderten. Die alpine Bergwaldflora scheint sich von S. her, die baltische Niederungsflora von W. und NW. her über D. verbreitet zu haben. Jüngern Datums ist auch die längs der Stromtäler einwandernde Uferflora. Den jüngsten Bestandteil der Pflanzenwelt endlich bilden Ankömmlinge, deren Standorte erst durch die Hand des Menschen geschaffen sind, und die als Unkräuter oder als Ruderalpflanzen an Mauern, Wegen und Schuttablagerungen durch Verwilderung oder Einschleppung ansässig wurden.

[Tierwelt.] Die Tierwelt läßt ein ober- und ein niederdeutsches Gebiet, aber auch einen östlichen und einen westlichen Gau unterscheiden, indem viele von O. oder W. eingewanderte Tiere innerhalb Deutschlands ihre westliche, bez. östliche Verbreitungsgrenze finden. Als Überbleibsel aus vorgeschichtlicher Zeit erscheinen einige hochnordische Tiere, die zur Eiszeit D. bewohnten, mit deren Ende aber auf die höchsten Gebirge sich zurückzogen, z. B. der Schneehase (s. Alpen, S. 367). Die größern Säugetiere, in erster Linie die Raubsäugetiere, gehen immer mehr der Ausrottung entgegen. Völlig verschwunden sind der Bär, der sich am längsten in Süddeutschland gehalten, und der Auerochs, dessen letztes Exemplar in Ostpreußen erlegt wurde; ganz vereinzelt finden sich noch der Nörz im Nordosten, der Biber an der Elbe und der Luchs in den Alpen; die Wildkatze hält sich noch in einigen größern Waldungen; der Wolf ist nicht selten im Nordosten Deutschlands und in Lothringen. Die ehemals gemeine Hausratte ist jetzt fast völlig durch die aus dem Oriente durch den Schiffsverkehr eingeführte Wanderratte verdrängt. Gehegt und dadurch vor Ausrottung geschützt werden Edelhirsch, Reh, Wildschwein, das Elch (Ibenhorst bei Tilsit), auch der Hase. Dagegen sind durch den Menschen eingeführt und z. T. verwildert Damwild und Kaninchen. Von den Säugetieren der paläarktischen Region leben in D. etwa 16 Proz., unter denen der Zahl nach die Nagetiere und nächst diesen die Insektenfresser am stärksten vertreten sind. Recht vogelreich ist der Nordosten wegen der durch geringere Kultivierung und größern Wasserreichtum gebotenen bessern Lebensbedingungen. Als charakteristisch für D. darf man die Singvögel bezeichnen. Der Ausrottung gehen entgegen der Uhu, der Kolkrabe, der Reiher, der schwarze Storch, durch den Menschen bleiben erhalten der weiße Storch, Kranich, Auerwild, Birkwild; viele Vögel, besonders Höhlenbrüter und Sumpfvögel, gehen ständig zurück. Für das Vordringen von Osten her sprechen verschiedene Tatsachen, so auch gelegentliche Masseneinwanderungen, wie diejenige des Steppenhuhns. Anderseits finden sich im Südwesten einige südliche Einwanderer. Von N. her erscheinen als Wintergäste zahlreiche Vögel. Ganz besonders wichtig ist die Insel Helgoland als »Vogelwarte«, da hier eine große Zahl Zugvögel auf der Wanderung einen Ruhepunkt findet; es werden hier im ganzen 396 Vogelarten beobachtet. Auf Helgoland brütet die Lumme (Uria). Relativ schwach vertreten sind die Reptilien, die besonders dem Südwesten angehören, wo sich alle zwölf deutschen Eidechsen- und Schlangenarten, einige davon ausschließlich nur hier, finden. Letzteres gilt von der Smaragdeidechse, der Mauereidechse, der Würfelnatter, Äskulapnatter und Aspisviper, südlichen Formen, die durch die Flußtäler (besonders das Rheintal) eingewandert, mehr oder weniger weit nördlich vorgedrungen sind, meist aber nur an einzelnen Punkten heimisch wurden. Die einzige deutsche (Sumpf-) Schildkröte ist die Emys lutaria (Schlesien, Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg, Posen, westliche Verbreitungsgrenze die Elbe). Amphibien kommen von ungeschwänzten 12, von geschwänzten 6 Arten vor, die z. T. ebenfalls eine nur beschränkte Verbreitung haben; längs des Rheintales ist aus dem Süden eingewandert die Geburtshelferkröte; die rotbauchige Unke bewohnt den ebenen Norden, die gelbbäuchige das hügelige Mittel- und Süddeutschland; der schwarze Salamander ist ausgesprochen alpin, der Schweizermolch dringt von W. her in D. ein. An Süßwasserfischen besitzt D. etwa 60, davon spezifische Arten in den süddeutschen Alpenseen (z. B. Saibling, Renke, Kilch) wie in den nordöstlichen deutschen Seen, z. B. die Maräne; außerdem unterscheidet sich wesentlich die Fischfauna des Donau- und des Rheingebietes; ersterm fehlen z. B. Stint, Lachs, Aal, letzterm Huchen, Sterlett. Gewissen Veränderungen unterliegt die Fauna durch das von den Fischzüchtern geübte Einsetzen von Fischen an Orten, wo sie nicht einheimisch sind. Wichtigster Nutzfisch an den Küsten von D. ist der Hering. Von Mollusken sind zu erwähnen als Landschnecken besonders die Gattungen Helix und Verwandte, von Nacktschnecken sind ebenfalls sehr häufig Limax und Arion, von Süßwasserschnecken Planorbis und Limnaeus. Von Süßwassermuscheln sind die Unioniden und Cyclas sehr verbreitet, in Bayern und Sachsen kommt die Perlmuschel vor; die mit marinen Formen nahe verwandte Dreyssensia polymorpha ist im 19. Jahrh. vom südlichen europäischen Rußland aus teils mittels Verschleppung durch Schiffe, teils durch aktive Wanderung in alle deutschen Hauptströme gelangt und verbreitet sich von hier aus allmählich immer weiter in die Nebenflüsse. Unter den Insekten läßt sich vielfach eine Einwanderung von O. konstatieren, die häufig mit der Einbürgerung bestimmter Pflanzen Hand in Hand geht. Durch den Weltverkehr sind eine Reihe schädlicher Insekten eingeschleppt worden, so besonders die Reblaus, der Kornwurm, der Reiskäfer u. a. In Süddeutschland finden sich einige ausgesprochen süd liche Formen, so ganz vereinzelt ein Geradflügler, die Gottesanbeterin (Mantis religiosa). Die niedern Süßwassertiere sind zum größten Teil kosmopolitisch und finden sich ebenso in höchstgelegenen Alpenseen wie in Wasserbecken der Ebene; manche dieser Süßwasserbewohner sind Eiszeitrelikte. Sehr bemerkenswert ist das Einwandern eines Polypen (Cordylophora lacustris) aus dem Meer in das Süßwasser; derselbe dringt seit der Mitte der 1860er Jahre von der Küste aus allmählich in das Innere Deutschlands vor.


V. Bevölkerung.

(Hierzu die Karte »Bevölkerungsdichtigkeit im Deutschen Reich«, mit Textblatt.)

Die Einwohnerzahl des Deutschen Reiches belief sich nach der Zählung vom 1. Dez. 1900 auf 56,367,178 Seelen. Ihre Verteilung auf die einzelnen Staaten ist aus der Tabelle, S. 761, ersichtlich. Die Einwohnerzahl betrug dagegen 1895: 52,279,901, 1890: 49,428,470, 1885: 46,855,704, 1880: 45,234,061, 1875: 42,727,360, 1871: 41,058,792, 1867: 40,088,621 und nach einer Berechnung 1852: 35,929,691, 1834: 30,608,698 und 1816: 24,831,396 Seelen. Mitte 1903 wurde die Seelenzahl des Reiches auf 58,549,000 geschätzt. Weiteres über die Dichtigkeit und das Wachstum der Bevölkerung s. in der Textbeilage zur Karte.

[Geschlecht.] Auf 27,737,247 männliche Personen kamen 1900: 28,629,931 weibliche, d. h. ein Verhältnis von 1000: 1032. Im ganzen genommen überwiegt demnach das weibliche Geschlecht ziemlich erheblich. Auf 1000 männliche Personen kommen mehr als 1070 weibliche: in Schlesien (1098), Berlin, Posen und Hohenzollern (je 1092), Reuß j. L. (1081), Ostpreußen (1077), Waldeck (1074); ein Überwiegen des männlichen Geschlechts dagegen findet statt in: Westfalen, wo auf 1000 männliche nur 937 weibliche Personen kommen, Elsaß-Lothringen (953), Schleswig-Holstein (978), Rheinland (986) und Hannover (997). In den größten deutschen Städten, außer Magdeburg und Straßburg, überwiegt das weibliche Geschlecht.

[Familienstand, Alter.] Die Volkszählung vom 1. Dez. 1900 ergab, daß 59,47 Proz. der Bevölkerung ledig, 34,76 Proz. verheiratet und 5,77 Proz. verwitwet oder geschieden waren. Von den männlichen Einwohnern waren 61,6 Proz. ledig, von den weiblichen nur 57,3, verheiratet waren 35,3 der Männer, 34,2 Proz. der Frauen, verwitwet und geschieden 3,3 der Männer, 8,4 Proz. der Frauen.

Die innern Wanderungen (s. S. 769) erzeugen nicht nur eine Vermehrung oder Verminderung der Volkszahl, sondern auch einen andern Altersaufbau. Wo starker Zuzug stattfindet, schwellen die Jahresklassen der Erwerbstätigen an, während sie in den Fortzugsgebieten beeinträchtigt werden. Im übrigen hängt die Altersgliederung von der Geburtenhäufigkeit und Sterblichkeit ab. Es standen von je 1000 Bewohnern im Alter von

Tabelle

[Wohnhäuser, Haushaltungen.] Die Zahl der bewohnten Wohnhäuser und andrer bewohnter Räumlichkeiten wurde 1900 auf 6,321,292 ermittelt, davon waren 6,232,114 bewohnte Wohnhäuser, 71,726 andre zum Wohnen dienende Gebäude, 2657 feststehende, Zelte, Hütten, Buden und 14,795 (bewegliche) Wagen, Schiffe, Flöße etc.; unbewohnt waren außerdem 139,536 Wohngebäude. Haushaltungen waren 12,260,012 vorhanden, und zwar 11,308,081 gewöhnliche Haushaltungen von 2 und mehr Personen, 870,601 einzeln lebende selbständige Personen und 81,330 Anstalten. Es kommen:

Tabelle

[Bewegung der Bevölkerung.] In D. wurden 1901: 468,329 Chen geschlossen, auf 1000 der mittlern Bevölkerung 8,3; 1872 war die Ziffer 10,3 und 1881 nur 7,5, erst mit dem nächsten Jahr erhob sich die Eheschließungsziffer wieder und stieg seitdem mit zwei Unterbrechungen in den Jahren 1887 und 1888 sowie 1892 u. 1893 (s. nebenstehende Tabelle). Nimmt man das heiratsfähige Alter gleichmäßig vom vollendeten 15. Lebensjahr an (ohne Rücksicht auf die reichsgesetzliche Ehemündigkeit: vollendetes 21., bez. 16. Lebensjahr), so ergibt sich eine Heiratsfrequenz von etwa 54, d. h. von 1000 heiratsfähigen, über 15jährigen unverheirateten Personen heiraten in einem Jahre 54; beim männlichen Geschlecht für sich sind es jedoch 59 gegen 52 beim weiblichen, weil letzteres in diesen Altersklassen entsprechend stärker vertreten ist. In Ungarn ist die Heiratsfrequenz bedeutend höher (81,4), in Irland dagegen beträchtlich niedriger (25,8).

Die Zahl der Gebornen war im Jahresdurchschnitte der Periode 1892/1901: 1,983,576, d. h. 37,2 auf 1000 der mittlern Bevölkerung, gegen 40,9 pro Tausend im Jahrzehnt 1872/81; 1901 wurden 2,097,838 (36,9 pro Tausend) Kinder geboren, abgesehen von 1900 (mit 36,8 pro Tausend) relativ am wenigsten seit 1871 gegenüber der Höchstziffer von 42,6 pro Tausend im J. 1878. Unehelich geboren sind im Durchschnitte des Jahrzehnts 1892–1901 jährlich 179,803 oder 9,06 Proz. der Gebornen überhaupt, in Bayern r. d. Rh. 14,9 Proz. (vor vier Jahrzehnten noch 20 Proz.), fast ebenso hoch in Berlin (14,7 Proz.), noch über 12 Proz. in Sachsen, Mecklenburg, Sachsen-Meiningen und Reuß j. L., dagegen in der Rheinprovinz und Westfalen nur 3,9 und 2,6 Proz., in Oldenburg, Bremen, Posen, Hessen-Nassau und Hannover unter 7 Proz. Totgeboren waren in demselben Zeitraum durchschnittlich 64,066 oder 3,23 Proz. Obwohl mehr Knaben als Mädchen, im Deutschen Reich auf 100 Mädchen 106 Knaben, geboren werden, überwiegt in der Gesamtbevölkerung das weibliche Geschlecht, und zwar hauptsächlich infolge der höhern Säuglingssterblichkeit der Knaben.

Die Zahl der Gestorbenen (einschließlich der Totgebornen) betrug im Jahresdurchschnitte der Periode 1892/1901: 1,235,103,1901: 1,240,014, d. h. 23,16, bez. 21,81 auf 1000 der mittlern Bevölkerung. Im Nordwesten Deutschlands ist die Sterblichkeitsziffer beträchtlich niedriger als im Osten und Süden des Reiches. Besonders hoch ist sie in den jüngsten Altersklassen, so daß im allgemeinen die Ziffer der Gesamtsterblichkeit da erhöht wird, wo die unterste Altersklasse stark vertreten, d. h. wo die Ziffer der Gebornen hoch ist. Im übrigen vgl. Art. »Sterblichkeit« und die dort abgedruckte (deutsche) Sterbetafel.

Als natürliche Bevölkerungsvermehrung (Überschuß der Zahl der Gebornen über die der Gestorbenen) ergibt sich im letzten Jahrzehnt eine Jahresziffer von 748,472 oder 14,04 auf 1000 der mittlern Bevölkerung, während die wirkliche Zunahme, wie sie aus den Volkszählungen hervorgeht, in der Regel eine wesentlich geringere ist und nur in größern Städten sowie zeitweise in einigen Industriebezirken den natürlichen Zuwachs übertrifft. 1896 und 1898 hatte der Geburtenüberschuß mit 815,783 und 846,871 (15,47, bez. 15,59 pro Tausend) infolge hoher Geburten- und niedriger Sterblichkeitsziffer eine Höhe, wie sie vorher in keinem Jahr erreicht wurde. Die Bewegung der Bevölkerung im verflossenen Jahrzehnt veranschaulicht folgende Tabelle:

Tabelle

[Gebürtigkeit, innere Wanderungen.] Die Zahl der nicht an ihrem jeweiligen Wohnorte gebornen Einwohner ist sehr beträchtlich; im ganzen Reiche sind es etwa 40 Proz. der Bevölkerung, so daß 60 Proz. als ortsgebürtig verbleiben. In überwiegendem Maße stammen jene Elemente aus benachbarten Gemeinden und Landesteilen. Das Verhältnis ist aber in einigen Gebieten in charakteristischer Weise verschieden, und eine besondere Stellung nehmen die großen Städte ein, wo der Anteil der Eingebornen am niedrigsten ist, in Berlin beispielsweise 42, in München 38, Dresden 40, Hamburg 51, Charlottenburg nur 19,5 Proz. Von der gesamten Bevölkerung wurden innerhalb der Reichsgrenzen geboren: 55,529,229, im Auslande 829,599 oder 14,7 pro Tausend der Bevölkerung, gegen 10,5 in 1890 und 9,4 pro Tausend 1871.

Durch die Feststellung des Geburtsortes wird zugleich ein Einblick in die innere Wanderung der Bevölkerung ermöglicht. Die nachstehende Gliederung des Reiches in neun Bezirke bringt die innere Wanderung, den Zugang, Abgang und den hieraus sich ergebenden Gewinn oder Verlust zur Darstellung. Nach der Zählung von 1900 betrug:

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Fünf Gebiete sind es demnach, die wesentlich mehr Zuzug aus andern Teilen des Reiches erhalten, als sie Personen durch Fortzug abgeben, nämlich (Gruppe 2) Brandenburg mit der Hauptstadt Berlin, (4) Hamburg etc., (6) Rheinland, (7) Königreich Sachsen und (9) Elsaß-Lothringen, wogegen vor allen die östlichen Provinzen, dann noch die Provinz Sachsen und Süddeutschland (Gruppe 8) in erheblichem Maße durch innere Wanderung verlieren.

[Auswanderung.] Im 19. Jahrh. sind drei Zeiträume für die Auswanderung von hervorragender Wichtigkeit. Der erste umfaßt die Jahre 1852–54, wo die Anziehungskraft der fremden Goldfelder etc. wirkte; der zweite begann mit dem Jahr 1866 und dauerte bis 1873, das sind die Jahre nach den Kriegen von 1866 und 1870/71; der dritte Zeitraum endlich wurde 1880 eröffnet, erreichte 1881 (mit 220,902 nachgewiesenen deutschen Auswanderern) seinen Höhepunkt und endete 1892. Für die erste und zweite Periode wurden durchschnittlich jährlich etwa 100,000 deutsche Auswanderer nach überseeischen Ländern nachgewiesen, in der dritten Periode (1880–92) jedoch sogar über 130,000 durchschnittlich jährlich. Seit 1893 ist die überseeische Auswanderung von 87,677 Personen sehr schnell zurückgegangen und betrug 1902 nur 32.098. Von letztern wurden 13,960 Personen über Bremen, 9570 über Hamburg, der Rest über fremde Häfen (5792 über Antwerpen, 2278 über Holland) befördert. Ziel der Auswanderung waren für 29,211 Personen die Vereinigten Staaten von Amerika, für 807 Brasilien, für 235 Australien. Weiteres s. Auswanderung, S. 179. Die Beförderung nichtdeutscher Auswanderer, besonders Russen, Ungarn und Österreicher, über deutsche Häfen belief sich 1902 auf 221,432 (1901 nur 166,626)Personen; davon nahmen 129,369 den Weg über Bremen, 92,063 den über Hamburg.

[Bilanz der Bevölkerung.] In der jüngsten Zählperiode 1895–1900 betrug die Volkszunahme 4,087,277 Seelen, eine Ziffer, die zum erstenmal seit 1871 höher ist als die natürliche Vermehrung (Überschuß der Zahl der Gebornen über die der Gestorbenen). In dem Zeitraum zwischen den beiden letzten Volkszählungen war nämlich die Zahl der

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Hält man daneben die tatsächliche Zunahme von 4,087,277, so ergibt sich mit 94,125 Personen der Gewinn der Reiches durch Wanderungen; hiervon kommen 81,481 auf das männliche und 12,644 auf das weibliche Geschlecht, also mehr männliche Personen.

Durchschnittlich jährlich betrug pro Tausend der mittlern Bevölkerung:

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In der Periode 1880–85 war der Geburtenüberschuß am niedrigsten und dazu der Wanderungsverlust am bedeutendsten.

[Wohnplätze, Städte.] D. hat etwa 79,000 Ortschaften oder Gemeinden, darunter (1900) 3397 Städte (Orte mit 2000 und mehr Einwohnern), von denen nur eine über 1 Mill. Einw. zählt. Über 100,000 Einw. hatten 1900: 32 Städte (vgl. nebenstehende Übersicht), 40 gab es mit 50,000–100,000. Ferner gab es 194 mit 20–50,000 (darunter 20 Landgemeinden: Altendorf, Altenessen, Beeck, Bismarck i. W., Borbeck, Bottrop, Buer, Deutsch-Wilmersdorf, Groß-Lichterfelde, Hamborn, Lichtenberg, Löbtau, Neunkirchen [Regbez. Trier], Neu-Weißensee, Pankow, Schalke, Steglitz, Ückendorf, Wanne, Zaborze), 864 mit 5–20,000, endlich 2269 mit 2–5000. Unter diesen Städten befinden sich eine Reihe ländlicher Orte, während historische (politische) Städte häufig sogar zurückgegangen sind und z. T. auch ihren städtischen Charakter verloren haben. Doch gibt es noch eine größere Zahl von Städten mit weniger als 1000 Einw.; ja 14 haben weniger als 500 Einw., darunter die 3 kleinsten: Hauenstein (badischer Kreis Waldshut) 191, Zavelstein (württembergischer Schwarzwaldkreis) 293, Fürstenberg (badischer Kreis Villingen) 304.

Folgende Städte hatten 1900 mehr als 100,000 Einw., daneben die Bevölkerungszahl von 1890; die durch Eingemeindung benachbarter Orte 1895–1900 gewachsenen Städte sind durch ein * bezeichnet.

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Die örtliche Anhäufung vollzieht sich in deutlicher Weise etwa seit 1861 und seit 1867 in gesteigertem Maß, wie die Übersicht auf S. 771 ergibt. 1867 wohnten 34,8 Proz. der Bevölkerung in Orten mit 2000 und mehr Einwohnern, 1880 bereits 41,4 Proz. und 1900: 54,6 Proz. Davon entfielen im J. 1900 auf Großstädte 16,19 Proz. der Gesamtbevölkerung (1867 nur 4,13 Proz.), auf Mittelstädte 12,61 Proz. (1867: 6,83), auf Kleinstädte 13,45 Proz. (1867: 10,81), auf Landstädte 12,09 Proz. (1867: 12,51 Proz.)

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In dem Zeitraum 1867–75 verringerte sich die Bevölkerungszahl der Gemeinden unter 2000 Einw. um 271,400 Köpfe, stieg dann bis 1880 um 443,343 Köpfe und hat seitdem wieder beträchtlich abgenommen, nämlich um 779,428 Köpfe.

[Beruf.] Die Berufszählung vom 14. Juni 1895 ergab eine Bevölkerung von 51,770,284 Seelen. Ein Vergleich mit der Aufnahme von 1882 (der ersten umfassenden Berufszählung im Deutschen Reich) zeigt folgendes summarische Bild:

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Das Verhältnis der Selbständigen, Angestellten und Hilfspersonen zueinander ist in den drei ersten Berufsabteilungen sehr verschieden, wie die Tabelle zeigt:

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Es gehören demnach in Landwirtschaft, Industrie und Handel nahezu ein Drittel der Erwerbstätigen den Selbständigen, etwas über zwei Drittel den Abhängigen an. Seit 1882 hat in der Landwirtschaft die Zahl der Selbständigen zu-, in den andern Berufsabteilungen abgenommen. Insgesamt zählte man 5,5 Mill. Personen (10,5 Proz.), die ihren Beruf selbständig ausübten. Die meisten Selbständigen waren im Alter von 30–50 Jahren (48,9 Proz.), sodann im Alter von 50–70 Jahren (32,9 Proz.). Die größte Zahl von Angestellten und Arbeitern wiesen die Altersklassen 30–50 Jahre (27,9 Proz.), 20–30 Jahre (32,4 Proz.) und 16–20 Jahre (18,7 Proz.) auf. Bei den häuslichen Dienstboten fiel der stärkste Anteil auf die Altersklassen 20–30 Jahre (36,3 Proz.) und 16–20 Jahre (27,8 Proz.) Bei den Erwerbstätigen überhaupt waren die Altersklassen 30–50 Jahre mit 32,5 Proz. und 20–30 Jahre mit 27,3 Proz. vertreten. Unter den Selbständigen weiblichen Geschlechts standen 54,4 Proz. im Alter von 20–50 Jahren, unter den Arbeiterinnen 53,5 Proz., unter den häuslichen Dienstboten 50,2 Proz. Von den Selbständigen überhaupt waren 84,2 Proz. verheiratet oder waren es gewesen, die entsprechenden Zahlen für Angestellte und Arbeiter sind

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Die Bevölkerung gliedert sich nach Berufsabteilungen in folgende Hauptgruppen:

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39,4 Proz. und für häusliche Dienstboten 10,5 Proz. Unter den Erwerbstätigen waren 70,2 Proz. männlichen und 29,8 Proz. weiblichen Geschlechts. Unter den Berufsarten im Bereich von Landwirtschaft, Industrie, Handel und Verkehr waren folgende die wichtigsten:

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Bezeichnend für die deutsche Landwirtschaft ist, daß der Kleinbetrieb (2–20 Hektar) und der bäuerliche Betrieb (20–100 Hektar) vorherrschend sind, da sie 70 Proz. der landwirtschaftlichen Fläche einnehmen. In betreff der Form der Bewirtschaftung ergibt sich, daß vornehmlich die bäuerlichen Betriebe (20–100 Hektar) von ihren Eigentümern bewirtschaftet werden. Das Pachtland betrug beim Großbetrieb 19,2 Proz., beim bäuerlichen 7, a, beim Kleinbetrieb 10,1 und beim Parzellenbetrieb (unter 2 Hektar) 24,8 Proz. der Gesamtfläche. Die Verteilung der landwirtschaftlichen Betriebe im Deutschen Neiche nach den hauptsächlichsten Größenklassen zeigt die folgende Übersicht.

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In der Industrie und dem Bergbau wurden zusammen 2,146,972 Hauptbetriebe mit 8,000,503 Erwerbstätigen gezählt. Die höchste Zahl der Betriebe, aber jeder mit nur 1–3 Erwerbstätigen, zeigt sich bei den Handwerken, wie Schneiderei, Schuhmacherei, Tischlerei, Bäckerei etc. Die wenigsten Betriebe, aber die meisten Erwerbstätigen im einzelnen Betrieb finden sich im Bergbau (in 312 Betrieben 258,380 Erwerbstätige), der Eisen- und Stahlfabrikation (in 432 Betrieben 118,226 Erwerbstätige) und der Maschinenindustrie (in 4774 Betrieben 170,253 Erwerbstätige). Wenn man als Kleinbetriebe solche mit 1–5 Personen, als Mittelbetriebe solche mit 6–50 Personen und als Großbetriebe die mit mehr Personen bezeichnet, so gab es 1,989,572 Kleinbetriebe (92,6 Proz.), 139,459 Mittelbetriebe (6,5 Proz.) und 17,941 Großbetriebe (0,9 Proz.). Ganz verschieden war jedoch das Verhältnis aller drei Gattungen, wenn man die Zahl der dabei beteiligten Erwerbstätigen ins Auge faßt; da waren in den Kleinbetrieben nur 3,191,125 Personen (39,9 Proz.), in Mittel- und Großbetrieben bez. 1,902,049 (23,8 Proz.) und 2,907,329 (36,6 Proz., in diesen beiden zusammen also 60,1 Proz.) beschäftigt.

Im Handel wurden 635,209 Hauptbetriebe mit 1,332,993 darin tätigen Personen gezählt. Davon waren in Kleinbetrieben (mit 1 Person) 29,9 Proz., in mittlern (mit 2–5 Personen) 40,9 Proz. und in großen (mit 6 und mehr Personen) 29,2 Proz. der Erwerbstätigen beschäftigt. Vgl. die betreffenden Bände (Bd. 102–111) der »Statistik des Deutschen Reiches«; eine kritische Bearbeitung der Ergebnisse bietet Rauchberg, Die Berufs- und Gewerbezählung im Deutschen Reich vom 14. Juni 1895 (Berl. 1901).

Sprache und Volksstämme

(Vgl. die »Karte der deutschen Mundarten« bei S. 742.)

Von der Bevölkerung des Deutschen Reiches sind, wie die bei der Volkszählung vom 1. Dez. 1900 angestellte Erhebung über die Muttersprache zeigt, nach reiner oder gemischter Abstammung 51,883,131 Deutsche (49,2 Proz. männlichen, 50,8 Proz. weiblichen Geschlechts), der Rest gehört vorwiegend nichtdeutschen Volksstämmen an. Durchaus deutsch sind die kleinern Bundesstaaten. Im Königreich Sachsen gibt es eine Anzahl Wenden. Unter den preußischen Provinzen haben Hessen-Nassau, Hannover und Sachsen (von vereinzelten Zuwanderungen abgesehen) eine rein deutsche Bevölkerung. Gering ist auch die Zahl der Nichtdeutschen in Pommern, Brandenburg, Westfalen und in der Rheinprovinz, ansehnlicher in Schleswig-Holstein (Dänen), Ost- und Westpreußen, Schlesien und Posen; in der letztern Provinz überwiegen die Nichtdeutschen (s. unten).

Das deutsche Volk scheidet sich durch Dialekt und Sitte, die sich selbst im Bau von Dorf, Gehöft und Haus ausspricht (s. Bauernhaus), in mehrere Stämme, die man in die nieder- und hochdeutschen Stämme einteilen kann. Erstere mit plattdeutscher Sprache sind die Bewohner des nördlichen Tieflandes und selbst eines Teiles des nordwestlichen Berglandes, letztere im übrigen D. verteilt. Zu den Niederdeutschen gehören die Friesen, Niederrheinländer, Westfalen und Niedersachsen, Nachkommen der alten Sachsenstämme, die ihre plattdeutsche Mundart auch über die ganze ursprünglich wendische Bevölkerung östlich der Elbe verbreitet haben. In der Mark Brandenburg, in Mecklenburg, Pommern und dem größern Teil von Ost- und Westpreußen ist gegenwärtig das Plattdeutsche herrschende Volkssprache. Die Friesen bewohnen von Ostfriesland bis Schleswig das Küstenland der Nordsee (auch Helgoland). 1900 sprachen noch 20,677 Personen friesisch, 550 daneben auch deutsch. Der Niederrheinländer, der vom Südende der Kölner Bucht und von den Erstquellen nördlich bis Wesel das westliche Grenzland bewohnt, hat überwiegend die deutsche Sprache angenommen, denn von den 80,361 Personen mit holländischer Sprache (davon 52,564 in der Rheinprovinz) müssen die meisten als Ausländer gelten. Der Westfale lebt in den Sauerländischen Gebirgen und in dem ebenen Münsterland, in Osnabrück und bis in die untern Weserberge nach Lippe hinein. Der Niedersachse, der Hannover, Schleswig-Holstein, Braunschweig bewohnt, hat vieles mit dem ihm verwandten Westfalen gemein.

Von Niedersachsen aus wurden einst die Mark, Mecklenburg und Pommern der slawischen Herrschaft entrissen und das ursprünglich wendische Land germanisiert. Auch die Provinzen Ost- und Westpreußen sind größtenteils durch die Niedersachsen dem Deutschtum zurückgewonnen, nur daß daselbst durch zahlreiche Einwanderungen aus Süddeutschland noch oberdeutsche Dialekte in eigentümlicher Mischung mit dem Niederdeutschen zu finden sind.

Im größern Teil Deutschlands herrscht hochdeutsche Sprache (vgl. Deutsche Sprache, S. 741f.). Unter den hochdeutschen Stämmen sind der obersächsische, fränkische, alemannisch-schwäbische und bayrisch-österreichische die wichtigsten. Zum obersächsischen Stamme gehören die Thüringer und Harzbewohner, die bis zur Werra und Leine reichen, die Meißener im Königreich Sachsen (mit den deutschen Bewohnern des nordwestlichen Böhmen) und die Schlesier mit den Bewohnern der Sudeten und einzelner Teile der Provinz Posen. Anfänglich durch Eroberung, später auf friedlichem Weg ist die obersächsische Sprache im Laufe der Zeiten Herr über das bis zur Elbe und darüber bis zur Thüringischen Saale einst seßhafte wendisch-sorbische Volk geworden. Hier und da hat sich aber auch in Tracht und Sitte, wie in Altenburg, allenthalben aber noch in Fluß-, Orts- u. Flurbenennungen Wendisches erhalten. Westlich von Thüringen wohnen, mit den Sachsen verwandt, die Hessen.

Ausgedehnt ist das Gebiet des fränkischen Stammes, aber zerstückelt unter vielerlei Herrschaft. Sein Gebiet reicht vom Fichtelgebirge und Böhmerwald bis über den Rhein, von der Grenze Hessens und vom Rennstieg des Thüringer Waldes bis hinab gegen die Donau, bis zum Ries, ins Hohenlohische an der Jagst und am Kocher, am Rhein von Bonn bis hinauf zur nördlichen Grenze des Schwarzwaldes. Auch der Franke hat sich im O. slawisches Blut assimiliert, und weit westwärts reichen noch slawische Namen. Zum fränkischen Stamme gehören die Oberpfälzer, deren Gebiet über den Böhmerwald bis nach Böhmen hineinreicht, die Ostfranken oder Franken schlechthin im Maingebiet und im obersten Gebiete der Werra und die Rheinfranken, zu denen auch die Rheinpfälzer bei Heidelberg und in der jenseitigen Rheinpfalz gehören. Im äußersten Westen schließt sich dem Rheinfranken der Niederlothringer an der Mosel bei Trier und in der Eifel an.

Einen dritten hochdeutschen Hauptstamm bilden die Alemannen und Schwaben. Die erstern wohnen im obern Schwarzwald, durch die Schweiz hin bis nach Vorarlberg und jenseit des Rheins im Elsaß bis auf die Höhe der Vogesen. Östlich und nordöstlich folgt der schwäbische Stamm; er reicht, wie der alte schwäbische Reichskreis, vom Kamm des Schwarzwaldes und vom Bodensee ostwärts bis zum Lech und Ries, vom Quellgebiete der Iller im S. bis zum Eintritte des Neckar in die malerischen Engen des Odenwaldes, bis an die Grenzen des Hohenloheschen.

Der vierte der großen hochdeutschen Stämme ist der bayrische, dem der ganze übrige deutsche Süden und Südosten (auch die Deutschen, die in dem Innern Böhmens und Mährens zwischen den Slawen leben) angehört. Wie der Schwabe, hängt auch der Bayer an seinem Dialekt, der, wenn auch abgeschliffen, im Mund aller Gesellschaftsschichten des Volkes ist. Über die deutsch redende Bevölkerung des Auslandes vgl. den Art. »Deutsches Volk« (mit Karte), S. 748.

Zu den Nichtdeutschen gehören, mit Einschluß der 779,000 Ausländer, von denen allerdings viele Deutsch als ihre Muttersprache angegeben haben, etwa 4,463,000 Personen, unter denen (von den als Deutsche geltenden Friesen abgesehen) 4,210,000 eine fremde (nichtdeutsche) Sprache reden und 252,000 daneben noch deutsch sprechen. 1900 hatte die fremdsprachige Bevölkerung folgende Ausdehnung; es sprachen:

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Von der fremdsprachlichen Bevölkerung entfällt nur ein kleiner Teil auf die außerpreußischen Bundesstaaten, nämlich mit Einschluß derer, die neben der fremden Sprache deutsch sprechen: 205,427 Franzosen in Elsaß-Lothringen, 47,009 Wenden und 17,931 Tschechen im Königreich Sachsen, 7139 Italiener und 5043 Tschechen in Bayern. Somit entfällt die überwiegende Mehrzahl der nichtdeutschen Bevölkerung auf das preußische Staatsgebiet. Die Polen wohnen in den Provinzen Ost- und Westpreußen, Posen und Schlesien, in geringer Zahl auch in Pommern (Köslin) und unterscheiden sich in Großpolen, Masuren, Kassuben und Lechen oder Wasserpolen. Die Großpolen findet man in der Provinz Posen, in Westpreußen östlich von der Weichsel und in einigen Kreisen des Regbez. Breslau; die Masuren im südlichen Ostpreußen; die Kassuben in Westpreußen westlich von der Weichsel und in unbedeutenden Resten in den pommerschen Kreisen Bütow, Lauenburg und Stolp; die Lechen oder Wasserpolen in Oberschlesien. In der Provinz Westpreußen finden wir zunächst die Kassuben, deren Sprache, ein Dialekt des Polnischen, dem Großpolen nicht recht verständlich ist. Sie bilden die Ureinwohner des Gebiets im W. von der Weichsel (Pomerellen). Als geschlossene Masse treten sie vorzüglich in der Mitte zwischen Brahe, Schwarzwasser und Ferse, ferner auf dem Plateau von Karthaus und nördlich bis an das Rhedatal sowie auf den Plateauinseln an der Putziger Wiek und auf der Halbinsel Hela (ohne den gleichnamigen Flecken) auf. Im O. von der Weichsel dehnt sich das polnische Sprachgebiet in West- und Ostpreußen längs der Südgrenze aus und reicht im N. bis an die Linie, die von Kulm über Lessen, Deutsch-Eylau, Osterode, Bischofsburg, Lötzen und Kowahlen zur Ostgrenze führt. Nördlich von dieser Linie sind mit Ausnahme der polnischen Sprachinsel des Kreises Stuhm die Polen nur vereinzelt. Die Polen nehmen demnach von Westpreußen das ehemalige Kulmer Land, in Ostpreußen dagegen den Kern der Seenplatte mit ihrer südlichen Abdachung ein; dort sind sie Großpolen und vorwiegend katholisch, hier Masuren und meist evangelisch bis auf die in den zum Ermeland gehörigen Kreisen Allenstein und Rössel angesessenen. Der Masure hat blonde Haare und blaue Augen. Seine Sprache unterscheidet sich vom Hochpolnischen wesentlich, wenn auch nicht so erheblich wie der Dialekt des Kassuben. Die Landbevölkerung ist in dem Umfang des ganzen eben bezeichneten Gebiets zu 80–90 Proz. eine polnische, die Stadtbevölkerung überwiegend eine deutsche. Die alten Preußen, die Ureinwohner der Provinz im O. der Weichsel, sind ausgestorben, und ihre Sprache ist erloschen; die in geringer Zahl auf der Kurischen Nehrung und bei Memel erhaltenen Kuren gehören zu den Letten. Dagegen haben sich die Litauer, wenngleich seit 1864 merklich abnehmend, in ziemlich großer Menge (116,000) erhalten; sie bilden die Mehrzahl der Landbewohner auf der nördlichen Seite der Memel, sind zahlreich auf der südlichen Seite des Stromes bis zur Linie Labiau-Pillkallen und finden sich in einigen Resten noch bis Goldap. Sie sind, wie die Masuren, evangelisch. In der Provinz Posen sind die Polen in der Mehrzahl; 1900 wurde bei 38,1 Proz. der Bevölkerung deutsch, bei 61,9 Proz. polnisch (darunter bei 10,556 Personen neben dem Deutschen) als Muttersprache angegeben. Sie bewohnen vorherrschend den östlichen Teil, während sie nach W. zu abnehmen und in den Grenzkreisen entschieden gegen die Deutschen zurücktreten. Im N. haben die Deutschen sich längs der Netze und von dieser bis zur Brahe und Warthe verbreitet; demnach bilden die Deutschen in allen südwestlichen, westlichen und nördlichen Grenzkreisen oder in den Grenzdistrikten von Fraustadt über Schwerin a. W. bis Bromberg die Mehrzahl. Eine Grenzlinie zwischen beiden Nationalitäten ist schwer zu ziehen. Gegen W. dringen die Polen dreimal zwischen den Deutschen in schmalen Streifen vor: im S. über das Obrabruch bis Bomst, in der Mitte auf der Südseite der Warthe bis Birnbaum und auf der Südseite der Netze an Filehne vorbei bis zur brandenburgischen Grenze. In den Städten der Provinz ist zuweilen fast die Hälfte der Bevölkerung polnisch. In Schlesien gibt es gleichfalls Slawen in nicht unbedeutender Menge: Polen (1900: 1,100,831 Köpfe, außerdem 81,084 mit zugleich deutscher Sprache) meist in Oberschlesien, Mährer (61,779) und Tschechen (16,420) in Ober- und Mittelschlesien und Wenden (26,743) im Regbez. Liegnitz in Verbindung mit dem wendischen-Bezirk im Königreich Sachsen. Die Polen überwiegen im Regbez. Oppeln, woselbst sie im O. von der Oder etwa 75 Proz. der Bevölkerung ausmachen; im W. von der Oder nehmen sie nach und nach ab und hören mit der Linie Ober-Glogau- bis Leobschütz fast ganz auf. Auf der rechten Seite der Oder zieht sich das Gebiet der Polen in den Regbez. Breslau hinein, woselbst sie noch in den Kreisen Namslau und Wartenberg die Mehrzahl bilden und im Kreis Brieg zum letztenmal die Oder berühren. Der höhere Arbeitslohn und die Nachfrage nach Arbeitskräften hat aber in neuerer Zeit viele Polen nach Westfalen, Rheinland, Sachsen und Brandenburg gezogen. Die Mährer wohnen im S. der Zinna in den Kreisen Ratibor und Leobschütz im Regbez. Oppeln und sind katholisch, ebenso wie die Tschechen in der Grafschaft Glatz (westlich von Reinerz); evangelisch sind nur ca. 7000, deren Vorfahren zur Zeit Friedrichs d. Gr. der Religion wegen die Heimat verließen und in den Kreisen Wartenberg, Strehlen, Oppeln und Tost-Gleiwitz Kolonien gründeten.

Die Wenden bilden an der Spree mitten unter den Deutschen eine Sprachinsel, die aus dem Königreich Sachsen sich nach Schlesien und Brandenburg erstreckt. Innerhalb dieses Wendenlandes liegen wiederum als deutsche Sprachinseln im S. die Städte Bautzen und Weißenberg, im N. Kottbus und Peitz, mehr in der Mitte Spremberg und ziemlich nahe der Westseite Drebkau, Hoyerswerda und Wittichenau. Seit 1550 hat das wendische Sprachgebiet außerordentlich an Umfang verloren, jedoch mehr im N. als im S.; denn es reichte damals bis Finsterwalde, Luckau, Storkow, Beeskow, Fürstenberg und Guben. Die Wenden in Hannover sind fast verschwunden, dagegen sind neuerdings einige tausend Wenden durch Wanderung nach Westfalen und Rheinland gekommen. Die Wenden sind im Preußischen, mit Ausnahme derer in Wittichenau, fast ausschließlich evangelisch, in Sachsen aber auch in einer kleinen Anzahl katholisch. Ihre Gesamtzahl beläuft sich auf 117,000, von denen gegen 37,000 auf den Regbez. Frankfurt, gegen 27,000 auf Liegnitz und ca. 48,000 auf den Osten des Königreichs Sachsen kommen. Vgl. Tetzner, Die Slawen in D. (Braunschw. 1902).

Dänen gibt es etwa 135,000 in dem ehemaligen Herzogtum Schleswig. Letzteres ist hinsichtlich der Sprachen in drei Teile zu zerlegen, von denen der südliche oder rein deutsche von der Eider bis zur Linie Schleswig-Husum, der mittlere oder sprachlich gemischte alsdann bis zur Linie Flensburg-Tondern reicht, während der dänische Teil den Norden des Landes einnimmt. In dem sprachlich gemischten Teil ist aber die dänische Sprache nur noch zwischen Flensburg und Tondern stark vertreten. – Außerhalb Elsaß-Lothringens wird die französische Sprache nur von Ausländern und den Nachkommen der französischen Emigranten, die fast überall die deutsche Sprache angenommen haben, gesprochen. Einen romanischen Dialekt sprechen auch die Wallonen (zusammen 12,732 Köpfe), die meist in der Rheinprovinz (in und bei der Stadt Malmedy im Regbez. Aachen) wohnen. Das französische Sprachgebiet greift in vielen Tälern der Vogesen (Urbeis, Markirch) nach D. (Elsaß) hinüber. In Lothringen läuft die Sprachgrenze von Rixingen nordwestlich über Dienze bis zur Grenze des Kreises Diedenhofen. Ganz innerhalb des französischen Sprachgebiets liegen Stadt- und Landkreis Metz und der größere Teil des Kreises Château-Salins. Hier aber ist der Anteil der zugezogenen Altdeutschen immer beträchtlicher geworden.

Unter den eben behandelten Nichtdeutschen bilden die im Deutschen Reich sich aufhaltenden Ausländer einen wesentlichen Bestandteil. Die Volkszählung vom 1. Dez. 1900 ergab 778,698 (1890: 433,271) Ausländer. Darunter befanden sich in größerer Anzahl Österreicher (371,022), Niederländer (88,053), Italiener (69,760), Schweizer (55,456), Russen (46,971), Dänen (26,547), Franzosen (20,482), Ungarn (19,892), Nordamerikaner aus den Vereinigten Staaten (17,848), Briten (16,173) etc. In der Gesamtzahl und bei den einzelnen Nationalitäten überwiegen die Männer, nur unter den Briten befanden sich mehr weibliche Personen.

Konfessionen

(Hierzu die »Konfessionskarte« und die Karte »Verbreitung der Juden im Deutschen Reich«, mit Textblatt.)

Nach dem Religionsbekenntnis gab es 1900 im Deutschen Reich 35,231,104 Evangelische, 20,321,441 Römisch-Katholische, 6472 Griechisch-Orthodoxe und Griechisch-Orientalische, 203,678 sonstige Christen, 586,948 Juden, 11,597 Angehörige andrer Bekenntnisse und 5938 ohne Angabe. Unter den 1890 zu den »sonstigen Christen« gerechneten 145,540 Personen (für 1900 sind die Ziffern noch nicht veröffentlicht) waren 6716 Evangel ische Brüder (Herrnhuter), 22,365 Mennoniten, 29,074 Baptisten, 5249 Angehörige der englischen und schottischen Hochkirche (Presbyterianer), 10,144 Methodisten und Quäker, 5714 Deutsch-Katholiken, 14,347 Freireligiöse, 23,698 Dissidenten und 6482 andre Christen. Die Juden verteilen sich über das ganze Reich, freilich ungleich: Berlin, Rheinland, Hessen, Schlesien und Posen stehen voran, ebenso Teile von Elsaß-Lothringen, Baden und der Pfalz. Im mittlern und nördlichen D. kommen Juden fast nur in Städten vor. Genaueres über die Verteilung der Konfessionen auf die einzelnen Staaten und die geschichtliche Entwickelung der Religionsbekenntnisse in D. s. in der Textbeilage zu beifolgender »Konfessionskarte«.

[Kirchenwesen.] Die Verfassung der evangelischen Kirche ist in den Staaten des Reiches verschieden. Sie unterscheidet in ihrem System die Presbyterial- (Synodal-) und die Episkopalverfassung. Bei ersterer stehen dem aus den Predigern und gewählten Laienvertretern der Ortsgemeinde zusammengesetzten Kirchenvorstand (Kirchenrat, Presbyterium) gewisse kirchliche Befugnisse zu, und für die höhern Kirchenverbände sind gewöhnlich Kreis-, Bezirks-, Provinzial-, Landessynoden gebildet. Bei der Episkopalverfassung ruht die Kirchengewalt in der Hand des Landesherrn als obersten Bischofs. Wird aber die Ausübung auf kollegiale Behörden übertragen, so pflegt die Episkopalverfassung als Konsistorialverfassung bezeichnet zu werden. Namentlich bei den Anhängern des reformierten Bekenntnisses und in der Pfalz sowie am Niederrhein besteht die Presbyterialverfassung. In Preußen fungiert für die neun alten Provinzen als oberste Kirchenbehörde der Oberkirchenrat. Er ist aus Juristen und Geistlichen kollegialisch organisiert und unmittelbar dem König untergeordnet. Unter dem Oberkirchenrat stehen für die einzelnen Provinzen Konsistorien. In den neuen Provinzen sind die Konsistorien dem Kultusminister unterstellt. Anderseits bestehen neben den Kirchenbehörden in den alten Provinzen Synoden (Kreis-, Provinzial- und eine Generalsynode) für die der Kirche zugefallene Selbstverwaltung (nicht für die Glaubenslehren). Die neuen Provinzen haben hierin eine mehr oder minder abweichende Verfassung. In vollkommenem Maß ist das Synodalsystem bereits in den meisten deutschen Staaten ausgebildet. Allgemein stehen die Prediger und Ortspfarrer unter den Superintendenten, diese wieder unter dem Generalsuperintendenten.

An der Spitze der römisch-katholischen Kirche steht der Papst in Rom, den Mittelpunkt der geistlichen Tätigkeit dagegen bilden die Bischöfe. Für die Katholiken bestehen im Deutschen Reich 5 Erzbistümer: Köln (niederrheinische Kirchenprovinz) und Gnesen-Posen in Preußen, München-Freising und Bamberg in Bayern, Freiburg in Baden für die oberrheinische Kirchenprovinz, d. h. für die Katholiken in Baden, Württemberg, Hohenzollern, Hessen und Hessen-Nassau; 20 Bistümer: Ermeland (exemt, d. h. unmittelbar unter dem Papste stehend), Kulm (Erzbistum Posen-Gnesen), Breslau (Fürstbistum, exemt), Hildesheim, Osnabrück (beide exemt), Münster, Paderborn (Erzbistum Köln), Fulda, Limburg (Erzbistum Freiburg) und Trier (Erzbistum Köln) in Preußen, Augsburg, Passau, Regensburg, ferner Eichstätt, Würzburg und Speyer in Bayern, Rottenburg (Erzbistum Freiburg) in Württemberg, Mainz (Erzbistum Freiburg) in Hessen, Straßburg und Metz (beide exemt) in Elsaß-Lothringen; die fürstbischöfliche Delegatur Berlin; 3 apostolische Vikariate (das Dresdener für Sachsen, das für Anhalt und das der nordischen Missionen); apostolische Präfekturen für Schleswig-Holstein und für die Oberlausitz. Unter diesen stehen die Erzpriester und Dekane, die wiederum den Ortspfarrern vorgesetzt sind. Die Altkatholiken haben einen staatlich (in Bayern jedoch nicht) anerkannten Bischof in Bonn.

Geistige Kultur. Bildungsanstalten

D. steht in der Volksbildung auf der ersten Stufe unter den größern Völkern der Erde. D. und Preußen verdanken diese Blüte den Bestrebungen der Anhänger Pestalozzis, die im ersten Viertel des 19. Jahrh. das Schulwesen reformierten. Diese Entwickelung wurde in Preußen 1854 durch die Stiehlschen Schulregulative gehemmt, die jedoch 1872 beseitigt wurden. Auch in den östlichen Provinzen hat sich die allgemeine Bildung gehoben, denn auch hier ist die Zahl der Rekruten, die weder lesen noch schreiben können, sehr zurückgegangen. 1901 waren unter allen deutschen Rekruten 131 (0,05 Proz.) ohne Schulbildung, davon 114 aus dem Königreich Preußen (und zwar 27 aus Westpreußen, 21 aus Ostpreußen, 20 aus Posen, 15 aus Schlesien etc.). 1891 waren unter den deutschen Rekruten noch 824 Analphabeten (0,45 Proz.) und 1881 gar 2332 (1,55 Proz.).

Das Volksschulwesen ist meist konfessionell geschieden. In fast allen Teilen des Reiches besteht für die Volksschule noch eine Lokalschulaufsicht, die oft noch in den Händen der Geistlichen liegt. Die Grundlage der Volksbildung bildet der Schulzwang, wonach alle Einwohner ihre nicht anderweit gehörig unterrichteten Kinder vom zurückgelegten 5., bez. 6. bis im allgemeinen zum vollendeten 14. Lebensjahr zur öffentlichen Schule schicken müssen. Anfangs- und Endpunkt der Schulpflicht sind in den verschiedenen Staaten, sogar in den Provinzen verschieden; die allgemeine Schulpflicht selbst aber besteht in ganz D. 1900 betrug die Zahl der Volksschulen in D. etwa 59,300, die von 8,660,000 Kindern besucht wurden, die Zahl der Lehrkräfte 137,500. Für die Ausbildung van Schullehrern bestehen Präparandenanstalten (113), Schullehrerseminare (275) und Lehrerinnenseminare (40). Die Kosten des öffentlichen Volksschulwesens belaufen sich jährlich auf 341,7 Mill. Mi., wovon 98,4 Mill. Mk. Staatszuschüsse sind. Einen Übergang von den Volksschulen zu den höhern Schulanstalten bildet die Mittelschule unter den verschiedensten Bezeichnungen und Einrichtungen, und als Ergänzung der Volksschule erscheint die Fortbildungsschule, welche die Volksschulbildung befestigen und in ihrer Anwendung auf das praktische Leben erweitern soll. Bei letzterer findet sich eine Schulpflicht nur unter gewissen Voraussetzungen anerkannt. Hinsichtlich der sachlichen (gewerblichen) Fortbildungsschulen hat die neuere Gewerbegesetzgebung ausgedehntere Bestimmungen getroffen. In den höhern Lehranstalten soll die wissenschaftliche Vorbildung erworben werden, die als Unterlage für die spätere Berufs- oder Fachbildung dient. Sie gliedern sich in neunklassige höhere Lehranstalten (Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen), die wenigstens in Preußen für gleichwertig gelten, und an denen hier die Reifeprüfung zum Studium auf der Hochschule berechtigt, ferner in Progymnasien, Realprogymnasien und lateinlose Realschulen (in Preußen, Bayern und den meisten deutschen Staaten sechsklassig, in wenigen siebenklassig). Abweichende Organisation haben die neuerdings eingerichteten Reformschulen nach Altonaer und Frankfurter System, beide mit gemeinsamem lateinlosen Unterbau, aus dem sich in Altona mit dem vierten Schuljahr nach obenhin Realgymnasium und Oberrealschule, in Frankfurt außerdem Gymnasium entwickeln (vgl. Höhere Lehranstalten).

Im I. 1902 gab es in D. 1250 Lehranstalten, die zur Ausstellung von Zeugnissen über die Befähigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst berechtigt waren. Darunter waren 460 Gymnasien, 97 Progymnasien, 122 Realgymnasien, 62 Oberrealschulen, 294 Realschulen, 47 Realprogymnasien, 183 Lehrerseminare, 33 andre öffentliche, 54 private und 2 Lehranstalten im Ausland (vgl. die Übersicht bei »Höhere Lehranstalten in Deutschland«). Reformschulen nach Altonaer System waren 11, nach Frankfurter 45.

Die Universitäten (s.d.) oder Hochschulen bestehen in der Regel aus 4 Fakultäten: der theologischen, juristischen, medizinischen und philosophischen. Die theologische Fakultät ist vorherrschend evangelisch, katholisch nur bei den Universitäten zu München, Würzburg, Freiburg, Münster und dem katholisch-theologischen Lyzeum zu Braunsberg; eine evangelisch- und eine katholisch-theologische Fakultät haben die Universitäten zu Bonn, Breslau (daher 5 Fakultäten) und Tübingen, das 7 Fakultäten besitzt, weil zu den 5 noch eine staatswissenschaftliche und eine naturwissenschaftliche hinzutreten; auch ist in Straßburg eine katholisch-theologische Fakultät errichtet. Dieses hat außerdem eine naturwissenschaftliche. Die Universitäten zu München und Würzburg besitzen 5 Fakultäten: dort ist eine staatswirtschaftliche, hier eine staatswissenschaftliche hinzugefügt worden, ferner ist die philosophische in zwei Sektionen, eine philologisch-philosophische und eine mathematisch-naturwissenschaftliche, zerlegt. Die Universität zu Münster (bis 1902 Akademie) hatte früher nur 2 Fakultäten (eine katholisch-theologische und eine philosophische), hat neuerdings aber eine juristische dazu erhalten. Die älteste Universität im Deutschen Reich ist die zu Heidelberg (1386), die jüngste die zu Straßburg (1872). Im ganzen gibt es, abgesehen von der katholisch-theologischen Fakultät zu Braunsberg (Lyzeum, 1818 gestiftet), 21 Hochschulen, davon 10 im preußischen Staat: Berlin (1810 gestiftet), Bonn (1818), Breslau (1702,1811 vereinigt aus der zu Frankfurt a. O. und der Leopoldina zu Breslau), Göttingen (1737), Greifswald (1456), Halle (1694,1817 vereinigt aus denen zu Halle und Wittenberg), Kiel (1665), Königsberg i. Pr. (1544), Marburg (1527) und Münster (als Akademie 1786); 3 in Bayern: Erlangen (1743), München (1472 in Ingolstadt gestiftet, 1802 nach Landshut, 1826 nach München verlegt) und Würzburg (1402); 1 im Königreich Sachsen: Leipzig (1409); 1 in Württemberg: Tübingen (1477); 2 in Baden: Freiburg (1457) und Heidelberg (1386); 1 in Elsaß-Lothringen: Straßburg (1872); 1 in Hessen: Gießen (1607); 1 in Thüringen: Jena (1557); 1 in Mecklenburg: Rostock (1419). Auf den 21 deutschen Universitäten waren im Wintersemester 1902/1903: 36,605 immatrikulierte Studierende und außerdem 7862 männliche und 1271 weibliche Personen zum Hören der Vorlesungen berechtigt. Weiteres s. Universitäten.

Zur Förderung der physikalisch-technischen Wissenschaft und ihrer praktischen Nutzanwendung hat das Reich eine besondere physikalisch-technische Reichsanstalt (Charlottenburg) errichtet. Der Ausbildung in den Bauwissenschaften dienen 9 technische Hochschulen: Berlin (Charlottenburg), Hannover, Aachen, Darmstadt, Dresden, Karlsruhe, München, Stuttgart und Braunschweig (Collegium Carolinum), im Wintersemester 1902/1903 zusammen mit 13,269 Studierenden und 2174 männlichen und 1590 weiblichen Hörern. Die Errichtung einer technischen Hochschule in Danzig ist beschlossen und wird auch für Breslau geplant. Groß ist die Zahl der Fachschulen. So gibt es für die Baukunst mehrere Baugewerk-, Kunst- und Bauhandwerk-, Bauschulen etc.; für das Bergwesen Bergakademien in Berlin, Freiberg und Klausthal und 14 Bergschulen (davon 10 in Preußen); für das Forstwesen die höhern Forstlehranstalten (Forstakademien) in Eberswalde, Münden, München, Tharandt bei Dresden, Hohenheim bei Stuttgart, Eisenach, ferner eine Zentralforstschule zu Aschaffenburg; für die Handelswissenschaften mehrere höhere Handelsschulen (Handelshochschulen in Leipzig, Aachen, Hannover, Frankfurt a. M., Köln; auch in Berlin geplant), 45 niedere Handelsschulen, 281 kaufmännische Fortbildungsschulen, eine Buchhändlerlehranstalt in Leipzig etc.; für die Kriegswissenschaften Kriegsakademien in Berlin und München, eine Marineakademie in Kiel, ferner Kadettenhäuser, Kriegs- und Unteroffizierschulen, eine Marineschule in Kiel; für die Landwirtschaft verschiedene landwirtschaftliche Hochschulen, mit Universitäten verbundene Institute und Lehranstalten zu Jena, Hohenheim, Poppelsdorf (Bonn), Berlin, Halle, Göttingen, Weihenstephan in Bayern u. a.; sodann eine Gärtnerlehranstalt zu Sanssouci, Ackerbau- und zahlreiche landwirtschaftliche Winter- und Fortbildungsschulen; für die Musik Konservatorien (Leipzig, Stuttgart, Dresden, Köln, Berlin, München u. a.), Musikschulen etc.; zahlreiche Navigations-, Seemanns- und Schiffahrtsschulen etc. Endlich sind noch vorhanden 5 tierärztliche Hochschulen (Berlin, Hannover, München, Dresden, Stuttgart), pharmazeutische Lehranstalten, Hebammenschulen, Turnlehrerbildungsanstalten, Industrie- und Gewerbeschulen, einige Web- und höhere Webschulen (Chemnitz, Elberfeld, Mülheim a. Rh., Krefeld), Taubstummen-, Blindenanstalten etc. Als Bildungsmittel sind auch anzusehen die zahlreichen gelehrten GesellschaftenAkademien der Wissenschaften« zu Berlin, Göttingen, München, Leipzig) und Vereine, die Bibliotheken, Museen, die botanischen und zoologischen Gärten, die Presse etc.


VI. Landwirtschaft. Waldkultur.

Ackerbau.

(Hierzu Karte »Landwirtschaft in Deutschland«.)

Trotz des Aufschwunges von Industrie und Handel spielen Ackerbau und Viehzucht in D. noch eine hervorragende Rolle. Fast zwei Drittel von Deutschlands Boden nehmen bebautes Land, Wiesen und Weiden ein, nämlich (1900) 35,055,397 Hektar (64,84 Proz. des Areals). Nur das Hochgebirgsland Süddeutschlands und die Bergländer erzeugen nicht ihren eignen Bedarf. Selbst in den Bergländern des mittlern D. sind es nur die höchsten Rücken des Schwarzwaldes, des Bayrischen Waldes und der Sudeten sowie die höchsten Gipfelhöhen der übrigen Gebirge, wo weder die Kartoffel noch Sommergetreide, Hafer und Sommerroggen, gedeihen. Von der Gesamtfläche entfielen (1900) auf Ackerland 25,774,526 Hektar (47,67 Proz.), Gartenland 482,787 Hektar (0,89 Proz.), Wiesen 5,956,164 Hektar (11,62 Proz.), Weiden 2,706,710 Hektar (5,01 Proz.), Weinberge 135,210 Hektar (0,25 Proz.). Die größten Ackerländereien findet man in den preußischen Provinzen Posen (62,4 Proz. der Gesamtfläche) und Sachsen (59,8 Proz.), ferner in Anhalt (58,9 Proz.), Mecklenburg-Schwerin und Sachsen-Altenburg (56,5 Proz.), Lübeck (56,1 Proz.), Schwarzburg-Sondershausen (56 Proz.), Schleswig-Holstein (55,9 Proz.). Am ausgedehntesten ist der Anbau von Roggen und Hafer, demnächst folgen Weizen und Gerste (über die Anbaufläche s. die Karte), Spelz (Dinkel) wird vornehmlich am Rhein und im Süden gewonnen, Buchweizen dagegen mehr im Norden; großen Umfang hat die Kultur von Hülsenfrüchten erlangt, dieselbe ist am bedeutendsten in den Provinzen Posen und Brandenburg und den Marschländern des Nordwestens. Im Durchschnitte der 10 Jahre 1893–1902 belief sich in D. die gesamte Erntemenge von Weizen (Winker- und Sommerfrucht) auf 3,429,187 Ton. (zu 1000 kg), Roggen (Winter- und Sommerfrucht) auf 8,562,983 T., Gerste auf 2,853,086 T., Hafer auf 6.393,928 T., Winterspelz auf 479,749 T. Dessenungeachtet gehört D. zu den Ländern, die noch eines bedeutenden Zuschusses an Getreide bedürfen. So stellten sich für das deutsche Zollgebiet im Durchschnitte der drei Jahre 1899–1901 Ein- und Ausfuhr von Getreide (im Spezialhandel) wie folgt:

Tabelle

Zahlreiche große Kunstmühlen setzen ihr Produkt z. T. auch ins Ausland (England und die Niederlande) ab. Die deutsche Einfuhr von Mehl belief sich 1901 auf 40,469 Ton., die Ausfuhr auf 85,351 T. Die süddeutschen Gebirge besitzen nicht allein die größten Strecken vollkommen unproduktiven Landes (Oberbayern nur 31,6 Proz. Ackerland), sondern die Üppigkeit des Graswuchses schließt auch im Gebirge teils den Ackerbau aus, teils nötigt sie zu jener merkwürdigen Wechselwirtschaft von Wiese und Feld, die man Eggartenwirtschaft nennt. Sonst ist gegenwärtig die Lehre von der Fruchtfolge die Grundlage des Ackerbaues, auf der die Fruchtwechselwirtschaft basiert. Dieser kommt die sogen. Dreifelderwirtschaft nahe, während in nicht blcht bevölkerten Gegenden, z. B. in Schleswig-Holstein und Mecklenburg, noch die Koppel- oder Graswirtschaft weit verbreitet ist. Im übrigen ist neuerdings die Landwirtschaft in D. eine intensivere geworden. Dem industriereichen Siegener Land sind die Hauberge eigen, Eichenschälwaldungen, die nach dem Abtreiben des Niederwaldes als Feld benutzt werden, bis der Stockausschlag wieder Herr wird. Der arme Moorbauer des nordwestlichen D. verschafft durch Brennen des Moorbodens seiner Frucht die nötige Düngung, verpestet aber freilich zur Zeit dieses Moorbrennens die Atmosphäre Deutschlands durch den Moordampf oder Herauch. Hier im N. auf dem gebrannten Moor wie auf der sandigen Geest gedeiht vornehmlich noch der Buchweizen. In dem Rhein- und Neckarland reist auch der Mais. An den Bau der Kartoffel (s. die Karte), deren jährlicher Ertrag in D. sich im Durchschnitt der 10 Jahre 1893–1902 auf 38,6 Mill. Ton. belief, schließt sich die für Preußen insbes. so wichtige Brennerei und Spiritusgewinnung, vorzugsweise als Nebenbetrieb der Landwirtschaft, an. Die Zahl sämtlicher Brennereien in dem deutschen Zollgebiet ohne Luxemburg belief sich 1901/1902 auf 89,795, ihre Produktion auf 4,238,908 hl und der Reinertrag der Branntweinsteuer auf 153,9 Mill. Mk.

Bemerkenswert ist in vielen fruchtbaren Gegenden Deutschlands der Anbau von Handelsgewächsen. Obenan stand früher der Flachs (s. die Karte), den nicht allein die Gebirgsgegenden des Südens und das Bergland Mitteldeutschlands, sondern auch die norddeutsche Niederung liefern, während der Hanfbau nur in Baden und Rheinbayern größere Flächen einnahm. Der Anbau des Flachses sowohl als des Hauses in D. hat neuerdings jedoch erheblich nachgelassen, indem die Anbaufläche des erstern von 108,287 Hektar in 1883 auf 33,662 Hektar in 1900 und die Anbaufläche des Hauses in derselben Zeit von 15,255 Hektar auf 3537 Hektar zurückgegangen ist. Um des Öles willen werden vor allem Raps u. Rübsen, untergeordnet Leindotter, nur an sehr wenigen Orten, wie um Erfurt, auch Mohn gebaut. Mit Raps und Rübsen (Awehl, Biewitz) waren in D. 1883: 133,470,8 Hektar, 1900 nur 72,736 Hektar angebaut. Nächst Schlesien liefern namentlich Pommern, Westpreußen, Brandenburg, Schleswig-Holstein sowie Mecklenburg bedeutende Quantitäten Ölfrüchte. Nicht unbeträchtlich ist auch die Gewinnung von Kleesamen. Der Bau der Farbepflanzen beschränkt sich auf verhältnismäßig wenig Distrikte, so der des Krapps auf die Rheinebene, Schlesien und Württemberg; noch beschränkter ist der des einheimischen Waids (in Thüringen, bei Ingolstadt) und des Safflors (Thüringen und Franken). Gering ist auch der Anbau der Kardendisteln in Schlesien, Sachsen, Mittelfranken und am Unterrhein. Von großer Wichtigkeit für viele Gegenden Deutschlands mit fruchtbarem Sandboden ist der Tabak (vgl. die Karte). Den besten und meisten baut man in der Rheinpfalz, im Elsaß, im Neckartal, bessere Sorten auch noch in Mittelfranken, insbes. um Nürnberg und Erlangen. Geringere Sorten liefern der Werragrund und der Norden, wo in Pommern und der Ukermark noch ausgedehnter Tabakbau stattfindet. Jedoch nimmt derselbe im allgemeinen ab. Im Erntejahr 1901 waren dem Tabakbau in D. 16,963 Hektar gewidmet; davon kamen 5072 (1843 noch 10,000) auf Preußen, 7178 auf Baden, 1257 auf Elsaß-Lothringen, 2381 auf Bayern (meist auf die Pfalz, nächstdem auf Mittelfranken), 406 auf Hessen etc. Die Industrie in Tabak und Zigarren, die außerdem viel ausländischen Tabak verwendet, beschäftigt in ca. 10,500 Anstalten mindestens 100,000 Arbeiter. Der Hauptsitz derselben ist Bremen nebst den angrenzenden hannöverschen Ortschaften; aber auch über das übrige D. sind zahlreiche Fabriken verbreitet, so in Brandenburg (Berlin, Schwedt), Westfalen (Vlotho, Minden), Hessen-Nassau, im Großherzogtum Hessen, in der Rheinpfalz, in Baden, Elsaß-Lothringen etc. Höher noch als der Tabakbau hat der Zuckerrübenbau für die Runkelrübenzuckerfabriken den Ertrag des Bodens gesteigert. Derselbe hat seinen Mittelpunkt in der fruchtbaren Landschaft zwischen Magdeburg, Braunschweig und Merseburg, also in der Provinz Sachsen (woselbst Magdeburg der Hauptzuckermarkt für D. ist), in Anhalt und Braunschweig, nächstdem in Schlesien zwischen Breslau und Schweidnitz und in Brandenburg im Oderbruch. Die Zahl der Zuckerfabriken (s. die Karte) in D. belief sich 1836 auf 122,1874 auf 336,1892 auf 403 und 1902 auf 395, nämlich 302 im preußischen Staat (davon 112 in der Provinz Sachsen, 56 in Schlesien, 43 in der Provinz Hannover, 20 in Posen, 19 in Westpreußen, 14 in Brandenburg etc.), 32 in Braunschweig, 24 in Anhalt, 4 in Württemberg, 12 in Mecklenburg etc Der jährliche Gewinn an Rohzucker stieg von 1836–1901 von 14,081 auf 20,176,738 dz. In der Kampagne 1901/1902 wurden seitens der Zuckerfabriken 16 Mill. Ton. Rüben verarbeitet; 46 Raffinerien stellten aus 10,536,982 dz Rohzucker und 56,971 dz raffiniertem Zucker 9,545,277 dz raffinierten und Konsumzucker (einschließlich Zuckerwaren) her, und 6 Melasse-Entzuckerungsanstalten gewannen noch 1,071,368 dz raffinierten und Konsumzucker. Der in den freien Verkehr gesetzte inländische Zucker brachte eine Zuckersteuer von 133,907,764 Mk. Runkelrübensamen wird in großem Umfang bei Aschersleben gebaut. Als Kaffeesurrogat baut man in manchen Gegenden die Zichorie an, so in der Provinz Sachsen, in Braunschweig, im Neckartal, im Breisgau. Bei Halle wird auch der Kümmel auf dem Felde gewonnen.

Garten-, Wein- und Hopfenbau.

Ulm, Nürnberg, Bamberg, Schweinfurt, Erfurt, Quedlinburg, Darmstadt, Straßburg im Elsaß, Guben in der Lausitz, Bardowiek bei Lüneburg sind durch Gemüsebau, mehrere derselben besonders durch Spargelzucht und Zucht von Sämereien berühmte Orte. In Nürnberg und Bamberg werden dabei viele Arzneipflanzen, in den Krautländereien des letztern auch Süßholz gebaut. Keine Gegend übertrifft aber das innere Thüringen, mit Erfurt im Mittelpunkt, in der Erzeugung und dem Handel mit Gemüse, Blumensämereien und lebendigen Gewächsen. Berlin zeichnet sich gleichfalls in der Blumenzucht aus und macht mit seinen Hyazinthen selbst Holland Konkurrenz. Obstbau ist durch einen großen Teil Deutschlands verbreitet: die Bergränder der Oberrheinischen Tiefebene, die Bergstraße, der Südfuß des Taunus, die Wetterau, Württemberg, insbes. der Fuß der Alb, Franken, Thüringen, das Werratal bei Witzenhausen, das Elbtal von Meißen bis Böhmen hinein, die warmen Sandhügel der Lausitz, die Küstenländer, selbst Pommern (Stettin) und Werder in der Mark Brandenburg liefern treffliches Obst; in Württemberg und um Frankfurt a. M. ist der Obstwein (Cider) ein weitverbreitetes Getränk. Insgesamt wurden 1. Dez. 1900: 168,388,853 Obstbäume gezählt; davon waren 31 Proz. Apfel-, 15 Birn-, 41 Pflaumen- und 13 Proz. Kirschbäume; sie sind am zahlreichsten im Neckarkreis (1560 auf 1 qkm), am seltensten im Regbez. Königsberg (119 auf 1 qkm). Trotzdem betrug 1901 die deutsche Einfuhr von frischem Obst noch 1,668,674 dz und von getrocknetem Obst 493,682 dz, während sich die Ausfuhr von ersterm auf 94,832 und von letzterm nur auf 1152 dz belief.

Für viele Gegenden Deutschlands ist der Weinbau ein wichtiger Erwerbszweig. Das Hauptgebiet des Weinbaues liegt im Südwesten (s. die Karte). Hier ist die Oberrheinische Tiefebene in ihrer ganzen Ausdehnung von Basel bis Mainz in günstigen Lagen, d. h. in der Hügelregion längs des Fußes der Gebirge, ein Rebenland, und aus ihr zieht der Weinstock in die Seitentäler hinein bis zur Höhe von 400 m, von Basel rheinaufwärts bis zum Bodensee. Aus dem nördlichen Teil der Tiefebene geht der Weinstock die Täler des Neckar und Main hinaus. Am Neckar trifft man die obere Grenze des Weinbaues oberhalb Rottenburg; am Main wird derselbe in großer Ausdehnung bis oberhalb Schweinfurt, in geringer noch bis Lichtenfels betrieben. Alle Täler an den Zuflüssen dieser beiden Nebenflüsse des Rheins haben bis zur Höhe von 400 m ebenfalls Weinlagen; an der Enz, Tauber etc. sind dieselben ausgedehnt und vorzüglich. Im nördlichen Teile der Tiefebene, im sogen. Rheingau, findet man die besten Weinlagen Deutschlands am Südabhang des Taunus- und Rheingaugebirges (Rüdesheim, Johannisberg, Geisenheim, Rauenthal etc.). Von hier zieht sich eine reiche Weingegend längs der Nahe über Kreuznach bis ins Birkenfeldische, eine andre längs des Rheins im Schiefergebirge bis Roisdorf und Siegburg hinunter, welche wieder den Ausgang für den Weinbau in den Seitentälern des Rheintals bildet: im Ahrtal bis Hönningen, im Moseltal bis über die Reichsgrenze hinaus etc. Ein andres Gebiet des Weinbaues in D., wohl so groß wie jenes, aber wegen der geringern Jahreswärme mit dem erstern nicht vergleichbar, liegt in Mitteldeutschland vom Thüringer Wald bis über die Oder hinweg; es wird von der Saale, Elbe und Oder durchströmt. An der Saale wird Weinbau von Jena bis in die Gegend von Halle (am meisten an der Mündung der Unstrut bei Naumburg) betrieben; an der Elbe dehnt das Weingebiet sich von Dresden bis Wittenberg aus; in der Odergegend zeichnet sich Grünberg aus. Noch weiter nördlich gibt es Weinberge an der Havel (Werder), die aber nur Tafeltrauben liefern. Vereinzelt findet man noch Weinbau im Werratal (Witzenhausen) und an der Donau (Regensburg). Die Fläche, auf der Weinbau betrieben wird, belief sich im ganzen Reich 1902 auf 119,922 Hektar und die Produktion an Wein im Durchschnitt auf 20,6 hl vom Hektar, im ganzen auf 2,475,699 hl im Werte von 80,2 Mill. Mk.; davon entfielen auf den preußischen Staat 18,336 Hektar mit 426,012 hl, auf Bayern 22,189 Hektar mit 413,543 hl, Württemberg 16,826 Hektar mit 187.568 hl, Baden 17,684 Hektar mit 415,228 hl, Elsaß-Lothringen 31,138 Hektar mit 706,585 hl und Hessen 13,209 Hektar mit 285,647 hl. In verschiedenen Gegenden hat sich die Fabrikation moussierender Weine eingebürgert, namentlich bei Koblenz, Mainz und Würzburg. In das deutsche Zollgebiet wurden 1901: 628,042 dz Wein und Most in Fässern, 124,373 dz roter Wein etc. zum Verschneiden, 22,784 dz Wein zur Kognakbereitung, 15,785 dz Schaumwein in Flaschen und 7313 dz andrer Wein eingeführt, dagegen 128,915 dz Wein und Most in Fässern, 19,590 dz Schaumwein und 80,474 dz andrer Wein ausgeführt.--

Hopfen wird in vielen Gegenden Deutschlands gebaut (s. die Karte), nirgends aber besser und mehr als in Bayern; 1902 nahm er 36,731 Hektar (davon 23,441 in Bayern) ein; der Ertrag wurde auf 227,636 dz geschätzt. Das Produkt der Gegend von Spalt und Hersbruck in Mittelfranken wird nicht allein über D, sondern auch ins ferne Ausland versendet. In der Provinz Posen hat die Hopfenkultur ihren Mittelpunkt bei Neutomischel, in Elsaß-Lothringen bei Hagenau und Bischweiler. Ein stetig zunehmender Erwerbszweig ist die Bierproduktion, die verhältnismäßig am meisten in Bayern blüht. Im ganzen Brausteuergebiet (dem deutschen Zollgebiet ohne Bayern, Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen) gab es 1901/1902: 7217 Brauereien, die über 45 Mill. hl Bier erzeugten und eine Steuer von 32,7 Mill. Mt. entrichteten (s. Bier u. Biersteuer); in Bayern nebst Enklaven erzeugten 1901: 5832 Brauereien 17,808,634 hl, in Württemberg 1901/1902: 5244 Brauereien 4,012,910 hl, in Baden 700 Brauereien 2,964,151 hl und in Elsaß-Lothringen 95 Brauereien (davon 73 im Betrieb) 1,117,340 hl Bier. Die gesamte Einfuhr von Bier ms deutsche Zollgebiet betrug 1901: 706,284 dz, die Ausfuhr dagegen 1,109,022 dz.

Viehzucht

Im innigsten Verband mit dem Landbau steht die Viehzucht. Der Wiesenreichtum der Berg- und Tallandschaften Deutschlands, der Weidenreichtum seiner Hochgebirge, die fetten Wiesengründe der Marschen im N., fleißiger Anbau von Klee, Luzerne und andern Futterkräutern machen D. zu einem Land ausgedehntester Zucht des Rindviehs. Für Ostfriesland, die Marschländer an der Nordsee, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Pommern, das Frankenland, insbes. Unter- und Mittelfranken, für das Glantal, für die Alpenreviere, var allem den Algäu, aber auch für Württemberg, die Berglandschaften Thüringens und Hessens ist Rindviehzucht ein Haupterwerb. Von hier aus wird nicht allein das Binnenland, sondern werden auch Großbritannien und Frankreich mit Schlachtvieh versehen. Aus den Nordseeländern, Schleswig-Holstein und Mecklenburg geht Butter nach England und den überseeischen Ländern, namentlich Südamerika, aus dem Algäu Schweizerkäse ins Binnen- und Ausland. Die Ziege ist überall, vor allem in Berggegenden, das Milchvieh des Armen; 1900 gab es in D. 3,266,997 Stück. Auch die Schweinezucht ist überall zu Hause, in Westfalen und Pommern berühmt. Die Pferdezucht ist ebenfalls ein wichtiger Gegenstand der deutschen Landwirtschaft: Ostpreußen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Oldenburg, Hannover, Braunschweig, Lippe im N., Elsaß-Lothringen, Württemberg und Bayern im S. züchten nicht bloß ihren Bedarf, die östlichen und nördlichen Gestüte liefern sogar den Heeren fremder Länder Remontepferde; auch die Ausfuhr von Wagen- und Luxuspferden ist nicht gering. Unter den Gestüten erfreuen sich diejenigen zu Trakehnen in Ostpreußen und zu Graditz in der Provinz Sachsen eines europäischen Rufes. In D. kommen auf 1 qkm 7,7 Pferde, 35,02 Stück Rindvieh, 31,1 Schweine und 6,04 Ziegen.

Die Schafzucht ist noch in den Gebieten des großen Grundbesitzes bedeutend, aber sehr im Rückgang begriffen. Von Sachsen aus hat sich zuerst außerhalb Spaniens die Zucht der edlen Merino- (Eskorial-) Rassen in D. Eingang verschafft; später verbreiteten sich die ebenfalls spanischen Negretti vornehmlich von Böhmen aus nach D. Aber erst durch die Kreuzung dieser Rassen, die nach 1820 in Schlesien zu Kuchelna bei Ratibor zu stande kam und die Eskorial-Negrettirasse hervorbrachte, ward die Einführung der edlen Schafe allgemein. Im Anfang der 1860er Jahre waren in D. noch ca. 28 Mill. Schafe vorhanden, 1883 war ihre Zahl auf 19 Mill. und 1900 auf 9,7 Mill. gesunken. Zu Anfang der 1860er Jahre kamen in D. auf 1 qkm noch 52,1900 dagegen nur noch 17,9 Schafe. Die Einfuhr von Schafwolle ist von 687,555 dz (1880) auf 1,618,548 dz (1901) gestiegen, während gleichzeitig die Ausfuhr von 143,250 nur auf 162,713 dz stieg. Die wichtigsten Verkaufsplätze der ausländischen Wolle sind: Hamburg, Bremen und Berlin; im übrigen konzentriert sich der Verkauf der deutschen Wolle auf den alljährlichen Wollmärkten, von denen diejenigen zu Breslau und Berlin die wichtigsten sind; auf beiden werden jährlich gegen 50,000 dz Wolle umgesetzt. Die Zahl der Maultiere, Maulesel und Esel in D. belief sich 1900 auf 7848, davon 5025 in Preußen. Die Hauptergebnisse der Viehzählung in D. um 1. Dez. 1900 zeigt die folgende Tabelle.

Tabelle

Die Einfuhr von Vieh in den freien Verkehr des deutschen Zollgebietes betrug 1901: 2,102,377 dz im Werte von 188 Mill. Mk., die Ausfuhr 200,406 dz im Werte von 19,1 Mill. Mk.

Die 1900 zum erstenmal vorgenommene Zählung des Federviehes ergab 6,239,126 Gänse, 2,467,043 Enten, 55,395,837 Hühner, 351,165 Truthühner und 120,071 Perlhühner, zus. 64,573,242 Stück Federvieh.

Die Seidenraupenzucht in D. ist unbedeutend; die wichtigen Seidenwebereien der preußischen Rheinlande müssen daher ihren Bedarf an Rohseide aus dem Ausland einführen. Die Einfuhr von Rohseide (ungefärbt) in das deutsche Zollgebiet betrug 1880: 19,480 dz und ist 1901 auf 31,962 dz gestiegen. Die Bienenzucht ist neuerdings in Zunahme begriffen. Im ganzen hatten die Bienenstöcke in D. 1900 einen Bestand von 2,605,350, darunter 1,151,771 mit beweglichen Waben. Die Bienenzucht wird am stärksten in Norddeutschland gepflegt; in Preußen ist die Zahl der Bienenstöcke von 1,238,040 im J. 1883 auf 1,548,256 im J. 1900 gestiegen; an der Spitze steht die Provinz Hannover (218,726 Bienenstöcke); es folgen Schlesien (162,747), Ostpreußen (156,958) und Rheinland (147,435).

[Fischerei.] Die Fischerei hat neuerdings dank den Bemühungen des Deutschen Fischereivereins und der Unterstützung durch die Regierung an Ausdehnung zugenommen. Die deutsche Nordseefischerflotte zählte 1900: 130 Dampfer und 428 Segelfahrzeuge; der Raumgehalt der erstern betrug 55,073, derjenige der letztern 47,780 cbm. Umfangreich ist der Fischfang (besonders auf Dorsche) an der Ostseeküste, wo Eckernförde, Travemünde, Kolberg, Danzig etc. wichtige Fischereiplätze sind. Die Ostseefischerei lieferte 1897 einen Ertrag von 6,9 Mill. Mk., die Auktionen auf den Hauptfischmärkten im Nordseegebiet brachten 8,2 Mill. Mk. Austernfang wird bei den Inseln Sylt, Föhr und Amrum betrieben und bringt eine jährliche Ausbeute von 3–5000 Ton. München, dessen Fischmarkt im ganzen Binnenlande der reichste und interessanteste ist, hat auch eine bedeutende Anstalt für künstliche Fischzucht; eine andre befindet sich bei Hüningen im Oberelsaß. Vor allem erscheint die Zucht der Forellen sehr lohnend. Die Einfuhr von frischen Seefischen betrug 1901: 547,207, die Ausfuhr 35,095 dz.

Waldkultur

Die Waldungen beanspruchten 1900 in Schleswig-Holstein nur 6,7, in Hannover 17,2, Ostpreußen 17,4, Posen 19,8, Pommern 20,6, dagegen in Brandenburg 33,4, Hessen-Nassau 39,7, im preußischen Staat überhaupt 23,4, Proz., ferner in Bayern 32,5, Sachsen 27,7, Württemberg 30,8, Baden 37,7, Hessen 31,2, Oldenburg 10,6, in ganz D. 25,9 Proz. von der Gesamtfläche, d. h. für das ganze Reich 13,995,868 Hektar. Davon entfallen auf die Kronforsten 257,302 Hektar (meist in Preußen und Hessen), die Staatsforsten 4,430,090 (57,7 Proz. in Preußen), Staatsanteilforsten 29,793, Gemeindeforsten 2,258,090, Stiftungsforsten 211,915, Genossenschastsforsten 306,214 und Privatforsten 6,503,365 Hektar (46,5 Proz. der Waldfläche). 4,667,210 Hektar (33,5 Proz.) waren 1893 mit Laubwald, 9,283,120 Hektar (66,5 Proz) mit Nadelholz bestanden. Die Kiefer hat ihre Hauptheimat in dem Tiefland östlich von der Elbe, wo aber auch die Buche auf fruchtbarem Boden sich erhalten hat; auf dem Sandboden des bayrischen Franken, in der süddeutschen Hochebene herrscht gleichfalls die Kiefer vor. Die Buche dagegen ist vielfach der herrschende Waldbaum der Höhen des deutschen Berglandes, auch des Unterharzes und der Küstenländer der Ostsee, während die Eiche ihre Hauptheimat auf dem kieseligen Boden der niederrheinischen Gebirge, in Westfalen, am Solling, Spessart, Odenwald und in Oberschlesien hat. Während der Spessart die herrlichsten »Holländer« für den Schiffbau liefert, ist der Wald auf den rheinländischen Gebirgen vielfach Niederwald und als solcher wichtig für die Lohgerbereien durch die Eichenlohe, die er als Schälwald liefert. Der deutsche Eichenschälwald nimmt eine Fläche von 445,156 Hektar ein. Von größter Wichtigkeit für D. sind aber seine herrlichen Bestände von Fichten und Tannen in den Alpen, im Bayrischen Wald, auf dem Schwarzwald, den Vogesen, dem Thüringer sowie Frankenwald, auf dem Oberharz und Riesengebirge. In den Alpen gesellt sich dazu die Lärche; die den höchsten Alpen angehörige Zirbelkiefer findet sich nur in einzelnen Beständen. Der gesamte Holzertrag in D. belief sich 1901/1902 auf 20 Mill. Festmeter Nutzholz, 17,8 Mill. Festmeter Brennholz, 10,5 Mill. Festmeter Stock- und Reisholz, 134,626 Festmeter Eichenlohe. 1895 fanden in der deutschen Forstwirtschaft im ganzen 352,566 Personen ihren Lebensunterhalt. Ansehnliche Dampfschneidemühlen gibt es besonders am Finowkanal und an der Alten Oder in Brandenburg, wo stets von Oderberg bis Liepe für Berlin, Hamburg etc. bestimmte, aus den Ostprovinzen, aus Polen und Galizien kommende Bauhölzer im Werte von 20 Mill. Mk. lagern; andre große Holzplätze, die das Holz zur Ausfuhr zubereiten, sind Memel und Danzig.


VII. Industrie.

(Hierzu die »Industriekarte von Deutschland«)

[Bergbau und verwandte Industrien.] Bergbau und Hüttenwesen blühen gegenwärtig vor allem in Schlesien, am Niederrhein, in Sachsen, am Harz (über die Lagerstätten nutzbarer Mineralien vgl. die Textbeilage zur »Karte der nutzbaren Mineralien in D.« bei S. 764). Die Ausbeute von Gold in D. betrug 1901: 2775 kg im Werte von 7,69 Mill. Mk. Wichtiger ist die Silbergewinnung; 1901 belief sie sich auf 403,796 kg im Werte von 32,5 Mill. Mk., davon entfielen auf Preußen 239,836, Sach 93176,473 kg, der Rest auf die übrigen deutschen Staaten. An die Gewinnung der edlen Metalle schließen sich die besonders in Nürnberg und Fürth betriebenen Gold- und Silberschlägereien an; die Fabrikation des echten und unechten Gold- und Silberdrahtes und der Tressen, die Silberarbeiten Augsburgs, Berlins, die Gold- und Silberwarenfabriken von Pforzheim, Hanau und Schwäbisch-Gmünd, die Bijouteriewarenfabriken von Offenbach. Der Kupferertrag ist am bedeutendsten im Mansfeldischen und im Regbez. Arnsberg. Die Produktion der Bergwerke belief sich 1901 auf 777,339 Ton. Kupfererze, die der Hütten auf 31,317 T. Blockkupfer, wovon ungefähr zwei Drittel auf Mansfeld entfallen; in das deutsche Zollgebiet wurden 1901: 58,620 T. rohes Kupfer ein- und 5097 T. ausgeführt. Bleierze werden vorzüglich in den Regierungsbezirken Oppeln, Aachen (am Bleiberg), Köln, Arnsberg, Wiesbaden, auf dem Oberharz (Regbez. Hildesheim) und im Königreich Sachsen bei Freiberg gewonnen; ihre Produktionsmenge betrug 1901: 153,341 T. Die Hüttenproduktion ergab 1901: 123,098 T. Blockblei und 4101 T. Bleiglätte. Die Einfuhr von rohem Blei in das deutsche Zollgebiet betrug 52,886, die Ausfuhr 20,820 T. Wismut kommt aus Sachsen, Antimon aus Thüringen und Westfalen, Kobalt, den nur noch wenige Blaufarbwerke verarbeiten, aus Sachsen und Hessen, Nickel aus Sachsen und der Rheinprovinz, Zinn (1463 T.) und Wolfram aus dem sächsischen Erzgebirge (Altenberg). Nürnberg vor allem erzeugt Spielwaren aus Zinn und Komposition, Zinnwaren außerdem Lüdenscheid in Westfalen. Der Gewinn von Manganerzen (Braunstein) ist von Bedeutung in der Rheinprovinz und in Hessen-Nassau, dann in Sachsen-Koburg-Gotha (zusammen 56,691 T). Quecksilber wird nur in geringer Menge in Westfalen gewonnen, dagegen ist die Ausbeute an Zink von der größten Wichtigkeit (1901: 166,283 T. Blockzink), und zwar in Oberschlesien um Beuthen und Kattowitz und in den Regierungsbezirken Aachen, Wiesbaden und Hildesheim. Preußen liefert wohl über die Hälfte von allem für die Messingbereitung nötigen Zink, das in den Handel kommt, und dies bildet daher einen wichtigen Ausfuhrartikel. 1901 wurden 53,313 T. Rohzink ausgeführt, außerdem 16,527 T. gewalztes Zink, während 20,180 T. Rohzink und 306 T. gewalztes Zink eingeführt wurden. Im Zinkguß steht Berlin obenan. Ebenso werden hier die Galvanoplastik und Neusilberverarbeitung im großen betrieben; letztere sowie die Messingverarbeitung beschäftigen aber auch im Arnsbergischen und in Nürnberg viele Hände.

Von höchster Wichtigkeit für die gewerbliche Entwickelung Deutschlands ist sein Reichtum an Steinkohlen (s. die oben erwähnte Textbeilage). Deutschlands Steinkohlenförderung betrug 1901: 108,539,414 Ton. im Werte von 1015 Mill. Mk. Da sich bei einer Ausfuhr von 15,266,267 T. die Einfuhr nur auf 6.297,389 T. belief, berechnet sich der Verbrauch an Steinkohlen auf 99,570,566 T., d. h. 1766 kg auf den Kopf der Bevölkerung. Eingeführt werden Steinkohlen vornehmlich aus England, und zwar nach den deutschen Küstenländern, ausgeführt nach Österreich-Ungarn, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, der Schweiz und Rußland. Im J. 1901 betrug die Förderung von Braunkohlen in D. 44,479,970 T., davon kamen 37,491,412 T. auf Preußen und hiervon allein 12,9 Mill. T. auf den Regbez. Halle, 11,7 Mill. T. auf den Regbez. Frankfurt. Eingeführt wurden in das deutsche Zollgebiet (fast lediglich aus Böhmen) 8,108,943 T., ausgeführt aus demselben 21,717 T. Braunkohlen. Das Vorkommen von Erdöl in D. hat nur für den nordwestlichen Teil des Landes Interesse (s. die oben erwähnte Textbeilage). Von Petroleum wurden in das Zollgebiet 1901: 9,117,946 dz eingeführt und 7018 dz aus demselben ausgeführt, außerdem gingen 1,189,991 dz mineralische Schmieröle ein und 22,989 dz aus.

Ohne den Reichtum an mineralischen Brennstoffen würde die Eisenindustrie Deutschlands der Konkurrenz Englands und Belgiens erlegen sein; so hat sie aber mit einer Produktion von 7,880,087 T. Roheisen 1901 England fast erreicht und steht nur erheblich hinter den Vereinigten Staaten zurück. Die Schwerpunkte der deutschen Roheisenerzeugung liegen am Niederrhein und in Westfalen, ferner in Lothringen (Luxemburg) und an der Saar, endlich in Oberschlesien; außerdem ist die Verarbeitung der am Harz vorkommenden Eisenerze, namentlich in Ilsede bei Peine, für Norddeutschland und die Verhüttung der Erze bei Amberg in Bayern für Süddeutschland von Bedeutung (über die Eisenerzlager s. die oben erwähnte Textbeilage). Die Produktion an Eisenerzen ist gegenwärtig in D. auf über 16,6 Mill. T. (einschließlich Luxemburg) jährlich gestiegen; in Rheinland-Westfalen wurden 1901 über 2,1 Mill., in Hessen-Nassau über 540,000, in Schlesien fast 500,000, in Elsaß-Lothringen über 7,5 Mill., in Luxemberg fast 4,5 Mill. T. gewonnen. Von der gesamten deutschen Roheisenproduktion von fast 8 Mill. T. kamen 4,2 Mill. auf Rheinland-Westfalen, 1,4 Mill. auf Elsaß-Lothringen, 916,000 auf Luxemburg, 642,000 T. auf Schlesien etc. In D. (nebst Luxemburg) fanden 1899: 287,000 Arbeiter ihre Nahrung durch den Eisenerzbau, den Eisenhüttenbetrieb und die Gießereien. Großartige Werke für die Roheisenproduktion befinden sich in Oberschlesien im Landkreis Beuthen, im Regbez. Arnsberg in den Kreisen Hörde und Hamm, dem Landkreise Bochum, dem Kreise Siegen und dem Stadtkreise Dortmund, im Regbez. Düsseldorf in den Stadtkreisen Essen, Düsseldorf und Duisburg, den Kreisen Ruhrort und Mülheim a. Ruhr, im Regbez. Trier im Kreise Saarbrücken, im Regbez. Hildesheim am Oberharz und in Elsaß-Lothringen in den Kreisen Diedenhofen und Metz (Land). In diesen Gegenden, außerdem auch noch in Sachsen und Württemberg wird die Bereitung von Stab- und gewalztem Eisen gepflegt. In der Stahlfabrikation hat D. gegenwärtig alle Länder überflügelt; große Gußstahlfabriken befinden sich in Essen (s. Krupp), Bochum und Witten, die Gußstahlgeschütze liefern. Eisenbahnschienen werden für den heimischen Bedarf und zur Ausfuhr gefertigt. Gußwaren der verschiedensten Art bis zu den feinsten Schmuckgegenständen liefern besonders Berlin, der Harz, München und Nürnberg. Für die Verfertigung von Eisen- und Stahlwaren sind die Regierungsbezirke Düsseldorf und Arnsberg die Mittelpunkte. Solingen ist für Hieb- und Stichwaffen der erste Platz. Daselbst und in dem nahen Remscheid ist die Messer- und Schneidewarenfabrikation außerordentlich blühend. Dieselbe Industrie (für Kleineisenwaren) ist von Wichtigkeit in den Städten Ronsdorf, Hagen, Altena, Iserlohn und in deren Umgegend. In und an der Enneper Straße verfertigt man Sensen, die weithin verschickt werden, und Sackhäuer zum Fällen des Zuckerrohrs. In Altena ist außerdem der Hauptsitz der Drahtfabrikation. Vortreffliche Eisen- und Stahlwaren liefern ferner der Kreis Schmalkalden in Thüringen und einige Gegenden des Erzgebirges. In Süddeutschland sind von Wichtigkeit die Messerwaren von Heilbronn und Stuttgart, von Nürnberg, Erlangen und Regensburg, von Achern in Baden, Molsheim in Elsaß-Lothringen etc.; Sensen werden im Schwarzwald angefertigt, Blechwaren zu Eßlingen, Geislingen, Ludwigsburg und Göppingen in Württemberg. Die Nähnadelfabrikation ist von höchster Bedeutung in den rheinischen Schwesterstädten Aachen und Burtscheid, nächstdem in Düren, ferner zu Iserlohn in Westfalen, Schwabach in Bayern, Berlin etc. Mit derselben ist die Herstellung von Stecknadeln sowie Häkelhaken, von Haar- und Stricknadeln, von Nadeln für Nähmaschinen etc. verbunden. Große Gewehrfabriken gibt es in Spandau (staatlich), Berlin (L. Löwe), Sömmerda in der Provinz Sachsen, Amberg in Bayern, Oberndorf in Württemberg, die vorzugsweise für die Armee arbeiten, ferner in Suhl im Thüringer Wald etc. Für Grobschmiede- und Schlosserwaren sind die Hauptwerkstätten ebenfalls die Rheinprovinz und Westfalen. D. produzierte (mit Einschluß von Luxemburg) 1901: 1,432,017 Ton. Gießereiprodukte zweiter Schmelzung im Werte von 98,089,000 Mk., ferner aus Schweißeisen und Schweißstahl: 35,997 T. Rohluppen und Rohschienen und 786,874 T. fertige Schweißeisenfabrikate, zusammen im Werte von 123 Mill. Mk.; aus Flußeisen und Flußstahl: 368,273 T. Blöcke, 1,280,013 T. Halbfabrikate und 4,562,281 T. fertige Fabrikate, zusammen im Werte von 794 Mill. Mk. Die Hüttenwerke, die Schweiß- und Flußeisen herstellen, liegen in der Regel an den Erzeugungsorten des Roheisens oder nahe den Förderpunkten der Steinkohle; die Eisengießereien sind dagegen über das ganze Land verteilt. Es gibt in D. (einschließlich Luxemburg) 200 Flußeisenwerke mit 121,860 Arbeitern, 164 Schweißeisenwerke mit 31,500 Arbeitern und 1249 Eisengießereien, die über 85,700 Arbeiter beschäftigen, davon allein 24 in Berlin mit 2795 Arbeitern.

Die Fabrikation von Maschinen befindet sich in steigender Entwickelung. 1895 gehörten dieser Industrie 87,879 Betriebe mit 582,676 Arbeitern an, davon sind 1628 Großbetriebe mit 343,690 Arbeitern. Mannheim, Eßlingen, Kannstatt, München, Augsburg, Frankfurt a. M., Hamburg, Bremen, Düsseldorf, Duisburg, Köln, Magdeburg-Buckau, Zwickau, Dresden, Bredow bei Stettin, Elbing, vor allen aber Berlin, Chemnitz und Mülhausen i. E. sind einige der zahlreichen Orte Deutschlands, wo gegenwärtig Maschinen gebaut werden. 1895 zählte man 138 Hauptbetriebe (mit 29,804 Arbeitern), in denen Dampfmaschinen hergestellt wurden. Der Wert der im J. 1900 hergestellten Lokomotiven betrug 47,9 Mill., jener der Lokomobilen 10,9 Mill. Mk. Waggonfabriken befinden sich in Aachen, Deutz, Ehrenfeld, Duisburg, Düsseldorf, Mainz, Hagen, Niederbronn, Kassel, Görlitz, Breslau, Königsberg. Im Schiffbau nehmen Danzig und Elbing, Stettin, Rostock, Kiel, Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Wilhelmshaven eine hervorragende Stelle ein. 1902 wurden auf deutschen Werften 227 Dampfschiffe und 280 Segelschiffe von bez. 212,283 und 58,715 Reg. – Ton. brutto vollendet, darunter waren 11 Kriegsschiffe mit 26,657 Ton. Die Fabrikation von Nähmaschinen (Dresden) wie diejenige landwirtschaftlicher Maschinen und Fahrräder (Brandenburg a. H., Berlin, Frankfurt a. M., Bielefeld u. a.) hat in D. neuerdings einen großen Aufschwung genommen. In der Herstellung von Musikinstrumenten übertrifft D. alle übrigen Länder. In höchster Vollendung befindet sich die Fabrikation von Pianofortes, Konzertflügeln und Pianinos (70,000 jährlich), die in Berlin, Leipzig, Dresden, Zeitz, Breslau, Hamburg, Braunschweig, Köln, Elberfeld, Wesel, Düsseldorf, München, Stuttgart etc. ihren Sitz hat. Orgeln und Harmoniums werden in Dresden, Frankfurt a. O., Weißenfels, Paulinzella in Thüringen und in zahlreichen Orten Süddeutschlands gebaut. Für Harmoniken sind Gera, Klingenthal, Altenburg, Berlin, Magdeburg etc. wichtige Orte. Streichinstrumente der verschiedensten Art liefern Mittenwald in Oberbayern, Kassel und besonders das sächsische Vogtland (Adorf, Markneukirchen), das mit Geigen einen ausgedehnten Handel treibt. Mechanische Musikwerke (Spieldosen etc.) werden im Schwarzwald verfertigt. Für wissenschaftliche Instrumente haben sich Berlin, München, Nürnberg, Leipzig, Jena, Hamburg, Frankfurt a. M., Stuttgart u. a. einen Weltruf erworben.

[Salz.] Die salzreichste Landschaft ist die Provinz Sachsen mit dem von ihr eingeschlossenen Anhalt; daselbst sind die großartigsten Steinsalzwerke zu Staßfurt und Leopoldshall, die außerdem durch eine außerordentlich große Ablagerung von Kalisalzen berühmt sind, ferner Privatunternehmungen bei Aschersleben, Westeregeln, Vienenburg, Sondershausen; Schönebeck an der Elbe hat die größte Saline des Reiches. In Thüringen werden sieben Salinen ausgebeutet, deren Solen in der Tiefe durch Steinsalzlager gespeist werden. Auch Hannover besitzt mehrere Salinen, bei denen das Steinsalzlager nachgewiesen ist, das dagegen bei den Salinen Westfalens fehlt. Die Salinen in den Südweststaaten erhalten die Sole gleichfalls aus Steinsalzlagern. Die Gesamtproduktion der bergbaulich gewonnenen Salze in D. ergab im J. 1901: 4,522,358 Ton., darunter 985,050 T. Steinsalz. Außerdem wurden aus wässeriger Lösung noch 1,121,173 T. Salze gewonnen, darunter 578,751 T. Kochsalz, 262,065 T. Chlorkalium, 76,065 T. Glaubersalz, 37,394 T. schwefelsaures Kali u. a. Deutschlands Ausfuhr von Siede- und Steinsalz richtet sich vornehmlich nach Britisch-Indien, ferner nach den Niederlanden, Belgien, Österreich-Ungarn etc. und betrug 1901: 297,219 T., während sich die Einfuhr auf 20,473 T. und außerdem auf 3428 T. denaturiertes Salz belief. Die Förderung der Kalisalze ist von 116,840 T. im J. 1864 auf 3,534,894 T. im J. 1901 gestiegen; davon entfallen auf Kainit, derzu Düngezwecken eine große Bedeutung erlangt hat, 1901: 1,498,569 T., auf andre Kalisalze 2,036,325 T.

Industrie in Stein, Erde, Glas, Holz

An Tonen, von der reinsten Porzellanerde bis zum Lehm für Ziegel- und Backsteine, ist D. reich, und dieser Reichtum hat eine ausgedehnte Gewerbtätigkeit hervorgerufen. In der Ziegelfabrikation steht die Provinz Brandenburg obenan, wo zahlreiche Ziegeleien vorzugsweise an der Havel von Werder bis Rathenow (Rathenower Mauersteine) und am Finowkanal liegen. Im ganzen Reiche gab es 1895: 15,663 Ziegeleibetriebe mit 219,860 Arbeitern. Die Tone der Braunkohlenformation bilden die Grundlage der Fabrikation von Steingut und andern irdenen Waren, vorzüglich in Berlin, in den Regierungsbezirken Trier, Magdeburg, Potsdam, Kassel, Wiesbaden und Liegnitz, weiter in Hannover, im Königreich Sachsen, in Württemberg, Baden etc. Berühmt sind die Tonpfeifen von Uslar in Hannover, die Tonpfeifen und Krüge von Ransbach etc. im Westerwald aus dem sogen. Kannenbäckerland, die Fliesen von Mettlach an der Saar, die weißen Ofenkacheln von Velten in Brandenburg, das Töpfergeschirr von Großalmerode im Regbez. Kassel und von Bunzlau i. Schl., die aus dem Graphit des Bayrischen Waldes verfertigten Passauer Schmelztiegel, die Tonwaren von Zell am Harmersbach, Hornberg, Schramberg etc. im Schwarzwald u. a. Porzellanfabriken gibt es in D. ungefähr 190. Die älteste in Europa ist die zu Meißen (1710 gegründet), die in das Triebischtal verlegt worden ist. Am zahlreichsten sind sie im Thüringer Wald; große Anstalten finden sich weiter in Berlin, Waldenburg i. Schl., Bonn und Düsseldorf, Saargemünd, Tirschenreuth, Hof und Passau in Bayern; die Porzellanknöpfe und Porzellanperlen von Freiburg i. Br. finden Absatz nach allen Teilen der Erde. In einigen Orten (Berlin, Meißen, Bamberg) erfreut sich auch die Porzellanmalerei eines hohen Rufes. 1897 wurden 78,877 Ton. Porzellan im Werte von 52,4 Mill. Mk. erzeugt. Von Porzellanwaren gingen 1901: 1963 dz weiße und 5405 dz mehrfarbige ein, dagegen wurden 47,734 dz weiße und 228,757 dz mehrfarbige Porzellanwaren ausgeführt.

Von hoher Wichtigkeit ist die Glasindustrie, für die in D. (1895) 371 Glashütten bestehen, die ca. 41,000 Arbeiter beschäftigen; dazu kommen zahlreiche Betriebe, die fertiges Glas verarbeiten. Ihre Hauptsitze sind in Schlesien, Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Rheinpreußen, in der bayrischen Oberpfalz und Mittelfranken, in Baden und Lothringen. Großartig sind die Anstalten im Thüringer Wald, wo sich die seine Glasbläserei in den Distrikten der Porzellanfabrikation findet und Thermometer, Barometer, Glasperlen, Spielsachen etc. liefert; im Oberpfälzer Wald ist der von Nürnberg u. Fürth ausgegangene Hauptsitz der Glasschleiferei. Letztere beiden Orte, dann auch Stolberg in der Rheinprovinz und Mannheim liefern Spiegelgläser und Spiegel; Rathenow, Berlin, Jena und Dresden optische Gläser; Berlin, München und Nürnberg sind endlich Hauptorte für die Glasmalerei, für die in Berlin (Charlottenburg) wie München besondere Kunstanstalten bestehen. 1897 wurde die gesamte Glasproduktion auf 525,000 Ton. im Werte von 115 Mill. Mk. geschätzt. Deutschlands Einfuhr von Glas und Glaswaren aller Art belief sich 1901 auf 104,038 dz, darunter 7677 dz rohes Spiegelglas; die Ausfuhr dagegen betrug 1,297,198 dz, darunter 754,697 dz gemeines Hohlglas, 257,701 dz weißes Hohlglas.

Kalkbrennereien gibt es 2100, größere im Bereich der umfangreichen Kalksteinlager, zu Rüdersdorf bei Berlin, Lüneburg, Gogolin in Oberschlesien etc. Hieran schließen sich die Gipsmühlen und Zementfabriken. Portlandzement, eine Zusammensetzung aus reinem Kalkstein und Ton, wird in Hannover, Schlesien, Pommern, Schleswig-Holstein, Rheinland, Württemberg bereitet. Auch der Traß im rheinischen Schiefergebirge und in der Eifel, in zahlreichen Traßmühlen gemahlen, gibt in Verbindung mit Kalk einen Zement (Rheinhessen). Flußspat, als Zuschlag in Schmelzöfen gebraucht, wird am Harz, im Erzgebirge, Thüringer Wald etc., Schwerspat in den Regierungsbezirken Wiesbaden und Kassel gewonnen. Bau- und Werksteine gibt es fast überall, in der nördlichen Ebene werden die erratischen Blöcke dazu verwendet. Die Sandsteine der mitteldeutschen Gebirge (besonders der Sächsischen Schweiz) und von Oberbayern werden als vortreffliches Baumaterial weithin befördert, ebenso der Tuffstein dei Eifel und der Trachyt des Siebengebirges. Die Granite des Riesen- und Fichtelgebirges und des Odenwaldes liefern Platten und Pflastersteine, auch der Basalt in Mitteldeutschland (Linz a. Rh.) eignet sich gut für letztere. Münchens Prachtbauten haben zur Aufschließung vieler schöner Marmorlager am Alpenrand geführt, selbst zur Bearbeitung des deutschen Statuenmarmors, der auch in den mitteldeutschen Gebirgen nicht fehlt. Zu größern Kunstsachen verwendet man den Serpentin aus Sachsen und Schlesien, den Alabaster in Thüringen; ebenda werden auch Milliarden von Steinmärbeln verfertigt und mit den Sonneberger Spielwaren ausgeführt. Die lithographischen Steine von Solnhofen an der Altmühl im Fränkischen Jura sind weltberühmt. Wetzsteine werden im Thüringer Wald, in den Alpen etc. gebrochen. Die ausgezeichnetsten Lager von Dachschiefer in Europa trifft man im Thüringer Wald bei Lehesten und Gräfenthal an; daselbst gibt es auch Lager von Tafel- und Griffelschiefern (Sonneberg). Sanft findet sich Dachschiefer noch im Erzgebirge, Oberharz und im niederrheinischen Schiefergebirge. Mühlsteine werden besonders aus der Lava zu Niedermendig auf der Eifel gebrochen.

Von Edelsteinen finden sich in D. nur untergeordnete Arten, der Topas im Königreich Sachsen, der Chrysopras in Schlesien, der Achat an der Nahe bei Oberstein und Idar, der hier nebst fremdem eingeführten im oldenburgischen Fürstentum Birkenfeld eine eigne Industrie (Achatschleiferei) hervorgerufen hat; der Bergkristall in Schlesien, Sachsen, im Harz etc. erscheint in vielen Formen, als Amethyst, Rauchtopas, Chalcedon, Onyx, Karneol, Jaspis etc. Der besonders an der Küste der Ostsee und in ihrer nächsten Nähe vorkommende Bernstein wird in Ostpreußen in großer Menge durch Baggerung im Kurischen Haff bei Memel, durch Graben im Samland und durch Tauchen und Schöpfen in der See an der sogen. Bernsteinküste von Brüsterort bis Pillau gewonnen. Kunstsachen daraus werden namentlich in Danzig, Memel und Stolp gefertigt.

Viele Hände finden Beschäftigung in der Verarbeitung des Holzes zu den mannigfachsten Gegenständen, wie zu Weißbüttnerwaren, Kisten und Schachteln, Küchengeräten, zu Holzschuhen, Sieben und Peitschenstielen (Rh on), allerlei Tischlerarbeiten, Spielwaren bis zu den kunstreichsten Schnitzereien, wie sie vornehmlich aus Zirbelholz im bayrischen Ammergau, gegenwärtig aber auch in Sachsen im Erzgebirge verfertigt werden. Hervorzuheben sind die Möbelfabriken von Berlin und Mainz; die Tischlerwaren von Berlin, München, Stuttgart, Hanau, Nürnberg, Koburg etc.; die Drechslerwaren von Berlin, Hamburg, Danzig (aus Bernstein), Ruhla (Pfeifenköpfe aus Meerschaum), Waltershausen, Frankenhausen (aus Perlmutter), Nürnberg, Fürth, Stuttgart, Geislingen, Freiburg i. Br. etc.; die Spielwaren von Sonneberg, die einen großen Absatz nach Amerika finden. Im Schwarzwald ist die Fabrikation der ursprünglich hölzernen Schwarzwälder Uhren fortgeschritten zur Fabrikation von Taschen-, Stand- und Spieluhren. Außer dem Schwarzwald sind Glashütte in Sachsen, Freiburg in Schlesien und Ruhla in Thüringen Hauptsitze der Uhrenindustrie. Wie Sonneberger Spielwaren, so erzeugt das sächsische Erzgebirge auch Schwarzwälder Uhren.

Chemische Industrie

Es bestanden 1895 in D. (die Apotheken und Abdeckereien abgerechnet) 4058 chemische Betriebe mit 98,190 Arbeitern (vgl. den Artikel »Chemische Industrie« in Bd. 3). Chemische Fabriken von Wichtigkeit gibt es außer zu Staßfurt und Leopoldshall in Berlin, Pommerensdorf bei Stettin, Schönebeck an der Elbe, Neusalzwerk in Westfalen, Duisburg, Aachen, Köln, Hamburg, Nürnberg, Ludwigshafen, Heilbronn, Stuttgart etc. Schreibkreide kommt aus Rügen; Farberde wird in Thüringen und Franken gefunden. Farbenfabriken gibt es in Thüringen, Bayern (Nürnberg, Schweinfurt, Amberg). Wichtig sind die Ultramarinfabriken zu Nürnberg und in der Rheinprovinz sowie die Anilin- und Alizarinfabriken zu Höchst a. M., Elberfeld, Berlin, Offenbach, Krefeld, Mannheim etc. Parfümerien erzeugen vorzüglich Berlin und Frankfurt a. M., wohlriechendes Wasser Köln. Zündwaren werden in Hessen, Württemberg, Rheinbayern, den Provinzen Sachsen, Schlesien und Hannover auch für die Ausfuhr hervorgebracht, Pulver und Sprengstoffe besonders in der Rheinprovinz und Schleswig-Holstein erzeugt. Die Seifen- u. Kerzenerzeugung führt uns nach Berlin, Barmen, Köln. Nürnberg hat durch seine Bleistifte einen Weltruf erhalten. Gasbereitungsanstalten findet man jetzt schon in kleinern Orten und sogar in einzelnen Fabriken. Leimfabriken gibt es besonders in den Rheinlanden.

Industrie in Papier, Leder, Stroh etc

Für die Fabrikation von Papier und Pappe bestanden 1895 in D. 1020 Betriebe mit 48,299 Arbeitern; ferner 242 Bunt- und Luxuspapier- und 87 Tapetenfabriken, 562 Holzschleifereien. 1901 betrug die deutsche Ausfuhr von Papier, Pappe und Waren daraus 87,7 Mill. Mk., die Einfuhr nur 11,1 Mill. Mk. Die Papierfabrikation ist am bedeutendsten in den Regierungsbezirken Aachen (in den Roerkreisen Düren und Jülich), Arnsberg (zu beiden Seiten der untern Lenne), Liegnitz und im Königreich Sachsen. Papiertapeten werden vorzugsweise in Rheinpreußen, Unterfranken, Hessen, Berlin und Hamburg erzeugt, Buntpapiere in Aschaffenburg, Mainz etc. In Berlin, Leipzig, Nürnberg u. a. gibt es große Luxuspapierfabriken. Dachpappen und Preßspäne werden in den Regierungsbezirken Potsdam und Liegnitz, Papiermachéwaren in Berlin, Sonneberg in Thüringen, Koblenz etc., geschmackvolle Buchbinderwaren in Berlin, Leipzig, Frankfurt a. M., Offenbach, Nürnberg, Koblenz etc. verfertigt. Strohwaren werden vorzüglich im Schwarzwald und in den Vogesen, bei Dippoldiswalde (Sachsen), in den Regierungsbezirken Erfurt, Trier und Breslau, in Berlin etc. hergestellt. Die Korbflechterei arbeitet für die Ausfuhr vornehmlich im bayrischen Regbez. Oberfranken bei Lichtenfels. Die Hutfabrikation befindet sich in steigender Entwickelung. Für Gummi- und Guttaperchawaren gibt es große Fabriken in Harburg, Berlin, Hannover, Köln etc.

Die Lederproduktion in D. wurde auf 336 Mill. Mk. geschätzt (davon 219 Mill. für Leder zu Schuhwaren; Näheres s. Leder). Ausgezeichnete Ledersorten liefern Mainz und Worms in Rheinhessen. Im preußischen Staat ist die Lederbereitung am bedeutendsten in der Rheinprovinz zu Malmedy, in Westfalen im Siegenschen, in Hessen-Nassau zu Eschwege. Feine Lederwaren werden in allen größern Städten angefertigt, jedoch vorzugsweise in Süddeutschland und in der Rheinprovinz. Die Schuhmacherei in Pirmasens und Mainz liefert die feinsten Waren; wichtig ist sie ferner im Königreich und in der Provinz Sachsen, in Thüringen, Berlin, München, Frankfurt a. M., Offenbach, im württembergischen Amte Tuttlingen etc. Handschuhe produziert namentlich Württemberg zur Ausfuhr. Ledergalanteriewaren von ausgezeichneter Güte liefern Berlin, Altenburg, Eßlingen, Erlangen, München, Magdeburg, Fürth, Durlach etc. Für die Anfertigung von Sattler-, Riemer- und Täschnerwaren sind Berlin, Breslau, Aachen, Düsseldorf, München, Nürnberg, Stuttgart, Karlsruhe etc. Hauptplätze. Auf einer hohen Stufe steht endlich die deutsche Militäreffektenfabrikation.

Textilindustrie etc

D. ist zwar ein Wolle, Flachs und Hanf erzeugendes Land, aber in einer für die bezüglichen Industriezweige unzulänglichen Weise, es müssen deshalb aus dem Ausland noch große Mengen dieser Rohmaterialien eingeführt werden. Insgesamt waren 1895 in der Textilindustrie 993,257 Personen (fast die Hälfte Frauen) in 205,292 Betrieben beschäftigt. In den Streich- und Kammwollspinnereien sowie in den Tuch- und Wollwarenfabriken arbeiten wenigstens 200,000 Menschen. Die Zahl der Feinspindeln in Kammgarn wird auf 2 Mill., in Streichgarn auf 2,5 Mill. geschätzt. 1897 wurde die Produktion von Kammgarn auf 56 Mill. kg im Wert von 275 Mill. Mk., die von Streichgarn auf 106 Mill. kg im Wert von 159 Mill. geschätzt; die von Tuch, Buckskin und Flanell hatte einen Wert von 364 Mill. Mk., die sonstiger Wollenwaren von 266 Mill. Mk. Hauptsitze der Fabrikation von Tuchen, Buckskins und Konfektionsstoffen sind die niederrheinischen Bezirke Aachen, Düren, Eupen, Lennep, ferner Brandenburg, Sachsen, Schlesien und die Niederlausitz, wo namentlich Berlin, Kottbus, Spremberg, Forst, Sagan, Sprottau, Sommerfeld hervorragen. Die Herstellung von ganz- und halbwollenen Kleiderstoffen hat ihre Hauptsitze in Sachsen, Schlesien, der Rheinprovinz und im Elsaß sowie in Glauchau und Meerane in Sachsen. Möbelstoffe werden besonders in Chemnitz u. Elberfeld angefertigt, Möbelplüsche in der Rheinprovinz u. Westfalen. Die Schalindustrie findet sich vornehmlich in Berlin und dem bayrischen Vogtland und die Herstellung von Fantasietüchern außer in Berlin in Liegnitz, Apolda u. a. Die Teppichweberei wird vornehmlich in Berlin, Hanau, Schmiedeberg in Schlesien, Barmen u. a. betrieben; von besonderer Bedeutung ist die Herstellung orientalischer Knüpfteppiche in Schmiedeberg in Schlesien, Kottbus, Wurzen, Hannover. Die Strumpfwarenfabrikation hat ihre Hauptsitze in Sachsen (Chemnitz, Zwickau) und in Thüringen (Apolda, Zeulenroda). Die Ausfuhr Deutschlands an Wollenwaren belief sich 1901 auf 30,125 Ton. im Werte von 212 Mill. Mk.

Die Leinweberei hat sich als Nebenbeschäftigung bei der Landbevölkerung vorzüglich in Ost- und Westpreußen, Pommern und Posen erhalten, während der fabrikmäßige Betrieb seine Hauptsitze in Schlesien, Westfalen, Sachsen, Bayern und Württemberg hat, wo besonders Hirschberg i. Schl., Bielefeld und Zittau mit ihrer Umgebung ausgezeichnete Fabrikate liefern. In der Textilindustrie für Flachs und Hanf zählte man 1895: 276,000 Feinspindeln, 22,300 Handstühle und 17,600 Kraftstühle. Die Fabrikation fertiger Wäsche erfreut sich namentlich in Berlin und in Bielefeld großer Blüte; es wurden davon 1901: 1977 Ton. im Werte von 16,2 Mill Mk. ausgeführt. Zu einer großen Entwickelung ist neuerdings die Juteindustrie in D. gelangt; dieselbe beschäftigt gegenwärtig ungefähr 148,000 Feinspindeln und 7100 mechanische Webstühle. Ihre Hauptsitze befinden sich in Braunschweig, Vechelde, Meißen, Bonn, Hamburg, Kassel, Berlin etc.

Die Baumwollindustrie bildet den wichtigsten Zweig der gewerblichen Tätigkeit in Elsaß-Lothringen, im Königreich Sachsen, in Württemberg und Baden; im erstern Land in den Städten Mülhausen, Gebweiler, Thann, Kolmar, Münster und Markirch und im Wesserlinger Tal; in Sachsen in der Kreish. Zwickau und der Gegend zwischen Chemnitz und Annaberg; in Württemberg in den Oberämtern Reutlingen, Nürtingen, Kannstatt und Geislingen am Nordfuß der Alb; in Baden im Tal der Wiese und dem übrigen Süden. Außerdem ist die Baumwollindustrie von hoher Wichtigkeit in den bayrischen Regierungsbezirken Schwaben und Oberfranken, in der Rheinprovinz, in Schlesien, in der Provinz Sachsen etc. 1901 waren in den deutschen Baumwollspinnereien 8,434,601 Feinspindeln in Bewegung. Die Gesamtausfuhr von Baumwollenwaren betrug 1901: 37,720 Ton. im Werte von 220 Mill. Mk. Die Entwickelung der Baumwollindustrie läßt sich ganz besonders aus dem Verbrauch an roher Baumwolle erkennen; 1836–40 bezifferte sich derselbe im jährlichen Durchschnitt auf 92,986,1866–1870 auf 701,257,1891 mit Einschluß von Elsaß-Lothringen auf 2,370,000 und 1901 auf 3,328,790 dz. Die Zahl der Webstühle für Baumwollenwaren in D. beträgt (1901) 211,818, die der Anstalten für fabrikmäßige Weberei (mit mehr als fünf Gehilfen), in denen die mechanischen Stühle durchaus überwiegen, (1895) 926 mit 108,073 Arbeitern. Wie die Bleicherei, Färberei u. Appretur baumwollener Gewebe auf hoher Stufe stehen (Elsaß, Schlesien, Bayern), so bildet vor allem die Druckerei einen der wichtigsten Zweige der deutschen Baumwollindustrie; die Leistungen des Elsaß auf dem Gebiete der Möbelstoff- und Kleiderstoffdruckerei sind altberühmt, ihnen schließen sich diejenigen von Elberfeld, Düsseldorf u. a. würdig an.

Von hoher Bedeutung ist die Spitzenindustrie und Weißstickerei in den sächsischen Kreishauptmannschaften Zwickau und Chemnitz, namentlich in den Städten Annaberg, Schneeberg, Plauen und Eibenstock und deren Umgegend. Die Weißstickerei ist alsdann noch im südlichen Württemberg viel verbreitet, die Spitzenklöppelei im Oberamt Nürtingen. Die Buntstickerei ist vorzüglich in Berlin und Frankfurt a. M. vertreten. Für die Anfertigung von Posamentierwaren ist Barmen der wichtigste Ort; nächstdem sind zu nennen: Berlin, Brieg in Schlesien, Stuttgart und Isny in Württemberg, Annaberg, Buchholz u. a. Die Herstellung von Bekleidungsgegenständen, besonders die Konfektion von Damenmänteln und Kostümen, hat ihren Hauptsitz in Berlin, das damit alle Länder der Erde versorgt. Die Ausfuhr bewertete sich 1901 auf 133 Mill. Mk.

Die Seidenindustrie hat ihren Mittelpunkt in der Rheinprovinz und vorzugsweise in den Städten Krefeld, Elberfeld, Barmen, Viersen, M.-Gladbach, Mülheim am Rhein; außerdem ist dieselbe in Bielefeld, Freiburg i. Br. und im Oberelsaß heimisch. Sowohl schwarze als farbige Seidenstoffe, Besatzartikel in Seide und Halbseide, Satins, Krawatten- und Regenschirmstoffe, Plüsche, schwarze und farbige Samte und Samtbänder werden in vorzüglicher Qualität hergestellt. Deutschlands Ausfuhr von Seiden- und Halbseidenfabrikaten bewertete sich 1901 auf 164,7 Mill. Mk.; in Krefeld waren 1900 für Samt und Samtband 2352 mechanische und 1067 Handstühle, für Seidenstoffe und Stoffband 7302 mechanische und 6096 Handstühle beschäftigt. Für die Seidenfärberei ist Krefeld der wichtigste Ort; die Türkischrotfärberei blüht in Elberfeld und Barmen. Weiter findet sich Färberei noch in Berlin, den sächsischen Kreishauptmannschaften Chemnitz und Zwickau, in Bayern (Augsburg), Württemberg (Heidenheim), Elsaß-Lothringen etc.


VIII. Handel und Verkehr.

Einen folgenreichen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwickelung Deutschlands hat der Zollverein (s.d.) ausgeübt, der, von Preußen ausgehend, durch den Anschluß des Bayrisch-Württembergischen Handelsvereins, Sachsens, der thüringischen Staaten und beider Hessen 1. Jan. 1834 in Wirksamkeit getreten ist und sich allmählich über ganz D. mit Luxemburg ausgedehnt hat. Nach der Volkszählung von 1900 betrug die Bevölkerung des deutschen Zollgebiets mit Einschluß von Luxemburg und der österreichischen Gemeinde Jungholz (bei Immenstadt in Bayern) 56,589,925 Seelen, während die Zollausschlüsse, nämlich Helgoland, Freihafengebiet bei Hamburg, Hafenanlagen bei Kuxhaven, Bremerhaven und Geestemünde, kleine Teile der badischen Kreise Konstanz und Waldshut eine Volkszahl von 15,188 Seelen besitzen. Das Zolltarifgesetz vom 15. Juli 1879 hat eine wesentliche Einschränkung der frühern Zollfreiheit und eine bedeutende Erhöhung der Zollsätze herbeigeführt. Unverändert beibehalten wurde die Zollfreiheit nur für Abfälle, die hauptsächlichsten Rohprodukte, ferner für wissenschaftliche Instrumente, Seeschiffe und hölzerne Flußschiffe, literarische und Kunstgegenstände; unverändert blieben die seitherigen Zollsätze für 41 Tarifpositionen, worunter sich Bier, Essig, Südfrüchte, Zucker, Heringe, Kakao, Salz (seewärts), Fischtran, Äther, Alaun, Chlorkalk und kristallisierte Soda befanden. Dagegen wurde eine große Zahl bisher zollfreier Artikel, wie Roheisen, grobe Eisenfabrikate, Maschinen und Eisenbahnfahrzeuge, Getreide und Mühlenfabrikate, Bau- u. Nutzholz, Schmalz, Pferde, Rind- u. Schafvieh mit Eingangszöllen belegt, desgleichen die schon vorher zollpflichtig gewesenen Gegenstände z. T. beträchtlich im Zoll erhöht. Weitere Zollerhöhungen traten für eine größere Zahl von Gegenständen 1885 und 1888 ein. Der Zoll für Likör und Branntwein fand vom 1. Juli 1891 ab und derjenige für Zucker 1892 und 1896 eine anderweitige Regelung. Endlich wurden die Eingangszölle im Verkehr zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn, Italien, der Schweiz und Belgien vom 1. Febr. 1892 ab wesentlich modifiziert. Ein neues Zolltarifgesetz wurde 25. Dez. 1902 veröffentlicht. Die Ausfuhrzölle sind in D. bereits 1. Juli 1865 aufgehoben worden. Die Durchgangsabgaben wurden 1. März 1861 gänzlich beseitigt. Der Ertrag der Eingangszölle im deutschen Zollgebiet belief sich im Etatsjahr 1900/1901 auf brutto 492,910,000 Mk. oder 8,74 Mk. auf den Kopf der Bevölkerung.

Handelsverträge mit der Meistbegünstigungsklausel und wechselseitigen Tariferleichterungen bestehen mit fast allen europäischen Staaten, außerdem mit einer großen Zahl außereuropäischer Länder. Der Abschluß neuer Handelsverträge (1903) steht bevor. Vgl. v. Aufseß, Die Zölle und Steuern sowie die vertragsmäßigen Handelsbeziehungen des Deutschen Reiches (5. Aufl. von Wiesinger, Münch. 1900).

Über den Wert der Ein- und Ausfuhr des deutschen Zollgebietes hat das kaiserliche Statistische Amt zum erstenmal für 1872 neben der Warenmenge auch die Wertziffern berechnet. Diese betrugen im besondern Warenverkehr für die Einfuhr 3,464,622,000, für die Ausfuhr 2,492,195,000 Mk.; 1902 stellte sich im Spezialhandel die Einfuhr auf 5,805,776,000, die Ausfuhr auf 4,812,833,000 Mk. einschließlich der Edelmetalle, deren Wert bei der Einfuhr 174,776,000, bei der Ausfuhr 135,048,000 Mk. betrug. Auf die Hauptwarengruppen verteilten sich im letztern Jahr die Werte der Einfuhr und Ausfuhr wie folgt:

Tabelle

Nach den Hauptabteilungen gesondert, ergab der Spezialhandel 1901 bei einer Einfuhr von 5,710,338,000 Mk. und einer Ausfuhr von 4,512,646,000 Mk. folgenden Wert (in Mill. Mk.):

Tabelle

Die Beteiligung der wichtigsten Länder am Ein- und Ausfuhrhandel Deutschlands 1901 zeigt folgende Tabelle.

Tabelle

Schiffahrt

Die deutsche Handelsflotte nimmt auf der Erde der Zahl ihrer Schiffe nach die vierte Stelle ein, indem sie auf Großbritannien, Nordamerika und Norwegen folgt; in Bezug auf die Tragfähigkeit ihrer Schiffe steht sie aber an dritter Stelle und nur hinter Großbritannien und Nordamerika zurück. Sie bestand 1. Jan. 1901 außer den kleinen Küstenfahrern (die bis 50 cbm Raumgehalt besitzen) aus 3883 Schiffen mit einem Raumgehalt von 1,941,645 Reg. – Ton. netto und 50,556 Mann Besatzung, und zwar aus 2270 Segelschiffen mit 525,140 Reg. – Ton. und 12,922 Mann, 223 Schleppschiffen von 68,630 Reg. – Ton. und 773 Mann und aus 1390 Dampfschiffen mit 1,347,875 Reg. – Ton. und 36,861 Mann Besatzung. Davon kommen auf das Ostseegebiet 843 Schiffe (darunter 452 Dampfer), auf das Nordseegebiet 3040 Schiffe (darunter 938 Dampfer). Vom Nettoraumgehalt entfallen 983,078 Ton. auf Hamburg, 579,655 auf Bremen, 274,323 auf das Königreich Preußen. Die Zahl der Segelschiffe hat sich seit 1871, wo sie 4372 von 900,361 Reg. – Ton. netto betrug, um 2102 Schiffe und 375,221 Ton. vermindert, dagegen ist die Zahl der Dampfschiffe in demselben Zeitraum von 147 auf 1390 (also um das Neunfache), der Nettoraumgehalt von 81,904 auf 1,347,875 Reg. – Ton. (um das Sechzehnfache) gestiegen. Als Heimatshäfen für die deutsche Handelsflotte werden 264 Plätze nachgewiesen, von denen 52 dem Ostsee- und 212 dem Nordseegebiet angehören; die wichtigsten derselben sind: Hamburg mit 775, Bremen mit 482, Stettin mit 130, Kiel mit 81, Flensburg mit 79, Bremerhaven mit 63, Danzig mit 46, Geestemünde mit 45 Schiffen etc. Auf die einzelnen Provinzen, bez. Küstenländer verteilten sich die 3883 deutschen Seehandelsschiffe wie folgt:

Tabelle

Der Schiffsverkehr in den Seehäfen des Deutschen Reiches 1900 bezifferte sich auf 175,077 zu Handelszwecken ein- und ausgegangene Schiffe mit einem Raumgehalt von 37,254,818 Reg. – Ton. netto; außerdem haben 7500 Schiffe mit einem Gesamtnettoraumgehalt von 762,145 Reg. – Ton. zu andern als Handelszwecken die deutschen Häfen besucht. Seit 1875 hat sich der Seeverkehr nach der Schiffszahl verdoppelt, nach dem Raumgehalt verdreifacht. Von der Gesamtheit der 1900 im Deutschen Reich angekommenen und abgegangenen Schiffe gehörten 133,905 (76,5 Proz. der Gesamtzahl) mit 21,679,668 Reg. – Ton. (58,2 Proz. vom Gesamtraumgehalt) der deutschen Flagge an. Von den 87,379 angekommenen Schiffen von 18,585,757 Reg. – Ton. netto waren 77,286 von 17,136,495 Ton. beladen, von den 87,698 abgegangenen Schiffen von 18,669,061 T. waren 63,994 von 12,723,410 T. beladen. Die wichtigsten deutschen Dampfschiffsgesellschaften sind: Norddeutscher Lloyd u. Hansa zu Bremen, Hamburg-Amerika-Linie, Hamburg-Südamerikanische Gesellschaft, Kosmos-Linie, Deutsch-Australische Gesellschaft, Woermann-Linie, Deutsche Levante- und Deutsche Ostafrika-Linie, Rob. Sloman u. Komp. zu Bremen. (Vgl. die Übersicht der wichtigsten Reedereien auf der Textbeilage zum Art. »Dampfschiffahrt«). Die Gesamtzahl der von deutschen Schiffen 1900 gemachten Seereisen beträgt 96,956, der entsprechende Raumgehalt 54,502,193 Reg. – Ton.

Der deutschen Binnenschiffahrt dienen Wasserstraßen in einer Länge von 14,181 km; davon entfallen auf freie Flußläufe 9292 km, kanalisierte Flußläufe 2346, Kanäle 2414 und den Kaiser Wilhelms-Kanal 98,6 km. Davon können befahren werden von Schiffen mit

Tabelle

Für die Binnenschiffahrt gab es zu Ende 1897: 22,564 Fluß-, Kanal-, Haff- und Küstenschiffe, davon waren 1953 Dampfschiffe; die Tragfähigkeit war bei 21,945 Schiffen ermittelt und betrug 3,370,447 Ton., darunter 1585 Dampfschiffe mit 104,360 T. Vgl. Sympher, Karte des Verkehrs auf deutschen Wasserstraßen (Berl. 1902); Langhans, Deutsche Flotten-Wandkarte zur Veranschaulichung deutscher See-Geltung und See-Geschichte (Gotha 1901,8 Blatt).

Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen

Die Eisenbahnen bilden in D. einen Hauptteil des Nationalvermögens. Das auf sie verwendete Anlagekapital betrug 1900: 12,7 Milliarden Mk., ihre Länge rund 49,900 km, die Zahl der Lokomotiven 19,000, der Personenwagen 38,400, der Gepäck- und Güterwagen 413,000. Mit Ausnahme einiger Lokal- und Industriebahnen haben sämtliche Bahnen Deutsch lands und mit ihnen die Österreich-Ungarns, der Niederlande und Luxemburgs, Rumäniens sowie einige belgische, russisch-polnische und bosnische Bahnen einen gemeinsamen Mittelpunkt in dem 1846 gegründeten Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen unter der Leitung der königlichen Eisenbahndirektion in Berlin. Über die Entwickelung des deutschen Eisenbahnnetzes und seinen gegenwärtigen Zustand, die Verwaltungsbehörden etc. s. Eisenbahn, Eisenbahnbehörden etc.

Das Post- und Telegraphenwesen ist im deutschen Reichspostgebiet einheitlich organisiert. Dies Gebiet umfaßt das Deutsche Reich mit Ausnahme von Bayern und Württemberg, die auf Grund des Artikels 52 der Reichsverfassung getrennte Verwaltungen des Post- und Telegraphenwesens besitzen. Mit der österreichisch-ungarischen Monarchie ist das Deutsche Reich durch den Postvertrag vom 7. Mai 1872 und den Telegraphenvertrag vom 5. Okt. 1871 geeinigt. Am Schluß des Jahres 1900 betrug die Zahl der Postanstalten im Reichspostgebiet 32,039, in Bayern 4067, in Württemberg 1040, zusammen 37,146; die Portoeinnahmen beliefen sich 1900/1901 im Reichspostgebiet auf 300,2 Mill. Mk., in Bayern auf 27,6 Mill. Mk., in Württemberg auf 12,5 Mill. Mk., zusammen auf 340,3 Mill. Mk. Die eingegangenen Briefsendungen betrugen in demselben Jahr im Reichspostgebiet 2893,6 Mill., in Bayern 262,9 Mill., in Württemberg 123,6 Mill.; die eingegangenen Pakete ohne Wert im Reichspostgebiet 154 Mill., in Bayern 14,5 Mill., in Württemberg 8 Mill.; die Briefe und Pakete mit Wertangabe resp. 10,5 Mill., 1,3 Mill., 739,000; der Wert der eingegangenen Postanweisungen betrug resp. 7868,9 Mill., 789,9 Mill., 372,6 Mill. Mk. Am Schluß des J. 1901 belief sich die Zahl der Telegraphenanstalten im Reichspostgebiet auf 20,768, in Bayern auf 2771, in Württemberg auf 917; die Länge der Telegraphenlinien resp. auf 108,486 km, 16,881 km, 5472 km und die Länge der Drähte resp. auf 424,475,46,477,12,652 km. Die Anzahl der 1901 ausgegebenen Telegramme betrug im Reichspostgebiet fast 34,3 Mill., in Bayern 3,1 Mill., in Württemberg 871,563; die Gebühren für Telegraphen und Fernsprechanstalten resp. 66,5 Mill., 5,3 Mill., 2,4 Mill., zusammen 74,2 Mill. Mk. Fernsprecheinrichtungen besaßen 1900 im Deutschen Reiche 15,533 Orte, davon 549 in Bayern und 680 in Württemberg. Die Länge der bezüglichen Linien betrug 79,384 km, die Länge der Leitungen dagegen 833,091 km; die Zahl der vermittelten Gespräche 690 Mill. Zwischen den Stadt-Fernsprecheinrichtungen verschiedener Orte bestanden 2797 Verbindungsanlagen.

Maße, Gewichte und Münzen

Aus den Befreiungskriegen war der Deutsche Bund mit sehr mannigfaltigen Maßsystemen seiner Glieder hervorgegangen. Die Bedürfnisse des erstarkenden Verkehrs nötigten zur Anerkennung der in den Nachbarstaaten gültigen Maße durch Wertvergleichungs-Tabellen etc. So legte die Elbschiffahrtsakte von 1821 hamburgische Maße, die Weserschiffahrtsakte von 1823 das Bremer Schiffspfund und das Konventionsgeld, die Übereinkunft unter den Uferstaaten des Rheins von 1831 den Zentner von 50 kg und französische Münzen zu Grunde. Mächtiger wirkte der Zollverein. An Stelle der im preußischen Zollgesetz von 1818 herrschenden Einheiten trat mit dem Vereins-Zolltarif von 1839 hinsichtlich der Verwiegung das Zollgewicht (1 Zollzentner = 106 Pfund 28,9158 Lot preußisch); das Zollpfund wurde auch 1850 von dem Deutsch-Österreichischen Postverein, wie schon 1847 vom Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen und allmählich von vielen Landesregierungen angenommen. Die Münchener Konvention der süddeutschen Staaten von 1837 setzte die Münzmark in Übereinstimmung mit der preußischen auf 233,855 g fest, und nach der Dresdener Konvention von 1838 zwischen den meisten deutschen Staaten sollten eine Vereinsmünze zu 1/2 Mark sein Silber geprägt und die Scheidemünzen des 14-Talerfußes zu höchstens 16 Taler auf die Mark ausgebracht werden. Ersetzt wurden diese Einigungen durch den Wiener Münzvertrag von 1857 (s. Münzverträge), der erst nach Einführung der deutschen Reichswährung hinfällig wurde.

Eine einheitliche Maß- und Gewichtsordnung erhielt der Norddeutsche Bund durch das Gesetz vom 17. Aug. 1868, dem die süddeutschen Staaten im November 1870 beitraten, so daß allenthalben die neuen, nach dem metrischen System eingerichteten Maßgrößen zu Anfang 1872 die bisherigen (außer den Stück- und Garnmaßen) verdrängt haben. Die Einheiten, Vielfachen und Teile derselben sind jetzt als Längenmaße: das Meter (m), das Kilometer (km) = 1000 m, das Zentimeter (cm) = 0,01 m und das Millimeter (mm) = 0,001 m; als Flächenmaße: das Quadratmeter (qm, m2), das Ar (a) = 100 qm (m2), das Hektar (ha) = 100 a, zugelassen das Quadratzentimeter (qcm, cm2) und das Quadratmillimeter (qmm, mm2); als Körpermaße: das Kubikmeter (cbm, m3), das Hektoliter (hl) = 0,1 cbm (m3), das Liter (l) = 0,001 cbm (m3), zugelassen das Kubikzentimeter (ccm, cm3) und das Kubikmillimeter (cmm, mm3); als Gewichte: das Kilogramm (kg), die Tonne (t) = 1000 kg, das Gramm (g) = 0,001 kg und das Milligramm (mg) = 0,001 g. Bis 1884 waren auch andre dekadische Maße in Gültigkeit, ferner (bei der Stempelung jedoch nur an zweiter Stelle) folgende deutsche Bezeichnungen erlaubt: die Kette für 10 m, der Stab für 1 m, der Neuzoll für 1 cm, der Strich für 1 mm, der Quadratstab für 1 qm, der Kubikstab für 1 cbm, das Faß für 1 hl, der Scheffel für 50 l, die Kanne für 1 l, der Schoppen für 1/2 l, der Zentner für 50kg, das Pfund für 1/2 kg und das Neulot für 10 g; ferner gilt der Doppelzentner (dz) = 100 kg.

Das deutsche Münzwesen erfuhr eine vollständige Neugestaltung auf Grund des Gesetzes vom 4. Dez. 1871, betreffend die Ausprägung von Reichsgoldmünzen, und des Münzgesetzes vom 9. Juni 1873. Bis Ende 1875 wurden sämtliche Landesmünzen außer Kurs gesetzt und eingeschmolzen, ausgenommen ein großer Teil der einfachen Taler des 14- und 30-Talerfußes, deren Rest Zwangskurs als Kurantgeld behielt (daher beschränkte Alternativwährung im Verhältnis des Goldes zum Silber = 151/2:1); auch hat das Reich später einen namhaften Zuschuß an die österreichisch-ungarische Monarchie zur Einziehung ihrer Vereinsmünzen bewilligt. Mit jener Ausnahme sind das gesetzliche Zahlungsmittel Goldmünzen; niemand außer den Reichs- und Landeskassen ist verpflichtet, von Silbergeld mehr als 20, von Nickel- und Kupfergeld mehr als 1 Mk. in Zahlung zu nehmen; Beträge von mindestens 200 Mk. Silber-, 50 Mk. Nickel- und Kupfergeld wechseln die Reichsbankkassen in Königsberg, Berlin, Frankfurt und München gegen Goldmünzen um. Die Prägung fand auf Kosten und unter Aussicht des Reiches in Berlin (Münzbuchstabe A), Hannover (B), Frankfurt a. M. (C), München (D), Dresden und Freiberg (E), Stuttgart (F), Karlsruhe (G), Darmstadt (H) und seit 24. Jan. 1875 Hamburg (J) statt. Gegenwärtig werden Reichsmünzen nur noch in Berlin, München, Muldener Hütte, Stuttgart, Karlsruhe u. Hamburg geprägt. Geschlossen wurde die Münzstätte in Hannover 1878, Frankfurt 1879, Darmstadt 1882. Auch Privatpersonen dürfen Barren von mindestens 2,5 kg Rauhgewicht und mindestens°/19 Gold, wenn sie vor der Einschmelzung nicht als spröde oder iridiumhaltig erkannt sind, in Stücke von 20 Mk. prägen lassen und zahlen dafür die Gebühr für zwei Proben von jedem Barren mit je 1,5 Mk. sowie auf das Pfund sein 3 Mk.; das Rauhgewicht wird auf 1/1000 Pfund und der Feingehalt auf 1/5000 (d. h. Zehntelgramme im Pfund) bestimmt. Unter 1 Mk. (Abkürzung M laut Bundesratsbeschluß vom 7. Nov. 1874) Reichswährung zu 100 Pfennig wird 100/279 g feines Gold verstanden, 1 Pfund mithin = 1395 Mk. Geprägt wurden Stücke von 20,10 und (aus dem Verkehr gezogen) 5 Mk. in Feinheit von 900 Tausendstel; bei den Reichsbehörden heißen sie laut kaiserlichen Erlasses vom 17. Febr. 1875 Doppelkrone, Krone und halbe Krone. An silbernen Scheidemünzen sollen höchstens 10 Mk. auf den Kopf der Bevölkerung ausgegeben werden, ungerechnet Umschmelzungen aus Talerstücken. Aus dem Pfund seinen Silbers sind 100 Mk. zu schlagen, mithin Kursverhältnis zu den Goldmünzen = 1: 13,95; die Feinheit ist 9/10, folglich wiegt das 1-Markstück 55/9 g, die übrigen entsprechend. Im Umlauf befinden sich Stücke zu 5,2,1 und 1/2 Mk., seitdem gemäß Gesetz vom 1. Juni 1900 die kleinen 20-Pfennigstücke (bis Ende 1902) von den öffentlichen Kassen nicht mehr angenommen werden. An Nickel- und Kupfermünzen gestattet das Gesetz, 2,5 Mk. auf den Kopf der Bevölkerung auszugeben. Aus einer Legierung von 75 Teilen Kupfer und 25 Teilen Nickel soll das Pfund zu 125 Stück 10- oder 200 Stück 5-Pfennigstücken von 4, bez. 2,5 g ausgebracht werden; Stücke zu 20 Pfennig erwiesen sich zu schwerfällig. Die Legierung für Kupfermünzen besteht aus 95 Teilen Kupfer, 4 Zinn und 1 Zink, welch letzteres man neuerdings jedoch des leichtern Prägens halber bis 2,5 auf Kosten des Kupfers duldet. Aus dem Pfund sind 150 Stück 2- oder 250 Stück 1-Pfennigstücke auszubringen. Alle Scheidemünzen, die infolge längern Umlaufs an Gewicht oder Erkennbarkeit erheblich eingebüßt haben, werden in allen Reichs- und Landeskassen zum Nennwert angenommen und dann auf Reichsrechnung eingezogen, dagegen verfälschte, durchlochte oder anders als durch gewöhnlichen Umlauf verringerte abgewiesen.

Geld- und Kreditwesen

In sämtlichen deutschen Münzstätten (s. oben) wurden bis Ende 1902 für 3,886,677,510 Mk. Goldmünzen, für 639,319,086 Mk. Silbermünzen, für 74,385,920 Mk. Nickelmünzen und für 15,887,478 Mk. Kupfermünzen ausgeprägt, dagegen für 31,247,320 Mk. Goldmünzen, 31,134,227 Mk. Silbermünzen, 4,332,563 Mk. Nickelmünzen und 2208 Mk. Kupfermünzen eingezogen, mithin blieben 3,855,430,190 Mk. Goldmünzen, 608,184,859 Mk. Silbermünzen, 70,053,357 Mk. Nickelmünzen und 15,885,270 Mk. Kupfermünzen und zwar nach folgenden Sorten:

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Außer den Reichsmünzen gelten noch als gesetzliche Zahlungsmittel die Eintalerstücke deutschen Gepräges. Der Umlauf der Eintalerstücke wird auf 310–400 Mill. Mk. geschätzt.

Der Gesamtnotenumlauf der sieben Notenbanken, die in Gemäßheit des § 8 des Reichsbankgesetzes vom 14. März 1875 zur Ausgabe von Noten berechtigt sind, betrug 1901: 1345 Mill. Mk.; sie hatten bei einem Grundkapital von zusammen 231,7 Mill. Mk. und einem Reservefonds von zusammen 54,9 Mill. Mk. an Aktiven 2360,9 Mill. Mk. und an Passiven 2360,5 Mill. Mk. 1885 betrug der Gesamtumsatz der Reichsbank 73,200 Mill. Mk., 1901 dagegen 193,148 Mill. Mk. Banknoten waren im letztern Jahre durchschnittlich 1190 Mill. Mk. im Umlauf, davon 243 Mill. ungedeckt. Weiteres s. Banken, S. 341ff.

Zur Vertretung der Interessen von Handel und Gewerbe dienen die jetzt in fast allen deutschen Staaten bestehenden Handelskammern, die in Bayern und Sachsen-Meiningen noch Handels- und Gewerbekammern heißen. In einigen Staaten, wie Lippe und Schaumburg-Lippe, wird eine solche Vertretung durch Privatvereine wahrgenommen, in Waldeck fehlt sie. Die Zahl der Handelskammern in den einzelnen deutschen Staaten verhält sich im übrigen folgendermaßen: Anhalt 1, Baden 9, Bayern 8 (Handels- und Gewerbekammern), Braunschweig 1, Bremen 1, Elsaß-Lothringen 4, Hamburg 1, Hessen 7, Lübeck 1, beide Mecklenburg zusammen 1, Oldenburg 1, Preußen 89 Handelskammern, unter denen die kaufmännischen Korporationen zu Stettin, Königsberg, Danzig, Memel und Elbing die Funktionen von Handelskammern übernehmen, während in Berlin das Ältestenkollegium der Kaufmannschaft neben der Handelskammer besteht; Reuß ä. L. und Reuß j. L. je 1 Handelskammer, Sachsen 5, Sachsen-Altenburg 1, Sachsen-Koburg-Gotha 2 Handelskammern, Sachsen-Meinigen 4 Handels- und Gewerbekammern, Sachsen-Weimar 1, beide Schwarzburg je 1, Württemberg 8 Handelskammern.

Die wichtigsten Seeplätze sind schon oben (S. 786) angeführt. Für den Binnenhandel sind ganz besonders von Bedeutung Berlin, Leipzig u. Frankfurt a. M.; nächstdem in Norddeutschland Breslau, Königsberg, Danzig, Stettin, Magdeburg, Frankfurt a. O., Braunschweig, Köln, denen sich für die Ausfuhr der Erzeugnisse der eignen Fabriken namentlich noch Aachen, Krefeld, Elberfeld, Barmen, Solingen, Remscheid, Chemnitz, Sonneberg u. a. anschließen; in Süddeutschland Nürnberg, Regensburg, Augsburg, Stuttgart, Mainz, Mannheim, Straßburg und Mülhausen. Der Mittelpunkt des Buchhandels (s.d.) ist Leipzig.


IX. Verfassung und Verwaltung.

Die Verfassung des Deutschen Reiches.

Das Deutsche Reich ist nach der Reichsverfassung vom 16. April 1871 ein »ewiger Bund«, den die deutschen Fürsten und freien Städte (s. das Staatenverzeichnis S. 761) »zum Schutze des Bundesgebiets und des innerhalb desselben gültigen Rechts sowie zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes« geschlossen haben. Inhaber der Reichsgewalt sind die Verbündeten. Deren Organ ist der Bundesrat (s. unten). Das Präsidium des Bundes steht der Krone Preußen zu. Die Präsidialrechte sind Vorrechte Preußens im Bunde und sind im einzelnen in der Reichsverfassung festgestellt. Mit dem Bundespräsidium (s.d.) ist für den König von Preußen der Titel Deutscher Kaiser verbunden (nicht »Kaiser von Deutschland«, denn der Kai ser ist nicht Monarch des Reiches). Er übt die ihm übertragenen Befugnisse »im Namen des Reiches« oder »im Namen der verbündeten Regierungen« aus. Der Kaiser hat daher auch nicht das Recht der Sanktion, sondern nur der Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze. Als König von Preußen hat er bei gewissen Gegenständen ein Veto im Bundesrat und vermag mit seinen 17 Stimmen jede Verfassungsänderung zu hindern. Die vom Bundesrat beschlossenen Vorlagen werden auf Befehl des Kaisers im Namen der verbündeten Regierungen vor den Reichstag (s. unten) gebracht. Über das Aufsichts- und Verordnungsrecht s. Bundesrat. Der Kaiser beruft, eröffnet, vertagt und schließt den Bundesrat und den Reichstag. Die Auflösung des letztern erfolgt durch Beschluß des Bundesrats mit Zustimmung des Kaisers (Reichsverfassung, Art. 12,24). Der Kaiser ist der oberste Chef der gesamten eignen Verwaltung des Reiches. Er ernennt die Reichsbeamten, läßt sie vereidigen und verfügt erforderlichenfalls ihre Entlassung (Art. 18). Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reiches Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andre Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zur Kriegserklärung bedarf er der Zustimmung des Bundesrats, es sei denn, daß ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt. Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände beziehen, die in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, bedürfen zu ihrem Abschluß der Zustimmung des Bundesrats und zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Reichstags (Art. 11).

Der Kaiser ist ferner Bundesfeldherr. Nach der Reichsverfassung (Art. 63) bildet die gesamte Landmacht des Reiches ein einheitliches Heer, das in Krieg und Frieden unter dem Befehl des Kaisers steht, vorbehaltlich des bayrischen Sonderrechts, wonach das bayrische Heer einen in sich geschlossenen Bestandteil des deutschen Bundesheeres mit selbständiger Verwaltung unter der Militärhoheit des Königs von Bayern bildet und nur im Krieg unter dem Befehl des Kaisers steht. Die Kriegsmarine des Reiches ist eine einheitliche unter dem Oberbefehl des Kaisers (daher »kaiserliche Marine«). Vgl. im einzelnen die Abschnitte »Heerwesen« und »Marine«. Der Kaiser übt namens des Reiches die Staatsgewalt im Reichslande Elsaß-Lothringen (s.d.) und in den deutschen Schutzgebieten (s.d. und »Kolonien«) aus, welch letztere zwar zum Inland, aber nicht zum Bundesgebiet im Sinne der Reichsverfassung gehören. Das Reich übt innerhalb des Bundesgebiets das Recht der Gesetzgebung nach Maßgabe der Verfassung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen. Die Reichsgesetze werden durch das Reichsgesetzblatt verkündet. In die Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung fallen (Art. 4): die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimats- und Niederlassungsverhältnisse (mit Ausnahme von Bayern), Staatsbürgerrecht, Paßwesen, Fremdenpolizei, Gewerbebetrieb und Versicherungswesen (mit Ausschluß der Immobiliarversicherung für Bayern), Kolonisation und Auswanderung nach außerdeutschen Ländern; die Zoll- und Handelsgesetzgebung und die Steuern für Reichszwecke; das Maß-, Münz- und Gewichtssystem und die Ausgabe von Papiergeld; das Bankwesen; die Erfindungspatente; der Schutz des geistigen Eigentums; der Schutz des deutschen Handels und der deutschen Schiffahrt sowie die gemeinsame Konsularvertretung im Auslande; das Eisenbahnwesen (mit Vorbehalt bezüglich Bayerns) und die Herstellung von Land- und Wasserstraßen im Interesse der Landesverteidigung und des allgemeinen Verkehrs; die Flößerei und Schiffahrt auf den mehreren Staaten gemeinsamen Wasserstraßen sowie der Zustand der letztern und die Wasserzölle, dann die Seeschiffahrtszeichen; das Post- und Telegraphenwesen (vorbehaltlich der Sonderrechte von Bayern und Württemberg); die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in Zivilsachen und die Erledigung von Requisitionen; die Beglaubigung öffentlicher Urkunden; die Gesetzgebung über das gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren; das Militärwesen und die Kriegsmarine; die Medizinal- und Veterinärpolizei; die Bestimmungen über die Presse und das Vereinswesen. Die Anlegung von Eisenbahnen im Interesse der Verteidigung Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs kann sogar gegen den Widerspruch derjenigen Bundesglieder, deren Gebiet diese Eisenbahnen durchschneiden, durch Reichsgesetz angeordnet werden (Art. 41). Die Überweisung eines Gegenstandes an die Reichsgesetzgebung hat in der Regel nicht die Bedeutung, daß er der Landesgesetzgebung selbst dann entzogen wäre, wenn und soweit das Reich von seiner Zuständigkeit noch nicht Gebrauch gemacht hat. Was der Reichsgesetzgebung nicht ausdrücklich überwiesen ist, fällt der Landesgesetzgebung ausschließlich anheim.

Die gesetzgebenden Faktoren des Reiches sind Bundesrat und Reichstag. Der Bundesrat (s.d.) ist die Gesamtheit der Vertreter der Bundesmitglieder und entspricht dem vormaligen deutschen Bundestag. Im Reichstag dagegen ist eine Vertretung des gesamten Volkes, entsprechend den Landtagen der Bundesstaaten, gegeben; weiteres s. den Art. »Reichstag«.

Der Reichskanzler, der vom Kaiser ernannt wird, nimmt eine Doppelstellung ein: er ist einerseits Vorsitzender des Bundesrats (Art. 15), anderseits Minister des Kaisers (Art. 17), dessen Anordnungen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers bedürfen. Auf diese Weise ist die Verwaltung des Reiches streng zentralistisch durchgeführt. Das Reich hat nur einen einzigen verantwortlichen Minister, der die Spitze der gesamten Reichsverwaltung bildet. S. auch Reichskanzler. Der Behördenorganismus des Reiches ist mit der Zeit sehr umfassend geworden (s. Reichsbehörden).-

Die Angehörigen der deutschen Staaten sind als solche Reichsangehörige (s. Reichsangehörigkeit, deutsche, und Staatsangehörigkeit).

Die Einzelstaaten können zur Erfüllung ihrer Pflichten durch Bundesexekution (s.d.) angehalten werden. Wegen der Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Einzelstaaten und von Verfassungsstreitigkeiten sowie wegen Justizverweigerung s. Bundesrat, Ziff. II.

Rechtspflege

Eine der wichtigsten Errungenschaften des neuen Reiches ist die einheitliche Einrichtung der Rechtspflege, die durch die Justizgesetze von 1877 und 1878 erfolgte (s. Gerichtsverfassung). Die Privat- oder Patrimonialgerichtsbarkeit ist vollständig beseitigt, der geistlichen Gerichtsbarkeit die bürgerliche Wirksamkeit entzogen und die Trennung der bürgerlichen und Strafrechtspflege von der Verwaltung durchgeführt. Die Voraussetzungen der Fähigkeit zum Richteramt sind für ganz D. einheitlich bestimmt. Für die Unabhängigkeit des Richterstandes sind die nötigen Gewährschaften gegeden. Das Laienelement ist in ausgedehntem Umfang zur Rechtsprechung herangezogen, so insbes. in den Schöffengerichten, die zu den Schwurgerichten hinzukamen, sowie in den Einrichtungen der Handelsrichter und der Schiedsmänner. Eine weitere Heranziehung des Laienelements bei den Sondergerichten wird allseitig und anscheinend mit Erfolg angestrebt, obwohl darunter zweifelsohne die Einheit der Rechtsprechung schwer leiden wird. Das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wird, ebenso wie das Hauptverfahren im Strafprozeß, durch die Grundsätze der Öffentlichkeit und Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit der Verhandlung und der freien Würdigung der Beweisergebnisse durch den Richter beherrscht. Ausnahmegerichte sind, abgesehen von Kriegs- und Standgerichten, unstatthaft. Die oberste Gerichtsbarkeit wird durch das Reichsgericht (s.d.) in Leipzig ausgeübt. Diese Reichsbehörde sichert die Wahrung der Rechtseinheit und die gleichmäßige Auslegung der deutschen Reichsgesetze. Alle untern Instanzen sind Landesbehörden. Im übrigen vgl. Art. »Gericht«, mit Textbeilage: »Gerichtsorganisation im Deutschen Reich«.

Die Staatsanwaltschaft wird bei dem Reichsgerichte durch einen Oberreichsanwalt und durch Reichsanwalte, bei Oberlandesgerichten, Landgerichten und Schwurgerichten durch Staatsanwalte und bei den Amts- und Schöffengerichten durch Amtsanwälte geführt. (Näheres über die Justizorganisation s. unter »Gericht« und in den Artikeln über die einzelnen Bundesstaaten.)

Wegen der Tätigkeit des Reiches auf dem Gebiete der Gesetzgebung s. den Art. »Deutsches Recht«. Die frühere Buntscheckigkeit des in den deutschen Landen geltenden bürgerlichen Rechts hat, abgesehen von den im Einführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Art. 55–152) aufgestellten Vorbehalten, mit dem 1. Jan. 1900 durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (s.d.) ein Ende genommen. Bis dahin bestanden die drei großen Rechtsgebiete des preußischen Landrechts, des französischen und des gemeinen deutschen Rechts. Das preußische Landrecht galt im größten Teil des preußischen Staates, nämlich in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Berlin, Brandenburg, Pommern mit Ausschluß der neuvorpommerschen Kreise Greifswald, Grimmen, Franzburg, Stralsund und Rügen, in Posen, Schlesien und Sachsen, im Regbez. Aurich mit Ausschluß des Stadtbezirks Wilhelmshaven, in der Stadt Duderstadt und dem Amt Gieboldehausen (Regbez. Hildesheim), in Westfalen sowie den rechtsrheinischen Kreisen des Regbez. Düsseldorf: Rees, Duisburg, Mülheim a. d. Ruhr, Essen-Land und Stadt Essen; außerdem in den ehemals preußischen, jetzt bayrischen Fürstentümern Ansbach und Bayreuth. Die Geltung des französischen Rechts erstreckte sich auf die preußischen Rheinlande mit Ausschluß der im Gebiete des preußischen Landrechts belegenen Kreise des Regbez. Düsseldorf, des Kreises Meisenheim und des rechts vom Rhein und links von der Sieg belegenen Teiles des Regbez. Koblenz, zu dem auch die Rheininseln gehören. Ferner galt französisches Recht in Elsaß-Lothringen, in der bayrischen Pfalz, in Rheinhessen und (in besonderer Kodifikation) in Baden. Das gemeine deutsche Recht, geändert durch zahlreiche einzelne Partikulargesetze, galt in den preußischen Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover mit Ausnahme von Ostfriesland und des zum Eichsfeld gehörigen Teiles des hildesheimischen Kreises Osterode am Harz, in Hessen-Nassau, im Kreis Meisenheim und im rechtsrheinischen, links der Sieg gelegenen Teil des Regbez. Koblenz sowie in Hohenzollern und den schon erwähnten neuvorpommerschen Kreisen. Ferner galt gemeines deutsches Recht im Königreich Bayern (teilweise in besonderer Kodifikation) mit Ausschluß der Rheinpfalz und der Fürstentümer Ansbach und Bayreuth, im Königreich Württemberg, in Hessen, mit Ausnahme von Rheinhessen, in Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, im Königreich Sachsen (in besonderer Kodifikation), in Anhalt, in Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen, in Reuß älterer und jüngerer Linie, in Waldeck, in Schaumburg-Lippe und Lippe, in Braunschweig, in Oldenburg, in Mecklenburg-Schwerin, in Mecklenburg-Strelitz und in Hamburg, Lübeck und Bremen.

Finanzwesen des Deutschen Reiches

Die vermögensrechtliche Persönlichkeit des Deutschen Reiches wird als Reichsfiskus bezeichnet. Zu dem Reichsvermögen gehören unter anderm die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen, der Reichskriegsschatz von 120 Mill. Mk., der im Juliusturm zu Spandau bar hinterlegt ist, der Reichsinvalidenfonds (1901: 367,4 Mill. Mk.) und der Reichsfestungsbaufonds. Dazu kommen die zahlreichen Liegenschaften (Kasernen, Postgebäude etc.), die dem Reich eigentümlich zugehören, und das bewegliche Vermögen, das sich in der Benutzung der einzelnen Reichsverwaltungen befindet. Die Einnahmen und Ausgaben des Reiches werden (Art. 69 der Reichsverfassung) durch ein Etatsgesetz festgestellt. Die Feststellung erfolgt auf ein Jahr. Wie das Budget vom Bundesrat mit dem Reichstag vereinbart wird, so haben auch beide Körperschaften das Recht der Kontrolle der Reichsfinanzverwaltung. Die Vorprüfung der jährlich zu legenden Rechnungen erfolgt durch den »Rechnungshof des Deutschen Reiches«, als welcher die preußische Oberrechnungskammer in Potsdam fungiert. Für die Verwaltung des Reichskriegsschatzes und der Reichsschuld besteht die besondere Kontrolle der Reichsschuldenkommission, die auch die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds überwacht. Sowohl der Bundesrat als auch der Reichstag hat zu der Entlastung des Reichskanzlers die jährlich zu legenden Rechnungen der Reichsverwaltungen zu genehmigen. Das Etatsjahr läuft seit 1877 vom 1. April bis zum 31. März.

[Die Ausgaben des Reiches] umfassen die Verwaltung und Verzinsung der Reichsschuld, die Erhebungs- und Verwaltungskosten der Reichseinnahmen, den Aufwand für die einzelnen Zweige der Reichsverwaltung und für die Organe des Reiches. Der Kaiser als solcher bezieht keine Einkünfte aus der Reichskasse. Doch ist für ihn ein Dispositionsfonds zu Gnadenbewilligungen aller Art im Betrag von 3 Mill. Mk. jährlich ausgeworfen. An den Ausgaben sind die Bundesstaaten nicht alle gleichmäßig beteiligt, da verschiedene Reichsanstalten nicht allen Staaten gemeinsam sind. So haben Bayern und Elsaß-Lothringen an den Kosten des Bundesamtes für das Heimatwesen, Bayern, Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen an den Kosten für die Kontrolle der Brausteuer, Bayern an den Kosten des Reichseisenbahnamtes, Bayern und Württemberg an den Kosten der Reichspost- und Telegraphenverwaltung keinen Anteil. Den Staaten, die Gesandtschaften im Ausland unterhalten (Bayern, Württemberg, Sachsen), sind Nachlasse an den Ausgaben für die Reichsgesandtschaften verwilligt, und auch zu den Ausgaben für den Rechnungshof tragen Bayern und Württemberg in geringerm Umfang bei als die übrigen Bundesstaaten. Die Ausgaben sind fortdauernde und einmalige (des ordentlichen und außerordentlichen Etats). Einen Hauptbestandteil der Ausgaben bilden die Ausgaben für das Heer. Seit 1875 werden die Ausgaben für das Heer gleich den übrigen Ausgaben jährlich veranschlagt. Allerdings wird die Friedenspräsenzstärke des Heeres jeweilig auf 7 Jahre (Septennat) festgestellt (s. unten). Spezialisierte Etats werden für das preußische, sächsische und württembergische Kontingent aufgestellt. Bayern ist verpflichtet, für sein Heerwesen einen gleichen Geldbetrag zu verwenden, wie er nach Verhältnis der Kopfstärke durch den Militäretat des Reiches für die übrigen Teile des Reichsheeres ausgesetzt ist. Dieser Betrag wird im Reichshaushaltsetat für das bayrische Kontingent in Einer Summe ausgeworfen, die Ausstellung der Spezialetats ist Bayern überlassen. Nachst dem Heer verursacht die Kriegsmarine den größten Aufwand. Der Reichshaushaltsetat für 1903/1904 schließt in Einnahmen und Ausgaben mit 2,417,028,912 Mk. ab. Die fortlaufenden Ausgaben, die seit 1874 um 1652,9 Mill. Mk., seit 1890 um 1039,8 Mill. Mk. gestiegen sind, belaufen sich auf 1,997,229,523 Mk. und verteilen sich folgendermaßen.

Tabelle

Hierzu kommen die einmaligen Ausgaben für das Rechnungsjahr 1903–1904 im Betrage von 419,799,389 Mk. Im einzelnen gliedern sie sich wie folgt (in Tausenden Mark):

Tabelle

Erläuternd ist hierzu noch zu bemerken, daß der Ausgabeansatz des Reichsschatzamtes bei den fortlaufenden Ausgaben deswegen so hoch ist, weil hier die allgemeinen Fonds mit ausgeworfen sind, insbes. die sogen. Überweisungen, d. h. diejenigen Beträge, die nach der Franckensteinschen Klausel (s. Franckenstein) aus der Einnahme an Zöllen und Tabaksteuer, soweit diese 130 Mill. Mk. übersteigen, sowie die Erträgnisse der Branntwein- und Börsensteuer, die an die Einzelstaaten zu verteilen sind. Diese Überweisungen stellten sich wie folgt (in Tausenden Mark):

Tabelle

[Die Einnahmen des Reiches] setzen sich nach dem Voranschlag für 1903 zusammen aus 2217,2 Mill. Mk. ordentlichen Einnahmen und 199,8 Mill. Mk. außerordentlichen Deckungsmitteln, darunter 194,7 Mill. Mk. Anleihen.

Was die ordentlichen Einnahmen anlangt, so kommen 1) die Zölle und Verbrauchssteuern mit zusammen 810,3 Mill. Mk. in Betracht. Im einzelnen stellen sich ihre Erträgnisse nach dem Voranschlag für 1903 wie folgt: Zölle 472,6, Tabaksteuer 12,3, Zuckersteuer 113,6, Salzsteuer 49,1, Branntweinsteuer 127,2, Brausteuer und Übergangsabgabe für Bier 30,8, Schaumweinsteuer (seit Juli 1902) 4,5 Mill. Mk. Dazu ist folgendes zu bemerken. Die Erhebung der Zölle und gemeinsamen Verbrauchsabgaben ist Sache der Bundesstaaten; die Reinerträge sind an die Reichskasse abzuführen. Für die außerhalb des Zollgebietes liegenden Landesteile haben die Staaten mit solchen Exklaven zu den Reichsausgaben durch die Zahlung von Aversen, deren Betrag 1903 auf 72,9 Mill. Mk. veranschlagt ist, beizutragen. Die Brausteuergemeinschaft erstreckt sich nicht auf Bayern, Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen; die Erträgnisse der Biersteuern dieser Länder verbleiben denselben; sie nehmen dafür an den betreffenden Steuereinnahmen des Reiches nicht teil, bez. haben erhöhte Matrikularumlagen zu bezahlen. Bezüglich der jährlichen Erträgnisse aus den Zöllen und der Tabaksteuer besteht die oben erwähnte Bestimmung, daß 130 Mill. Mk. davon in der Reichskasse verbleiben, während der Überschuß nach dem Verhältnis der Kopfzahl der Bevölkerung an die Bundesstaaten verteilt wird. In dem neuen Zolltarifgesetz des Deutschen Reiches (25. Dez. 1902) ist ferner bestimmt, daß der auf den Kopf der Bevölkerung entfallende Nettozollertrag von gewissen Waren (insbes. Getreide), der den nach dem Durchschnitt 1898–1903 auf den Kopf entfallenden Nettozollertrag dieser Waren übersteigt, zur Erleichterung der Durchführung einer Witwen- und Waisenversorgung zu verwenden ist. Die Erträgnisse der Verbrauchsabgabe von Branntwein und des Zuschlages hierzu werden ganz den Überweisungen zugeschlagen. 2) Die Reichsstempelabgaben, veranschlagt auf 93,03 Mill. Mk., und zwar Spielkartenstempel 1,57, Wechselstempelsteuer 11,94, Stempelabgabe für Wertpapiere, Kaufgeschäfte etc., Lotterielose und (seit Gesetz vom 14. Juni 1900) Schiffsfrachturkunden 78,50, statistische Gebühr 1,05 Mill. Mk. 3) Die Post- und Telegraphenverwaltung (ohne Bayern und Württemberg) 456,22 Mill. Mk. Die Einnahmen der selbständigen Postverwaltungen Bayerns u. Württembergs fließen in die Kassen dieser Staaten, wofür diese aber auch an den Einnahmen der Reichspost- und Telegraphenverwaltung keinen Anteil haben. 4) Die Reichsdruckerei 7,91 Mill. Mk. 5) Die Eisenbahnverwaltung 87,88 Mill. Mk. 6) Das Bankwesen (Anteil des Reiches am Reingewinn der Reichsbank und 5proz. Steuer von den durch entsprechenden Barvorrat nicht gedeckten Noten der deutschen Banken) 15,87 Mill. Mk. 7) Verschiedene Verwaltungseinnahmen 41,66 Mill. Mk. 8) Reichsinvalidenfonds 49,00 Mill. Mk. 9) Ausgleichungsbeträge für die nicht allen Bundesstaaten gemeinsamen Einnahmen 17,41 Mill. Mk. 10) Zuschuß des außerordentlichen Etats 72,10 Mill. Mk. 11) Matrikularbeiträge 565,86 Mill. Mk. Bezüglich dieser bestimmt die Verfassung (Art. 70), daß, soweit die gemeinsamen Reichsausgaben durch die eignen Reichseinnahmen nicht gedeckt sind, für die fehlenden Summen Matrikularbeiträge erhoben werden, d. h. Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung, die durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden. Die Matrikularbeiträge sind für 1903 wie folgt veranschlagt:

Tabelle

Die Beseitigung der Matrikularbeiträge wurde schon vom Fürsten Bismarck wiederholt als wünschenswert bezeichnet. Sie wirken als Kopfsteuer und treffen daher die kleinen Staaten mit durchschnittlich minder wohlhabender Bevölkerung verhältnismäßig härter als die größern. Indessen wird diese Unbilligkeit zurzeit durch die erwähnten Überweisungen (s. oben) ausgeglichen. Seit der Reform der Branntweinsteuer sind Matrikularbeiträge bis 1901 tatsächlich nicht mehr erhoben, vielmehr häufig erhebliche Überschüsse an die Einzelstaaten hinausbezahlt worden. Im J. 1901 aber haben die Matrikularbeiträge die Überweisungen wieder um 15 Mill. Mk., 1902 um 36,4 Mill. Mk. überstiegen.

[Die Schulden des Reiches.] Das Schuldenwesen des Reiches zeigt seit 1868 folgende Entwickelung (in Tausenden Mark):

Tabelle

Hierzu ist folgendes zu bemerken. Die Aufnahme von Reichsschulden erfolgt auf Grund reichsgesetzlicher Ermächtigung. Die Reichsschuld ist, wie ersichtlich, teils eine verzinsliche, teils eine unverzinsliche, welch letztere zurzeit nur durch Reichskassenscheine dargestellt wird. Laut Gesetz vom 30. April 1874 wurden Reichskassenscheine bis zum Betrag von 120 Mill. Mk. an die Staaten nach ihrer Bevölkerung verteilt und zur Umgestaltung des Münzwesens die Ausgabe von weitern 54,889,940 Mk. gestattet. Die verzinsliche Reichsschuld ist seit 31. März 1877 bis 31. März 1901 von 16,3 auf 2515,7 Mill. Mk. angewachsen. Ein Teil der für die Reichsmilitärverwaltung aufgenommenen Anleihen belastet Bayern nicht; Bayern und Württemberg werden auch nicht durch Anleihen für die Post- und Telegraphenverwaltung belastet. Die Haftung für die Reichsschulden verteilt sich demnach verschieden auf drei Finanzgemeinschaften, je nach den Zwecken, zu denen die Anleihen erfolgt sind.

Hiernach entfallen von dem Schuldkapital von 1901 in Tausenden Mark

Tabelle

Die Zinsen der 4proz. Schatzanweisungen von 1901 zu 80 Mill. Mk. fallen der Finanzgemeinschaft A zur Last. Was den Zinsfuß der Reichsanleihen anbetrifft, so wurden in den Jahren 1877–84: 4proz. (umgewandelt 1. Okt. 1897 in 3,5proz.), 1885–95: 3,5proz., später 3proz. Anleihen aufgenommen, und zwar beträgt der Nennwert der früher 4proz., später 3,5proz. Papiere 450 Mill., der der 3,5proz. 790 Mill., der der 3proz. 1,075 Mill. Mk. Vgl. Sattler, Das Schuldenwesen des preußischen Staates und des Deutschen Reiches (Stuttg. 1893); S. Cohn, Die Finanzen des Deutschen Reiches seit seiner Begründung (Berl. 1899): v. Mayr, Die Reichsfinanzreform (Münch. 1902); Köppe, Die Reichsfinanzreform (Leipz. 1902); Kayser, Die Schulden des Deutschen Reiches in rechtlicher Beziehung (im »Finanzarchiv«, Bd. 19, Stuttg. 1902).


Heerwesen des Deutschen Reiches.

(Hierzu die »Garnisonkarte von Mitteleuropa«, mit Textblatt.)

Durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 1. Juli 1867 wurde das Militärwesen und die Kriegsmarine der Bundesgesetzgebung unterstellt; dem König von Preußen wurde als Bundesoberfeldherrn das Recht zuerkannt, im Namen des Norddeutschen Bundes Krieg zu erklären, Frieden und Bündnisse zu schließen. Beim Beginn des deutsch-französischen Krieges 1870 betrug die Kriegsstärke, einschließlich des ganzen hessischen Kontingents: 22,433 Offiziere, 924,676 Mann, 194,120 Pferde, 1680 Geschütze an Feld-, Ersatz- und Besatzungstruppen.

Durch die Bündnisverträge, die Preußen mit Bayern, Württemberg, Baden und Hessen abgeschlossen hatte, und durch welche diese Staaten sich verpflichteten, Preußen und dem Norddeutschen Bund für den Fall eines Krieges zum Zweck allseitiger Wahrung der Integrität ihrer Gebiete ihre gesamten Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Königs von Preußen zur Verfügung zu stellen, flossen dem Heer für den Kriegsfall noch bedeutende Verstärkungen zu. Durch die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches wurde die Zugehörigkeit der süddeutschen Heeresteile eine dauernde. Der § 2 der Verfassung des deutschen Reiches vom 16. April 1871 erklärt das Wehrgesetz (Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienst) des Norddeutschen Bundes vom 9. Nov. 1867 zum Reichsgesetz. Der § 1 desselben, der Grundgedanke des preußischen Heerwesens, lautet: »Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen.« Ausgenommen von der Wehrpflicht sind heute nur die Mitglieder derjenigen Häuser, denen die Befreiung durch Verträge zugesichert ist oder auf Grund besonderer Rechtstitel zusteht. Ausgeschlossen sind alle mit Zuchthaus Bestraften. Die Bestimmungen über die Wehrpflicht enthält die Heer- und Wehrordnung. Der Landsturm hat die Pflicht, an der Verteidigung des Vaterlandes teilzunehmen, sein erstes Aufgebot wird deshalb bei außerordentlichem Bedarf durch die kommandierenden Generale, sein zweites durch den Kaiser aufgerufen.

Nach der Verfassung bildet die gesamte Landmacht ein einheitliches Heer im Krieg und (mit Ausnahme von Bayern) im Frieden unter dem Befehl des Kaisers, der über den Präsenzstand, Gliederung und Einteilung der Kontingente, die Garnisonen sowie über die Mobilmachung Bestimmungen erläßt. Der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, für die Vollzähligkeit und Kriegstüchtigkeit aller Kontingente zu sorgen, und das Recht der Inspizierung, dementsprechend sind auch alle deutschen Truppen verpflichtet, den Befehlen des Kaisers Folge zu leisten, welche Verpflichtung in den dem Landesherrn zu leistenden Fahneneid aufzunehmen ist. Der Kaiser ernennt die kommandierenden Generale eines Kontingents sowie die Festungskommandanten. Dagegen ernennen die Könige von Bayern, Württemberg und Sachsen die Offiziere ihrer Kontingente. Besondere Konventionen räumen z. T. den Bundesfürsten mehr Rechte, ihren Kontingenten besondere Stellungen im Armeeverband ein oder übertragen die Verwaltung ganz an Preußen und reservieren dem Souverän nur gewisse Ehrenrechte. So sind die Kontingente von Baden und Hessen ganz in den Verband der preußischen Armee übergegangen, wo sie im 14., bez. mit der 25. Division im 18. Armeekorps geschlossene Heeresteile bilden. Bayern, Sachsen und Württemberg haben selbständige Heeresverwaltung. Das Reichsmilitärgesetz findet auf Bayern so weit Anwendung, als es den ihm zugesicherten Reservatrechten nicht zuwiderläuft. Sein Heer bildet einen geschlossenen Bestandteil des Bundesheeres unter der Militärhoheit des Königs, tritt aber mit der Mobilmachung, die auf Anregung des Kaisers durch den König erfolgt, unter den Befehl des Kaisers als Bundesfeldherrn. Dagegen ist Bayern verpflichtet, die für das Reichsheer geltenden Bestimmungen über Organisation, Formation, Ausbildung, Bewaffnung, Ausrüstung und Gradabzeichen gleichfalls zur Geltung zu bringen. In Elsaß-Lothringen werden die Militärangelegenheiten nach Anordnung des preußischen Kriegsministeriums von den Landesbehörden verwaltet.

[Organisation.] Dem Kaiser sind als Chef der Armee und der Marine ein militärisches Gefolge, ein Militär- und ein Marinekabinett zugeordnet; auch die Könige von Bayern, Sachsen und Württemberg haben ein militärisches Gefolge als Chefs ihrer Truppen. Für die Verwaltung des Heeres im Frieden sowie für die Bereitstellung der Kriegsmittel ist das Kriegsministerium die höchste Behörde; außer in Berlin gibt es Kriegsministerien auch in München, Dresden, Stuttgart. Für die Vorbereitung der kriegerischen Tätigkeit bei Mobilmachung, den Aufmarsch, die Bearbeitung verschiedener Kriegsschauplätze etc. bildet der Generalstab die höchste Behörde; ein solcher besteht außer in Berlin in München und Dresden. Das deutsche Heer ist in fünf Armeeinspektionen mit dem Sitz in Berlin, Dresden, Hannover, München, Karlsruhe eingeteilt. Jede derselben umfaßt mehrere Armeekorps. Das Oberkommando in den Marken, das Reichsmilitärgericht und die Generalinspektion der Kavallerie sind in Berlin. Letzterer sind vier Kavallerieinspektionen zu Königsberg i. Pr., Stettin, Münster i. W. und Potsdam, das Militärreitinstitut zu Hannover und die Inspektion des Militärveterinärwesens zu Berlin unterstellt; außerdem befindet sich eine Kavallerieinspektion zu München. Der Inspektion der Feldartillerie zu Berlin liegt die Besichtigung der Truppen der Feldartillerie sowie die Leitung der Feldartillerieschießschule zu Jüterbog ob. An der Spitze der Fußartillerie steht eine Generalinspektion, Berlin, der zwei Inspektionen, Berlin und Köln, mit je zwei Brigaden, Berlin und Thorn, Metz und Straßburg i. E., unterstellt sind. Außerdem ressortieren von ihr: das Präsidium der Artillerieprüfungskommission und die Zeughausverwaltung, beide Berlin. Von der ersten Fußartillerieinspektion ressortieren: die Fußartillerieschießschule zu Jüterbog und die Oberfeuerwerkerschule zu Berlin. Von jeder der beiden Inspektionen ressortieren außerdem je zwei Artilleriedepotdirektionen, die im übrigen der Feldzeugmeisterei unterstellt sind. Bayern hat eine Fußartilleriebrigade zu München, der außer den beiden Fußartillerieregimentern die Oberfeuerwerkerschule zugeteilt ist. Die Generalinspektion des Ingenieur- und Pionierkorps und der Festungen umfaßt 4 Ingenieur- (s. unten »Festungswesen«) und 3 Pionierinspektionen in Berlin, Mainz, Magdeburg, dazu das Ingenieurkomitee, Berlin, die Festungsbauschule und die Vereinigte Artillerie- und Ingenieurschule, beide in Charlottenburg. Die Feldzeugmeisterei hat eine Zentralabteilung und ein Militärversuchsamt (Berlin); ihr sind die Inspektionen der technischen Institute der Infanterie und der Artillerie unterstellt, alle drei Behörden in Berlin. Für Infanterie bestehen in Preußen: die Gewehrfabriken in Spandau, Danzig, Erfurt und die Munitionsfabrik in Spandau; für Artillerie: Artilleriekonstruktionsbureau (Spandau), Artilleriewerkstätten in Spandau, Deutz, Straßburg i. E., Geschützgießerei in Spandau, Geschoßfabrik in Siegburg, Feuerwerkslaboratorium in Spandau und Siegburg, Pulverfabriken in Spandau und bei Hanau. Über den vier Artilleriedepotdirektionen (Posen, Stettin, Köln, Straßburg i. E.) steht die Artilleriedepotinspektion, wie die Traindepotinspektion über den vier Traindepotdirektionen (Danzig, Berlin, Kassel, Straßburg i. E.), beide in Berlin. In Bayern ist die oberste Behörde für die technischen Institute die Inspektion der Fußartillerie, außerdem sind vorhanden: 5 Artilleriedepots (Augsburg, Germersheim, Ingolstadt, München, Würzburg), 2 Traindepots (München, Würzburg), Sachsen hat die Zeugmeisterei, Artilleriewerkstatt, Munitionsfabrik, alle drei zu Dresden, Pulverfabrik zu Gnaschwitz, Artilleriedepot Dresden, zwei Traindepots in Dresden und Leipzig. Württemberg hat ein Artillerie- und ein Traindepot, beide in Ludwigsburg. Die Inspektion der Verkehrstruppen, Berlin, umfaßt die Eisenbahnbrigade nebst Betriebsabteilung, das Luftschifferbataillon und die Versuchsabteilung der Verkehrstruppen. Der Inspektion der Telegraphentruppen, Berlin, sind die drei Telegraphenbataillone unterstellt. Von der Generalinspektion des Militärerziehungs- und Bildungswesens, Berlin, ressortieren die Inspektion der Kriegsschulen daselbst mit den preußischen Kriegsschulen, das Kadettenkorps und die Kadettenhäuser (s.d.), auch das in Sachsen (Dresden), die Obermilitärstudien- und Obermilitärexaminationskommission, beide in Berlin, endlich das Große Militärwaisenhaus in Potsdam. Bayern hat eine Inspektion der Militärbildungsanstalten in München, der die Kriegsakademie, Artillerie- und Ingenieurschule, Kriegsschule, Kadettenkorps, sämtlich in München, unterstellt sind; außerdem: Oberstudien- und Examinations-Kommission. Der Inspektion der Infanterieschulen, Berlin, unterstehen: die Infanterieschießschule in Spandau, die Militärturnanstalt, Berlin, und die Unteroffizierschulen und Vorschulen. Bayern hat eine Militärschießschule, Augsburg, und eine Unteroffizierschule und Vorschule in Fürstenfeldbrück; Sachsen eine Unteroffizierschule und Vorschule in Marienberg.

[Staatsrechtliches.] Die Friedenspräsenzstärke, d. h. die Zahl der dauernd bei den Fahnen befindlichen Mannschaften, Unteroffiziere, Offiziere und Beamten, ist nach Art. 60 deutscher Reichsverfassung durch Gesetz festzustellen. Kommt das Gesetz nicht zu stande, so sind nach Art. 62 dem Kaiser jährlich auf den Kopf der bisherigen Friedenspräsenzstärke 675 Mk. zur Verfügung zu stellen.

Dienstzeit. Das Gesetz vom 3. Aug. 1893, das 25. März 1899 auf weitere fünf Jahre bestätigt wurde, also bis 31. März 1904 in Kraft bleibt, setzt bei den Fußtruppen, der fahrenden Artillerie und dem Train die aktive Dienstzeit auf zwei Jahre fest. Für die jetzige Periode trat aber die Bestimmung hinzu, daß die Mannschaften mit zweijähriger Dienstzeit, die sich freiwillig für ein drittes Jahr verpflichten, nur drei Jahre (statt fünf) in der Landwehr 1. Aufgebots verbleiben. Die Entlassung der Reservisten findet in den letzten Tagen des Septembers, die Einstellung der Rekruten im Laufe des Oktobers, bei berittenen Truppen möglichst bald nach dem 1. Okt. statt. Es wurden für das Jahr 1901 ausgehoben: 228,406 Mann,


Für das Heer: 220,180 Mann, einschließlich 4701 für den Dienst ohne Waffe,

für die Marine: 8226 Mann, darunter 4968 aus der Landbevölkerung, 3258 aus der seemännischen und halbseemännischen Bevölkerung.


Vor Beginn des militärpflichtigen Alters freiwillig eingetreten

Tabelle

Die Zahl, die sich bei der gesetzmäßigen Heranziehung von 1 Proz. der Bevölkerung ständig erhöhen mußte, wurde nur immer für ein Jahr festgesetzt, jedoch erfolgte bez. der Mannschaften, bez. der Unteroffiziere auf mehrere Jahre eine Vereinbarung zwischen Bundesrat und Reichstag. Durch Reichsgesetz vom 9. Dez. 1871 geschah die Einigung bis 1874 (Triennat), dann durch Gesetz vom 2. Mai 1874 bis 1881 und ebenso durch Gesetz vom 1. April 1881 bis 1888 (Septennat); ferner durch Gesetz vom 15. Juli 1890 bis 31. März 1894. Alsdann trat entsprechend den fünfjährigen Legislaturperioden durch Gesetz vom 3. Ang. 1893 ein Quinquennat bis 31. März 1899 ein, in dem die bisher auf 486,893 Mann gestiegene Friedenspräsenzstärke jetzt aber ohne Einrechnung der Unteroffiziere auf 479,229 Mann festgesetzt wurde, also auch eine Erhöhung erfuhr. Nach dem Gesetz vom 19. März 1899 blieb diese Stärke noch bis 30. Sept. 1899 bestehen, dann aber, und zwar mit Dauer bis 31. März 1904, wird sie allmählich erhöht und erreicht im Rechnungsjahr 1903 die Zahl 495,500 Mann. Das deutsche Heer gliedert sich 1903 in 23 Armeekorps mit 48 Infanteriedivisionen. An Infanteriebrigaden bestehen 5 Garde-, 89 Linien-, 12 bayrische = 106 Brigaden; an Kavalleriebrigaden: 4 Garde-, 37 Linien-, 5 bayrische = 46 Brigaden; an Artilleriebrigaden 2 Garde-, 38 Linien-, 6 bayrische = 46 Brigaden. Außerdem sind die 18 Fußartillerie-Regimenter in vier Brigaden, die 3 Eisenbahnregimenter in eine Brigade zusammengefaßt. Nach Waffengattungen und Truppeneinheiten stellt sich die Friedenspräsenzstärke folgendermaßen:

Tabelle

Die Gliederung der 23 Armeekorps des deutschen Reichsheeres in Divisionen und Brigaden s. Tabelle.

Die Kriegsstärke sowie die Bestimmungen über Mobilmachung, aufzustellende Neuformationen etc. werden streng geheimgehalten, doch schätzte man die Starke vor kurzer Zeit auf 41/3 Mill., wenn man mit 25 Jahrgängen und 25 Proz. auf Abgänge rechnet.

Ostasiatische Besatzungsbrigade zu Tiëntsin: 2 ostasiatische Infanterieregimenter, 1 Eskadron Jäger zu Pferd, 1 fahrende, 1 Gebirgsbatterie, 1 Pionierkompagnie, 2 Feldlazarette, Intendantur- und Justizbeamte; außerdem: Depotdirektor, Artilleriedepot, Bekleidungsdepot, Traindepot und Reparaturwerkstatt, Sanitätsamt, Etappenkommandantur.

Im Kriege zerfällt das deutsche Reichsheer in Feld-, Feldreserve-, Ersatz- und Besatzungstruppen. Die Feldtruppen werden in der Hauptsache unter Beibehaltung ihrer Gliederung durch Einberufung von Reservisten, Beigabe der nötigen Kolonnen, die zur Nachführung von Munition, Brückenmaterial, Verpflegungs- und Sanitätseinrichtungen dienen, auf den Kriegsfuß gebracht; mehrere Armeekorps werden zu einer Armee vereinigt. Die Feldreservetruppen werden aus Abgaben des Friedensstandes und Reservisten in Feldreservedivisionen formiert. Die Besatzungstruppen sind meist Landwehrformationen, doch erhalten wichtige Waffenplätze auch starke Besatzung an Linientruppen. Die Ersatztruppen bilden den Nachschub für die Feldarmee aus u. werden bei jedem selbständigen Truppenverband aufgestellt.

Bewaffnet ist die Infanterie mit dem Gewehr 98, das mit dem Gewehr 88 gleiches Kaliber (7,89 mm) hat (vgl. Handfeuerwaffen), die Kavallerie mit Karabiner 98, außerdem Stahlrohrlanzen (ausschließlich Jäger zu Pferd); die sächsische und Reservekavallerie führen Lanzen n/A, Kürassierdegen 54 (Pallasch) für alle Kürassierregimenter und Offiziere der Jäger zu Pferd, Kavalleriedegen 89 für die übrige Kavallerie. Die Feldartillerie ist mit 7,5 em-Schnellfeuerkanonen und 10 cm-Feldhaubitzen, die Fußartillerie mit dem Material für die schweren Batterien des Feldheeres (vgl. Artillerie) ausgerüstet.

Über Militärbildungsanstalten vgl. Militärerziehungs- und Bildungswesen; über Militärstrafgerichtsordnung s. Militärstrafgerichtsbarkeit. Über Technische Institute der Artillerie, Gewehr- und Munitionsfabriken s. diese Artikel, über Sanitätsoffiziere und-Unteroffiziere s. Sanitätskorps und Sanitätspersonal.

[Festungswesen.] Die kleinen Plätze hat man auch in D. eingehen lassen, sofern sie nicht als Straßensperren etc. Bedeutung behielten; dagegen wurden große Waffenplätze ausgebaut, bez. neu angelegt, insbes. wenn es sich um Sicherung der Grenzlande handelt. In weiten Ebenen im östlichen D. dienen hierzu große Festungen mit Gürtellinien, im gebirgigen Gelände sind dagegen Sperrforts, an Flußläufen Linien mit Panzertürmen angebracht. Den Küstenbefestigungen wurde in neuerer Zeit besondere Aufmerksamkeit geschenkt, dagegen legte man vielfach alte Stadtumwallungen nieder. Die Festungen sind, abgesehen von Sachsen und Bayern, auf vier Ingenieurinspektionen und acht Festungsinspektionen verteilt, nämlch: I. Ingenieurinspektion (Berlin): 1. Festungsinspektion (Königsberg) mit Königsberg, Pillau, Feste Boyen, Danzig. 2. Festungsinspektion (Kiel) mit Swinemünde, Friedrichsort, Kuxhaven mit Helgoland, Geestemünde, Wilhelmshaven. II. Ingenieurinspektion (Berlin): 3. Festungsinspektion (Posen) mit Posen, Glogau, Neiße, Glatz. 4. Festungsinspektion (Thorn) mit Thorn, Graudenz, Küstrin, Spandau, Magdeburg. Inzwischen wurde eine 9. Festungsinspektion mit Graudenz, Kulm, Marienburg errichtet. III. Ingenieurinspektion (Straßburg): 5. Festungsinspektion (Straßburg) mit Straßburg, Feste Kaiser Wilhelm II., Neu-Breisach, Bitsch, Ulm. 8. Festungsinspektion (Freiburg) mit Freiburg und den Befestigungen am Oberrhein. IV. Ingenieurinspektion (Metz): 6. Festungsinspektion (Metz) mit Metz, Diedenhofen. 7. Festungsinspektion (Köln) mit Köln, Koblenz, Wesel, Mainz. Dazu die sächsische Feste Königstein und die bayrischen Festungen Germersheim und Ingolstadt (Inspektion des Ingenieurkorps und der Festungen, München). Vgl. v. Löbells »Jahresberichte« (Berl. 1902); Stecherts »Armee-Einteilung und Quartierliste des deutschen Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine« (das. 1903); »Neueste Armee-Einteilung des deutschen Reichsheeres, der Kaiserlichen Marine und der ostasiatischen Besatzungsbrigade« (das. 1903).


Marine des Deutschen Reiches.

(Hierzu das Textblatt »Schiffsliste der deutschen Kriegsflotte«, bei der Garnisonkarte, S. 793.)

Artikel 53 der Verfassung des Deutschen Reiches bestimmt: »Die Kriegsmarine des Reiches ist eine einheitliche unter dem Oberbefehl des Kaisers. Die Organisation und Zusammensetzung derselben liegt dem Kaiser ob.« Der Kaiser führt den Oberbefehl über die Marine seit 14. März 1899 selbst; ausführendes Organ seiner Befehle ist das von einem Admiral á la suite des Kaisers geleitete Marinekabinett. Dem Kaiser unmittelbar verantwortlich und unterstellt sind: der Generalinspekteur der Marine, der Staatssekretär des Reichsmarineamts, der Chef des Admiralstabes der Marine, die Chefs der Marinestationen der Ostsee und der Nordsee, die Chefs des ersten Geschwaders und des Kreuzergeschwaders, außerdem die selbständigen Schiffskommandanten im Auslande.

Nach dem Flottengesetz vom 14. Juni 1900 bilden das 1. und 2. Geschwader die aktive Schlachtflotte, das 3. und 4. die Reserveschlachtflotte. Vorläufig (bis 1903) ist nur das 1. Geschwader dauernd in Dienst. Das 1. Geschwader bildet den Kern der Schlachtflotte, besteht meist aus 8 Linienschiffen und 5 oder mehr Kreuzern; ein Chef des Stabes und ein Admiralstabsoffizier sowie der 2. Admiral des Geschwaders und ein 3. Admiral als Befehlshaber der Aufklärungsschiffe sind dem Geschwaderchef beigegeben. Für die Dauer der Flottenmanöver im Herbst wird aus allen in den heimischen Gewässern verfügbaren, in Dienst befindlichen Linienschiffen, Kreuzern und Torpedobootsdivisionen eine Übungsflotte unter dem Befehl eines Flottenchefs gebildet. Hierzu werden auch die Schiffs-Reservedivisionen voll in Dienst gestellt, von denen sonst bei jeder Marinestation nur 2 Stammschiffe mit voller Besatzung im Dienst sind. Im Ausland ist der einzige größere Schiffsverband das Kreuzergeschwader, dessen Chef ein 2. Admiral des Kreuzergeschwaders, ein Chef des Stabes und 2 Admiralstabsoffiziere beigegeben sind. Das Kreuzergeschwader setzte sich 1903 aus 3 großen und 4 kleinen Kreuzern zusammen. Jedes Auslandsschiff der Marine, das besondere Befehle vom Chef des Admiralstabs hat, gilt als »alleinfahrend« und ist in militärpolitischen Angelegenheiten unmittelbar dem Kaiser, sonst dem Stationskommando seines Heimathafens unterstellt. Die 5 Auslandsstationen waren Mitte 1903 mit folgenden Schiffen besetzt: die ostasiatische Station mit dem Kreuzergeschwader und 6 Kanonenbooten, die australische mit 2 kleinen Kreuzern und dem Vermessungsschiff, die ostafrikanische mit 1 kleinen Kreuzer, die westafrikanische mit 1 Kanonenboot, die amerikanische mit 1 großen, 2 kleinen Kreuzern und 1 Kanonenboot, die Mittelmeerstation mit einem Stationsfahrzeug. Wenn innerhalb einer Auslandsstation mehrere Schiffe sind, regelt der »älteste Offizier der Station« die Verwendung der Schiffe nach Bedarf.

Die höchsten Kommandobehörden der Marine am Lande sind die Marinestationskommandos der Ostsee (Kiel) und der Nordsee (Wilhelmshaven); Stationschef ist ein Admiral. Der Marinestation der Ostsee sind unterstellt: die 1. Marineinspektion, die Torpedoinspektion und die Inspektion der Marineinfanterie; der Marinestation der Nordsee sind unterstellt: die 2. Marineinspektion und die Inspektion der Marineartillerie. Außerdem unterstehen jedem Marinestationskommando die keinem selbständigen Befehlsverband angehörigen Schiffe, z. B. die Probefahrtskommandos. Der Stationschef übt auch die militärische Hafenpolizei innerhalb des Reichskriegshafengebietes aus und ist Kommandant der Befestigungen des Hafens. Die Marineinspektionen entsprechen den Brigadekommandos der Armee, werden von Konteradmiralen befehligt und regeln den Dienstbetrieb der Matrosen- und Werftdivisionen sowie der Schiffs-Reservedivisionen; unter der 1. Marineinspektion stehen die 1. Matrosen- und 1. Werftdivision (Kiel), unter der 2. Marineinspektion stehen die 2. Matrosen- und 2. Werftdivision (Wilhelmshaven [s. Matrosendivision und Werftdivisions]). Auch das Wachtschiff und das Heizerschulschiff jeder Station ist der betreffenden Marineinspektion zugeteilt. Die Inspektion des Torpedowesens (Kiel) sorgt für Kriegstüchtigkeit und Vervollkommnung der Torpedowaffe u. der Torpedoboote und ist in technischen Angelegenheiten dem Staatssekretär des Reichsmarineamts, sonst dem Chef der Marinestation der Ostsee unterstellt; dem Inspekteur (Konteradmiral) unterstehen die Torpedoabteilungen: 1) Kiel, 2) Wilhelmshaven, das Torpedoschulschiff, das Torpedoversuchsschiff, das Torpedoversuchskommando, die Torpedobootsflottillen und-Divisionen sowie einzelnen Torpedoboote, solange sie nicht der Flotte zugeteilt sind, die Torpedowerkstatt sowie die Torpedo-Ingenieure und -Mechaniker und das Torpedopersonal des Torpedowesens. Die Inspektion der Marineartillerie (Wilhelmshaven) sorgt für Entwickelung des Schiffs- und Küstengeschützwesens sowie des Minen- und Sperrwesens und leitet folgende Marineteile: die Matrosenartillerieabteilungen (1. Friedrichsort, 2. Wilhelmshaven, 3. Lehe, 4. Kuxhaven) für Bedienung der Küstenbefestigungen und Minensperren, die Artillerie- und Minenschulschiffe, das Artillerieversuchsschiff nebst Artillerieversuchskommando, die Minenversuchskommission und die Marinetelegraphenschule (Lehe). Die Inspektion der Marineinfanterie (Kiel) mit dem 1. Seebataillon (Kiel) und 2. Seebataillon (Wilhelmshaven); Inspekteur ist ein Generalmajor. Das 3. Seebataillon steht unter dem Gouverneur von Kiautschou. Die Inspektion des Bildungswesens der Marine (Kiel) wird von einem Vizeadmiral geleitet, der dem Kaiser unmittelbar unterstellt ist; zu ihr gehören die Marineakademie, Marineschule, Seekadetten-Annahmekommission, die Deckoffizierschule, die Schiffsjungendivision, die Seekadetten- und Schiffsjungen-Schulschiffe. Folgende Marineverwaltungsbehörden sind dem Reichsmarineamt unterstellt: die Marinewerften in Kiel, Wilhelmshaven und Danzig; die Marinedepotinspektionen mit den Artillerie- und Minendepots in Wilhelmshaven, Friedrichsort, Geestemünde und Kuxhaven; die Stationsintendanturen (mit den Garnisonverwaltungen, Verpflegungsämtern, Rechnungsämtern, Magazinverwaltungen der Bekleidungsämter, Stationskassen und Garnisonbauverwaltungen, ferner mit den Verwaltungen der Marine-Akademie und -Schule, der Deckoffizierschule und der Marinelazarette); die Bekleidungsämter; die Marinelazarette in Kiel, Wilhelmshaven, Friedrichsort, Lehe, Jokohama und Tsingtau; die Küstenbezirksämter, 1. in Neufahrwasser, 2. Stettin, 3. Kiel, 4. Husum, 5. Bremerhaven, 6. Wilhelmshaven; die Deutsche Seewarte in Hamburg, das Observatorium in Wilhelmshaven, das Chronometerobservatorium in Kiel; das Gouvernement Kiautschou; das Artillerie und Torpedoversuchskommando; die Torpedowerkstatt. – Der Marine sind nur die Küstenbefestigungen des Kieler Hafens, an der Elbe, auf Helgoland, an der Weser und am Jadebusen zugeteilt, die von der Matrosenartillerie (aus der frühern Seeartillerie hervorgegangen) besetzt werden, die auch die Seeminensperren anzulegen und die Torpedobatterien zu bedienen hat, wohingegen die Befestigungen an der Küste von Preußen (Memel, Pillau, Neufahrwasser), Pommern (Swinemünde, Stralsund, Rügen) etc. nicht der Marine, sondern der Fußartillerie des Heeres unterstellt sind. Da die Marine »kaiserlich« ist, so ist die Kokarde derselben schwarz-weiß-rot, auch die silberne Schärpe der Offiziere ist mit schwarzen und roten Fäden durchzogen. Der Fahneneid wird auf den deutschen Kaiser und die Kriegsflagge geleistet. Zum Dienst in der Marine ist die gesamte seemännische Bevölkerung des Deutschen Reiches verpflichtet; zu dieser werden gerechnet: Seeleute von Beruf, See-, Küsten- und Haffischer, Schiffszimmerleute, Maschinisten und Heizer von See- und Flußdampfern. Dagegen können in die Schiffsjungenabteilung auch junge Leute der Landbevölkerung des ganzen Reiches eintreten.

Nach dem Marineetat für das Rechnungsjahr 1903 besteht das Seeoffizierkorps aus 1169 Offizieren, und zwar aus 3 Admiralen, 5 Vizeadmiralen, 11 Konteradmiralen, 62 Kapitänen zur See, 130 Fregatten- oder Korvettenkapitänen (von erstern gewöhnlich ein Viertel), 245 Kapitänleutnants, 380 Oberleutnants zur See, 249 Leutnants zur See und 39 pensionierten Offizieren in aktiven Dienststellen; außerdem 433 Fähnriche zur See und 150 Seekadetten. Das Korps der Marineingenieure zählt 207 Köpfe, und zwar 5 Marinechefingenieure od. Marineoberstabsingenieure, 33 Marinestabsingenieure, 68 Marineoberingenieure und 101 Marineingenieure. Zur Marineinfanterie gehören 1 Inspekteur mit dem Rang eines Regimentskommandeurs, 2 Kommandeure der Seebataillone, 13 Hauptleute, 10 Oberleutnants und 20 Leutnants. Zu den Marinesanitätsoffizieren zählen 1 Generalstabsarzt der Marine, 3 Marinegeneralärzte, 34 Marinegeneraloberärzte oder Marineoberstabsärzte, 68 Marinestabsärzte, 40 Marineoberassistenzärzte und 40 Marineassistenzärzte. Zur Artillerieverwaltung gehören 25 Feuerwerks- oder Zeugkapitänleutnants, 39 Feuerwerkleutnants; zum Torpedo- und Minenwesen gehören 10 Torpederkapitänleutnants, 21 Torpederleutnants, 1 Torpedo-Oberstabsingenieur, 4 Torpederstabsingenieure, 5 Torpedo-Oberingenieure, 9 Torpedoingenieure. Außerdem 397 höhere, 1168 mittlere und 608 untere Marinebeamte. Die Zahl der Deckoffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, einschließlich Schiffsjungen, für 1903 ist aus der auf S. 797 befindlichen Übersicht zu ersehen. Somit soll die Stärke der Marine für das Rechnungsjahr 1903, einschließlich 1536 Offizieren und 186 Marineärzten, 35,685 Köpfe (gegen 24,713 im J. 1898) betragen.

Geschichtliches. Kaiser Heinrich VI. entfaltete kurz vor seinem Tode 1197 große Seemacht auf dem Mittelmeer. Friedrich II. bestätigte 1226 Lübeck als freie Reichsstadt und begründete damit die Seegeltung dieses spätern Hauptes der deutschen Hansa. Kaiser Karl IV. suchte 1375 den Hansabund dem Reiche näher anzugliedern, auch Kaiser Siegmund wünschte die Reichsseemacht mit der Hansa zu begründen, aber die Hansa zerfiel, weil sie sich im Parteihader zerfraß. Kaiser Maximilian richtete 1487 in den Niederlanden eine Reichsadmiralität ein und begünstigte die Seeunternehmungen der Fugger 1506 nach Kalikut. Karl V. verpfändete 1528 den Welsern die Küste von Venezuela. Eingehend beschäftigten sich die Reichstage von 1570 und 1576 mit Schaffung einer Reichsflotte, aber Kaiser Maximilian 11. starb, ehe das Werk begründet wurde. Kaiser Ferdinand II. wollte mit Hilfe der Hansa gegen Dänemark und Schweden eine Reichsflotte rüsten, fand aber keine Unterstützung. Die

Tabelle

kleine Reichsflotte Wallensteins war den Schweden nicht gewachsen. Kurfürst Friedrich Wilhelm mietete 1675 von dem holländischen Schiffsherrn Benjamin Raule 3 Fregatten und 2 kleine Fahrzeuge, um mit ihnen unter brandenburgischer Flagge (roter Adler in weißem Felde) die pommersche Küste den Schweden zu entreißen. Der Erfolg führte zur Erweiterung der kleinen Flotte, die bis 1684 auf 35 Schiffe und 40 kleinere Fahrzeuge mit zusammen 290 Kanonen heranwuchs. 1680 kreuzte ein brandenburgisches Geschwader unter Admiral van Beveren gegen die spanische Silberflotte und nahm 2 spanische Schiffe. Am 30. Sept. 1681 lieferte Kapitän Alders mit 6 Fregatten 12 spanischen Linienschiffen ein rühmliches Gefecht. Der Große Kurfürst strebte auch nach kolonialem Besitz; 1682 wurde der Kammerjunker v. d. Gröben mit den beiden Fregatten Churprinz und Mohrian nach der Goldküste von Guinea entsendet, wo er das Fort Groß-Friedrichsburg (s.d.) gründete. Stationen für die brandenburgische Flotte waren Schloß Grethsyl bei Emden und Königsberg i. Pr. Nach dem Tode des Großen Kurfürsten begann die Auflösung der Flotte, die mit Raules Tode 1707 ihren letzten Halt verlor. Friedrich d. Gr. ließ 1758 ein Geschwader von 4 Gallioten, 4 großen und 4 kleinern Fischerfahrzeugen ausrüsten, die mit einer Bemannung von 636 Köpfen die Odermündungen gegen die Schweden verteidigen sollten. Das Geschwader kämpfte 10. Sept. 1759 im Haff tapfer, mußte der schwedischen Übermacht weichen, deckte aber noch Stettin. 1848 hielt die Nationalversammlung die Gründung einer deutschen Flotte für notwendig und bewilligte 6 Mill. Taler zum Ankauf von Schiffen, die meist in Amerika und England erworben wurden. Im Marineausschuß war der General von Radowitz, der Reichshandelsminister und spätere Marineminister Duckwitz und der Marinerat Jordan tätig. Vorsitzender der technischen Marinekommission wurde Prinz Adalbert von Preußen, der mit seiner »Denkschrift über die Bildung einer deutschen Flotte« seine Sachkunde bewies. Am 4. Juni 1849 lieferte Bromme, anfangs Seezeugmeister der Reichsflotte, mit 3 Dampfern bei Helgoland einer dänischen Korvette ein Gefecht. Die Flotte unter Leitung des Admirals Bromme erreichte einen Höchstbestand von 8 Dampfern, 1 Segelfregatte und 27 Kanonenbooten, die bei ihrem im März 1852 abgeschlossenen Verkauf durch Hannibal Fischer bis auf die Barbarossa und Gefion (letztere ehemals dänische Segelfregatte, 5. April 1849 bei Eckernförde genommen), die von Preußen angekauft wurden, in Privatbesitz übergingen. Nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. hatte in Preußen eine Bewegung für Beschaffung einer Kriegsflotte begonnen, die durch die am 27. Mai 1847 angeordnete Errichtung eines Marineoffizierkorps und die Übernahme der der Navigationsschule zu Stettin als Schulschiff dienenden Segelkorvette Amazone vom Finanzministerium den ersten festen Kern gewann, aus dem die preußische Kriegsflotte hervorwuchs. Am 10. Ang. 1848 wurde das erste preußische Kanonenboot in Stralsund vom Stapel gelassen, das erste von 18, die im Mai d. J. in Bau gegeben waren. Ant 5. Sept. 1848 wurde eine Marinekommission beim Kriegsministerium und 1. März 1849 das Oberkommando der Marine errichtet. Zu dieser Zeit bestand die Flotte aus 1 Segelkorvette, 2 Raddampfern, 21 Schaluppen und 6 Jollen mit 67 Geschützen und einer Besatzung von 37 Offizieren und 1521 Mann. Danzig, Swinemünde und Stralsund (Insel Dänholm) waren Stationen. Am 27. Juni 1849 Seegefecht bei Brüsterort zwischen dem Raddampfer Preußischer Adler und der dänischen Brigg St. Croix. Am 14. Nov. 1853 Schaffung der Admiralität als oberste Marinebehörde. Am 1. Dez. 1853 wurde der Jadebusen für 500,000 Taler zur Anlage eines Kriegshafens von Oldenburg erworben. Auf der in Danzig eingerichteten königlichen Werft wurden Schiffe gebaut, andre Schiffe von Privatwerften und in England angekauft. Am 7. Aug. 1856 lieferte Prinz-Admiral Adalbert mit dem Landungskorps der Dampfkorvette Danzig den Riffpiraten bei Tres Forcas ein blutiges Gefecht. 1859–62 segelte das erste preußische Geschwader unter Kapitän zur See Sundewall nach Ostasien zum Abschluß von Schifffahrtsverträgen. Die Admiralität wurde 14. März 1859 in Oberkommando und Marineverwaltung getrennt und letztere 16. April 1861 als Marineministerium dem Kriegsminister übertragen. Beim Ausbruch des Krieges gegen Dänemark 1864 bestand die Flotte aus 1 Panzerschiff, 8 Korvetten, 23 Dampfkanonenbooten, 38 Ruderkanonenbooten und Jollen und 6 Segelschiffen. Da von diesen Schiffen aber verschiedene sich noch im Bau oder im Ausland befanden, so standen nur 3 Korvetten, 20 Dampfkanonenboote mit 117 Geschützen und 22 Ruderboote mit 40 Kanonen zur Verfügung. Die Mehrzahl dieser Geschütze waren bereits gezogene 12- und 21-Pfünder-Hinterlader. Am 17. März 1864 Seegefecht von 3 preußischen Schiffen unter Jachmann mit 43 Kanonen gegen dänisches Geschwader von 5 Schiffen mit 179 Kanonen bei Jasmund. Am 14. und 20. April 1864 Seegefecht des Prinzen Adalbert auf Grille gegen dänische Schiffe. Am 9. Mai siegreiches Seegefecht bei Helgoland unter Tegetthoff, 2 österreichische Fregatten und 3 preußische Kanonenboote gegen 1 dänische Fregatte und 2 Korvetten (98 Kanonen gegen 104 dänische). Bei Ausbruch des Krieges 1866 bestand die Flotte aus 84 Kriegsfahrzeugen mit 490 Kanonen und einem Personal von 2 Admiralen, 4 Kapitänen zur See, 12 Korvettenkapitänen, 32 Kapitänleutnants, 63 Leutnants, 1393 Unteroffizieren und Mannschaften und 300 Schiffsjungen. Unter den Schiffen befanden sich 2 Panzerschiffe, 5 gedeckte und 4 Glattdeckskorvetten, im ganzen 40 Dampfer. Dies war auch die Flotte, die, als 1. Juli 1867 die Verfassung des Norddeutschen Bundes in Kraft trat, auf diesen überging. Der Flotte fielen nach Beschluß des Reichstages des Norddeutschen Bundes schon damals folgende Aufgaben zu: 1) Schutz und Vertretung des Seehandels Norddeutschlands auf allen Meeren und Erweiterung seiner Rechte und Beziehungen; 2) Verteidigung der vaterländischen Küsten und Häfen; 3) Entwickelung des eignen Offensivvermögens, nicht bloß zur Störung feindlichen Seehandels, sondern auch zum Angreifen feindlicher Flotten, Küsten und Häfen. Die vermehrten Geldmittel gestatteten nun ein schnelleres Wachsen der Flotte, die 1870 bereits 3 Panzerfregatten (König Wilhelm, Friedrich Karl und Kronprinz), 2 Panzerfahrzeuge, 1 Linienschiff, 3 gedeckte, 5 Glattdeckskorvetten, 1 Jacht, 22 Kanonenboote, 3 Dampfer und 7 Segelschiffe, zusammen 47 Kriegsfahrzeuge mit 480 Kanonen zählte. Die Ruderfahrzeuge wurden 1870 ausrangiert. Das Personal bestand vor dem Krieg 1870 aus 4 Admiralen, 5 Kapitänen zur See, 19 Korvettenkapitänen, 33 Kapitänleutnants, 101 Leutnants, 3655 Mannschaften, das Seebataillon aus 22 Offizieren, 680 Mann, die Seeartillerie aus 14 Offizieren, 453 Mann.

Während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 lag das deutsche Panzergeschwader auf der Außenjade zur Verteidigung der Elbe- und Wesermündungen, die vom überlegenen französischen Panzergeschwader blockiert waren. In der Ostsee waren nur hölzerne Schiffe gegen das starke französische Ostseegeschwader, das aber aus politischen Gründen keinen Angriff auf die Küste machte. Im Ausland führte das Kanonenboot Meteor 9. Nov. 1870 ein ruhmvolles Gefecht gegen den französischen Aviso Bouvet vor Havana. Die Korvette Augusta nahm vor der Gironde mehrere französische Handelsschiffe. Nach 1870 wurde die Marine des Norddeutschen Bundes als Kaiserliche Marine auf das Deutsche Reich übernommen; das Oberkommando der Marine wurde 15. Juni 1871 mit dem Marineministerium vereinigt. Ein vom Reichstag 1873 genehmigter neuer Flottengründungsplan schränkte wegen Unterschätzung der Bedeutung der Seemacht die Aufgaben der Flotte stark gegen den alten Plan von 1867 ein, namentlich mit Rücksicht auf Punkt 3 (Entwickelung des eignen Offensivvermögens). Etwa 1882 waren alle Schiffsbauten des Flottengründungsplanes durchgeführt; überraschender Aufschwung der Torpedowaffe bedingte nach 1884 den Bau von 150 Torpedobooten. Der Beginn der Kolonialpolitik stellte steigende Anforderungen an die Kreuzerflotte; deshalb wurden bis 1887: 2 größere und 9 kleine Kreuzer gebaut. Zum Schutze des Nordostseekanals, dessen Bau 1887 begann, wurden im Laufe von 6 Jahren die 8 Küstenpanzerschiffe der Siegfriedklasse gebaut. Einen neuen Aufschwung nahm die Flotte unter Wilhelm II. Als der Kaiser seinen ersten Erlaß an die Marine richtete, waren die vorhandenen Panzerschiffe und großen Kreuzer fast sämtlich veraltet; die wichtigsten Schiffsarten für den Seekrieg mußten also neu geschaffen werden. Seeoffizieren wurde die Leitung der Marine anvertraut; 1889 wurde die Admiralität geteilt in Oberkommando und Reichsmarineamt, das Oberkommando als Behörde ging 1899 in den jetzigen Admiralstab über, und der Kaiser übernahm 1899 selbst den Oberbefehl über die Marine. 1898 nahm der Reichstag das erste Flottengesetz und 1900 das zweite, die Flotte verdoppelnde Gesetz an. Wichtige Dienste leistete die Flotte in Ostasien, 14. Nov. 1897 durch Besetzung der Kiautschoubucht und im Sommer 1900 zur Niederwerfung der Boxerbewegung (s. China, S. 54f.).

Für die vergrößerte Flotte bieten der 1869 eingerichtete Nordseekriegshafen Wilhelmshaven und der seit Ende der 1860er Jahre ausgebaute Hafen von Kiel in der Ostsee hinreichend Raum und in ihren Werften Einrichtungen zum Neubau und zur Ausbesserung und Ausrüstung auch der größten Schiffe. – Die Flotte hatte, wie jede andre, im Laufe der Zeit verschiedene Verluste an Schiffen zu beklagen: 2. Sept. 1860 ging bei einem Taifun in Ostasien der Schoner Frauenlob verloren; das Kadettenschulschiff Amazone ging im November 1861 bei einem Orkan an der holländischen Küste unter; die Panzerfregatte Großer Kurfürst sank 31. Mai 1878 bei Folkestone durch einen Rammstoß; am 27. Okt. 1884 strandete im Sturm an der Westküste Jütlands bei Agger die Brigg Undine, Schiffsjungenschulschiff, die Besatzung wurde gerettet; die Kreuzerkorvette Augusta ging Anfang Juni 1885 bei einem Taifun im Golf von Aden verloren; am 16. März 1889 strandeten bei einem Orkan im Hafen von Apia der Kreuzer Adler und das Kanonenboot Eber, am 23. Juli 1896 der Iltis im Taifun bei Schanghai.

Die alte kurbrandenburgische Flagge war weiß mit rotem Adler; schon im 18. Jahrh. zeigt die preußische Flagge den schwarzen Adler im weißen Feld, später wurde in die obere innere Ecke das Eiserne Kreuz hinzugefügt. Die Flagge des Deutschen Bundes war schwarz-rot-gelb mit zweiköpfigem Adler auf gelbem Grund in der obern innern Ecke. Die heutige deutsche Kriegsflagge (s. S. 799) besteht seit 1. Okt. 1867.

Vgl. Jordan, Geschichte der brandenburgisch-preußischen Kriegsmarine (Berl. 1856); Graser, Norddeutschlands Seemacht (Leipz. 1870); Bär, die deutsche Flotte von 1848–1852 (das. 1898); Tesdorpf, Geschichte der kaiserlich deutschen Kriegsmarine in Denkwürdigkeiten von allgemeinem Interesse (Kiel 1889); R. Werner, Das Buch von der deutschen Flotte (Bielef. u. Leipz., 8. Aufl. 1902); Derselbe, Bilder aus der deutschen Seekriegsgeschichte (Münch. 1899); Batsch: Nautische Rückblicke (Berl. 1892), Deutsch' See-Gras, ein Stück Reichsgeschichte (das. 1892), Admiral Prinz Adalbert von Preußen (das. 1890); v. Henk, Zur See (2. Aufl., Hamb. 1891); Wislicenus: Unsre Kriegsflotte (2. Aufl., Leipz. 1896), Deutschlands Seemacht sonst und jetzt (2. Aufl., das. 1901), Prinzadmiral Adalbert, ein Vorkämpfer für Deutschlands Seemacht (das. 1899); Koch, Geschichte der deutschen Marine (Berl. 1902); Reventlow, Die deutsche Flotte (Zweibrücken 1901); Neudeck u. Schröder, Das kleine Buch von der Marine (2. Aufl., Kiel 1902); Ferber, Organisation und Dienstbetrieb der Kaiserlich deutschen Marine (3. Aufl., Berl. 1901); Weyer, Taschenbuch der deutschen und der fremden Kriegsflotten (4. Jahrg., Münch. 1903); Dittmer, Katechismus der deutschen Kriegsmarine (2. Aufl., Leipz. 1899); Rassow, Deutschlands Seemacht (Tabellen, Elberf. 1901); »Jahrbuch des Deutschen Flottenvereins« (Berl. 1900ff.); »Wegweiser zu den Laufbahnen der Kriegs- und Handelsflotte« (hrsg. vom Deutschen Flottenverein, das. 1902); »Marine-Rundschau« (hrsg. vom Reichsmarineamt, seit 1890); »Rangliste der Kaiserlichen Marine«; die unter dem Pseudonym »Nauticus« erschienenen Schriften (Berl. 1898ff.) und dessen »Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen« (das. 1899ff.).

Kolonien

Erst 1884 trat D. durch ausgedehnte Erwerbungen in Afrika und Ozeanien entschieden in die Reihen der Kolonialmächte ein, so daß sein Kolonialbesitz der Ausdehnung nach unter den zehn in Frage kommenden Staaten heute die dritte Stelle (nach England und Frankreich) einnimmt. Derselbe umfaßt 2,597,000 qkm (47,166 QM.) mit 12,4 Mill. Einw., wovon auf Afrika 2,352,800 qkm (42,729 QM.) mit 11,864,000 Einw., auf Ozeanien 243,819 qkm (4428 QM.) mit 448,700 Einw., auf Asien 501 qkm mit 84,000 Einw. kommen. Gegenwärtig setzen sich die deutschen Schutzgebiete aus folgenden Teilen zusammen:

Tabelle

Sämtliche afrikanischen Besitzungen sowie die Marshallinseln mit Nawodo stehen unmittelbar unter dem Reich und werden durch dessen Gouverneure oder Kommissare verwaltet, auch trägt das Reich die für Verwaltung, Schutztruppe u. a. durch die Einnahmen nicht gedeckten Kosten. Näheres s. bei den einzelnen Artikeln und bei »Kolonien« (mit Karte).

Wappen etc. des Deutschen Reiches

(Hierzu die Tafeln »Deutscher Reichsadler und Kaiserwappen« und »Deutsche Flaggen«, mit Textblatt.)

Das Wappen des Deutschen Reiches bildet ein einköpfiger schwarzer Adler mit rotem Schnabel nebst roten Fängen und dem preußischen Adler in silbernem Schild auf der Brust; auf der Herzstelle dieses Adlers das Wappen von Hohenzollern; über dem Ganzen die goldene Kaiserkrone mit goldenen Bändern (vgl. beifolgende Tafel mit Erklärungsblatt). Über die übrigen Insignien des Deutschen Reiches (Wappen des Kaisers, Krone und Wappen der Kaiserin und des Kronprinzen sowie deren Standarten, Kaiserthron, Kaisermantel) vgl. Graf Stillfried, Die Attribute des neuen Deutschen Reiches (3. Aufl., Berl. 1882). Über die Insignien des alten Deutschen Reiches s. Deutsche Reichskleinodien, S. 732. – Die Flagge der deutschen Marine ist schwarz-weiß-rot (die Kriegsflagge mit dem preußischen Adler und dem Eisernen Kreuz). Eine Übersicht der verschiedenen Flaggen der Reichsmarine und der in Betracht kommenden deutschen Bundesstaaten gibt beifolgende Tafel »Deutsche Flaggen«, mit Erklärungsblatt.

Literatur zur Geographie und Statistik

Kutzen, Das deutsche Land (3. Aufl., Bresl. 1880); Berghaus, D. und seine Bewohner (Berl. 1860, 2 Tle.); Derselbe, D. seit hundert Jahren (Leipz. 1860 bis 1861, 2 Bde.); Daniel, D. nach seinen physischen und politischen Verhältnissen (6. Aufl., das. 1893, 2 Bde.); Neumann, Das Deutsche Reich in geographischer, statistischer etc. Beziehung (Berl. 1874, 2 Bde.); Derselbe, Ortslexikon des Deutschen Reiches (4. Aufl. von W. Keil u. a., Leipz. 1903ff.); Brunckow, Die Wohnplätze des Deutschen Reiches (Tabellenwerk, 3. Ausg., Berl. 1897, 4 Bde.); Penck, Das Deutsche Reich (1. Teil von Kirchhoffs »Länderkunde von Europa«, Prag u. Leipz. 1887); O. Richter, Das Deutsche Reich, eine Vaterlandskunde (2. Aufl., das. 1898); Trinius, All-Deutschland in Wort und Bild (Berl. 1893, 3 Bde.); Ratzel, Deutschland. Einführung in die Heimatskunde (Leipz. 1898); v. Cotta, Deutschlands Boden (2. Aufl., das. 1858, 2 Bde.); v. Dechen, Die nutzbaren Mineralien und Gebirgsarten im Deutschen Reich (Berl. 1873); Lepsius, Geologie von D. (Stuttg. 1889ff.); Delitsch, Deutschlands Oberflächenform (Bresl. 1880); Senft, Geognostische Wanderungen (Hannov. 1894, 2 Bde.); Thiele, Deutschlands landwirtschaftliche Klimatologie (Bonn 1895); Drude, Deutschlands Pflanzengeographie (1. Teil, Stuttg. 1896); »Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde« (hrsg. von Lehmann u. Kirchhoff, bisher 14 Bde., Stuttg. 1885–1903) und »Anleitung zur deutschen Landes- und Volksforschung« (hrsg. von Kirchhoff, das. 1889); E. H. Meyer, Deutsche Volkskunde (Straßb. 1897); Hans Meyer, Das deutsche Volkstum (mit andern, Leipz. 1898); Weise, Die deutschen Volksstämme und Landschaften (Abriß, das. 1900); P. E. Richter, Literatur der Landes- und Volkskunde des Deutschen Reiches (Leipz. 1896); Petersilie, Das öffentliche Unterrichtswesen im Deutschen Reich etc. (das. 1897, 2 Tle.); Pieper, Kirchliche Statistik Deutschlands (Freiburg 1899); Pfeffer, Handbuch des Verkehrswesens in D. (Leipz. 1894, 2 Tle.); »Die Handels- und Schifffahrtsverträge Deutschlands 1872–1897« (offiziell, Berl. 1897, 2 Bde.); »Handbuch der Wirtschaftskunde Deutschlands« (hrsg. im Auftrag des deutschen Verbandes für das kaufmännische Unterrichtswesen, Leipz. 1901ff.); Huber, D. als Industriestaat (Stuttg. 1901); Gothein, Der deutsche Außenhandel (Berl. 1901–1902); »Die deutsche Städtestatistik am Beginn des Jahres 1903« (Ergänzungsheft zum 6. Bd. des »Allgemeinen statistischen Archivs«, Tübing.); die Veröffentlichungen des kaiserlichen Statistischen Amtes: »Statistik des Deutschen Reiches«, »Monatshefte« und »Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reiches« und »Statistisches Jahrbuch« (seit 1881); über die Reichsbehörden das jährlich erscheinende amtliche »Handbuch des Deutschen Reiches« (Berl.), dazu Kürschners »Staats-, Hof- und Kommunalhandbuch des Reiches und der Einzelstaaten« (Leipz.); über das Reichsstaatsrecht die Werke von Rönne (2. Aufl., das. 1876, 2 Bde.), Laband, H. Schulze, G. Meyer, Zorn, Trieps, Hue de Grais, Arndt; Störk, Handbuch der deutschen Verfassungen (das. 1884); über Finanzen s. oben (S. 792). Vgl. Kirchhoff u. Hassert, Bericht über die neuere Literatur zur deutschen Landeskunde (1. Bd., für 1896–99, Berl. 1901).

[Karten.] Die Karte des Deutschen Reichs 1: 100,000 in 674 Blättern, herausgeg. von der kartographischen Abteilung der königl. preußischen Landesaufnahme, mit Ausnahme der bayrischen, württembergischen und sächsischen Gebiete, die von den betr. topographischen Bureaus bearbeitet wurden. Mit Ausnahme von Teilen des mittlern D., Ost- und Westpreußens liegt die Karte fertig vor. Ihre Grundlage bilden die Meßtischblätter, in Bayern Positionskarten 1: 25,000, vgl. auch die Textbeilage zum Art. »Landesaufnahme«. Weitere gute Kartenwerke sind: »Topographische Spezialkarte von Mitteleuropa« (Reymannsche Karte), 1: 200,000, in 796 Blättern, davon ca. 550 vollendet, seit 1806,1874 in den Besitz des preußischen Generalstabs übergegangen; die ältern Blätter werden allmählich durch Neustiche ersetzt; »Topographische Übersichtskarte des Deutschen Reiches«, 1: 200,000, farbig, mit Höhenkurven, ca. 200 Blätter, davon erschienen 51, seit 1900, herausgegeben von der kartographischen Abteilung der königlich preußischen Landesaufnahme; Liebenow-Ravenstein, Zentraleuropa in 164 Blättern, 1: 300,000 (Neuausg., Frankf. a. M. 1900); Vogel, Karte des Deutschen Reiches, 1: 500,000, in 27 Blättern (Gotha 1893); Ravenstein, Atlas des Deutschen Reiches, 1: 850,000 (Leipz. 1883,10 Blätter). Wandkarten: »Post- und Eisenbahnkarte des Deutschen Reiches«, 1: 450,000, bearbeitet im Kursbureau des Reichspostamts, 20 Blätter (Berl. 1895); Petermann (Gotha), H. Wagner (das.), Kiepert (Berl.), Handtke (Glogau) u. a.; v. Dechen, Geologische Karte von D. (Berl. 1869,2 Blätter); Lepsius, Geologische Karte des Deutschen Reiches in 27 Blättern (Gotha 1894ff.); Andree u. Peschel, Physikalischstatistischer Atlas von D. (Leipz. 1877); »Atlas der Bodenkultur des Deutschen Reiches« (hrsg. vom kaiserlichen Statistischen Amt, Berl. 1881,15 Karten); »Wasserkarte der norddeutschen Stromgebiete«, 1: 200,000 (hrsg. vom preußischen Landwirtschaftsministerium, das. 1895); Kiepert, Völker- und Sprachenkarte von D. (das. 1874).


Geschichte Deutschlands.

Die deutsche Geschichte ist gebunden an die des Deutschen Reiches, obwohl sich dieses, selbst in den verschiedenen Zeiten von recht verschiedenem Umfang und Wesen, nie mit dem deutschen Volkstum gedeckt hat. Bis zur Gründung eines Reiches (919) sind die Stämme die Träger nationalen Daseins, und einer von ihnen, die Franken, politisch besser organisiert, erhebt sich über die andern und sucht sie zu unterwerfen. Formell ist das Reich seit Heinrich I. eine Fortsetzung des Frankenreiches, tatsächlich ist es eine neue Bildung.

Deutschland bis zur Reichsgründung (919)

Die früheste Kunde von einem an der Südostküste der Nordsee wohnenden Volksstamm, der sich von seiner Umgebung unterschied, vermittelte dem Altertum Pytheas, ein Kaufmann aus Marseille, der, um Zinn und Bernstein im Land ihres Ursprungs aufzusuchen, um 330 v. Chr. dorthin fuhr. Er nennt zuerst den Namen Teutonen, während das Wort Germanen (s.d.), wohl zuerst von den Kelten und dann von den Römern gebraucht, erst später üblich wurde. Deutsche saßen zu Pytheas' Zeit zwischen Weichsel und Weser: wohl an der Wasserscheide zwischen Weser und Rhein, am Main und von da nach Osten berührten sie sich mit den Kelten. Die erste Beschreibung des deutschen Landes hat um 90 v. Chr. Poseidonios zu einer Zeit gegeben, als schon große Teile des germanischen Volkes nach dem Süden vorgedrungen und in das Römerreich eingefallen waren (s. Cimbern und Teutonen). Während Cäsar Gallien unterwarf, ward ein deutscher Heerführer, Ariovist, der sich im Innern Galliens festgesetzt hatte, besiegt. Die auf das linke Rheinufer vorgedrungenen Germanen mußten teils zurückziehen, teils verschmolzen sie mit den Kelten: dieses gewaltsame Aushalten der Völkerwoge durch römische Heere trieb die Germanen zur Seßhaftigkeit östlich vom Rhein. Trotz vieler Versuche und zeitweiliger Herrschaft ist es den Römern nicht gelungen, dauernd zwischen Rhein und Weser festen Fuß zu fassen, nur die Rheinmündung und das Zehntland (Agri decumates, s.d.) sind römisch und romanisiert worden.

Die Wanderung der germanischen Völkerschaften wurde durch das Römerreich nur zeitweilig behindert. Sobald dessen kriegerische Macht nicht mehr die alte war, brachen von allen Seiten Germanen (Langobarden, Markomannen, Quaden, Burgundionen, Goten, Vandalen) in das Römerreich ein, setzten sich dort fest und gingen im Romanentum auf. In der Heimat aber schlossen sich die zahllosen Völkerschaften zu Stämmen zusammen.

Tabelle

Diese stellen für Jahrhunderte die Träger des nationalen Lebens dar, denn das Gefühl für deutsches Volkstum, für die Zusammengehörigkeit aller deutsch sprechenden (»deutsch« bezieht sich zunächst nur auf die Sprache: theodisce = volkstümlich sprechend, zuerst 786; lingua theodisca, 788) gehört erst dem spätern Mittelalter an. Am frühesten sind die Alemannen als Stamm mit einem festen Siedelungsgebiet aufgetreten, Franken, Sachsen, Thüringer, Friesen und Bayern sind gefolgt. Anfangs stehen mehrere, später nur ein Herzog oder König an der Spitze jedes Stammes, ein Recht (Volksrecht) verbindet die Stammesglieder. Das von Chlodwig gegründete Frankenreich (s.d.) dehnt sich auch über romanische Länderstrecken aus, wo das germanische Herrschervolk in dem kulturell überlegenen der Unterworfenen ausgeht. Im Osten aber bilden die Franken an Rhein und Maas mit den Alemannen, die 496, den Thüringern, die 530 unterworfen wurden, und den Bayern, deren Herzöge auch die fränkische Oberhoheit anerkennen, eine geschlossene germanische Einheit. Im 7. und 8. Jahrh. dem Christentum gewonnen, konsolidiert sich diese deutsche Volksmasse immer mehr, sie bildet den Kern des Reichsdrittels Austrasien, das zuerst in Dagobert I. 622 einen eignen König und in Pippin dem ältern einen besondern Majordomus erhält. Die Nachkommen des letztern (die Karolinger, s.d.) behaupteten sich nach einer Unterbrechung im Besitze dieses wichtigsten Staatsamtes, und Pippin erwarb endlich 751 selbst das Königtum, um 768 das Reich unter seine Söhne Karlmann und Karl zu teilen. Letzterer, der Große zubenannt, seit Karlmanns Tod (771) Alleinherrscher, unterwarf die Sachsen seiner Herrschaft, sicherte die Ostgrenzen und wurde 800 in Rom zum Kaiser gekrönt. Unter seiner gewaltigen Persönlichkeit wurde die Verwaltungsorganisation des Reiches ausgebildet und das deutsche Volkstum geistig so gekräftigt, daß sich beim Zerfall des Reiches unter Kaiser Ludwig dem Frommen (814–840) und der Teilung unter Karls Enkel im Vertrag zu Verdun (813) das germanische Ostfranken, durch das Mittelreich Lothringen vom romanischen Westfranken geschieden, selbständig machen konnte. Bei der Neuteilung im Vertrag zu Mersen (870) wurde die links vom Rhein sich hinziehende Sprachgrenze etwa die Scheide zwischen Westfranken, dem nachmaligen Frankreich, und Ostfranken, dem nachmaligen Deutschland.

Auch Ostfranken wurde nach Ludwigs des Deutschen Tode (876) geteilt, aber sein Sohn Karl III. verkörperte, nach seines Bruders, Ludwigs des jüngern, Tod (882) Alleinherrscher, zum Kaiser gekrönt (881) und zum westfränkischen Könige gewählt (885), noch einmal die Macht Karls d. Gr. Unter ihm erstarkte wiederum das Stammesbewußtsein und das Stammherzogtum, König Arnulf (887–899), der über die Normannen siegte und das Mährenreich Swatopluks vernichtete, behauptete wiederum das königliche Ansehen, aber unter seinem unmündigen Nachfolger Ludwig dem Kind (900–911) war es wieder damit zu Ende. Der Reichsgedanke, seit einem Jahrhundert in der Ausbildung begriffen, war bei Ludwigs Tode so wenig lebendig, daß nur die Franken und Sachsen in Konrad I. (911–918) einen neuen König wählten; Bayern und Schwaben verweigerten ihm die Anerkennung, und Lothringen ging an Westfranken verloren. Als Konrad starb, drohte dem Reiche der völlige Zerfall.

Deutsche Könige aus sächsischem Haus (919–1024)

(Hierzu die »Geschichtskarte von Deutschland I«.)

Gründung des Deutschen Reiches und des römischen Kaisertums deutscher Nation. Die Gefahr für die Zukunft des germanischen Königtums blieb auch dem Bruder Konrads, Eberhard, nicht verborgen. Auf sein Betreiben wählten Franken und Sachsen zu Fritzlar den sächsischen Herzog Heinrich aus dem Hause der Ludolfinger zum König, den Gegner des verstorbenen Königs. Als Heinrich I. (919 bis 936) bestieg er den Thron und unterwarf sich die Stammesherzöge sämtlich, wenn auch durch Zugeständnisse, so daß erst von jetzt an von einem Deutschen Reiche die Rede sein kann, dessen Grenzen der König kraftvoll gegen die einfallenden Magyaren schützte. Unter ihm begann auch der große Vorstoß nach Osten hin gegen die Slawen zwischen Elbe und Oder, in deren Verfolg das heutige östliche D. im Laufe von Jahrhunderten kriegerisch und friedlich dem Slawentum abgerungen worden ist (s. Germanisieren), wie er auch im Norden gegenüber den Dänen die Mark Schleswig gründete. Die Frucht blieb nicht aus: sein Sohn Otto ward in Aachen, der Residenz Karls d. Gr., von Vertretern aller Stämme gewählt und vom Mainzer Erzbischof im Münster gesalbt und gekrönt: so ist es seitdem Sitte geblieben, nur mit dem Unterschiede, daß später die Wahl in Frankfurt und die Krönung durch den Kölner Erzbischof vorgenommen wurde (s. Deutscher König). Otto I. der Große (936–973) hatte zwar auch gegen die Selbständigkeitsgelüste der Herzöge und zugleich gegen Empörer aus seiner Familie zu kämpfen (er beseitigte 939 nach des fränkischen Herzogs Eberhard Tode das Herzogtum Franken völlig), aber es gelang ihm dadurch, daß er die Herzogtümer an nahe Verwandte zu Lehen gab und auch die Bistümer (so Köln, Mainz und Trier) mit solchen besetzte, dem Stammesherzogtum einen wesentlichen Teil seiner Königsfeindlichkeit zu nehmen. Die Sicherung der Nord- und Ostgrenze des Reiches machte ebenfalls beträchtliche Fortschritte: die neu gegründeten Bistümer Schleswig, Ripen, Aarhus und Havelberg, Oldenburg (das spätere Lübeck), Brandenburg, Meißen, Zeitz, Merseburg sowie das Erzbistum Magdeburg stützten nicht nur die Kirche, sondern vor allem das Reich, und die nach des Markgrafen Gero Tod (965) erfolgende Teilung des ihm unterstellten Gebietes in drei Marken (später Nordmark, Mark Lausitz und Mark Meißen genannt) bedeutete eine beträchtliche endgültige Erweiterung des ererbten Reichsgebietes. Böhmen und Polen und auch Dänemark erkannten Ottos Oberhoheit an, den französischen König schützte er vor seinen aufrührerischen Vasallen, und diese seit Karl d. Gr. nicht mehr in einer Person vereinte Machtfülle rechtfertigte das Verlangen, der Tatsache auch äußerlich durch die Erwerbung der römischen Kaiserkrone Ausdruck zu verleihen. Nicht nur Eitelkeit trieb den König zu solchem Beginnen, sondern die ganze Auffassung der Zeit, die in ihrem Denken durchaus vom Symbolismus beherrscht wird, machte ihm dieses Streben zur sittlichen Pflicht. Auf dem ersten italischen Zug (951–952) erwarb er mit der Hand der Königswitwe Adelheid (Gemahlin von Hugos Sohn Lothar) die Herrschaft über Oberitalien. Gegen den Rivalen Berengar richtete sich der zweite Zug nach Italien (961–965), in dessen Verlauf das erwünschte Ziel, die Krönung zum römischen Kaiser durch Papst Johann XII., 31. Jan. 962 erreicht wurde: damit war das Römische Reich deutscher Nation begründet, das den Zeitgenossen als eine Neuausrichtung des alten römischen Imperiums mit dem Anspruch auf die Herrschaft über das ganze christliche Abendland erschien. Für D. wurde dies Ereignis insofern verhängnisvoll, als von nun an die Könige ihre besten Kräfte in dem reichern und verlockendern Süden vergeudeten, während in D. große Aufgaben ungelöst blieben. Schon in Ottos letzter Zeit, die er zum größten Teil in Italien verbrachte, stockte die so glücklich begonnene Kolonisation und Germanisierung des deutschen Ostens. Otto II. (973–983) war mit der Bekämpfung innerer Unruhen und Sicherung der Reichsgrenze vollauf beschäftigt; kaum Herr des Reiches, zog er 980 nach Italien, und 982 von den Sarazenen im Süden besiegt, starb er 983, in Rom einen dreijährigen Sohn, Otto III. (983–1002), hinterlassend. Die Regentschaft verursachte sofort Unruhen; Dänen und Slawen schüttelten mit dem Christentum die deutsche Herrschaft ab, die Sondergewalten im Reiche wurden wieder selbstherrlicher und begannen, die Erblichkeit der vom Reiche zu Lehen empfangenen Ämter durchzusetzen. Seit 995 mündig, ging der König, vom antiken Herrscherideal beseelt, nach Italien, setzte in Gregor V., einem Urenkel Ottos I., den ersten deutschen Papst auf den Stuhl Petri und empfing von diesem 21. Mai 996 die Kaiserkrone. Im J. 1000 gründete er in Gnesen ein Erzbistum mit den Suffraganbistümern Kolberg, Krakau und Breslau. Damit schädigte es den deutschen Einfluß in Polen, dessen Kirche, nunmehr selbständig organisiert, den Zusammenhang mit dem deutschen Kirchentum mehr und mehr löste. Als Flüchtling starb Ottos I. Enkel 1002 unvermählt in der Nähe von Rom und hinterließ das Reich dem Zusammenbruch nahe. Nach vielen Schwierigkeiten erwarb der letzte Sproß des sächsischen Herrscherhauses, Heinrich, der Sohn Heinrichs des Zänkers, der das Herzogtum Bayern besaß, die Krone. Als Heinrich II. (1002–24) hat er unter schwierigen Verhältnissen dem Reich wieder zu einiger Ruhe und Ordnung verholfen, dem mächtigen Polenherzog Boleslaw Chrobry wenigstens für Meißen und die Lausitz im Frieden von Bautzen (1018) die Lehnsoberhoheit aufgezwungen, das Bistum Bamberg begründet und namentlich die Bischöfe im Reich in Abhängigkeit von der Krone erhalten. In größerm Umfang erhielten sie Grafschaftsrechte übertragen, ihre Ernennung aber wurde zugleich ausschließliches Recht der Krone. Im Geiste der Cluniacenser erstrebte Heinrich eine allgemeine Kirchenreform, als er 13. Juli 1024 starb. Mit ihm erlosch das sächsische Königshaus, dessen Bedeutung für das deutsche Volkstum darin liegt, daß die schroffen Gegensätze der Stämme, wenn auch nicht getilgt, so doch im Lauf eines Jahrhunderts wesentlich gemildert worden sind; damit war die Entstehung eines deutschen Volkes möglich geworden.

Deutsche Könige aus fränkischem (salischem) Haus (1024–1125).

Kirche und Staat. Der fränkische Graf Konrad, als Urenkel von Ottos I. Tochter Luitgard mit dem erloschenen Herrschergeschlecht verwandt, ward unter dem Einfluß der hohen Geistlichkeit vom ganzen Volk zum Könige gewählt. An Charakter Heinrich I. ähnlich, hat er als Konrad II. (1024–39) das Reich neu befestigt, die Nordgrenze im Frieden mit Knut von Dänemark gesichert, Polen nach dem schnellen Verfall von Boleslaws Reich wieder in Abhängigkeit gebracht und nach der Kaiserkrönung (1027) dem Reiche Burgund wieder gewonnen (1032). Auch er hatte mit Empörungen, besonders der seines Stiefsohnes Ernst, zu kämpfen. Da er sich die Kirchengüter nutzbar machte und durch Einführung der Erblichkeit der Lehen die Ministerialität für sich gewann, konnte er, so reichlich mit Machtmitteln ausgestattet, sogar veräußertes Reichsgut zurückgewinnen und ward so ein »Mehrer des Reiches«. Er starb zu Utrecht 4. Juni 1039 und liegt in dem von ihm erbauten Dom zu Speyer begraben. – Sein Sohn, noch bei des Vaters Lebzeiten zum Könige gewählt und gekrönt, führte als Heinrich III. (1039–56) das Werk des Vaters fort, zwang 1044 selbst Ungarn zur Anerkennung der deutschen Oberhoheit und erhob auch gegenüber der Kirche, innerlich religiös veranlagt und Anhänger der cluniacensischen Reformbewegung, die Königsgewalt auf die höchste Stufe, indem er kraft eigner Machtvollkommenheit Päpste ab- und einsetzte. Drei Hirten der Christenheit (Silvester III., Gregor VI. und Benedikt IX.) hat er 1046 in Italien abgesetzt und nacheinander bis 1054 vier neue Päpste (Clemens II., Damasus H., Leo IX. und und Viktor 11.) auf den Stuhl Petri gehoben, von denen drei Deutsche waren. Ein neuer Geist waltete in dieser Zeit in Rom, auch die Kurie verspürte den Hauch des von Cluny aus sich verbreitenden Geistes.

Als Heinrich III., noch nicht 40 Jahre alt, plötzlich starb, hinterließ er das Reich dem sechsjährigen Heinrich IV. (1056–1106) unter Vormundschaft seiner Mutter Agnes. Die Fürsten, befreit von dem Druck eines starken königlichen Willens, beeilten sich, die Schwäche der neuen Regierung auszunutzen: Otto von Nordheim erzwang die Belehnung mit Bayern, Rudolf von Rheinfelden erhielt mit der Hand der Königstochter Schwaben, und der Zähringer Bertold erwarb Kärnten. Erzbischof Anno von Köln bemächtigte sich 1062 mit Gewalt der Person des Königs, leitete seine Erziehung und schaltete als tatsächlicher Inhaber der Regierung freigebig mit dem Reichsgut, während das ostelbische Land sich empörte und 1066 dem Reiche wieder verloren ging. Seit 1063 leitete Adalbert von Bremen die Erziehung des Königs und weckte in ihm den Haß gegen die den Herrschergelüsten des Kirchenfürsten natürlich feindlichen Sachsen. 15 Jahre alt, ward Heinrich 1065 mündig und mußte sich schon im folgenden Jahr auf Betreiben der Fürsten dem Einfluß Adalberts entziehen; er lebte meist in Goslar und begann im Reiche seinen Arm fühlen zu lassen: Otto von Nordheim mußte 1070 Bayern an Welf abtreten. Als er aber versuchte, das sächsische Herzogtum zu unterdrücken und sich durch Anlage von Burgen am Nordrande des Harzes auf sächsischem Boden einen festen Stützpunkt zu schaffen, da erhob sich 1073 unter Ottos von Nordheim Führung ein Aufstand, der den König in ernste Gefahr brachte und erst im Juni 1075 durch die entscheidende Schlacht an der Unstrut zu gunsten desselben entschieden wurde. Zur dauernden Befestigung der königlichen Gewalt wäre jetzt die beste Gelegenheit gewesen, aber an der Durchführung der entsprechenden Maßregeln hinderte Heinrich jetzt der Ausbruch ernsten Kampfes mit dem Papsttum.

Heinrichs III. Tätigkeit hatte die Inhaber des Stuhles Petri sittlich gehoben und eine ernste Reform des Kirchentums angebahnt. Die Frucht seiner Bemühungen war naturgemäß ein Wachsen des päpstlichen Selbstbewußtseins, das sich 1059 zuerst entscheidend in der Neuordnung der Papstwahl durch Nikolaus II. äußerte. Um mit der von Heinrich geübten Praxis der einfachen Papsteinsetzung gründlich zu brechen, verordnete Nikolaus die Kardinäle zu den rechtlich allem befugten Wählern des Papstes; damit waren die römischen Adelsparteien sowohl als der deutsche König ausgeschaltet. Geistiger Urheber dieser Maßregel war Kardinal Hildebrand, der 1073 als Gregor VII. selbst Papst geworden, bedingungslos die denkbar höchste Macht für den Nachfolger Petri in Anspruch nahm. Ausfluß dieser Idee, die volle Unterordnung des Staates unter die Kirche bedeutete, waren drei neue Kirchengesetze: Gebot der Ehelosigkeit aller Geistlichen (Zölibat), Verbot des Kaufes geistlicher Stellen (Simonie) und der Laieninvestitur. Die gesamte katholische Christenheit war durch diese Gesetze gebunden, aber ihre Durchführung traf niemand härter als den deutschen König, denn seit Otto I. waren die Bischöfe im Reiche wesentlich Stützen des Königtums gegen die Sonderbestrebungen der Fürsten, Inhaber von Grafenrechten, also königliche Beamte, und der reiche Besitz der Kirche gab dem König allein die Mittel in die Hand, deren er für seine Politik bedurfte: die materielle Unterstützung fiel aber zum größten Teil unter den Begriff der Simonie, während die Durchführung des Verbotes der Laieninvestitur dem Könige jeden Einfluß auf die Besetzung der für ihn wichtigsten Beamtenstellen genommen hätte. Heinrich dachte nicht daran, dem päpstlichen Gesetze Folge zu geben, sondern ließ durch eine Synode in Worms Anfang 1076 den Papst für abgesetzt erklären, worauf im Februar Gregor den Bann über den König aussprach. Sofort war der Abfall im Land allgemein, und im Oktober versammelten sich die Fürsten zu Tribur zur Vornahme einer neuen Königswahl. Abt Hugo von Cluny nur wußte die Wahlhandlung zu vereiteln, sie sollte im folgenden Jahr erst stattfinden. Um dem Verlust der Krone vorzubeugen, suchte jetzt Heinrich die Versöhnung mit dem Papst und erhielt nach dreitägiger Kirchenbuße vor Canossa im Januar 1077 die Lossprechung vom Bann. Als die Fürsten dennoch Rudolf von Schwaben zum König wählten, entbrannte der Kampf, der mit Rudolfs Tod in der Schlacht bei Mölsen (1080) zwar nicht endete, aber doch etwas erlahmte. Gregor hatte Heinrich zum zweitenmal gebannt und Rudolf als König anerkannt; jetzt zog der König, dessen Anhang sich mehrte, 1083 nach Italien, nahm 1084 Rom ein und empfing von dem neu eingesetzten Gegenpapst Clemens III. die Kaiserkrone. Gregor floh und starb 1085 zu Salerno im Exil. Der Kampf mit der Kirche war damit jedoch nicht entschieden; die tiefen Gegensätze in der Lebensauffassung, die den Zeitgenossen wohl selbst nicht zu klarem Bewußtsein kamen, beeinflußten den Bürgerkrieg in D. Die Söhne des Kaisers, Konrad (1092) und Heinrich (1105), empörten sich gegen den Vater, der gebannt und weltverlassen 1106 plötzlich starb.

Die päpstliche Partei, durch den gleichen Gegensatz mit den deutschen Fürsten verbunden, stützte den neuen König Heinrich V. (1106–25), aber auch dieser, so sehr er den Frieden suchte, konnte seines Einflusses auf die deutschen Bischöfe nicht entsagen; er erzwang 1111 von Papst Paschalis die königliche Investitur und die Krönung, aber der Vertrag ward nicht gehalten, und im Wormser Konkordat 1122 kam nach Beendigung des deutschen Bürgerkrieges ein durch die Fürsten vermittelter Ausgleich zu stande, der zwischen geistlicher und weltlicher Eigenschaft der Bischöfe unterschied und doppelte Investitur-Zepter und Schwert (königlich), Ring und Stab (geistlich) vorsah. Heinrich V. starb 1125, und mit ihm erlosch das salische Königshaus.

Die Zeit der Staufer [1125–1254]

Heinrich V. hatte seine Güter auf seinen Neffen Friedrich von Staufen übertragen und ihn durch Übergabe der Reichsinsignien als Nachfolger bezeichnet. Aber das Fürstentum, das eben entscheidend über das Königtum gesiegt hatte, machte mit der Einführung eines reinen Wahlkönigtums Ernst und erkor auf einer großen Wahlversammlung zu Mainz Lothar von Sachsen (1125–37), der bisher mit den Fürsten und dem Papste gegen den König gestritten hatte. Die Staufer erkannten ihn nicht an, und der Kampf begann, wobei sich Lothar auf das welfische Haus stützte, dessen Haupt, Heinrich der Stolze von Bayern, er mit seiner Tochter Gertrud vermählte. Die Staufer unterlagen; Lothar wahrte der Krone die im Konkordat zugebilligten Rechte und begann die Wiedereroberung der Slawenlande. Aber nach seinem Tode fiel die Wahl der Fürsten nicht, wie er gewünscht hatte, auf seinen Schwiegersohn Heinrich den Stolzen, sondern auf den Staufer Konrad, den Bruder Friedrichs. Konrad III. (1138–52) mußte nun wieder sein Königtum erkämpfen. Heinrich der Stolze lieferte zwar die Reichsinsignien aus, aber da er nicht auf Sachsen verzichten wollte, nahm ihm Konrad auch Bayern, das nun der Babenberger Leopold V. erhielt. Als Konrad starb, blieb zwar das Königtum seinem Geschlecht erhalten, indem sein Neffe Friedrich in Frankfurt gewählt und in Aachen gekrönt wurde, aber der Gegensatz zwischen Welfen und Staufern dauerte fort.

Friedrich I. (1152–90), Rotbart (Barbarossa) genannt, versöhnte sich zunächst mit den Welfen und gab Bayern dem Sohne Heinrichs des Stolzen, Heinrich dem Löwen, zurück, aber gleichzeitig ward Österreich selbständiges Herzogtum. Dänemark, Polen, Böhmen, dessen Herzog jetzt den Königstitel erhielt, und Burgund (Krönung zu Arles 1178) wurden wieder enger an das Reich gefesselt, aber die oberitalischen Städte widersetzten sich den gleichen Versuchen, nachdem Friedrich, in Pavia mit der lombardischen Krone geschmückt, in Rom Hadrian IV. gegen die Aufrührer geschützt und von ihm die Kaiserkrone empfangen hatte. 1158 unterwarf sich Mailand, und in den »roncalischen Beschlüssen« wurden die Hoheitsrechte des Reiches in der Lombardei festgelegt. Doch bald folgte neue Empörung, auch der Papst, den allzugroßen Machtzuwachs des Kaisers fürchtend, schloß sich den oberitalischen Städten an, und nach langem, wechselvollem Kampf unterlag Friedrich 1176 bei Legnano. Im Frieden zu Venedig versöhnte er sich mit Papst Alexander III. 1177 und beendete damit die Kirchenspaltung, die seit Hadrians III. Tode herrschte. In D. räumte Friedrich mit dem letzten Stammesherzogtum auf, indem er den ungetreuen Heinrich den Löwen ächtete und Sachsen teilte: die Herzogswürde in Westfalen erhielt der Kölner Erzbischof, in dem östlichen beschränkten Teile Bernhard von Askanien. Das verkleinerte Bayern kam an Otto von Wittelsbach, Schwaben und Franken waren schon seit Konrad III. nicht wieder verliehen worden, Lothringen hatte sich in kleinere Gebiete aufgelöst, und so war überall das Stammesherzogtum beseitigt und durch einen zahlreichern Reichsfürstenstand ersetzt; kein einziger dieser Fürsten besaß aber eine dem Königtum gefährliche Macht. Der Mainzer Hoftag von 1184 zeigte zum erstenmal den siegreichen König im Kreise der neuen Reichsvasallen. Gegen Ende seines Lebens beseelte Friedrich wieder der Wunsch, seine Herrschaft auf Italien auszudehnen: 1186 erwarb er durch die Vermählung seines Sohnes Heinrich mit der Erbin des Normannenreichs in Italien die Anwartschaft auf dieses; eingedenk der Pflichten eines universalen Kaisertums stellte er sich an die Spitze des dritten Kreuzzugs, auf dem 1190 sein ruhmvolles Leben endete.

Heinrich VI. (1190–97) wollte zunächst in Unteritalien seine Macht begründen und dachte schon an eine gewaltige Tätigkeit im Orient, aber eine neue Empörung der Welfen in D. unter Heinrich dem Löwen rief ihn dorthin. Nach des letztern Tode ward er auch in Unteritalien, wo sein Rival Tankred gestorben war, Herr, plante einen neuen Kreuzzug und erreichte noch vorher die Wahl seines zweijährigen Sohnes Friedrich zum König. Vor Verwirklichung seiner weit ausschauenden Pläne starb er jedoch, 32 Jahre alt, in Messina, und in D. begann der Kampf um den Thron aufs neue. Während die staufische Partei an Stelle des dreijährigen Friedrich des Kaisers Bruder Philipp von Schwaben (1198–1208) zum König erkor, wählten die Anhänger der Welfen den Sohn Heinrichs des Löwen, Otto. Ein wilder, langwieriger Kampf, in dem jeder Partei ergreifen mußte, verheerte das Land. Papst Innozenz III. verstand es geschickt, das schiedsrichterliche Amt auszuüben, und fand Ottos Anerkennung. Die Fürsten erpreßten für sich als Preis ihrer Unterstützung von beiden Königen Hoheitsrechte und Reichsgut. Ungestört konnte Dänemark sich der Lehnshoheit des Reiches entziehen. Als endlich Philipp das Übergewicht erlangt hatte, ward er 1208 von Otto von Wittelsbach aus Privatrache ermordet. Otto IV. (1208–14) fand nun auch die Anerkennung der staufischen Partei und emfing 1209 von Innozenz die Kaiserkrone. Aber sobald er die kaiserlichen Rechte auf Italien geltend machte, traf ihn der Bann, und Heinrichs VI. Sohn Friedrich ward nun von den Fürsten zum zweitenmal gewählt. Otto suchte bei England Hilfe, während sich sein neuer Gegner mit Philipp II. von Frankreich verband. Dessen Sieg über die Engländer bei Bouvines (1214) entschied auch über die deutsche Krone: der junge Staufer Friedrich 11. (1212–50) ward nun allgemein anerkannt und 1215 in Aachen mit Pracht gekrönt. Otto starb 1218.

Friedrich war ein weitschauender Staatsmann, Kenner der Wissenschaften, nach Geburt und Erziehung mehr Italiener als Deutscher; er machte das reiche, einheitlich, kulturell fortgeschrittenere Südreich zum Schwerpunkt seiner Herrschaft, ließ in D. die Selbständigkeit der Landesfürsten sich immer weiter entwickeln (das statutum in favorem principum bildet den verfassungsmäßigen Ausgangspunkt für die künftige Machtvollkommenheit der fürstlichen Territorialstaaten) und bekämpfte aufs neue die päpstlichen Machtansprüche. Nachdem Friedrichs Sohn Heinrich (VII.) 1220 zum deutschen Könige gewählt war, blieb er dauernd in Italien. Erst 1235 rief ihn ein Empörungsversuch Heinrichs nach D. zurück; in Mainz hielt er dann einen glänzenden Reichstag, wo der erste deutsche Landfriede verkündet, das ständige Reichshofgericht eingesetzt und das Welfenhaus durch Belehnung Ottos mit dem neu geschaffenen Herzogtum Braunschweig-Lüneburg versöhnt wurde. Nachdem noch vor des Empörers Heinrich Tode (1242) Friedrichs zweiter Sohn, Konrad, 1237 zum Könige gewählt worden war, ging der Kaiser wieder nach Italien, wo ihn die Bezwingung der oberitalischen Städte und der Konflikt mit dem Papsttum voll in Anspruch nahm. Er unterlag, denn 1245 erklärte Innozenz IV. auf einem Konzil zu Lyon den Kaiser für abgesetzt und ließ den Abfall von ihm predigen. Ein Teil der deutschen Fürsten gehorchte und wählte den letzten Landgrafen von Thüringen, Heinrich Raspe, zum König, der aber 1247 im Kampfe gegen Friedrichs Sohn Konrad fiel. Nun wurde Graf Wilhelm von Holland (1247–56) als erster nicht fürstlicher Herrscher auf den Thron gehoben. Friedrich kämpfte in Italien immer weiter, und seine Sache stand nicht schlecht, als er 13. Dez. 1250 starb. Im Kampfe gegen Wilhelm hatte Konrad wenig Glück, nach des Vaters Tode wollte er sich wenigstens sein sizilisches Erbreich sichern, aber starb schon 1254; in der Reihe der deutschen Könige steht er als Konrad IV. (1250–54), obwohl er nie recht eigentlich König war. Sein gleichnamiger Sohn, italienisch Konradino genannt, fiel 1268 unter dem Henkerbeil der Franzosen, die, vom Papste zu Hilfe gerufen, das staufische Erbreich in Besitz hielten.

Das Interregnum (1256–73).

Das unter Friedrichs II. Regierung erstarkte Fürstentum mußte aus Selbsterhaltungstrieb ein starkes Königtum hassen und vor allem einem von der Erbfolge unabhängig gewählten König den Vorzug geben. Deshalb wurde die Krone dem geboten, der von vornherein wenig Aussicht hatte, königliche Gewalt im bisherigen Sinn auszuüben: nach Wilhelms von Holland Tode (1256) wählten die welfisch gesinnten Fürsten Richard von Cornwallis, die staufisch gesinnten Alfons von Kastilien; beide übten tatsächlich keine Königsgewalt aus, wenn nicht Verschleuderung von Reichsgut an ihre Anhänger so genannt werden soll. Der Mangel einer Königsgewalt begünstigte natürlich die Ausdehnung der Fürstengewalt, die nicht nur Reichsgebiet, sondern vor allem bisher königliche Rechte inMenge an sich zog. Damals wurden eine Reihe später für Deutschlands Geschicke entscheidende Territorien gegründet: Markgraf Ottokar von Mähren verband nach dem Aussterben der Babenberger Böhmen, Steiermark, Kärnten und Krain zu seinem Erblande; die Wettiner erwarben zur Mark Meißen und den Lausitzen die Landgrafschaft Thüringen (1263) und das Pleißner-Land mit Altenburg, Zwickau und Chemnitz hinzu; an der mittlern Elbe dehnten die Askanier Brandenburgs ihre Herrschaft aus, unterwarfen sich Ucker- und Neumark und zwangen die Pommernherzöge zur Lehnshuldigung; zwischen Weichsel und Memel schuf der deutsche Orden, seit 1230 das Land erobernd, einen Territorialstaat, der seit 1283 als gegründet und vollendet gelten kann. Kulturell beginnt jetzt ein unverkennbarer Aufschwung: die Kolonisation des ostelbischen Gebietes wird von den Fürsten viel energischer betrieben als je vom König. Im westlichen Deutschland wächst die Bedeutung der Städte, die sich in Bündnissen zu ihrem Schutze zusammenschließen, mit der Zunahme von Handel und Verkehr. Der Wert des städtischen Daseins bleibt auch den Fürsten nicht verborgen, sie suchen die Reichs städte, jetzt gleichbedeutend mit selbständigen Stadtrepubliken, zu unterwerfen, und die nächsten Zeiten sind charakterisiert durch den Kampf der Städte mit den Fürsten. Letztere wieder unterscheiden sich an Rang und Macht mehr und mehr, und sieben von ihnen erheben sich jetzt über die andern als Kurfürsten (Wahlfürsten), die allein den König wählen. In einem Schreiben Papst Urbans IV. an König Richard von 1263 werden sie zuerst ohne Widerspruch genannt.

Deutschland unter Königen aus verschiedenen Häusern (1273–1410).

(Hierzu die »Geschichtskarte von Deutschland II«.)

In gewohnter Weise wurde nach Richards Tod (1272) zur Neuwahl geschritten u. im September 1273 in dem am Oberrhein begüterten Grafen Rudolf von Habsburg (1273–91) ein im Verhältnis zu den Häuptern der Aristokratie wenig mächtiger Herrscher erkoren. Von vornherein mußte er darauf verzichten, die königliche Macht in dem von den Staufern beanspruchten Umfang auszuüben, denn das Reichsgut war verschwendet, und die Regalien (oberstes Gericht, Heerbann, Zölle, Münzhoheit), die zudem jetzt infolge des wirtschaftlichen Umschwungs viel wichtiger waren als vorher, besaßen zum größten Teile die Fürsten. Außerdem war der König in gewisser Abhängigkeit von seinen Wählern, so daß, wenn er schon königliche Macht entfalten wollte, er dies nur auf Grund seiner Hausmacht vermochte, d. h. als begüterter Reichsfürst wie die andern, um sich nur durch den königlichen Namen über sie zu erheben. Die Vergrößerung des erblichen Familienbesitzes durch geschickte Benutzung der Reste königlicher Machtbefugnis war fortan das Hauptziel der Könige, und die Fürsten hinwiederum ließen die Vererbung der Königsgewalt in demselben Geschlecht nicht zu, so daß jeder neu gewählte Herrscher mit der Gründung einer Hausmacht von neuem beginnen mußte. Das wesentlichste Ergebnis für die Weltmachtstellung Deutschlands war der Verzicht auf die Herrschaft über Italien, und damit schwand zugleich der letzte einheitliche Gedanke einer Reichspolitik überhaupt; es ist fortan von einer solchen nur in ganz vereinzelten Fällen noch die Rede, die Tätigkeit der Könige erschöpft sich vielmehr meist in Händeln zur Stärkung ihrer Dynastie, und selbst der Kampf gegen das Papsttum und die Mitwirkung bei den Versuchen zur Kirchenreform entbehren eines leitenden Gedankens und einer grundsätzlichen Richtung, sie sind nur Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke, die der Tag gerade wünschenswert erscheinen läßt.

Rudolf selbst dachte wohl anfangs noch an eine Erneuerung staufischer Macht, aber nur gegen Verzicht auf Mittelitalien und Sizilien erhielt er vom Papste die Versprechung der Kaiserkrönung, die tatsächlich nicht vollzogen wurde. Seine Stellung im Reiche war am meisten gefährdet durch König Ottokar von Böhmen, der nach dem Erlöschen des babenbergischen Herzogshauses (1246) die Lande Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain eigenmächtig an sich gerissen hatte. Da er deren Herausgabe und auch die Huldigung verweigerte, zog Rudolf gegen ihn ins Feld und schlug ihn 1278 auf dem Marchfeld. Ottokar selbst fiel, sein unmündiger Sohn Wenzel ward auf Mähren und Böhmen beschränkt, während Österreich, Steiermark und Krain mit Zustimmung der Kurfürsten an des Königs Söhne Albrecht und Rudolf und Kärnten an Meinhard von Tirol verliehen wurden. Die habsburgische Hausmacht war so begründet. Die Energie, mit der Rudolf dann für die Herstellung des Landfriedens wirkte, ließ den Fürsten seine Macht gefährlich erscheinen. Die Wahl seines Sohnes Albrecht zum König vermochte er nicht durchzusetzen; was er für das Reich schließlich noch geleistet hat, das war die Anerkennung einer Steuerpflicht seitens der Reichsstädte, bei den übrigen Reichsgliedern gelang ihm dies nicht. – Nach ihm wählten die Kurfürsten den kleinen Grafen Adolf von Nassau (1292–98) zum König, dessen Versuch, sich in Meißen und Thüringen eine Hausmacht zu gründen, fehlschlug und der, als er durch Beseitigung der Rheinzölle die dortigen Fürsten schwer zu schädigen drohte, abgesetzt ward. An seiner Stelle wählten die Kurfürsten Albrecht von Österreich, gegen den Adolf bei Göllheim Krone und Leben vertor (2. Juli 1298). – Albrecht I. (1298–1308) suchte durch Bündnis mit Philipp IV. von Frankreich, dessen Schwester sein Sohn Rudolf heiraten sollte, die Krone in seinem Haus erblich zu machen. Als die Kurfürsten sich diesem Plan abgeneigt zeigten, antwortete er mit Aufhebung aller Rheinzölle und zwang 1302 die Fürsten zur Unterwerfung. Der Versuch, die Hausmacht zu vermehren, mißlang ihm in Holland und Seeland, Meißen-Thüringen und Böhmen, wo nach dem Aussterben der Przemysliden sein Sohn Rudolf zum König gewählt ward. Aber 1307 starb dieser schon, und jetzt fiel die böhmische Krone an Heinrich von Kärnten. Noch ehe Albrecht völlig der Fürsten Herr geworden war, erlag er der Mörderhand seines Neffen Johann von Schwaben (Parricida) 1. Mai 1308.

Gegenüber den päpstlich-französischen Bestrebungen, dem Bruder Philipps IV. von Frankreich die deutsche Krone zu verschaffen, wurde durch die ostdeutschen Fürsten der Bruder des Trierer Erzbischofs Balduin, Graf Heinrich von Luxemburg, als Heinrich VII. (1308–13) zum König gewählt. Seine Hausmacht erfuhr bald einen Zuwachs, da sein Sohn Johann, mit einer przemyslidischen Prinzessin vermählt, zum böhmischen König erwählt wurde. Heinrichs Bestreben war jedoch mehr auf Erneuerung des alten Königtums und Herrschaft über Italien gerichtet. Nachdem er durch Wiederherstellung der Rheinzölle die rheinischen Fürsten gewonnen und mit Philipp von Frankreich ein Freundschaftsbündnis geschlossen hatte, unternahm er 1310 einen Römerzug, gewann, von den Ghibellinen freudig begrüßt, die lombardische Krone in Mailand und im Mai 1312 in Rom auf dem Kapitol durch einen päpstlichen Legaten die Kaiserkrone. Als er den Feldzug gegen Neapel vorbereitete, ereilte ihn bei Siena 1313 ein früher Tod. – Jetzt erneute das Haus Habsburg seine Versuche auf Erwerbung der Königskrone, und Friedrich der Schöne, Albrechts I. ältester Sohn, wurde auch von vier Kurfürsten im Oktober 1314 in Sachsenhausen gewählt, während sich vier andre Stimmen (Sachsen war in Sachsen-Wittenberg und Sachsen-Lauenburg geteilt, und beider Fürsten beanspruchten die Kurstimme) gleichzeitig in Frankfurt auf Ludwig von Bayern vereinigten. Nachdem die Habsburger 1315 bei Morgarten den Schweizern unterlegen waren, erlitt Friedrich 28. Sept. 1322 bei Mühldorf eine völlige Niederlage und geriet in Gefangenschaft. Ludwig der Bayer war jetzt Alleinherrscher (bis 1346). Allerdings setzte Friedrichs Bruder, Herzog Leopold von Österreich, den Kampf fort und gewann den König von Frankreich, der seine Macht auf Kosten des Reiches in Burgund erweiterte, sowie den Papst Johann XXII. für sich. Letzterer beanspruchte das Schiedsgericht im deutschen Thronstreit und verhängte 1324, da sich Ludwig nicht unterwarf, über ihn den Bann, über die ihm ergebenen Länder das Interdikt. Indes durch direkte Verständigung zwischen Ludwig und Friedrich (1325) und den frühen Tod Leopolds (1326) wurde der innere Zwist in D. dahin geschichtet, daß Friedrich gegen den Verzicht auf die Kaiserkrone und Italien in D. eine Mitregentschaft eingeräumt wurde, die bis zu seinem Tode (1330) dauerte.

Ermutigt durch die allgemeine Opposition gegen den Papst, der sich sogar der einflußreiche Franziskanerorden anschloß, nahm Ludwig den Kampf mit dem Papsttum auf. Mit einem kleinen Söldnerheer zog er 1327 nach Italien, wo ihn die Ghibellinen anfangs unterstützten. 1328 empfing er in Rom die Kaiserkrone aus den Händen des römischen Volkes und erhob, nachdem er Johann XXII. als Hochverräter und Ketzer hatte absetzen lassen, Nikolaus V. (einen Franziskanermönch) auf den Stuhl Petri. Aus Mangel an Mitteln ward ihm ein Feldzug gegen Neapel unmöglich, und er kehrte Ende 1329 nach D. zurück. In dem weitern Streit mit Johann XXII. (gest. 1334), der den Gegenpapst verdrängte, und dessen Nachfolger Benedikt XII. (1334–42) erwies sich Ludwig als schwach. Erst als die Kurfürsten auf dem Kurverein zu Rhense (16. Juli 1338) erklärt hatten, daß der erwählte König der päpstlichen Bestätigung nicht bedürfe, verkündete Ludw ig auf dem Reichstag in Frankfurt 8. Aug., daß die kaiserliche Würde unmittelbar von Gott herstamme und daß der von den Kurfürsten Erwählte sofort und durch die Wahl allein König und Kaiser werde, gleichzeitig erklärte er das Interdikt für nichtig und die dasselbe befolgenden Geistlichen für straffällig. Aber bald geriet Ludwig durch Bestrebungen zu gunsten seiner Hausmacht mit den Fürsten in Konflikt. Schon 1323 hatte er nach dem Aussterben der märkischen Askanier (1320) Brandenburg seinem ältesten Sohn, Ludwig, übertragen; in zweiter Ehe mit der Erbin von Holland, Seeland, Friesland und Hennegau vermählt, belehnte er 1345 seinen zweiten Sohn mit diesen Ländern; 1341 erklärte er die in seiner Hand vereinigten Herzogtümer Ober- und Niederbayern für unteilbar, vermählte 1312, um Tirol zu erwerben, die Gräfin Margarete Maultasch, Erbin von Tirol und Kärnten, mit seinem Sohne, nachdem er ihre erste Ehe mit einem Sohn Johanns von Böhmen eigenmächtig getrennt hatte. Diese Versuche, das eigne Geschlecht zu bereichern, entfremdeten ihm die Fürsten völlig, und als der Papst seine Absetzung aussprach, wählten 11. Juli 1346 fünf Kurfürsten den Sohn des Böhmenkönigs Johann, Karl von Luxemburg, der auf die Rechte über Italien verzichtete und die päpstliche Oberlehnsherrschaft über D. anerkannte. Ludwig, im Begriff, zu den Waffen zu greifen, starb 1347. Sein Sohn, Ludwig von Brandenburg, setzte den Widerstand gegen Karl fort und förderte die Wahl des Gegenkönigs Günter von Schwarzburg. Indes das Auftreten des falschen Waldemar, den Karl anerkannte, führte zu einem Ausgleich zwischen Wittelsbachern und Luxemburgern, Günter verzichtete gegen 22,000 Mk. Silber auf seine Kronansprüche, starb aber bereits 1349.

Karl IV. (1346–78), nunmehr unumstrittener Herrscher, war ein staatskluger, sparsamer, gebildeter und friedliebender Fürst, der vor allem den öffentlichen Frieden zu sichern und Handel und Verkehr zu fördern bemüht war. Besonders seinen Erblanden, die er mit Geschick zu vergrößern und abzurunden verstand, kamen seine bedeutenden kulturellen Bestrebungen zu gute, aber dem Reiche war er ein »Erzstiefvater«. Sein Verdienst ist offenkundig die erste Kodifizierung des Reichsstaatsrechts in der »Goldenen Bulle« (s.d.) 1356, welche die tatsächlich geltenden Zustände als zu Recht bestehend anerkannte, damit aber zugleich dem immer weiter fortschreitenden Zerfall des Reiches durch die Bevorzugung der Kurfürsten Vorschub leistete. 1354 unternahm er seinen Romzug, wurde 1355 in Rom von einem Kardinal zum Kaiser gekrönt, mußte aber die Stadt sofort wieder verlassen und benutzte seinen Aufenthalt in Italien zur Veräußerung der letzten Reichsrechte an Städte und Dynasten. Wie hier, so opferte er auch in Burgund die Hoheitsrechte des Reiches, indem er den französischen Dauphin 1377 zum Generalvikar des Königreichs Arelat ernannte und damit dieses Gebiet völlig vom Reiche loslöste. – Gegen die Bestimmungen der Goldenen Bulle wurde Karls Sohn Wenzel (1378–1400) noch bei Lebzeiten des Vaters gewählt. Die Stellung des luxemburgischen Hauses hätte sich also behaupten können, aber Wenzels Oheim Jobst von Mähren und sein Bruder Siegmund, der Branden burg und später durch die Vermählung mit der Toch ter Ludwigs des Großen auch Ungarn erhielt, unterstützten den König nicht, sondern schürten den Aufstand in Böhmen gegen ihn. Wenzel geriet in ihre Gefangenschaft und mußte die Lausitz 1401 an Jobst abtreten. Im Reiche versuchte Wenzel anfangs die Durchführung des Landfriedens auf den Reichstagen zu Nürnberg (1383) und Heidelberg (1384), aber seine Versuche scheiterten am Widerstande der Ritter und Städte. Es entstanden vielmehr Vereinigungen derselben unter sich zur Wahrung ihrer Sonderinteressen. Im Norden erlebte die Hansa (s.d.) jetzt ihre Blütezeit, in Süddeutschland taten sich die schwäbischen, rheinischen und wetterauischen Städte zu Bünden zusammen, um sich gegen das Fürstentum zu verteidigen. Ähnlich vereinigten sich die Ritter zu land schaftlichen Verbänden, unter denen der Schleglerbund (s.d.) und der Bund von St. Georg die bekanntesten sind: auch sie wollten die Unabhängigkeit ihres Standes, der Reichsritterschaft, wahren. 1377 entbrannte der schwäbische Städtekrieg zwischen den Städten und Graf Eberhard von Württemberg, und 1386 kam es in Schwaben zu einem allgemeinen Kampf des territorialen Fürstentums gegen die Eidgenossenschaft und die städtischen Bünde. Nur die Schweizer siegten über die Österreicher bei Sempach (1386) und Näfels (1388) und sicherten sich ihre Selbständigkeit. Der schwäbische Städtebund erlitt durch Eberhardt 1388 bei Döffingen, der rheinische durch Ruprecht von der Pfalz bei Worms (1388), der wetterauische durch die Ritterschaft bei Eschborn blutige Niederlagen, und auch Straßburg und die fränkischen Städte wurden von den Nachbarfürsten hart bedrängt. Wenn auch die Reichsstädte nicht völlig unterworfen wurden, so war doch insofern über ihr Schicksal entschieden, als das Fürstentum den Sieg gewann und fortan politisch im Reich allein maßgebend blieb. Zwar erhielten die Städte gegen Ende des 15. Jahrh. die Reichsstandschaft und Sitz und Stimme in der Reichsversammlung, sie blieben aber doch über den engen Kreis ihrer Territorien hinaus politisch ohne Einfluß. Wenzel gab die Städte nach dem Siege der Fürsten grundsätzlich preis, indem er auf dem Reichstage zu Eger (1389) jede fernere Städteeinung verbot. Gleichwohl gewann er sich die Fürsten nicht, wurde vielmehr, als er sich bei seinen Bemühungen, die Kirchenspaltung zu beendigen, mit Papst Bonifatius IX. überwarf, wegen Verschleuderung von Reichsgut 1400 abgesetzt, und Ruprecht von der Pfalz wurde zum König gewählt. Wenzel verweigerte diesem Schritte zwar die Anerkennung, tat aber nichts dagegen. Der schwache Ruprecht (1400–1410) vermochte die Königsmacht ebensowenig zu Ansehen zu bringen und mußte, 1402 von einem unglücklichen Romzug heimgekehrt, 1405 den Marbacher Bund, der die Aufhebung des Königtums im Westen bedeutete, anerkennen. Als er starb, wählte ein Teil der Kurfürsten Jobst von Mähren, ein anderer Siegmund zum König. Da auch Wenzel noch Ansprüche auf die Krone erhob, so drohte der Kampf zwischen den drei Luxemburgern. Zum Glück starb Jobst 1411, Wenzel, der noch bis 1419 lebte, begnügte sich mit dem Königstitel und dem Besitze Böhmens, und Siegmund (1410–37) war damit alleiniger König.

Zeitalter der Reformbestrebungen in Staat und Kirche (1410–1519).

Da es seit 1378 zwei Päpste, in Avignon und Rom, gab und der Versuch der Kardinäle, auf dem Konzil zu Pisa 1409 die Kirchenspaltung zu beenden, nur zur Wahl eines dritten Papstes geführt hatte, berief Siegmund zum 1. Nov. 1414 eine neue Versammlung nach Konstanz, die eine äußerlich glänzende Vereinigung weltlicher und geistlicher Würdenträger wurde (s. Richental). Der nächste Zweck, die Beseitigung der Kirchenspaltung, war bald erreicht, da ein förmlicher Beschluß die Suprematie des Konzils über das Papsttum aussprach: die drei Päpste wurden abgesetzt und ein Versuch Johanns XXIII., mit Hilfe Friedrichs von Tirol das Konzil zu sprengen, zurückgewiesen. Die allgemein gewünschte Reform der Kirche, die durch Beschlüsse überhaupt nicht zu erreichen war, geriet bald ins Stocken; die päpstliche Partei setzte gegen den bis dahin allgemein gehegten Plan 1417 durch, daß noch vor Ausführung der Kirchenreform ein neuer Papst gewählt wurde, und dieser, Martin V., löste 1418 das Konzil auf, nachdem er die Opposition durch Konkordate, die im wesentlichen alles beim alten ließen, mit den einzelnen Nationen (mit der deutschen 21. März 1418) beschwichtigt hatte. Auch die Reform der Reichsverfassung kam nicht zu stande, und doch wäre besonders eine Verbesserung der deutschen Heeresverfassung, wie sie damals geplant wurde, höchst notwendig gewesen. Unmittelbar nach dem Konzil wurde D. in die furchtbare Krisis der Hussitenkriege (s.d.) gestürzt, in denen es mit einer von religiösem und nationalem Fanatismus erfüllten und zur höchsten Kraftentfaltung begeisterten Volksmasse, der das schwerfällige deutsche Heerwesen sich nicht gewachsen zeigte, zu kämpfen hatte. Die siegreichen Hussitenscharen überfluteten die Böhmen benachbarten Lande raubend und verwüstend. Erst als die Böhmen, durch Parteiungen gespalten, sich selbst mit Erbitterung bekämpften und aufrieben, gelang es durch einen Vertrag mit der gemäßigten Partei, den Kalixtinern, die sogen. Prager Kompaktaten (1433), den Aufstand zu dämpfen, so daß Siegmund 1436 den seit Wenzels Tode (1419) erledigten böhmischen Thron besteigen konnte. Trotz dieser beschämenden Erfahrungen waren alle Versuche, die Reichsverfassung auf eine neue zeitgemäße Grundlage zu stellen, vergeblich. Die Wiederaufnahme des kirchlichen Reformwerkes durch das Baseler Konzil (1431–48) führte zu einem heftigen Konflikt zwischen Konzil und Papst, während dessen Siegmund 8. Dez. 1437 ohne männliche Nachkommen starb und das luxemburgische Kaiserhaus erlosch.

Durch die Wahl gelangte Siegmunds Schwiegersohn und Erbe, Herzog Albrecht von Österreich, König von Böhmen und Ungarn, auf den Thron. Albrecht II. regierte aber nur ein Jahr (1438–39). Ihm folgte sein unfähiger Vetter, Friedrich III., Herzog von Steiermark (1440–93). Die Sorge um die Interessen seiner Hausmacht beschäftigte ihn völlig; er bemühte sich weder um die Reform der Kirche und des Reiches, noch tat er etwas, um die Angriffe auf Deutschlands Sicherheit und Integrität abzuwehren und das Reich vor Verlusten zu behüten. Der Streit zwischen Konzil und Papst war den kirchlichen Reformbestrebungen günstig, und noch bei Lebzeiten Albrechts II. hatten die Kurfürsten durch die Beschlüsse des Reichstags zu Mainz (die sogen. Mainzer Akzeptation vom März 1439) einen großen Teil der Reformdekrete des Konzils von Basel anerkannt, ein erster Schritt zur Bildung einer nationalen deutschen, gegen die Übergriffe des Papsttums geschützten Kirche. Friedrich opferte aber schon 1445 gegen das Versprechen der Kaiserkrönung, welche als die letzte in Rom 1452 stattfand, diese Errungenschaften wieder, indem er ohne Zustimmung der Reichsstände das Baseler Konzil preisgab und den römischen Papst Eugen IV. anerkannte. Die Macht des Konzils war damit gebrochen; durch Einzelverhandlungen mit den Fürsten gelang es Eugens Nachfolger Nikolaus V., die deutsche Opposition zu sprengen, und die ganze Reformbewegung endete damit, daß im Wiener Konkordat (1416) dem römischen Stuhl alle die Befugnisse zurückgegeben wurden, welche die Beschlüsse von Basel als Mißbräuche hatten abschaffen wollen. Ebenso blieben alle Verhandlungen über Herstellung des Landfriedens und Reform der Reichswehrverfassung ergebnislos. Die Fürsten suchten die finanziellen Lasten der Reform möglichst auf die allerdings hierin leistungsfähigern Städte abzuwälzen; diese widersetzten sich daher aus nicht unberechtigtem Mißtrauen jeder Änderung des bestehenden Zustandes. Untätig und teilnahmlos sah der König den Kämpfen und Fehden zu, die D. zerrütteten: dem sächsischen Bruderkrieg (1445–50), der Soester Fehde in Westfalen, dem Kriege des Markgrafen Albrecht Achilles gegen die fränkischen Städte und die Wittelsbacher. Währenddessen wurde der preußische Ordensstaat von Polen unterworfen, wählten sich die Böhmen und Ungarn nationale Könige, die durch Friedrichs fortgesetzten Versuch, sich selbst in den Besitz dieser Königreiche zu setzen, zu einer feindseligen Haltung gegen das Reich gedrängt wurden. Der Kaiser ward endlich von Matthias aus seinen Erblanden vertrieben und irrte lange Zeit als Flüchtling im Reich umher. Im Westen schädigte er das Reich, indem er, um sich die Schweiz zu unterwerfen, französische Söldnerscharen, die Armagnaken, herbeirief, die, von den Schweizern tapfer zurückgeschlagen (1444), schrecklich in Elsaß und Lothringen hausten. Auch sah er der Bildung und Ausbreitung des burgundischen Reiches unter dem Hause Valois ruhig zu, obwohl dieselbe wesentlich auf Kosten Deutschlands erfolgte. Karl dem Kühnen, der das ganze linke Rheinufer zu erobern trachtete und durch den Königstitel die völlige Unabhängigkeit zu erringen hoffte, der 1467 Lüttich eroberte und 1473 Gelderland sowie Zütphen erwarb, trat er erst entgegen, als mit der Belagerung von Neuß 1474 die Gefahr aufs höchste stieg. Dagegen bemühte er sich für sein Haus um die Anwartschaft auf Burgund, und nach dem frühen Untergang des ehrgeizigen Herzogs (1477) reichte dessen Erbin dem stattlichen Sohne Friedrichs, Maximilian, ihre Hand, ihm so den zum Deutschen Reiche gehörigen Teil ihrer Besitzungen zuführend, während die französischen Lehen sofort von Ludwig XI. eingezogen wurden. 1489 erbte Friedrich auch Tirol von einer habsburgischen Nebenlinie und gelangte 1490 nach dem Tode von Matthias Corvinus wieder in den ungestörten Besitz seiner österreichischen Erblande. Mit dem Jagellonen Wladislaw, König von Böhmen, der Matthias' Nachfolger in Ungarn wurde, schloß Maximilian 1491 den Vertrag von Preßburg, der die habsburgische Erbfolge auch in Ungarn und Böhmen in Aussicht stellte. Nach den größten Demütigungen glückte damit Friedrich die Begründung der habsburgischen Weltherrschaft durch Erbgang und Heirat, während das Reich wiederum an Macht verlor. Nur dann hat sich Friedrich seines Königtums erinnert, wenn er damit seinem Haus Erwerbungen zuführen konnte.

Maximilian I. (1493–1519), bereits 1486 zum römischen König gewählt, folgte seinem Vater, und er, der humanistisch gebildet, zahlreiche geistige Interessen besaß, fand sein Ideal in der Wiederherstellung der alten Kaisermacht und zeigte sich in der Voraussetzung, daß eine Reichsreform die Erreichung dieses Zieles befördern werde, bereit, dem Reich eine neue, festere Organisation zu geben. Auf dem Reichstag zu Worms wurde 1495 unter dem Beirat, namentlich Bertolds von Mainz, die Reichsreform in Angriff genommen. Zunächst ward der allgemeine ewige Landfrieden verkündet, durch den nicht bloß für eine bestimmte Zeit und für eine einzelne Landschaft, sondern für immer und im ganzen Reich alle Fehden bei Strafe der Reichsacht verboten und jedermann zum Austrag von Streitigkeiten auf den Rechtsweg verwiesen wurde. Um diesen allen zu sichern, wurde das Reichskammergericht eingesetzt, dessen besoldete Mitglieder teils vom Kaiser, teils von den Reichsständen zur Hälfte aus dem Adel, zur Hälfte aus gelehrten Juristen ernannt werden sollten. Um die Kosten dieses Gerichtshofes zu bestreiten und die Mittel für Ausstellung einer Truppenmacht zu beschaffen, welche die Exekution der Urteile des Reichskammergerichts vollstrecken konnte, wurde die Einführung einer allgemeinen Reichssteuer, des gemeinen Pfennigs, beschlossen. Alle Jahre sollte der Reichstag zusammentreten, um über den Landfrieden, die Vollziehung der kammergerichtlichen Urteile und des Volkes Wohl überhaupt zu wachen. Die Reichsversammlung bestand jetzt aus drei Kollegien, dem der Kurfürsten, dem der Fürsten und dem der Reichsstädte. Die Reichsritterschaft war nicht vertreten. Im ganzen gab es 250 Reichsstände; da jedoch die kleinern Stände keine Viril-, sondern nur gemeinsame Kuriatstimme hatten, so zählte der Reichstag wenig mehr als 100 Stimmen. Die Reichsversammlung war jedoch zu einer kontrollierenden Aufsichtsbehörde untauglich. Deshalb brachte der Reichstag zu Augsburg 1500 die Errichtung eines bleibenden Ausschusses der Stände, des Reichsregiments, das aus 20 Mitgliedern, 6 Vertretern der Kurfürsten, 12 der Fürsten, Grafen und Prälaten und 2 der Städte bestand. Zur bessern Durchführung aller dieser Maßregeln wurde das Reich in sechs, 1512 in zehn rein landschaftliche Kreise geteilt, an deren Spitze je ein Direktorium stand: der österreichische, der bayrische, der fränkische, der kurrheinische, der oberrheinische, der burgundische, der niederrheinisch-westfälische, der niedersächsische, der obersächsische und der schwäbische Kreis. Böhmen mit seinen Nebenländern blieb außerhalb der Reichsverfassung. Die Schweiz weigerte sich, den ewigen Landfrieden anzunehmen und sich dem Kammergericht zu unterwerfen, und schied im Baseler Frieden (1499) faktisch aus dem Reichsverband aus.

Die neue Reichsverfassung hatte ein durchaus oligarchisches Gepräge, indem den Kurfürsten der entscheidende Anteil an der Regierung eingeräumt wurde. Die andern Stände, besonders die Städte und die Reichsritterschaft, der man das Fehdehandwerk legte, erhielten nichts. Tatsächlich ist die Verfassung, wie sie beschlossen war, nicht ins Leben getreten; Maximilians Wankelmut und immer neue Pläne, seine geringe Lust, auf einen Teil der königlichen Machtvollkommenheit zu verzichten, vernichteten die glücklichen Anfänge einer Neugestaltung, die, entprechend den Tatsachen, nur mit Stützung auf die mächtigsten Fürsten möglich war. Maximilian hatte mehrere Feldzüge nach Italien unternommen, um dort die Kaisergewalt wiederherzustellen, aber seine Waffen hatten keinen Erfolg. Da ihm die Unterwerfung Italiens und die Krönung in Rom nicht glückte (trotzdem legte er sich den Kaisertitel bei), widmete er sein ganzes Augenmerk der Erhöhung der Macht seines Hauses. Die Vermählung seines Sohnes Philipp des Schönen mit der spanischen Infantin Johanna, der Tochter und Erbin Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragonien, verschaffte dem Hause Habsburg den Besitz der spanischen Monarchie, zu der die Königreiche Neapel, Sizilien und Sardinien sowie das neuentdeckte Amerika gehörten, ein Besitz, den Maximilians ältester Enkel, Karl, 1516 antrat. Durch die Vermählung seines zweiten Enkels, Ferdinand, mit der Schwester des Königs Ludwig von Ungarn und Böhmen verstärkte er die Aussichten auf die Erwerbung dieser Königreiche. Nur die Wahl seines Enkels Karl zu seinem Nachfolger konnte er nicht erreichen; als er im Januar 1519 starb, hinterließ er D. ohne Oberhaupt in einem der entscheidendsten Wendepunkte seiner Geschichte.

Zeitalter der Reformation (1517–55).

Die neuen Bildungselemente, die D. im Laufe des 15. Jahrh. in sich aufgenommen hatte, die Auflösung der ältern gebundenen Gesellschaftsformen, der Umschwung in den materiellen Verhältnissen, der wachsenden Reichtum neben Verelendung weiter Volkskreise herbeiführte-alles dieses hatte eine geistige Unruhe in das deutsche Volk gebracht, die sich nach 1500 in der verschiedensten Weise fühlbar machte. Die Erhebungen der Bauern gegen Grundherren und Landesobrigkeit (s. Bauernkrieg) wurden von Aufständen des städtischen Proletariats begleitet. Die Ritter, wirtschaftlich schwer gedrückt, besaßen nicht mehr die Kraft, ihre alte Lebensführung beizubehalten, und auch bei ihnen zeigten sich revolutionäre Versuche. Auf geistigem Gebiete gärte es nicht minder. Neben der viel erörterten Frage der Reform der Kirchen verfassung war anfangs von der Notwendigkeit und Möglichkeit einer Reform der Kirchen lehre kaum die Rede gewesen, aber je mehr sich die Unmöglichkeit der kirchlichen Verfassungsreform herausstellte und je mehr die Erweiterung des geistigen Horizonts unter dem Einfluß des Humanismus und das Eindringen in die Philosophie und Denkweise der Alten die Geister belebte, um so näher lag es, auch an der Kirchenlehre Kritik zu üben. Es ist wohl kein bloßer Zufall, daß der Kampf gegen die herrschende Kirchenlehre gerade bei dem Dogma einsetzte, das mit den materiellen Verhältnissen der Masse in engster Berührung stand, beim Ablaß. Die Geldbedürftigkeit, ein charakteristisches Merkmal der päpstlichen Hierarchie, führte zu seiner immer weitern Ausgestaltung, und die dadurch veranlaßte Geldentziehung erweckte schon früh lebhafte Bedenken bei nationalgesinnten Volkswirten: aus diesen Erwägungen hat auch der sächsische Kurfürst in seinen Landen den Ablaßhandel verboten. Das erlösende Wort fand Martin Luther, indem er 31. Okt. 1517 die 95 Thesen gegen den Ablaß an die Tür der Schloßkirche zu Wittenberg anschlug. Niemand, am wenigsten er selbst, ahnte, welche Wirkung diese Tat haben würde, aber in ihrer Rückwirkung auf die Verhältnisse, denen sie selbst unbewußt entsprungen war, ward sie zum Ausgangspunkt einer Bewegung, die alle geistigen und wirtschaftlichen Lebensfragen auf Jahrhunderte beeinflußt hat.

Unter dem Druck der öffentlichen Meinung, die sich entschieden gegen eine Wahl Franz' I. von Frankreich zum deutschen König aussprach, wählten die Kurfürsten, als der vom Papst begünstigte Kurfürst Friedrich von Sachsen die Wahl ablehnte, den jungen Karl von Spanien, von dem das Volk die Wiederherstellung des Glanzes der deutschen Königsmacht erwartete. Zwar mußte Karl V. (1519–56) dem Fürstentum in der Wahlkapitulation die Wiedereinsetzung eines Reichsregiments zugestehen, aber er konnte dies ohne Scheu tun, da ihm nicht seine Stellung im Reich, sein deutsches Königtum, sondern die Ausrichtung einer kaiserlichen Weltherrschaft als Ideal vorschwebte. Das Hauptgewicht legte er auf seine Stellung in Italien, wo er den Entscheidungskampf mit Franz I. ausfechten mußte. D., für das er nicht arbeiten wollte, für dessen Wesen er aber auch kein Verständnis besaß, war ihm nur Mittel für seine Zwecke, und die deutschen Interessen hat er in der Tat stets denen seiner Weltherrschaftsgelüste geopfert. Nachdem er 1520 in Aachen gekrönt worden war, hielt er Anfang 1521 den ersten Reichstag zu Worms ab: die Bestellung eines ständischen Reichsregiments während der Abwesenheit des Kaisers, die Reform des Reichskammergerichts, die Ausstellung einer Matrikel behufs Aufbringung der Kosten durch die Stände, endlich die Festsetzung der Truppenmacht, mit der das Reich fortan den Kaiser in Italien unterstützen sollte, wurde rasch erledigt. Dem Papste Leo X. zuliebe erließ Karl, nachdem Luther 18. April die Forderung des Widerrufs abgelehnt hatte und die meisten Reichsstände schon abgereist waren, unter Aussprechung der Acht das Wormser Edikt, das die Verbreitung und Begünstigung der ketzerischen Lehre Luthers mit gleicher Strafe bedrohte. Hiermit sagte sich Karl von der Reformbewegung los und trat in offenen Gegensatz zu den besten Köpfen des Volkes. Nachdem er die österreichischen Erblande seinem Bruder Ferdinand übertragen hatte, verließ er 1521 D., um erst nach 9 Jahren (1530) dahin zurückzukehren.

Das in Nürnberg zusammentretende Reichsregiment nahm trotz der Haltung Karls V. die Sache der kirchlichen und politischen Reform mit Ernst in die Hand. Der neue Papst, Hadrian VI., kam den Wünschen der deutschen Nation entgegen, und der Nürnberger Reichstag faßte 1523 die Forderungen Deutschlands in 100 GravaminaBeschwerden«) zusammen, verlangte binnen Jahresfrist ein allgemeines, freies Konzil auf deutschem Boden, auf dem auch die Laien Sitz und Stimme hätten, und forderte bis zu demselben die freie Verkündigung des reinen Evangeliums; zur Bestreitung der Kosten der neuen Gerichts- und Heeresverfassung plante man die Errichtung einer Reichszollinie. Inzwischen war aber die Unzufriedenheit der Ritter mit dem fürstlichen Regiment gewachsen: auf Antrieb Sickingens und seines feurigen, leidenschaftlichen Freundes Hutten vereinigten sich 1522 die alten Ritterbünde am Rhein und Main zu einer Erhebung für religiöse und politische Freiheit gegen die fürstliche Allgewalt, der sich, wie sie hofften, auch die Städte anschließen würden. Sie begann mit dem Überfall Sickingens auf Trier (1522), der jedoch mißlang. Die Fürsten am Mittelrhein verbanden sich zu rascher und kräftiger Gegenwehr, die Reichsritter unterlagen bald, Sickingen fiel bei der Verteidigung seiner Feste Landstuhl (1523), und Hutten endete in der Schweiz im Elend. Schlau wußte der neue, jeder Reform abgeneigte Papst Clemens VII. und sein Legat in D., Campeggi, diese Erhebung der Ritter gegen die Reformbestrebungen auszubeuten. Campeggi vereinigte auf dem Regensburger Konvent (Juni 1524) mehrere weltliche Fürsten, wie den Erzherzog Ferdinand und die bayrischen Herzöge, und die süddeutschen Bischöfe zu dem Beschluß, daß einige Mißbräuche abgestellt, der weltlichen Gewalt Zugeständnisse gemacht, dafür aber die Lutherschen Lehrmeinungen nicht geduldet werden sollten. Anderseits versuchte die Volkserhebung, der sogen. Bauernkrieg (s.d.), die religiösen mit ihren wirtschaftlich-sozialen Forderungen zu verbinden; aber gewaltsam niedergeschlagen, vergaß der gemeine Mann bald seine Forderungen, und die treibenden Kräfte blieben die leitenden Kreise des Volkes. Wenn auch die Funken mystisch-schwärmerischer Erregung im Volke noch lange unter der Asche fortglommen, so war doch fortan nicht mehr das Volk Träger der großen religiösen Bewegung, sondern die Reichsstände, und ihre Sonderinteressen verflochten sich fortan mit der Sache der kirchlichen Reform.

Nachdem die bedeutendsten von den der Reformation geneigten Ständen sich im Torgauer Bund (Juni 1526) über eine gemeinsame Haltung verständigt hatten, erwirkten sie auf dem Reichstag zu Speyer (August 1526) den Beschluß, daß »m Sachen der Religion und des Wormser Edikts jeder Reichsstand so leben, regieren und es halten solle, wie er es gegen Gott und Kaiserliche Majestät zu verantworten sich getraue«. Nun glaubten sie sich berechtigt, voran Johann von Sachsen und Philipp von Hessen, in ihren Territorien die Kirchenreform nach Luthers Anweisung durchzuführen: die bischöfliche Gewalt für sich beanspruchend, beseitigten sie alles, was der Lehre der Heiligen Schrift widersprach, besonders Zölibat und Messe. Der öffentliche Gottesdienst und das Schulwesen wurden reorganisiert, die Klöster säkularisiert und ihre Güter z. T. zu Kirchen- und Schulzwecken bestimmt, während andre Teile des eingezogenen Kirchengutes zur Vermehrung des fürstlichen und des landständischen Vermögens dienten. Indes wurde durch die eigenmächtige Reform der Stände der Partikularismus gestärkt, individuelle dogmatische Überzeugungen der Fürsten und ihrer Theologen machten sich nach dem nun herrschenden Grundsatz »Cujus regio, ejus religio« mehr und mehr geltend und säten den Samen religiöser Zwietracht, wie denn gleich der erste Versuch, die deutsche und Schweizer Reformation zu versöhnen (durch das Religionsgespräch zu Marburg 1529), zum offenen Bruch zwischen Luther und Zwingli führte.

Die unerwartete Zustimmung des Kaisers zu den Beschlüssen des Reichstags von 1526 veranlaßten die politischen Verhältnisse. Nachdem Karl V. im Bunde mit dem Papst im ersten Krieg mit Franz I. von Frankreich (1521–26) den entscheidenden Sieg von Pavia (24. Febr. 1525) über denselben davongetragen, zwang er den gefangenen König im Frieden von Madrid (14. Jan. 1526) zum Verzicht auf Italien und Burgund. Der Mediceer Clemens VII., der die ausschließliche Herrschaft des Kaisers über Italien nicht zulassen wollte, ging zu Franz I. über und billigte den Eidbruch, mit dem dieser sich vom Madrider Vertrag lossagte, und schloß mit ihm 22. Mai 1526 die Heilige Liga von Cognac. Zwischen Papst und Kaiser brach offener Krieg aus, und kaiserliche Truppen erstürmten und plünderten 1527 Rom, während gleichzeitig der Kampf zwischen Karl V. und Franz I. von neuem entbrannte. Im Frieden von Cambrai (1529) verzichtete Karl V. zwar auf Burgund, behielt aber die Herrschaft in Italien, die auch Clemens VII. im Frieden von Barcelona (29. Juni) anerkannt hatte. Karl verpflichtete sich, wider die Ketzerei in D. einzuschreiten; der Bund der beiden Häupter der Christenheit wurde Ende 1529 durch ein Zusammensein in Bologna und die Kaiserkrönung Karls daselbst (24. Febr., die letzte in Italien) besiegelt. Die veränderte Haltung des Kaisers wirkte schon auf den zweiten Speyerer Reichstag 1529 entscheidend: die der alten Kirche zugetanen Stände besaßen die Mehrheit und beschlossen dem kaiserlichen Vorschlag gemäß, daß das Wormser Edikt bestehen bleiben, den evangelischen Ständen jede weitere Neuerung, besonders Beeinträchtigung der geistlichen Obrigkeit, verboten sein und das Sektenwesen nicht geduldet werden solle. 19 evangelische Reichsstände, 5 Fürsten und 14 Städte, erhoben gegen das Verfahren, daß ein einstimmig gefaßter Beschluß (der Reichstagsabschied von 1526) durch eine Mehrheit aufgehoben werden solle, Einspruch, und dieser gegen eine staatsrechtliche Neuerung erhobene Protest trug ihnen den Namen »Protestanten« ein. Im Mai 1530 kehrte der siegreiche Kaiser nach D. zurück und eröffnete 18. Juni den Reichstag zu Augsburg, vor dem am 25. Juni das Augsburgische Glaubensbekenntnis verlesen wurde, das, von Melanchthon verfaßt, die Unterschiede der alten und der neuen Lehre mild und leidenschaftslos darlegte und letztere rechtfertigte. Die angesehensten katholischen Theologen reichten dagegen eine Widerlegung, die Confutatio, ein. Hiermit erklärte Karl V. die Sache für erledigt und nahm Melanchthons Apologie der Confessio Augustana nicht an. Er verlangte vielmehr Unterwerfung der Protestanten, bis das längst versprochene allgemeine Konzil versammelt sei, und der Reichstagsabschied sprach scharf und deutlich die Drohung aus: wenn die Protestanten nicht bis zum 15. April gutwillig zur alten Kirche zurückkehrten, würde die neue Lehre mit Gewalt ausgerottet werden. Unter dem Eindruck dieser Drohung schlossen die Häupter der Protestanten Anfang 1531 den Schmalkadischen Bund (s.d.) zur Verteidigung der evangelischen Freiheit. Indes zur Anwendung der Gewalt kam es vorläufig nicht, denn die Zurückdrängung der Türken war, seitdem nach dem Tode König Ludwigs in der Schlacht bei Mohács (29. Aug. 1526) Erzherzog Ferdinand die Königreiche Böhmen und Ungarn geerbt hatte und Sultan Soliman 1529 bis vor Wien vorgedrungen war, für das Haus Habsburg eine unabweisbare Notwendigkeit geworden. Um nun von den deutschen Ständen Beistand gegen die Türken zu erlangen, ferner um die Zustimmung der Kurfürsten zur Wahl Ferdinands zum römischen König zu gewinnen, bewilligte Karl den Evangelischen 1532 den Nürnberger Religionsfrieden, der ihnen freie Religionsübung bis zum bevorstehenden Zusammentritt des allgemeinen Konzils gestattete.

Nachdem ein stattliches deutsches Heer die Türken zurückgetrieben hatte, begab sich Karl wieder nach Spanien und wurde in neue Kriege mit Frankreich verwickelt, für die er die Hilfe der Deutschen ebenso bedurfte, wie Ferdinand bei den immer wiederkehrenden Türkenkriegen. Das Regensburger Interim und der Reichstagsabschied vom 29. Juli 1541 bestätigten daher den Nürnberger Religionsfrieden, hoben die Ausschließung der Protestanten vom Kammergericht auf, erlaubten jedermann den Übertritt zur neuen Lehre und versprachen aufs neue ein allgemeines oder ein Nationalkonzil. Die Berufung eines solchen seitens der Kurie verzögerte sich indes, weil die römische Geistlichkeit teils zur friedlichen Verständigung mit den Protestanten, teils zur schroffsten Reaktion neigte. Unterdessen breitete sich die Reformation immer mehr aus. Philipp von Hessen führte 1534 den 1519 vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg in sein von Österreich besetztes Land zurück, das sich dem Luthertum anschloß. In Norddeutschland mehrten sich die Anhänger der neuen Lehre; selbst die Errichtung des phantastischen Wiedertäuferreiches in Münster, das durch die vereinigte Macht protestantischer und katholischer Fürsten 1535 vernichtet wurde, konnte die Ausbreitung der evangelischen Lehre nicht hemmen. Brandenburg, Meißen, Kurpfalz, eine Anzahl Städte, ja sogar schon Bischöfe traten zu ihr über. Der einzige Fürst im Norden, welcher der alten Kirche treu blieb, Herzog Heinrich von Braunschweig, wurde infolge von gewalttätigen Angriffen auf die Reichsstädte Goslar und Braunschweig vom Schmalkaldischen Bund aus seinen Landen vertrieben. Auch einer von den geistlichen Kurfürsten, Hermann von Wied, Erzbischof von Köln, begann, wenn auch im Widerspruch zu den schließlich siegreichen Ständen, sein Stift zu reformieren. Schon der allgemeine Abfall von der alten Kirche vernichtete Karls Hoffnung auf die Restauration der einheitlichen Kirche. Um noch rechtzeitig zu retten, was zu retten war, unterbrach der Kaiser im vierten französischen Krieg (1542–44) seinen Siegeslauf, der ihn bis in die Nähe von Paris geführt, und schloß 1544 plötzlich mit Franz I. den Frieden von Crépy, in dem er sich mit dem Stande der Dinge vor dem Kriege begnügte. Vom Papst erreichte er endlich die Berufung eines allgemeinen Konzils nach Trient, das im Dezember 1545 eröffnet wurde, und auf dem Wormser Reichstag (Mai 1545) forderte er die Protestanten zur Beschickung desselben auf. Diese weigerten sich und bestanden auf einem freien deutschen Nationalkonzil. Indem sich der Kaiser nun zur Anwendung von Gewalt entschloß, entstand der Schmalkaldische Krieg (1546–47). Obwohl die Schmalkaldischen anfangs die Übermacht besaßen, so ließen sie es doch geschehen, daß sich Karl durch italienische und spanische Truppen gegen die ausdrückliche Bestimmung der Wahlkapitulation verstärkte. Karl bewog den Herzog Moritz vun Sachsen durch das Versprechen der sächsischen Kur zu einem geheimen Vertrag und fiel plötzlich in Kursachsen ein, was den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen zum Schutz ihrer Lande herbeizueilen nötigte. Nun war Süddeutschland den kaiserlichen Truppen preisgegeben und wurde noch 1546 ohne Mühe unterworfen. Im Frühjahr 1547 wandte sich Karl nach Sachsen, zersprengte 24. April bei Mühlberg das Heer Johann Friedrichs und nahm ihn selbst gefangen. Die sächsische Kur nebst den Kurlanden wurde auf Moritz übertragen; Landgraf Philipp unterwarf sich dem Kaiser, wurde aber ebenfalls in Hast behalten, und der Schmalkaldische Bund war vernichtet.

Auf dem Augsburger Reichstag im September 1547 unternahm es der siegreiche Kaiser, die kirchliche Frage nach seinem Sinne zu ordnen. Er ließ eine Glaubensformel ausarbeiten, das Augsburger Interim (s. Interim) von 1548, das den Protestanten das Abendmahl in beiderlei Gestalt und die Priesterehe zugestand, sich auch in der Rechtfertigungslehre dem protestantischen Standpunkt näherte, aber die römische Hierarchie und den alten Kultus aufrecht erhielt und von den Protestanten Beschickung des Konzils und unbedingte Unterwerfung unter dessen Beschlüsse forderte. Der Papst, der das Konzil 1547 nach Bologna verlegt hatte, um es dem Machtbereich des Kaisers zu entrücken, sowie die katholischen Reichsstände wiesen das Interim sofort zurück. Die Protestanten wagten in Augsburg keine Opposition; aber nur ein Teil der Stände verkündete das Interim, keiner versuchte seine gewaltsame Durchführung, die nur in Oberdeutschland von der kaiserlichen Soldateska unternommen wurde. Zahlreiche Flugblätter forderten das evangelische Volk zur Standhaftigkeit auf und priesen Magdeburgs Heldenmut, das allein das Interim offen zurückgewiesen hatte. Auch die in der Kirchenfrage schwankenden Fürsten sowie die katholischen Reichsstände entfremdete sich der Kaiser durch Entwürfe, welche die fürstliche »Libertät« zu gefährden drohten. Er zog die Ernennung der Beisitzer des Reichskammergerichts ganz an sich, errichtete eine Reichskriegskasse, die ihm aus Mitteln des Reiches die Möglichkeit gewährte, D. durch ein Söldnerheer fortwährend im Zaum zu halten, vereinigte durch die Pragmatische Sanktion sein burgundisches Erbe zu einem politischen Ganzen, das als zehnter Kreis unter den Schutz des Reiches gestellt, aber der Reichsregierung und dem Reichskammergericht nicht unterworfen wurde, und gab endlich die Absicht kund, die Verbindung Deutschlands mit Spanien und seine Unterordnung unter die habsburgische Weltherrschaft dadurch zu verewigen, daß er seinen Sohn Philipp zu seinem Nachfolger im Kaisertum bestimmte; 1551 verlangte er von seinem Bruder Ferdinand und dessen Sohn Maximilian den Verzicht auf die Kaiserwürde.

Da erhob sich Kurfürst Moritz, um die Unabhängigkeit der deutschen Fürsten und die Religionsfreiheit zu retten. Klug wußte er den Kaiser zu täuschen, während er das durch seinen frühern Verrat erwachte Mißtrauen der evangelischen Fürsten beschwichtigte und sich ihres Beistandes versicherte. Nachdem er von Heinrich II. von Frankreich das Versprechen eines Vorstoßes gegen Karl V. erhalten, wogegen der König die Stifter und Städte Cambrai, Metz, Toul und Verdun solle besetzen dürfen, erließ Moritz ein Manifest gegen die »Viehische erbliche Servitut«, die D. von Spanien drohe, brach im März 1552 nach Oberdeutschland auf und hatte es schon im April in seiner Gewalt. Der Kaiser, dem der Weg nach Flandern abgeschnitten war, flüchtete von Innsbruck nach Steiermark und überließ, krank und tief gebeugt durch sein Mißgeschick, seinem Bruder Ferdinand die Unterhandlung mit den Fürsten, die am 29. Juli 1552 zu dem Passauer Vertrag (s.d.) führte. Der endgültige Friede wurde 25. Sept. 1555 in Augsburg geschlossen (Augsburger Religionsfriede, s.d.); er gewährte den Reichsständen das Recht, die Konfession für sich und ihr Territorium frei zu wählen (j us reformandi), und erneuerte damit den Grundsatz »Cujus regio, ejus religio«, den schon der Reichstag von Speyer 1526 aufgestellt hatte. Katholische und evangelische Reichsstände sollten fortan in ihren Rechten gleich sein, die Todesstrafe für Ketzer wurde abgeschafft. Doch wurde das Recht der Religionsfreiheit, um das Sektenwesen abzuwehren, auf die Anhänger der Augsburgischen Konfession beschränkt, die Reformierten also (Zwinglianer und Calvinisten) vom Frieden ausgeschlossen; ferner bestimmte eine Klausel, der »geistliche Vorbehalt« (reservatum ecclesiasticum), daß die geistlichen Fürsten das jus reformandi nur für ihre Person haben und, wenn sie zur neuen Lehre überträten, ihr geistliches Amt und ihr Fürstentum verlieren sollten. Ferdinand gab zwar den Protestanten die Erklärung, daß der Besitzstand der evangelischen Kirche in den geistlichen Territorien, wie er jetzt sei, nicht angetastet werden solle, doch ward dieselbe nicht in den Reichstagsabschied aufgenommen. Dennoch war die formelle Anerkennung einer det römischen Kirche nicht unterworfenen Religionspartei ein ungeheurer Fortschritt in der Entwickelung religiöser Freiheit; dem modernen Staat war die Bahn gebrochen. Karl V. gab nur ungern seine Zustimmung zum Augsburger Vertrag, und da auch sein Versuch, Frankreich die geistlichen Stifter zu entreißen, mit der vergeblichen Belagerung von Metz (1553) gescheitert war, so legte er die Regierung seiner Reiche nieder, übertrug seinem Sohn Philipp 1555 das burgundische Reich, dazu 1556 Italien und Spanien und seinem Bruder Ferdinand die österreichischen Erblande mit Böhmen und Ungarn. Auch verzichtete er zu Ferdinands gunsten auf die Kaiserkrone, zog sich in das spanische Kloster San Yuste zurück und starb 1558. Dadurch ward D. wieder von der Verbindung mit Spanien gelöst und erlangte die Freiheit selbständiger nationaler Entwickelung zurück.

Zeitalter der Gegenreformation [1555–1648].

(Hierzu die »Geschichtskarte von Deutschland III«.)

Nach dem großen geistigen Kampf der Reformationszeit griff eine gewisse Abspannung der Geister Platz; der Humanismus zog sich in die Gelehrtenschulen zurück, die schöne Literatur bildete sich nur in einigen Gattungen aus; im übrigen wurde die geistige und wissenschaftliche Tätigkeit der Nation fast ganz von den religiösen Erörterungen und Streitigkeiten in Anspruch genommen, die besonders im Gebiete des strengen Luthertums in gehässige dogmatische Zänkereien ausarteten. Die lutherischen Hoftheologen verfielen bald in hochmütige Herrschsucht und fanatische Intoleranz, dieselben Fehler, die man der alten Kirche zum Vorwurf gemacht hatte. Die Fürsten huldigten kurzsichtigem Eigennutz und gingen ganz in dem Streben nach Vermehrung ihres Besitzes auf, soweit sie nicht bloß materieller Genußsucht frönten. Materiell genoß D. die Früchte einer hochentwickelten Kultur, aber es war die satte Ruhe ohne das rüstige Fortschreiten, das die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrh. gesehen hatten. Die eben in der Bildung begriffene Einheit der Nation ging durch die politische und kirchliche Zerrissenheit wieder verloren, und selbst rein wirtschaftlich vermochte das deutsche Volk seine Stellung gegenüber den andern Nationen nicht in dem bisherigen Umfang zu behaupten; in Nord- und Ostsee verlor die Hansa ihre herrschende Stellung. Neue Kolonien deutschen Volkstums wurden nicht gegründet, die alten Ansiedelungen im Osten dem Mutterland entfremdet. Nicht einmal des Türkenansturms wußte sich D. zu erwehren. Über die Sicherheit ihrer Stellung täuschte sich die protestantische Mehrheit in unbegreiflicher Verblendung und träumte noch von völligem Sieg der Reformation, als der Feind schon in ihrem eignen Lager war.

Die beiden Nachfolger Karls V., Ferdinand I. (1556–64) und dessen Sohn Maximilian II. (1564 bis 1576), waren redlich bemüht, den religiösen Frieden aufrecht zu erhalten; letzterer trug sich ernstlich mit dem Gedanken, selbst überzutreten. Im Reich machten sich die evangelischen Stände die wohlwollende Gesinnung des Kaisers zu nutze und säkularisierten trotz des geistlichen Vorbehalts zahlreiche Stifter und Kirchengüter in Norddeutschland. Indes der gehässige Streit zwischen Calvinisten und Lutheranern, und unter letztern wieder zwischen Albertinern und Ernestinern (s. Grumbachsche Händel), Maximilian von dem Übertritt zur Reformation zurückhielt, fesselten dynastische Interessen, die zeitweilige Aussicht auf den spanischen und den polnischen Thron, ihn wieder ganz an das alte Bekenntnis. Inzwischen aber hatte sich die römische Kirche auf dem Trienter Konzil innerlich reorganisiert, und der Jesuitenorden, dessen Glieder als Lehrer an Universitäten und Gymnasien sowie als Berater der Fürsten wirkten, begann systematisch die sogen. Gegenreformation. Als 1576 Maximilians ältester, in Spanien erzogener Sohn, Rudolf II. (1576–1612), den Kaiserthron bestieg, erlangten die Jesuiten auch am habsburgischen Hof den herrschenden Einfluß. Den evangelischen Inhabern von Stiftern wurde Sitz und Stimme auf den Reichstagen verweigert. Als der Kölner Erzbischof, Gebhard Truchseß von Waldburg, den Calvinismus im Erzstift einzuführen suchte, wurde er vom Papst abgesetzt, durch spanische Truppen vertrieben (1583) und an seine Stelle der jesuitenfreundliche bayrische Prinz Ernst zum Erzbischof erhoben, der, auch zum Bischof von Münster und Hildesheim ernannt, hier wie in Köln die Ketzerei ausrottete. Die lutherischen Stände, namentlich Sachsen und Brandenburg, ließen dies aus Trägheit und Eifersucht auf die Calvinisten ruhig geschehen. 1592 mußte der von der Mehrheit des Straßburger Domkapitels als Bischof postulierte Markgraf Johann Georg von Brandenburg seinem katholischen Nebenbuhler, Karl von Lothringen, weichen. Zwei Zöglinge der Jesuiten, Erzherzog Ferdinand von Steiermark und Herzog Maximilian von Bayern, rotteten die evangelische Lehre in ihren Gebieten mit Feuer und Schwert aus, und letzterer unterwarf auf Grund eines kaiserlichen Achtspruches die Reichsstadt Donauwörth, in der der protestantische Rat mit den katholischen Priestern in Streit lag, nicht bloß dem Katholizismus, sondern auch seiner Landeshoheit.

Diese Gewalttat war der unmittelbare Anlaß für die evangelischen Reichsstände, zur Abwehr weiterer Verletzungen der Reichsverfassung 14. Mai 1608 die Union von Auhausen zu schließen, von der sich jedoch Sachsen und Brandenburg fern hielten. Ihr gegenüber stiftete Herzog Maximilian von Bayern 10. Juli 1609 die katholische Liga zum Schutz der Reichsgesetze und der katholischen Religion, und beide Bekenntnisse besaßen jetzt eine organisierte politische Vertretung. Der jülich-klevische Erbfolgestreit (1609 bis 1614; s. Jülich) schien der Anfang eines europäischen Krieges werden zu wollen, denn schon ergriff Frankreich für die Union, Spanien für die Liga Partei; doch die Ermordung Heinrichs IV. von Frankreich (1610) und die Wirren im habsburgischen Kaiserhaus veranlaßten die streitenden Parteien zur Verständigung. Der Konflikt brach unter Rudolfs Nachfolgern Matthias (1612–19) und Ferdinand II. (1619–37) in Böhmen, dem kaiserlichen Erblande, aus und wurde, da der Kaiser den Böhmenkönig Friedrich von der Pfalz als Empörer gegen die kaiserliche Majestät behandelte, ins Reich hinüber gespielt. Weiteres s. Dreißigjähriger Krieg.

Der Verfall des Römischen Reiches deutscher Nation.

(Hierzu die »Geschichtskarte von Deutschland IV«.)

Das deutsche Volk mußte nach dem großen Kriege seine Kulturarbeit wiederum an einer Stelle beginnen, die es wenigstens zwei Jahrhunderte früher schon einmal überschritten hatte. Aber was auch geleistet wurde, das ist politisch nur dem landesfürstlichen Territorialstaat, dem Vorläufer des heutigen Bundesstaates, zu gute gekommen, das Reich als solches hat keinen Vorteil daraus gezogen. Für Deutschlands Geschicke in der Folgezeit wäre es besser gewesen, wenn im Westfälischen Frieden der tatsächlichen Auflösung des Reichs auch die formelle gefolgt wäre, denn daß die damals geplante Errichtung einer neuen Reichsverfassung nie zu stande kommen würde, war bei dem Widerstreite der Interessen unter den Reichsständen von vorn herein klar. Die schwerfällige Verkörperung des Reiches, der fortan zu Regensburg versammelte Reichstag, der seit 1663 nicht mehr aufgelöst wurde und damit seinen alten Charakter verlor, zerfiel in drei Kurien: Kurfürsten, Fürsten und Städte. Die Reichsstände erschienen nicht mehr persönlich, sondern waren durch Gesandte vertreten, die stets erst die Instruktion ihrer Auftraggeber einholen mußten und damit unter dem Vorwande, keine Instruktion zu haben, jede unbequeme Beschlußfassung hinausschleppen konnten. Die Wirksamkeit der Reichsvertretung ist infolge davon außerordentlich gering. Was politisch geschah, das ist das Werk der Fürsten kraft ihrer Territorialmacht, die sie nach dem Westfälischen Frieden (1648) besser auszunutzen vermochten, da ihnen dieser die Freiheit, mit dem Auslande Bündnisse einzugehen, einräumte. So schlossen die rheinischen Kurfürsten und Fürsten 1658 die Rheinische Allianz mit Frankreich, das überhaupt im Zeitalter Ludwigs XIV. Deutschland durchaus beherrschte, wenn auch Ludwigs Trachten, die deutsche Kaiserkrone nach Ferdinands III. 1657 erfolgtem Tod zu erwerben, durch die Wahl Leopolds I. (1658–1705) vereitelt wurde. Die kaiserliche Macht verlor nebenher durch immer neue Zugeständnisse an die Kurfürsten, die in den Wahlkapitulationen niedergelegt wurden, immer mehr von ihrem alten Glanz, Leopold erinnerte sich seines Verhältnisses zum Reiche nur insofern, als er sich dadurch für seine Sonderinteressen, die Unterwerfung Ungarns und Erwerbung des Erbes der spanischen Habsburger, deren Erlöschen bevorstand, Vorteil versprach.

Dieses war auch das Ziel der französischen Politik unter Ludwig XIV., und in die hieraus entstehenden Verwickelungen und Kämpfe wurde ganz D. hineingezogen, obwohl es sich um rein dynastische Angelegenheiten und nicht um deutsche Interessen handelte. Der französische Eroberer wollte zunächst die burgundisch-niederländischen Provinzen Spaniens an sich bringen und unternahm zu diesem Zweck den Devolutionskrieg gegen Spanien (1667–68) und den Einfall in Holland (1672). Wie er schon 1670 das Herzogtum Lothringen für sich in Anspruch genommen hatte, so besetzte und verwüstete er auch im Kriege gegen Holland rücksichtslos deutsches Reichsgebiet, so daß das Reich 1674 den Krieg an Frankreich erklärte, das sofort Schweden zu einem Einfall in Brandenburg aufhetzte. Die kaiserlichen und Reichstruppen kämpften tapfer und nicht unglücklich; der Große Kurfürst erfocht über die Schweden den glänzenden Sieg von Fehrbellin (28. Juni 1675) und entriß ihnen ganz Pommern. Aber den Verbündeten fehlte es an Einigkeit und Opferwilligkeit, und so behielt Ludwig XIV. im Frieden von Nimwegen (1678) Lothringen, die mit Gewalt ihrer Freiheit beraubten elsässischen Reichsstädte, die Franche-Comté und einen Teil der spanischen Niederlande und tauschte gegen Philippsburg Freiburg i. Br. ein; Pommern mußte der Kurfürst von Brandenburg 1679 an Schweden zurückgeben. Dieser Erfolg ermutigte Ludwig XIV. zu den berüchtigten Réunionen und zur gewaltsamen Besetzung Straßburgs (1681), die zwar in D. einen Sturm der Entrüstung erregten, aber dennoch nicht zu entschlossener Abwehr führten, weil der Einfall eines ungeheuern türkischen Heeres, das 1683 von Ungarn aus bis Wien vordrang und dieses Bollwerk des Südostens hart belagerte, alle Kräfte in Anspruch nahm. Durch den Sieg am Kahlenberg (12. Sept. 1683) wurde Wien befreit, und durch die glänzenden Erfolge, welche die kaiserlichen u. Reichstruppen unter Karl von Lothringen, Ludwig von Baden und Eugen von Savoyen über die Türken davontrugen, Ungarn mit seinen Nebenlanden 1699 endgültig dem Kaiser als Erbreich unterworfen. Weniger glücklich waren die deutschen Waffen im Westen. Nachdem das Reich im Regensburger Waffenstillstand 1684 Ludwig XIV. den Besitz der Réunionen für 20 Jahre zugestanden hatte, erhob dieser 1685 nach dem Aussterben der kurpfälzischen Linie der Wittelsbacher für seine Schwägerin Elisabeth Charlotte Ansprüche auf die Allodialgüter des pfälzischen Hauses, und obwohl sich 1686 der Kaiser, die angesehensten deutschen Fürsten, Spanien, die Niederlande und Schweden gegen ihn verbündeten, erklärte er dem Reich 1688 den Krieg, wofür er die Nichtanerkennung seiner Kreatur, des Grafen Wilhelm von Fürstenberg, als Erzbischof von Köln von seiten des Papstes und des Reiches zum Anlaß nahm. Er begann denselben, um die Pfalz für seine Feinde als Operationsgebiet unbrauchbar zu machen, mit ihrer vollständigen Verwüstung: Mannheim, Heidelberg mit seinem Schloß, Worms und Speyer mit ihren Domen wurden zerstört. Obwohl in dem folgenden achtjährigen Kampfe die Verbündeten tapfer kämpften und die deutschen Truppen den Boden des Reiches schützten, so vermochten sie dennoch keine entscheidenden Erfolge zu erringen; im Frieden von Ryswyk (1697) gab Frankreich nur einige Réunionen sowie Lothringen heraus, behielt aber das Elsaß mit Straßburg und Saarlouis und setzte durch, daß der in der Pfalz seit 1688 mit Gewalt hergestellte Katholizismus in 1922 Ortschaften herrschend blieb.

Wegen der spanischen Erbfolgefrage entspann sich wenige Jahre später der sogen. Spanische Erbfolgekrieg (s.d.). Ganz D. wurde dadurch in Mitleidenschaft gezogen, da der Kaiser die Kurfürsten von Sachsen, Brandenburg, Hannover, Pfalz und andre Fürsten durch besondere Bündnisse an sich kettete, während Ludwig XIV. die beiden wittelsbachischen Kurfürsten von Bayern und Köln für sich gewann. Frankreich spielte den Krieg sogleich auf Reichsgebiet, und das Reich mußte im September 1701 den Krieg erklären. Anfangs schien ganz Süddeutschland den verbündeten Franzosen und Bayern in die Hände fallen zu sollen, jedoch der Sieg des Prinzen Eugen und Marlboroughs bei Höchstädt (13. Aug. 1704) trieb die Franzosen über den Rhein zurück und brachte Bayern in die Gewalt der Kaiserlichen. Der Krieg wurde fortan außerhalb des Reiches in den Niederlanden und in Italien geführt, aber mit dem steigenden Kriegsglück offenbarte sich immer klarer Österreichs rein dynastische Politik. Leopolds I. Nachfolger, Joseph I. (1705–11), erklärte die beiden wittelsbachischen Kurfürsten, nur auf die Zustimmung der Kurfürsten gestützt, in die Reichsacht und unterwarf Bayern nach blutiger Erstickung eines Bauernaufstandes seiner Herrschaft. Als schließlich Ludwig XIV., durch seine Mißerfolge gedemütigt, 1709 zum Verzicht auf Spanien bereit war und auch alle Eroberungen in Elsaß und Lothringen an das Reich zurückgeben wollte, lehnte Joseph dies Anerbieten ab und forderte von Ludwig die Vertreibung seines eignen Enkels vom spanischen Thron, worauf dieser den Krieg fortsetzte. Auch Karl VI. (1711–40), Josephs Bruder, beharrte bei dem Anspruch auf die ganze spanische Erbschaft, drängte aber dadurch die Seemächte von seiner Sache ab, so daß sie sich 1713 im Frieden von Utrecht mit Frankreich vertrugen. Der Kaiser setzte den Kampf gegen Ludwig XIV. und seinen Enkel fort, aber mit so wenig Erfolg, daß er selbst 6. März 1714 in Rastatt, das Reich 7. Sept. 1714 in Baden (Schweiz) mit Frankreich Frieden schloß. Österreich erwarb aus der spanischen Erbschaft die italienischen Besitzungen (Mailand, Neapel und Sizilien) und die Niederlande, während das Reich außer dem Elsaß nun auch Landau endgültig abtreten und die Ryswyker Klausel über die Religionsverhältnisse der Pfalz, aus der zahlreiche Protestanten nach Amerika auswanderten, von neuem bestätigen mußte; die Kurfürsten von Bayern und von Köln wurden restituiert. Im wesentlichen hatte trotz der deutschen Waffenerfolge die französische Diplomatie gesiegt.

Dagegen zogen mehrere deutsche Fürstenhäuser aus den politischen Verwickelungen der letzten Jahrzehnte Vorteile, wenigstens an äußern Ehren. Herzog Ernst August von Hannover erlangte 1692 für die Stellung beträchtlicher Hilfstruppen im Türken- und im Franzosenkrieg die neunte Kurwürde, die allerdings von den übrigen Kurfürsten und vom Reich erst 1705 anerkannt wurde. Immerhin machte sie den fortwährenden Teilungen ein Ende, die das Welfenhaus an Erwerbung größern Einflusses im Reich immer wieder gehindert hatten, und 1714 bestieg dies neue Kurhaus Hannover den britischen Thron, mit dem seine deutschen Lande fortan durch Personalunion verbunden waren. 1697 wurde Kurfürst Friedrich August von Sachsen durch seinen Übertritt zum Katholizismus und durch großartige Bestechungen zum König von Polen gewählt. Die Führerschaft der evangelischen Reichsstände übernahm nun Brandenburg, dessen Kurfürst Friedrich III. ebenfalls 1700 durch eifrige Unterstützung der kaiserlichen Politik eine Rangerhöhung erreichte: am 18. Jan. 1701 krönte er sich selbst zum König seines souveränen Landes Preußen. Indes wurde damit der Schwerpunkt der hohenzollerischen Macht nicht in das Ausland verlegt, wie es bei den beiden andern Rangerhöhungen zum Unsegen Deutschlands geschah, vielmehr ein wesentlich die andern an Macht überragendes rein deutsches Territorium auch äußerlich als solches gekennzeichnet. Namentlich die polnische Königskrone gereichte Sachsen und auch D. zum größten Unheil, indem sie D. in den Nordischen Krieg (1700–1721) verwickelte. Die Teilnahme Augusts II. an dem Angriff auf Schweden hatte zur Folge, daß Karl XII. ihn in Polen stürzte und bis in das Innere des Reiches verfolgte, wo er ihn 1706 zum Frieden von Altranstädt zwang. Allerdings untergrub der Schwedenkönig selbst die Großmachtstellung, die Schweden im Dreißigjährigen Krieg errungen hatte: Bremen und Verden gingen 1721 an Hannover, Vorpommern bis zur Peene mit Stettin und den Odermündungen an Preußen verloren. Die Herrschaft am Baltischen Meere ging an das für D. gefährlichere Rußland über. Die Verbindung bedeutender deutscher Fürstentümer mit fremden Königreichen und die Bildung wirklicher Staaten in D., wie König Friedrich Wilhelm I. von Preußen einen schuf, beförderten ihre völlige Loslösung aus dem Rahmen des Deutschen Reiches und den Verfall des Reiches. Kaiser Karl VI. trieb nur dynastische Politik und hatte einzig und allein die Sicherung der Erbfolge in den habsburgischen Landen für seine älteste Tochter, Maria Theresia, im Auge. Nachdem er die Stände seiner Lande zur Anerkennung der neuen Thronfolgeordnung, der Pragmatischen Sanktion von 1723, bewogen, gewann er auch die deutschen Reichsfürsten und die europäischen Mächte dafür. Nur Bayern weigerte sich, auf seine Erbansprüche zu verzichten, die teils auf alten Verträgen, teils auf der Vermählung des Kurfürsten Karl Albert mit Josephs I. Tochter beruhten. Das in ähnlicher Lage befindliche Sachsen ließ sich zur Anerkennung herbei, als der Kaiser die Bewerbung des Kurfürsten Friedrich August III. um den polnischen Königsthron gegen den von Frankreich begünstigten Stanislaus Leszczynski unterstützte. Der hieraus entstehende Polnische Erbfolgekrieg (1733–38; s.d.) erweiterte sich zu einem österreichisch-französischen Krieg und ward vorzugsweise in Italien und am Rhein geführt, wodurch auch das Reich in denselben verwickelt wurde. Auf Deutschlands Kosten ward auch 1738 der Wiener Friede geschlossen: gegen die Anerkennung Augusts III. als polnischen König und der Pragmatischen Sanktion von seiten Frankreichs wurde Lothringen an Stanislaus abgetreten, nach dessen Tode (1766) es Frankreich zufallen sollte.

Unterdessen hatte sich das Volk wirtschaftlich trotz der zahlreichen Kriege erholt, und in allen Territorien waren Ansätze zu modern-staatlichen Bildungen mit geordneter Verwaltung zu beobachten. Ein wohlgeordnetes Staatswesen bildete sich zuerst in Preußen, wo der König Friedrich Wilhelm I. unter spartanischem Regiment eine vorzügliche Verwaltung einführte, die Finanzen trefflich ordnete, den Geist religiöser Duldung dem Staat einimpfte und ihn durch ein tüchtiges Heer auf eigne Füße stellte. In den meisten andern deutschen Territorien tritt um diese Zeit erst der Kampf gegen die Landstände und ihre Privilegien, die Grundbedingung für einen wahrhaft monarchischen Staat, in die Erscheinung. Brandenburg-Preußen hatte ihn schon im 17. Jahrh. ausgekämpft. Die Äußerlichkeiten des absoluten Königtums, wie es Ludwig XIV. verkörperte, wurden auch an deutschen Höfen sklavisch nachgeahmt. August der Starke von Polen-Sachsen, der erste Kön ig von Preußen, die Kurfürsten von Hannover, aber auch die kleinern Fürsten, wie die Herzöge von Württemberg und die Landgrafen von Hessen lebten durchaus französisch und entwickelten einen übermäßigen Luxus, der die Kraft des Volkes verzehrte, allerdings auch zur Einführung und Pflege der Manufakturen (Porzellan ') führte. Die Prachtliebe und Eitelkeit der Fürsten veranlaßte bei Bau und Ausschmückung von Schlössern, Theatern und Galerien Entfaltung künstlerischen Sinnes, und an Universitäten und Akademien lehrten Männer wie Leibniz, Thomasius, Wolf. Äußerte sich der fürstliche Despotismus auch mitunter noch in empörender Intoleranz gegen Andersgläubige, wie bei der Vertreibung der protestantischen Salzburger (1732), so huldigten doch schon viele Fürsten der religiösen Aufklärung. Das mildere, werktätige, gefühlsinnige Christentum der sogen. Pietisten gewann die Oberhand über lutherische und calvinistische Orthodoxie. Auch der Wohlstand hob sich, und in dem nach dem großen Krieg aus verschiedensten Elementen sich bildenden neuen Bürgertum, das mit dem des 16. Jahrh. nur den Namen gemeinsam hat, entstand der Träger einer neuen Kultur, die auf dem Felde der Dichtung und Philosophie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. ihre schönsten Früchte zeitigte, aber auch redlich bemüht war, allen Gliedern der Nation die Segnungen geistiger Bildung zugänglich zu machen.

Nur die politische Gestaltung des Reiches ward nicht verbessert, vielmehr machte der Verfall der Reichsinstitutionen noch Fortschritte. 1681 hatte sich zwar der Reichstag zu einer Revision der seit 1521 bestehenden Reichskriegsverfassung ermannt und beschlossen, daß jeder der zehn Reichskreise, auch Österreich und Burgund, ein festes Kontingent zum Reichsheer, das auf eine Stärke von 40,000 Mann normiert war, stellen solle. Bei einer etwaigen Erhöhung dieser Norm auf die doppelte oder dreifache Truppenzahl sollten die Kontingente entsprechend vermehrt und die Kosten dieses Reichsheeres aus einer Reichskriegskasse bestritten werden. Aber diese Teilung des Reichsheeres in Kreiskontingente hinderte schleunige und vollzählige Ausstellung derselben. In Fällen der Not pflegten die bedrohten Stände durch besondere Bündnisse, sogen. Assoziationen, ihre Streitkräfte zu ihrem Schutze zu vereinigen. Die größern Reichsfürsten stellten ihre Truppen überhaupt nicht zu den Kreiskontingenten, weil sie dann, wie z. B. die brandenburgischen, auf mehrere Kontingente verteilt worden wären, sondern stellten sie dem Kaiser oder seinen Verbündeten als Hilsstruppen, und erhielten dafür unter Umständen noch besondere Subsidien. Die Kreisheere, meist aus einem bunten Gemisch kleiner Kontingente bestehend, waren militärisch von geringem Werte. Das Reichskammergericht, welches von Speyer nach Einäscherung der Stadt 1693 nach Wetzlar verlegt worden war, genoß kein Ansehen und war wegen der übermäßigen Verschleppung der Prozesse berüchtigt. Der kaiserliche Reichshofrat in Wien, der mit dem Kammergericht als oberster Gerichtshof konkurrierte, stand im Rufe der Bestechlichkeit und Parteilichkeit. Eine Besserung der Dinge war um so weniger möglich, als die ständige Wahlkapitulation, die 1711 bei der Wahl Karls VI. durchgesetzt worden war, jede Reform der Reichsverfassung, aber nicht ihren Verfall hinderte.

Die völlige Ohnmacht des Reiches trat deutlich zutage, als-bei der Thronbesteigung Maria Theresias in Österreich 1740 der Kampf zwischen ihr und Friedrich II. von Preußen (Schlesische Kriege, s.d.) und gleichzeitig der Österreichische Erbfolgekrieg (s.d.) ausbrachen. D. spaltete sich wieder in zwei Parteien, und auswärtige Staaten mischten sich in seine Angelegenheiten und fochten ihre Machtfragen auf deutschem Boden aus. Auf Frankreichs Antrieb wurde dessen Schützling, der Kurfürst von Bayern, als Karl VII. Albrecht (1742–45) zum Kaiser gewählt, konnte aber nicht einmal sein Erbland, aus dem ihn die Österreicher vertrieben hatten, wiedererobern und starb in der Fremde. Nun ward Maria Theresias Gemahl, Franz Stephan von Lothringen, zum Kaiser gewählt, und mit ihm, Franz I. Stephan (1745 bis 1765), bestieg das Haus Habsburg-Lothringen den Thron; Österreich behauptete mit der Kaiserkrone seine herrschende Stellung im Reich. Aber der gefürchtete Rivale Österreichs begann jetzt der junge brandenburg-preußische Staat zu werden; es kam zum Entscheidungskampf, dem Siebenjährigen Kriege (1656–63; s.d.), in dessen Verlauf Friedrich II. mit der Reichsacht belegt wurde. Aber das Volk, namentlich der protestantische Teil desselben, stand mit seinen Sympathien auf preußischer Seite, und die offene Verhöhnung, die Friedrich II. der Achtserklärung entgegensetzte, fand allgemeinen Beifall. Die schmähliche Niederlage der Reichsarmee bei Roßbach (5. Nov. 1757) rief nur Spott über das klägliche Heerwesen des Reiches hervor; ja an den Heldentaten des Preußenkönigs und seiner Soldaten richtete sich das deutsche Volk auf und gewann Nationalstolz und Selbstbewußtsein wieder. Auch nach dem Krieg. als in längerer Friedenszeit die Wunden des Krieges heilen konnten, wirkte das Beispiel Preußens und seiner Regierung durch Friedrich II. anregend und spornte zur Nacheiferung an. Baden, Bayern, die thüringischen Staaten, Anhalt, auch geistliche Fürsten, wie Kurköln und Kurmainz, besonders aber Maria Theresia selbst, bemühten sich, durch eine sorgsamere Verwaltung, gerechtere Verteilung der Steuern und Lasten, geregelte Finanzen, Reorganisation des Heerwesens, aufgeklärte Gesetzgebung die Lage ihrer Untertanen zu verbessern, ihren Wohlstand und ihre geistige Entwickelung zu fördern.

Preußen hatte durch den Siebenjährigen Krieg den Rang einer europäischen Großmacht erreicht und stand Österreich fast ebenbürtig zur Seite. Für Europa entstand dadurch eine ganz neue Lage, da jetzt neben den Habsburgern und Bourbonen noch die Hohenzollern als dritte mit Machtansprüchen erschienen. Österreich und Preußen waren beide, z. T. auf außerhalb des Reiches wurzelnde Macht gestützt, längst mehr als Territorien im Reich oder Reichsstände wie die andern Duodezfürstentümer; das Reich fristete nur seinen Bestand durch die unter ihnen bestehende Eifersucht. Franz' I. Sohn und Nachfolger Joseph II. (1765–90) suchte den österreichischen Einfluß durch Vergrößerung seines deutschen Gebiets zu vermehren und dadurch auch den Verlust Schlesiens zu ersetzen. Er leitete zu diesem Zweck mit dem Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz, der nach dem Erlöschen der bayrischen Wittelsbacher (1777) auch das Kurfürstentum Bayern geerbt hatte, Verhandlungen über die Abtretung dieses Landes ein. Jedoch Friedrich II. duldete dies nicht; als Verteidiger der Reichsverfassung nahm er sich der Rechte des mutmaßlichen Nachfolgers Karl Theodors, des Herzogs Karl von Pfalz-Zweibrücken, an und protestierte gegen die österreichischen Vergrößerungspläne. Joseph II. gab sich nicht zufrieden, aber der Bayrische Erbfolgekrieg (1778–79; s.d.) wurde nur lässig geführt, und Österreich erhielt schließlich von Bayern nur das Innviertel, während Preußen sich den Zufall der fränkischen Fürstentümer sicherte. Als Joseph II. durch den Tod seiner Mutter Maria Theresia (1780) unbeschränkter Herr seiner Erblande geworden war, verschaffte er seinem jüngsten Bruder, Maximilian, die Stifter Köln und Münster, kettete die Reichsgrafen und Reichsritter enger an den Wiener Hof und suchte systematisch einerseits den kaiserlichen Einfluß wieder zu erhöhen und anderseits durch Tauschgeschäfte seine Erblande abzurunden. Aber die Reichsfürsten, die ihre Selbständigkeit durch Josephs Politik ernstlich bedroht sahen, wie Hannover, Sachsen, Braunschweig, Baden, Mecklenburg, Anhalt, die thüringischen Staaten, Hessen-Kassel, Pfalz-Zweibrücken, Ansbach, Kurmainz, Würzburg, traten zum Schutz der Reichsverfassung zum sogen. Fürstenbund (1785) zusammen, an dessen Spitze sich Friedrich II. stellte. Joseph mußte auf seine Pläne verzichten. Die Emser Punktation, zu der sich die vier deutschen Erzbischöfe 1786 gegen die päpstliche Einmischung in die kirchlichen Dinge in D. vereinigten, schien gleichzeitig einen wesentlichen Fortschritt auf dem Wege zur nationalen Selbständigkeit zu bedeuten. Indes die Hoffnung, daß aus dem Fürstenbund eine förmliche Union der deutschen Stände unter Preußens Führung mit dauernden politischen, gerichtlichen und militärischen Institutionen erwachsen werde, erfüllten sich nicht, zumeist weil Friedrichs II. Nachfolger, König Friedrich Wilhelm 11. (1786–97), die Unionspolitik fallen ließ und den Krieg, den Joseph II. und Katharina II. von Rußland gegen die Türkei führten, benutzen wollte, mit sich neben territorialen Erwerbungen die Rolle eines Schiedsrichters in Europa zu verschaffen. Dieser Plan scheiterte an der Klugheit von Josephs II. Bruder und Nachfolger, Kaiser Leopold II. (1790–92), der die durch Josephs übereilte Reformen hervorgerufenen Unruhen in Österreich beschwichtigte und Preußens Vermittelung für den Frieden mit der Türkei annahm. Vorübergehend kam es sogar zu einer Annäherung zwischen Österreich und Preußen, die zu einem Bündnis gegen das revolutionäre Frankreich führte, aber die natürliche Gegnerschaft beider war noch dreiviertel Jahrhundert für die Geschicke Deutschlands maßgebend.

Die Zeit der Revolution und der Napoleonischen Kriege.

(Hierzu die »Geschichtskarte von Deutschland V«.)

Der Ausbruch der französischen Revolution (1789) und die ersten Ereignisse derselben wurden in D. von der großen Menge des Volks und seinen geistigen Führern begrüßt. Man hegte die Hoffnung, daß der Umsturz des Feudalsystems und die Begründung eines neuen, auf Freiheit und Vernunft beruhenden Staatswesens in Frankreich auch in D. eine politische Reform zur Folge haben würde. Man hoffte auf Beseitigung der Reste des Mittelalters und Vernichtung der monströsen Staatsgebilde, wie sie sich in den geistlichen, den reichsgräflichen und reichsritterschaftlichen Herrschaften erhalten hatten, nicht minder auf die Aufhebung aller halbstaatlichen Gewalten und Schaffung einer einheitlichen Masse der Untertanen mit staatsbürgerlichen Rechten im monarchischen Staate. Diese Hoffnung wurde jedoch bald getäuscht. Die französische Revolution begnügte sich nicht mit friedlicher Propaganda für ihre Ideen, sondern die Nationalversammlung dehnte die von ihr dekretierte Aufhebung aller feudalen und kirchlichen Rechte ohne weiteres auch auf die von französischem Gebiet eingeschlossenen Besitzungen deutscher Reichsstände aus, obwohl deren Zugehörigkeit zum Reich durch besondere Verträge garantiert war. Die betroffenen Reichsstände, darunter die Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln, die Herzöge von Württemberg und Pfalz-Zweibrücken, der Landgraf von Hessen-Darmstadt, der Markgraf von Baden u. a., wiesen die Entschädigung durch Assignaten oder Nationalgüter zurück und suchten Hilfe beim Reiche. Für die militärische Sicherung der Westgrenze Deutschlands taten sie jedoch nichts; ebensowenig brachen sie der auch in D. nicht unbedeutenden revolutionären Propaganda durch Befriedigung der berechtigten Wünsche des Volkes und zeitgemäße Reformen die Spitze ab. Dagegen wurde den französischen Emigranten in Koblenz, Mainz und Worms gastliche Aufnahme gewährt. Friedrich Wilhelm II. war sogar zu einem Kriege für das bedrängte französische Königtum bereit. Kaiser Leopold dagegen verzögerte die Ratifikation des Reichsgutachtens über die Beschwerden der Reichsstände bis zum Dezember 1791 und bewog auf einer persönlichen Zusammenkunft mit dem König von Preußen zu Pillnitz (27. Aug. 1791) denselben, von seinen Angriffsplänen abzustehen. Das am 7. Febr. 1792 ebenfalls zu Pillnitz zwischen Österreich und Preußen abgeschlossene Bündnis hatte nur die gegenseitige Verteidigung und die Aufrechterhaltung der deutschen Reichsverfassung zum Zweck. Dennoch brach der Krieg nach Leopolds II. Tod (1. März 1792) aus, indem das neue girondistische Ministerium in Frankreich, das einen auswärtigen Krieg wünschte, um die wachsende Gärung im Innern abzulenken, den Aufenthalt der Emigranten in D. zum Vorwand nahm und 20. April 1792 Kaiser und Reich den Krieg erklärte.

Leopolds Sohn und Nachfolger Franz II. (1792 bis 1806) und sein Minister Thugut beabsichtigten während des Krieges mit Frankreich die alten Pläne auf Erwerb Bayerns und andrer süddeutscher Territorien verwirklichen zu können. Ähnlich dachte man in Preußen, und so wurden die kriegerischen Unternehmungen durch gegenseitiges Mißtrauen und Neid gelähmt. Ungeschick und Schwäche der Heerführer kamen hinzu und ließen das ganze Unternehmen scheitern. Der Einmarsch des aus Preußen und Österreichern gebildeten Hauptheeres unter Karl von Braunschweig in die Champagne endete mit der erfolglosen Kanonade von Valmy (20. Sept. 1792) und dem Rückzug bis an den Rhein. Dumouriez nötigte die Österreicher durch den Sieg bei Jemappes (6. Nov.) zur Räumung Belgiens, und gleichzeitig drang Custine an den Mittelrhein vor, nahm durch einen Handstreich Speyer, Worms, Mainz sowie Frankfurt und brandschatzte nach Willkür. Das Volk begrüßte die Franzosen als Befreier, schwelgte im Besitz der Menschenrechte, und in Mainz wurde sogar eine Republik errichtet. Die Fürsten, namentlich die geistlichen von Speyer, Mainz und Trier, gaben ihre Herrschaft ohne Schwertstreich preis und suchten ihr Heil in kopfloser Flucht. Kurpfalz erbat von Custine die Erlaubnis, neutral zu bleiben. Bleiche Furcht beherrschte überall die Gemüter. Erst die Bildung der ersten europäischen Koalition (1793) gegen das revolutionäre Frankreich, zu der außer Österreich, Preußen und dem Reiche vor allem auch England gehörte, ermutigte zum Widerstand. Mit neuen Kräften (auch einige Kreiskontingente nahmen daran teil) eröffneten die Österreicher und Preußen 1793 den Feldzug. Die erstern vertrieben durch die Schlacht bei Neerwinden (18. März) die Franzosen aus Belgien, die letztern eroberten nach längerer Belagerung 23. Juli Mainz und behaupteten die Pfalz gegen alle Angriffe der Franzosen; nur im Elsaß wurden die Österreicher über den Rhein zurückgeworfen. Sofort nahm Österreich seine Vergrößerungspläne wieder auf: den Plan, Bayern gegen Belgien zu vertauschen, billigte der preußische Hof, wies aber das österreichische Ansinnen, die 1791 an Preußen heimgefallenen fränkischen Fürstentümer abzutreten, entschieden zurück. Österreichs Mißtrauen erhöhte noch der neue polnische Teilungsvertrag (1793), durch den Rußland einen großen Teil Litauens und Wolhyniens, Preußen Danzig, Thorn und Südpreußen (Großpolen) erhielt. Österreich wurde nur die Zustimmung zum bayrisch-belgischen Ländertausch angeboten, und das zu einer Zeit, wo Belgien nach den Niederlagen der Engländer bei Hondschoote (8. Sept. 1793) und der Kaiserlichen bei Wattignies (16. Okt.) nur mit Mühe behauptet ward. Die Koalition wurde noch durch die Bemühungen Pitts zusammengehalten und das finanziell erschöpfte, durch Verwickelungen in Polen bedrohte Preußen bewogen, gegen Zahlung von Subsidien seitens der Seemächte ein Heer von 50,000 Mann am Rhein zu lassen. Mit diesem siegte Preußen zweimal, im Mai und im September 1794, bei Kaiserslautern über die Franzosen, beutete aber diese Siege nicht zu energischem Vordringen in Feindesland aus, da es im Osten mit den aufständischen Polen zu tun bekam. Österreich gab nach der Niederlage bei Fleurus (26. Juni 1794) Belgien preis, suchte aber durch engern Anschluß an Rußland bei der bevorstehenden letzten Teilung Polens Preußen zu überflügeln. Dies gelang ihm auch. Da Preußen der polnischen Empörung nicht Herr zu werden vermochte, während die Russen unter Suworow Ruhe stifteten, entschied Katharina II. über das Schicksal Polens und teilte es in einem besondern Abkommen mit Österreich (3. Jan. 1795) so, daß dieses, obwohl es am Kampfe gar nicht teilgenommen, ein ebenso großes Gebiet wie Preußen erhielt. Nun scheute sich Preußen auch nicht, den von Frankreich wiederholt angebotenen Separatfrieden von Basel (5. April 1795) abzuschließen, räumte seine linksrheinischen Besitzungen Frankreich ein unter der Zusicherung, daß, wenn im allgemeinen Frieden der Rhein die französische Grenze werde, es durch geistliches Gebiet auf dem rechten Rheinufer entschädigt werden solle; unter preußischer Vermittelung wurden die norddeutschen Fürsten in den Frieden eingeschlossen und das neutrale Norddeutschland durch eine Demarkationslinie von Süddeutschland getrennt.

Der Schutz der deutschen und europäischen Interessen auf dem Kontinent fiel nun Österreich zu; denn selbst die von den Franzosen zunächst bedrohten süddeutschen Reichsstände unterwarfen sich schon im August 1796 Frankreich. Durch den Besitz Belgiens und Hollands (seit 1795) am Niederrhein gegen einen Angriff gesichert, drangen die Franzosen 1795 mit zwei Heeren unter Pichegru und Jourdan in das rechtsrheinische D. und wiederholten, von Clerfait über den Rhein zurückgeworfen, 1796 dies Unternehmen. Zwar wurde Jourdan auch diesmal vom Erzherzog Karl bei Amberg (24. Aug.) und Würzburg (3. Sept.) besiegt und wie Moreau am Oberrhein zum Rückzug auf das linke Rheinufer gezwungen, aber Bonaparte, der die Österreicher aus Italien vertrieben und ihre letzte Festung, Mantua, erobert hatte, trat Anfang 1797 seinen kühnen Zug in das Herz der österreichischen Erblande an, der den kaiserlichen Hof dermaßen einschüchterte, daß er 18. April zu Leoben in Steiermark einen Waffenstillstand schloß, der am 17. Okt. 1797 zu Campo Formio in einen definitiven Frieden verwandelt wurde. Das linke Rheinufer ward an Frankreich abgetreten und die Entschädigung der deutschen Fürsten, die dadurch Gebiet verloren, durch säkularisiertes Kirchengut auf dem rechten Rheinufer ausgemacht; Österreich, dessen Gebiet Abrundung erfahren sollte, erhob als Ersatz für Belgien auf Salzburg und einen Teil Bayerns Anspruch; für Mailand nahm es die Republik Venedig nebst Istrien und Dalmatien an. Die Neuordnung der Dinge in D. wurde auf dem Rastatter Kongreß verhandelt, der im Dezember 1797 zusammentrat. Hier gebärdeten sich die französischen Gesandten als die Herren: während sie außer dem linken Rheinufer noch eine Reihe fester Plätze auf dem rechten, wie Kehl, Mannheim und Kastel, forderten, bestimmten sie die zu säkularisierenden und zu mediatisierenden Stände und verteilten deren Gebiete. Der Rastatter Kongreß ward durch die Bildung der unter des russischen Kaisers Paul Führung zu stande kommenden zweiten Koalition, der auch Österreich und Süddeutschland, aber nicht Preußen beitrat, unterbrochen; die französischen Gesandten wurden bei der Abreise (28. März 1799) ermordet (s. Rastatter Gesandtenmord). Italien wurde jetzt wiedererobert und Jourdan durch den Sieg des Erzherzogs Karl bei Stockach (25. März 1799) über den Rhein zurückgedrängt. Aber die Eroberung der Schweiz mißlang; verstimmt sagte sich Kaiser Paul von der Koalition los, ein Versuch der Engländer, Holland zu erobern, scheiterte, und 1800 sah sich Österreich allein den Streitkräften Frankreichs gegenüber. Bonaparte, seit dem Staatsstreich vom 18. Brumaire als Erster Konsul Herr Frankreichs, entriß durch den Sieg bei Marengo (14. Juni 1800) den Österreichern Italien; in Süddeutschland trieb Moreau den General Kray vom Rhein zurück und siegte 3. Dez. bei Hohenlinden über Erzherzog Johann. Um Wien zu retten, schloß Österreich 25. Dez. den Waffenstillstand von Steier, dem am 9. Febr. 1801 der Friede von Lüneville folgte. Dieser bestätigte im wesentlichen den Vertrag von Campo Formio, mir wurde er vom Kaiser auch im Namen des Deutschen Reiches unterzeichnet. Das ganze linke Rheinufer, 60,000 qkm mit 3,5 Mill. Einw., kam jetzt endgültig an Frankreich.

Zur Regelung der Entschädigung setzte der Regensburger Reichstag eine Reichsdeputation ein, aber die maßgebende Entscheidung lag bei Frankreich und Rußland, die im Oktober 1801 dahin übereingekommen waren, Österreichs und Preußens Eifersucht so auszubeuten, daß keins von beiden viel gewinne, dagegen die südwestdeutschen Staaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen als Kern einer dritten Staatengruppe vorzugsweise begünstigt wurden. Ihr Vorschlag ward auch von der Reichsdeputation im wesentlichen angenommen und 25. Febr. 1803 der Reichsdeputationshauptschluß vom Reichstag bestätigt. Derselbe säkularisierte alle geistlichen Fürstentümer und Stifter; die depossedierten Fürsten behielten ihr geistliches Amt und eine Dotation. Bloß der Hoch- und Deutschmeister und der Kurerzkanzler blieben als Reichsstände bestehen; doch verlor der letztere das Kurfürstentum Mainz und erhielt Regensburg nebst Wetzlar und Aschaffenburg und die Würde eines Primas von D. Alle Reichsstädte wurden mediatisiert mit Ausnahme von sechs: Bremen, Lübeck, Hamburg, Frankfurt, Nürnberg und Augsburg. Das gewonnene Gebiet war so bedeutend, daß die Entschädigung viel reichlicher ausfiel als der Verlust, zumal nur die größern Fürsten berücksichtigt wurden. Österreich bekam die Bistümer Trient und Brixen und für den Großherzog von Toskana Salzburg, wogegen es den Breisgau nebst der Ortenau an den Herzog von Modena abtrat; Preußen erhielt die Stifter Hildesheim, Paderborn, den größten Teil von Münster, Erfurt und das Eichsfeld, die Abteien Essen, Werden und Quedlinburg und die Städte Nordhausen, Mühlhausen und Goslar; Hannover gewann Osnabrück, Bayern die Stifter Würzburg, Bamberg, Eichstädt, Freising, Augsburg, Passau und eine Anzahl Reichsstädte, Württemberg die von seinem Gebiet umschlossenen oder begrenzten Reichsstädte und Abteien, Baden siebenmal mehr, als es verloren; auch Hessen-Darmstadt und Nassau wurden ansehnlich vergrößert. An Stelle von Köln und Trier wurde Württemberg, Baden, Hessen-Kassel und Salzburg die Kurwürde verliehen, so daß das Kurfürstenkollegium aus zehn Mitgliedern bestand. Die Zahl der katholischen Reichsstände verringerte sich auf 30 gegen 50 evangelische. Reichsritterschaft und Reichsstädte hatten bis jetzt noch das meiste Interesse an der Erhaltung des Reiches gehabt, beide waren jetzt vernichtet, und der Reichsdeputationshauptschluß bedeutet deshalb in Wirklichkeit die Auflösung des alten Reiches. Für die Bedeutung dieses Ereignisses hatte aber das damalige deutsche Volk, dessen gebildete Kreise meist für eine kosmopolitische Humanität schwärmten, ebensowenig Empfindung, wie für die Schmach fremder Einmischung; die vertragswidrige Besetzung Hannovers durch die Franzosen (1803) und die Entführung des Herzogs von Enghien von deutschem Boden (15. März 1804) nach Vincennes, wo er erschossen wurde, nahm man ohne Protest hin.

Der französische Einfluß in D. war bereits so gewachsen, daß beim Ausbruch des Krieges der dritten Koalition gegen den nunmehrigen Kaiser Napoleon (1805) Bayern, Württemberg und Baden sich mit Frankreich verbündeten. Das österreichische Heer unter Mack drang bloß bis Ulm vor, wo es von Napoleon umzingelt und 17. Okt. 1805 zur Kapitulation gezwungen wurde. Jetzt stand den Franzosen der Weg nach Wien offen, wo sie 13. Nov. einzogen, und 2. Dez. 1805 wurde das vereinigte russisch-österreichische Heer in der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz völlig besiegt. Da Rußland vorläufig aus dem Krieg ausscheiden mußte, schloß Österreich 25. Dez. mit Frankreich den Frieden von Preßburg, in dem es Venetien an Italien, Tirol und Vorarlberg an Bayern, den Breisgau an Baden abtrat; ferner mußte es die Souveränität der neuen Könige von Bayern und Württemberg und des Großherzogs von Baden anerkennen und im voraus seine Zustimmung zu einem engern Bund Napoleons mit deutschen Fürsten geben. Dieser, der Rheinbund (s.d.), ward 12. Juli 1806 von 16 deutschen Fürsten: Bayern, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Berg, Nassau, dem Fürsten-Primas v. Dalberg u. a., abgeschlossen, wahrte zwar formell durch Berufung einer ständigen Bundesversammlung nach Frankfurt seinen föderativen Charakter, war aber ganz in der Gewalt seines Protektors, des französischen Kaisers, gegen den sich jeder einzelne Fürst zu ewigem Bündnis und zur Stellung eines fest normierten Kontingents in jedem Kriege verpflichten mußte. Dafür erhielten die Rheinbundsfürsten die Erlaubnis, die noch unabhängigen Reichsgrafen und Reichsfürsten in ihrem Gebiet zu mediatisieren. Auf die Anzeige an den Regensburger Reichstag von der Bildung des Rheinbundes und dem Austritt seiner Mitglieder aus dem Reichsverband (1. Aug. 1806) legte Kaiser Franz II. 6. Aug. die Kaiserwürde nieder und nannte sich fortan Franz I. als Erbkaiser von Österreich, welche Würde er schon 18. Aug. 1804 (also vor Napoleons Kaiserkrönung 2. Dez. 1801) angenommen hatte; der Reichstag ging auseinander. Dies war das formelle Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation.

Durch den Preßburger Frieden war Österreich aus D. herausgedrängt, und durch den Rheinbund hatte Napoleon Süd- und Westdeutschland seiner Botmäßigkeit unterworfen. Preußen hatte sich an den letzten Unternehmungen nicht beteiligt und dadurch nicht an Ansehen gewonnen, auch trotz der Friedenszeit unter dem neuen König Friedrich Wilhelm III. (1797–1840) sein Heerwesen nicht reformiert. Die Kurzsichtigkeit seiner Staatsmänner hatte Preußen vom letzten Koalitionskrieg ferngehalten, ja hatte es nach bewaffneter Intervention zu dem schmählichen Vertrag zu Schönbrunn (15. Dez. 1805) geführt, worin Preußen ein Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich einging und gegen Abtretung Ansbachs, Neuenburgs und Kleves Hannover annahm. Auch zur Stiftung des Rheinbundes und zur Auflösung des Deutschen Reiches gab es seine Zustimmung gegen die Zusage Napoleons, die Bildung eines Norddeutschen Bundes unter preußischer Hegemonie zu befördern. Nachdem der französische Eroberer Preußen isoliert hatte, verhinderte er die Bildung des Norddeutschen Bundes, bot England Hannover wieder an, ließ durch den Großherzog von Berg preußische Gebietsteile besetzen und beschuldigte Preußen in höhnischen Noten der Anmaßung und übermütigen Kriegslust. Als der König sich endlich zum Krieg entschloß, ward sein Heer bei Jena und Auerstädt (14. Okt. 1806) vernichtet. Nach den Schlachten von Eylau (7. und 8. Febr. 1807) und Friedland (14. Juni) von Rußland im Stiche gelassen, mußte Preußen im Frieden von Tilsit (9. Juli) seine deutschen Besitzungen links der Elbe und die Erwerbungen der zweiten und dritten polnischen Teilung opfern und durfte nur 42,000 Mann unter den Waffen halten. Nun war auch Norddeutschland Napoleon untertan, und er schaltete hier mit noch größerer Willkür als im Süden. Die Verbündeten Preußens, der Kurfürst von Hessen und der Herzog von Braunschweig, wurden ihrer Lande beraubt; aus ihnen, einem Teil Hannovers und den ehemaligen preußischen Besitzungen links der Elbe wurde das Vasallenkönigreich Westfalen gebildet, das Napoleons jüngster Bruder, Jérôme, erhielt. Ein andres Vasallenreich in Norddeutschland war Sachsen, das zum Lohn für seinen rechtzeitigen Abfall von Preußen und den Beitritt zum Rheinbund (11. Dez. 1806) den Königstitel und das Großherzogtum Warschau bekam. Die ganze deutsche Nord- und Ostseeküste wurde der gegen England gerichteten Kontinentalsperre (s.d.) unterworfen und damit der Handel der Seestädte völlig vernichtet.

Napoleon standen jetzt die militärischen und finanziellen Kräfte der deutschen Staaten zur unbedingtesten Verfügung. Die Rheinbundstruppen bluteten in Spanien, Italien und Polen für den Eroberer, erwarben wohl die Kriegstüchtigkeit der französischen Armee mit, aber der Ruhm ihrer Taten wurde ihnen durch ihre Zersplitterung unter französische Befehlshaber entzogen, und ihre furchtbaren Verluste erschöpften die Menschenkraft ihrer Heimat. Napoleon forderte von seinen Vasallen wiederholt ansehnliche Kriegskontributionen und behielt sich auch in mehreren eroberten Gebieten vor ihrer Abtretung an die Rheinbundstaaten die Staatsdomänen vor, um seine Generale und Minister damit zu dotieren. Anderseits brachte seine Herrschaft, wie sie geschichtlich Ehrwürdiges und Erhaltenswertes wegfegte, manche gesunde Neuerung mit sich. Nach französischem Vorbild wurde in den Rheinbundstaaten die Finanz- und Justizverwaltung vereinfacht und verbessert, die Militärverfassung reformiert, die alten ständischen Unterschiede beseitigt, der Besitz der Toten Hand eingezogen und dem freien Verkehr und höherer Kultur geöffnet, durch Aufhebung der Verkehrsschranken und Linderung des Zunftzwanges der Aufschwung der Gewerbe befördert. Aber das nationale Empfinden schrumpfte zusammen, die Begeisterung der alten Soldaten für ihren Heerführer fand vielfach Widerhall im Volke, das trotz schwerer Opfer, die es tragen mußte, in Napoleon den Befreier von veralteten Zuständen erblickte. Des Kaisers höchster Triumph in D. bildete der Erfurter Kongreß 1808, wo sich das »Parterre von Königen« in knechtischer Unterwürfigkeit vor dem allmächtigen Emporkömmling erschöpfte. Nur Preußen und Österreich bewahrten eine würdige Selbständigkeit. Ersteres unternahm jetzt, geleitet von großen, hochgesinnten Männern, seine nationale Wiedergeburt durch eine durchgreifende Reform, die sich nicht bloß auf den Staat und seine Institutionen, sondern auch auf den Volksgeist erstreckte und allen geistigen, sittlichen und materiellen Kräften freie Betätigung gewährte. Österreich raffte unter Führung des Erzherzogs Karl und des Ministers Stadion alle seine Macht zu einer Erhebung gegen Napoleon zusammen. Angefeuert durch das Beispiel Spaniens, das sich mutig gegen die französische Tyrannei empörte, setzten sich Österreichs Volk und Heer 1809 die Befreiung Deutschlands vom französischen Joch zum Ziel. Aber Napoleon kam ihnen zuvor, erschien blitzschnell auf dem rechten Rheinufer, zog die Rheinbundstruppen an sich und zwang die zersplitterte österreichische Armee in einer Reihe blutiger Gefechte in der Nähe von Regensburg (Eckmühl 22. April) zum Rückzug nach Böhmen. Am 13. Mai zog Napoleon zum zweitenmal siegreich in Wien ein, erlitt aber bei seinem Angriff auf die Österreicher nördlich von Wien bei Aspern (21. und 22. Mai) eine blutige Niederlage. Trotzdem blieb die in Österreich erhoffte Erhebung des gesamten D. aus, Preußen wagte es nicht, seine Existenz durch eine Kriegserklärung aufs Spiel zu setzen, und die vereinzelten Versuche Schills, des Herzogs Friedrich Wilhelm von Braunschweig und Dörnbergs (s.d.), das deutsche Volk selbst zu einer Erhebung fortzureißen, blieben erfolglos. Österreich, allein auf seine eignen Streitkräfte angewiesen, erlag, da Erzherzog Karl den Sieg von Aspern nicht zu benutzen verstand, 5. und 6. Juli in der mörderischen Schlacht bei Wagram der überlegenen Feldherrnkunst Napoleons. Es schloß 12. Juli den Waffenstillstand von Znaim und 14. Okt. den Wiener Frieden, in dem es Illyrien, Salzburg und Galizien verlor und das aufständische Tirol dem Sieger preisgab. Dem Frieden folgte 2. April 1810 die Vermählung Napoleons mit der Kaiserstochter Maria Luise.

Die Gewalttätigkeit und Willkür, mit der Napoleon nun in D. schaltete, überstieg alle Grenzen. Aber seiner ungeheuern Macht gegenüber verzweifelte fast jedermann an der Möglichkeit erfolgreichen Widerstandes. Als 1812 der Krieg Frankreichs mit Rußland ausbrach, mußten sowohl Österreich als Preußen Hilfstruppen stellen, letzteres außerdem den Durch marsch der Großen Armee durch sein Gebiet gestatten und die Verpflegung übernehmen, welche die letzten Kräfte des Landmanns verzehrte. Unter den 600,000 Mann, die Napoleon über die russische Grenze führte, waren 200,000 Deutsche, die bei der Katastrophe der Großen Armee zum großen Teil ihren Untergang fanden. Aber diese Katastrophe gab auch das Signal zur Erhebung Preußens (s. Deutscher Befreiungskrieg), die mit der Konvention von Tauroggen (30. Dez. 1812) begann. Ihr folgten das preußisch-russische Bündnis (28. Febr. 1813), Friedrich Wilhelms III. »Aufruf an Mein Volk« (17. März) und die Proklamation von Kalisch (25. März). Die Übermacht des ehrgeizigen Eroberers (das verkündeten die Alliierten als ihr Ziel) sollte gebrochen, Preußens Machtstellung hergestellt und auch das Deutsche Reich von neuem errichtet werden; alle deutschen Männer wurden aufgefordert, sich der heiligen Sache des Vaterlandes und der Menschheit anzuschließen, und die deutschen Fürsten, die noch ferner der Fahne des Landesfeindes folgen würden, mit Verlust ihrer Herrschaft bedroht. In der Tat rechneten die Verbündeten auf einen allgemeinen Aufstand, aber in den Rheinbundstaaten hatte der harte Druck der despotischen Regierungen keinen nationalen Freiheitsgeist aufkommen lassen; die Fürsten selbst blieben der französischen Sache aus Eigennutz und Furcht treu. Der russisch-preußische Feldzug endete trotz heldenmütiger Tapferkeit nach den Niederlagen von Großgörschen (2. Mai) und Bautzen (20. u. 21. Mai) mit dem Zurückweichen der verbündeten Armee nach Schlesien. Wenn auch im weitern Verlauf des Krieges von 1813 die preußischen Heere durch die geniale Kühnheit ihrer Feldherren und durch den Opfermut und die Ausdauer der Soldaten weitaus das meiste leisteten, so dankte man den endlichen Sieg bei Leipzig doch wesentlich dem Beitritt Österreichs. Derselbe ward freilich teuer erkauft; denn die diplomatische Leitung nahm nun Metternich in die Hand, und dessen Ziel war nicht die Wiederherstellung des Deutschen Reiches, sondern die Vergrößerung Österreichs und die Begründung seines Übergewichts in D. und Italien. Von der Proklamation von Kalisch war nun nicht mehr die Rede. Metternich garantierte den von Frankreich abgefallenen Rheinbundstaaten die Integrität ihres Gebietes und ihre Souveränität. Um Preußens Macht nicht übermäßig anschwellen zu lassen, hemmte Metternich in entscheidenden Augenblicken dessen Siegeslauf durch Friedensverhandlungen, die zum Glück an Napoleons verblendetem Trotz scheiterten. Das Ende der großartigen Machtentfaltung seitens des deutschen Volkes war deshalb nur Befreiung von der Fremdherrschaft, aber die Errichtung eines starken einheitlichen Staates gelang nicht. Im ersten Pariser Frieden (30. Mai 1814) behielt Frankreich die Grenzen von 1792 mit Landau und dem Saarbecken. Selbst nach dem neuen Krieg, der 1815 mit Napoleons Rückkehr von Elba ausbrach, und nach dem glänzenden Siege von La Belle Alliance erhielt D. Elsaß und Deutsch-Lothringen nicht zurück, weil Rußland und England es aus Eifersucht auf D. nicht zugaben; nur Landau und das Saargebiet mußte Frankreich abtreten.

Die künftige territoriale Gestaltung und die neue Verfassung Deutschlands gehörten zu den schwierigsten Fragen, die der Wiener Kongreß (s.d.) zu beraten hatte. Von einer Wiederherstellung der vernichteten geistlichen Staaten ward ebenso abgesehen wie von der Restitution der mediatisierten Stände in ihre reichsunmittelbare Freiheit; vielmehr wurde der Stand der Dinge bei Auflösung der Reiches 1806 zu Grunde gelegt. Die vertriebenen norddeutschen Fürsten, der zum König erhobene Kurfürst von Hannover, die Herzöge von Oldenburg und Braunschweig, der Kurfürst von Hessen, traten wieder die Regierung ihrer Lande an. Preußen ergriff ohne Widerspruch von seinen alten Landen links der Elbe Besitz; nur Hildesheim, Goslar und Ostfriesland trat es an Hannover ab. Auch Großpolen (Posen) erhielt es zurück, während ihm zur Entschädigung für seine übrigen Abtretungen (Ansbach und Bayreuth) und die Erwerbungen der dritten polnischen Teilung die nördliche Hälfte des Königreichs Sachsen, Jülich, Berg, Neuvorpommern, die Stifter Köln, Trier u. a. zugewiesen wurden. Hessen-Darmstadt, Nassau, Baden und Württemberg behielten im wesentlichen die von Napoleon geschaffenen Grenzen. Bayern trat Tirol und Salzburg an Österreich ab, behielt Ansbach und Bayreuth und bekam Würzburg und die Rheinpfalz. Österreich verzichtete auf seinen frühern Besitz am Oberrhein, rundete aber sein Gebiet vortrefflich ab und bildete eine kompakte Masse im Südosten Deutschlands, die das ganze Donaugebiet und die Ostalpen beherrschte. Wie vorteilhaft stach es gegen Preußen ab, das, in zwei Hälften zerteilt, von der russischen bis zur französischen Grenze reichte und in jeden kontinentalen Krieg verwickelt werden mußte! Freilich gab Österreich damit, daß es sich möglichst aus D. zurückzog, auch zu erkennen, daß es auf eine unmittelbare Herrschaft über D. durch Erneuerung der Kaiserwürde verzichte. In der Tat wurde von einer solchen abgesehen, obwohl 27 Fürsten und 4 Städte sie ausdrücklich beantragten. Die Schwierigkeiten bei der Neugestaltung der Dinge bestanden in der Eifersucht der Großstaaten Österreich und Preußen, aber auch die Mittelstaaten (Bayern, Württenberg, Hannover, Sachsen) suchten ihr Interesse zu wahren. Um nun dem ehemaligen Reiche wenigstens ein einheitliches Band zu geben, beschloß man, den überwiegenden Einfluß der Großmächte in dem zu schaffenden Bunde zu verringern. Man nahm sie nur mit einem Teil ihres Gebietes in denselben auf, und verlieh dem Bunde den Charakter eines auf Freiwilligkeit und Gleichheit seiner Mitglieder beruhenden Vereins, dessen Zentralgewalt auf sehr wenige Befugnisse beschränkt wurde. Der Ausbau der Bundesverfassung in einer die Wünsche der Nation befriedigenden Weise wurde der Zukunft überlassen.

Das Zeitalter des Deutschen Bundes.

(Vgl. die Karte zum Artikel »Deutscher Bund«, S. 730.)

Die Bundesakte vom 8./10. Juni 1815 sagte in ihrem 1. und 2. Artikel: »Die souveränen Fürsten (die Könige von Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg, der Kurfürst von Hessen, die Großherzöge von Hessen, Baden, Sachsen, Mecklenburg [2] und Oldenburg, die Herzöge von Sachsen [4], von Anhalt [3], Braunschweig und Nassau, der Landgraf von Hessen-Homburg, die Fürsten von Schwarzburg [2], Reuß [2], Lippe [2], Hohenzollern [2], Liechtenstein und Waldeck) und die Freien Städte (Lübeck, Bremen, Hamburg und Frankfurt a. M.) mit Einschluß des Kaisers von Österreich und des Königs von Preußen, beide für ihre gesamten vormals zum Deutschen Reiche gehörigen Besitzungen, ferner der König von Dänemark für Holstein und Lauenburg, der König der Niederlande für Luxemburg vereinigen sich zu einem beständigen Bund, welcher der Deutsche Bund heißen soll. Zweck desselben ist die Erhaltung der äußern und innern Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten.« Die Angelegenheiten des Bundes besorgte eine Bundesversammlung (Bundestag), die aus den Gesandten der Staaten bestand, in der Österreich den Vorsitz führte, und die in Frankfurt a. M. tagte (s. Deutscher Bund).

So wenig dieser lockere Organismus den berechtigten Ansprüchen des geistig hochentwickelten deutschen Volkes auf Einheit entsprach, so war der Bund doch der staatsrechtliche Ausdruck der tatsächlich vorhandenen politischen Verhältnisse. So sehr er von einzelnen idealen Drängern unter den Zeitgenossen und von der Masse der Nachlebenden verunglimpft worden ist, so wenig läßt sich verkennen, daß die politische Neugestaltung, wie sie das Ende des 19. Jahrh. gebracht hat, abgesehen von dem starken Willen Bismarcks, nur infolge der politischen Schulung des Volkes und seiner leitenden Kreise möglich war. Ganz richtig ward dies schon auf dem Wiener Kongreß geahnt, indem die Einführung landständischer Verfassungen in den Einzelstaaten versprochen wurde. Freilich gerade in diesem den Zeitgenossen als Wichtigstes erscheinenden Punkte blieb die Verwirklichung der Versprechen aus, und dies lag nicht nur an den reaktionären Gelüsten der Regierungen. Es ist kein Zufall, daß gerade in mittlern Staaten mit geschlossenem Gebiete, wie Baden, Bayern (1818), Württemberg (1819), Sachsen-Weimar (1816), die Verfassungen Wirklichkeit wurden, während Preußen, das 1823 nur Provinzialstände einführte. und Österreich zurückstanden; immerhin ist für die Mitwirkung Preußens an den Einheitsbestrebungen nicht zu vergessen, daß 1817 die Union der lutherischen und reformierten Kirche und 1819 der Zollverein von diesem Staat in die Wege geleitet wurde. Mehr als zur Wahrung der politischen Freiheit geschah, hätte allerdings geschehen können; besonders in Preußen regten sich die Häupter der politischen Reaktion, wie Tzschoppe, Kamptz (s.d.) und Schmalz, die alle lebhaftern Äußerungen freisinnigen und nationalen Geistes als staatsgefährlich denunzierten. Als Vormacht der Heiligen Allianz (s.d.) maßte sich Rußland das Recht an, durch seine Agenten die Dinge in D. zu beobachten und einen Druck auf die Regierungen in absolutistischem Sinn auszuüben. Görres' »Rheinischer Merkur« ward verboten, der Tugendbund aufgehoben und das Wartburgfest (s.d.) der Jenaer Burschenschaft (18. Okt. 1817) zum Anlaß genommen, Karl August von Weimar zur Wiedereinführung der Zensur und zur Beschränkung der studentischen Freiheit zu nötigen. Die Ermordung des russischen Agenten Kotzebue durch den Jenaer Studenten K. L. Sand (1819) wurde als ein Zeichen betrachtet, daß der revolutionäre Geist die Universitäten vergiftet habe, und Metternich berief sofort Ministerkonferenzen nach Karlsbad, deren Beschlüsse (Karlsbader Beschlüsse, s.d.) der Bundestag 20. Sept. 1819 bestätigte. Dieselben bestimmten, daß zur Ausführung von Bundesbeschlüssen, welche die Sicherung der öffentlichen Ordnung bezweckten, eine Exekutivordnung eingeführt, die Universitäten überwacht, eine strenge Zensur errichtet und in Mainz eine Zentraluntersuchungskommission gegen demagogische Umtriebe eingesetzt werden solle. Viele jüngere und ältere Männer mit edlen Absichten (wie Arndt, Welcker und Jahn) wurden verhaftet, jahrelang gefangen gehalten und ihrer Ämter entsetzt. Die Wiener Schlußakte (8. Juli 1820) drückten schließlich den Bund zu einem völkerrechtlichen Verein zur Erhaltung innerer und äußerer Ruhe herab und machten den Bundestag zu einem bloßen Polizeiorgan der beiden deutschen Großmächte, hinter denen Rußland stand. Die süddeutschen Staaten, in denen sich auf den Landtagen ein konstitutionelles Leben entwickelt hatte, namentlich Württemberg, suchten sich den Karlsbader Beschlüssen zu entziehen und eine freisinnige Haltung gegen Presse, Vereinswesen und Universitäten zu bewahren, mußten aber dem Druck der Mächte in vielen Punkten nachgeben. Die Macht des Bundes genügte nicht, um Einzelstaaten, wenn sie wollten, ganz der Polizeiwillkür des Bundestags zu unterwerfen. Diese Repräsentation des Bundes genoß nie ein besonderes Ansehen, die Masse des Volkes nahm aber auch noch nicht am politischen Leben teil, sondern ging noch ganz in den Sorgen des täglichen Lebens auf; durch gesteigerte gewerbliche und kommerzielle Tätigkeit wurden allmählich die schweren Kriegswunden geheilt. Nationalgefühl und politisches Verständnis waren besonders in Gelehrtenkreisen vorhanden, denen sich aus der sonstigen gebildeten Welt einige wenige Geister zugesellten; die literarisch-ästhetische Bildung beherrschte im übrigen die Gesellschaft und vorwiegend auch die Presse. Wo dem politischen Fortschritt, in dem Worte »liberal« verkörpert, gehuldigt wurde, da nahm man sich ein Vorbild an den französischen Liberalen, deren Bestrebungen und Ideen namentlich in Süddeutschland maßgebend waren.

Die Pariser Julirevolution von 1830 gab denn auch in D. den Anstoß zu einer liberalen und unitarischen Bewegung. An vielen Orten kam es zu Unruhen, und in Braunschweig wurde sogar der Herzog Karl verjagt. Die Königreiche Sachsen und Hannover, Kurhessen, Braunschweig u. a. erhielten damals Verfassungen, im badischen und hessen-darmstädtischen Landtag wurden Anträge auf Berufung einer deutschen Nationalrepräsentation eingebracht. Die reaktionären Staatsmänner gerieten schon in die höchste Unruhe und benutzten zwei unkluge Ausschreitungen republikanisch-revolutionärer Elemente, das Hambacher Fest (27. Mai 1832, s.d.) und das Frankfurter Attentat (s.d.) gegen den Bundestag (3. April 1833), um von Bundes wegen mit scharfen Maßregeln gegen die Bewegung einzuschreiten. Mehrere am 28. Juni und 5. Juli 1832 gefaßte, von Metternich diktierte Beschlüsse verpflichteten die Regierungen, nichts zu dulden, was den Beschlüssen des Bundestags zuwiderlaufe; der Bund beanspruchte zugleich das Recht, gegen revolutionäre Bewegungen unaufgefordert mit bewaffneter Hand einzuschreiten; Steuern, zur Deckung von Bundeskosten bestimmt, sollten die Landstände nicht verweigern dürfen. Alle Vereinigungen politischen Charakters und alle Volksversammlungen wurden verboten und die bestehenden liberalen Zeitungen unterdrückt. 1833–1834 wurden wieder Ministerkonferenzen in Wien abgehalten, die trotz des Widerspruchs mehrerer mittelstaatlicher Vertreter erklärten, daß den Ständeversammlungen das Steuerverweigerungsrecht überhaupt nicht zustehe, und beschlossen, die Zensur auf die Veröffentlichung der ständischen Verhandlungen auszudehnen, diese auf die Beratung innerer Angelegenheiten zu beschränken, die Universitäten einer noch strengern Kontrolle zu unterwerfen und zur Ausrottung des Demagogentums eine neue Zentraluntersuchungskommission in Frankfurt einzusetzen. Wieder wurden einige hundert Männer und Jünglinge in die Verbannung getrieben oder zu langer Hast verurteilt; besonders die Behandlung Jordans und Weidigs in Hessen erregte Entrüstung. Den Handwerksgesellen wurde das Wandern in die Schweiz, nach Frankreich und Belgien verboten, damit sie nicht vom Liberalismus angesteckt würden. In Baden mußte die freisinnige Preßgesetzgebung aufgehoben werden, und die Vorkämpfer der Liberalen, Rotteck (s.d.) und Welcker (s.d.), wurden ihrer Professuren an der Freiburger Universität entsetzt. Der Rechtsbruch, mit dem 1837 König Ernst August von Hannover aus Eigennutz die Verfassung von 1833 umstieß und an deren Stelle eine neue, »den wahren Bedürfnissen des Landes« und dem Vorteil seiner Zivilliste entsprechende verhieß, fand die Zustimmung des Bundestags, da dieser sowohl den Protest der Göttinger Sieben (s.d.), die dafür abgesetzt wurden, als die Bitte der hannöverschen Kammer um seine Intervention gegen die Rechtsverletzung ablehnte.

Seinem Charakter nach vermochte der Bundestag auch die deutschen Interessen gegenüber dem Ausland nicht zu wahren, dies konnte nur ein Einzelstaat, praktisch also höchstens Preußen oder Österreich. Schmerzlich wurde vor allem empfunden, daß die Deutschen im Ausland keinen Anspruch auf Schutz besaßen, und daß die Errichtung einer Kriegsflotte zum Schutz des deutschen Handels und die Befestigung der Küsten vom Bundestag nicht einmal erwogen wurden. Die Verbesserung der Kriegsverfassung kam trotz wiederholter Anträge Preußens nicht zu stande; namentlich wurde die Frage über den Oberbefehl nicht entschieden. Der Ausbau der Grenzfestungen am Rhein verzögerte sich von Jahr zu Jahr, obwohl bereits 1829, noch mehr 1840 die Gefahr eines französischen Angriffs drohte, um D. die Rheinlande zu entreißen. Die Mittel dazu lagen aus der französischen Kriegsentschädigung von 1815 bereit, der Bund ließ sie aber dem Haus Rothschild gegen 2 Proz. Zinsen. Den Schwierigkeiten, welche die Holländer der freien Entwickelung der Rheinschiffahrt bereiteten, wußte der Bund ebensowenig ein Ende zu machen wie den Rheinzöllen. Als Belgien sich von den Niederlanden losriß und auch den deutschen Staat Luxemburg beanspruchte, verstand sich der Bund zu einer Teilung und nahm das ohne die Festungen Maastricht und Venloo militärisch ganz wertlose Limburg zur Entschädigung. Als die schleswig-holsteinischen Stände sich über die Verletzung ihrer Privilegien durch die dänische Krone beschwerten und König Christian VIII. in seinem »offenen Brief« (8. Juli 1846) die rechtmäßige Thronfolgeordnung in den Herzogtümern und ihre untrennbare Vereinigung bedrohte, verwies der Bund die Stände auf ihre Bitte um Schutz 17. Sept. auf die Erklärung des dänischen Königs, der die Rechte aller zu beachten versprochen habe. Den Frieden, den D. 1815–48 genoß, und der seiner materiellen Entwickelung allerdings sehr zu statten kam, dankte es nur der nachgiebigen Schwäche des Bundestags. An der Neugestaltung des Zollwesens war der Bund als solcher nicht beteiligt. Als 1817 nach einer Mißernte eine große Teuerung eintrat, wuchs dieselbe infolge des durch Zollschranken zwischen den einzelnen Staaten, ja durch Binnenzölle zwischen Provinzen gehemmten Verkehrs zu einer furchtbaren Hungersnot an. Preußen ging mit der Aufhebung der Wasser- und Binnenzölle in seinem Gebiet voran, proklamierte 1818 das Prinzip der Handelsfreiheit und eröffnete 1821 mit der Konvention über Befreiung der Elbschiffahrt die Reihe von Verträgen, die 1833 zur Begründung des Deutschen Zollvereins (s.d.) führten; dieser umfaßte mit Ausschluß Österreichs fast sämtliche deutsche Staaten, und seine segensreichen Wirkungen für Handel und Industrie machten sich bald bemerklich. Weitere Hoffnungen für D. knüpfte man an die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. (1840–61) in Preußen. Derselbe erließ auch eine allgemeine politische Amnestie, welche die Opfer der Demagogenverfolgungen befreite, milderte die Zensur und beantragte eine den Wünschen der Nation entsprechende Reform der Bundesverfassung. Aber sein Zaudern, seinem Staat eine Verfassung zu geben, die enge Beschränkung der Rechte des Vereinigten Landtags, der 1847 endlich berufen wurde, seine mit Vorliebe kundgegebenen mittelalterlich-ständischen Ansichten und seine Hinneigung zur kirchlichen Orthodoxie enttäuschten die Hoffenden. Der Bund befriedigte niemand, er ward allseitig als ein Provisorium empfunden, aber die unter den Liberalen zunehmenden republikanischen Neigungen vermehrten die allgemeine Gärung, bis sie infolge der Pariser Februarrevolution im J. 1848 zum Ausbruch kam.

Die Frankfurter Nationalversammlung und ihre Reichsverfassung.

Auf die erste Nachricht vom Sturz des Julikönigtums stellte 27. Febr. 1848 Heinrich v. Gagern (s. Gagern 3) in der darmstädtischen Kammer den Antrag auf Errichtung einer deutschen Zentralgewalt mit Volksrepräsentation, und bereits 5. März faßte eine zu Heidelberg aus eignem Antrieb zusammengetretene Versammlung von 51 angesehenen deutschen Männern, meist Abgeordneten, den Beschluß, die deutschen Regierungen auf das dringendste anzugehen, sobald wie möglich eine Vertretung der deutschen Nation ins Leben zu rufen. Zugleich wurde eine Siebenerkommission beauftragt, Vorschläge zur Berufung einer Volksvertretung zu machen und die Grundlagen einer deutschen Verfassung zu beraten. Am 12. März forderte diese die frühern und gegenwärtigen deutschen Landtagsmitglieder auf, sich 30. März zu einer Vorberatung in Frankfurt a. M. zu versammeln. Der Bundestag trat dem nicht entgegen, beschloß vielmehr selbst 10. März, eine Revision der Bundesverfassung unter Zuziehung von 17 Vertrauensmännern, welche die bedeutendsten Staaten deputieren sollten, vorzunehmen. Die Regierungen hatten mit einemmal alles Selbstbewußtsein und allen Mut verloren und wichen fast überall ohne Widerstand den stürmischen Forderungen des Volkes. In München dankte König Ludwig ab, in Wien wurde Metternich durch einen Volksaufstand gestürzt; in Berlin brach 18. März ein Aufruhr aus, infolgedessen Friedrich Wilhelm sich an die Spitze der deutschen Bewegung zu stellen versprach und zur Vereinbarung einer liberalen Verfassung eine preußische Nationalversammlung berief. Am 30. März trat das sogen. Vorparlament, aus 500 Mitgliedern, meist Preußen und Süddeutschen, bestehend, in Frankfurt a. M. zusammen. Es faßte zunächst eine Reihe schwer ausführbarer Resolutionen, wie Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund, Sühnung des an Polen begangenen Unrechts, Proklamation der Volkssouveränität u. dgl. Seine eigentliche Aufgabe, die Berufung einer Nationalversammlung vorzubereiten, übertrug das Vorparlament mit Zustimmung der Regierungen einem Fünfzigerausschuß (s.d.), der beschloß, daß in allen Ländern des bisherigen deutschen Bundesgebiets, außerdem in der Provinz Preußen durch allgemeine Wahlen Deputierte (je einer auf 50,000 Seelen) für die Nationalversammlung gewählt werden sollten. Während eine Kommission der 17 Vertrauensmänner einen Verfassungsentwurf ausarbeitete, fanden die Wahlen in aller Ordnung statt; nur eine Anzahl slawischer Bezirke in Österreich schloß sich aus.

Die Eröffnung der ersten deutschen Nationalversammlung, die 568 Mitglieder zählte, erfolgte 18. Mai 1848 in der Paulskirche zu Frankfurt; Heinrich v. Gagern wurde ihr Präsident. Es waren die trefflichsten Männer in ihr vereinigt, darunter die bedeutendsten Gelehrten (an 100) Deutschlands, aber die mangelnde politische Schulung machte sich in einer allzu idealistischen Geringschätzung der wirktichen Verhältnisse und der staatlichen Faktoren, mit denen man zu rechnen hatte, geltend. Die augenblickliche Schwäche und Untätigkeit der Regierungen verleitete die Versammlung, sich für souverän zu halten und jede Mitwirkung der Regierungen bei der Schaffung der neuen Reichsverfassung auszuschließen. Nur die äußerste Rechte (Radowitz und Vincke) forderte die Vereinbarung der Verfassung mit den Einzelregierungen. Die Linke neigte ganz offen zur Republik hin und forderte die Berechtigung für jeden Einzelstaat, sich auch als solche zu erklären. Als es sich um die Errichtung einer Zentralgewalt handelte, wählte man nicht nach Dahlmanns Vorschlag gemeinsam mit den Regierungen drei Vertrauensmänner, sondern einen Reichsverweser in der Person des Erzherzogs Johann von Österreich (29. Juni), der am 12. Juli gemäß Parlamentsbeschluß den Bundestag auflöste und ein Reichsministerium unter dem Vorsitz des Fürsten von Leiningen ernannte; der preußische Antrag, neben dieser Zentralgewalt die Bevollmächtigten der einzelnen Staaten zu einem Rat zu vereinigen, der die organische Verbindung der Reichsregierung mit denen der Staaten darstelle, wurde abgelehnt. Vor Beratung der eigentlichen Verfassung ging das Parlament erst an die der Grundrechte des deutschen Volkes; die Debatten über diese theoretischen Paragraphen zogen sich endlos hin. Dennoch wollten Zentralgewalt und Parlament noch vor dem Zustandekommen der Verfassung Regierungsfunktionen ausüben und namentlich dem Ausland gegenüber D. als einen einheitlichen Staat repräsentieren. Obwohl ihre Bevollmächtigten an den Höfen der Großmächte ebensowenig förmliche Anerkennung fanden wie die neue schwarz-rot-goldene Kriegs- und Handelsflagge, beanspruchten sie doch, innerhalb des vertretenen Gebietes als höchste politische Instanz zu gelten. In der Sache Schleswig-Holsteins, wo im März 1848 ein Aufstand gegen Dänemark ausgebrochen war, verlangte die Nationalversammlung 2. Juni energische Maßregeln, um den Krieg zu Ende zu führen und beim Friedensschluß die Rechte der Herzogtümer und die Ehre Deutschlands zu wahren. Zur Verstärkung der schleswig-holsteinischen und der preußischen Truppen ließ der Reichsverweser 1. Aug. ein süddeutsches Heer nach dem Kriegsschauplatz rücken. Preußen, dessen Truppen schon seit April in Schleswig-Holstein kämpften, litt schwer unter dem Kriegszustand mit Dänemark, das die Ostseehäfen blockiert hielt, und sah sich auch von England und Rußland mit einer Intervention bedroht. Die Nachricht von dem am 26. Ang. zwischen Preußen und Dänemark abgeschlossenen Waffenstillstand rief in Frankfurt allgemeine Entrüstung hervor, und der Antrag der Rechten, den Vertrag dennoch zu genehmigen, ward erst 16. Sept., als es nach dem Rücktritte des Reichsministeriums nicht gelang, ein neues zu bilden, angenommen. Auf Veranlassung der äußersten Linken erklärte eine große Volksversammlung 17. Sept. die 258 Abgeordneten, die für den Vertrag gestimmt hatten, für Verräter des Volkes, der deutschen Freiheit und Ehre. Ein organisierter Aufstand sollte 18. Sept. die Nationalversammlung sprengen, aber österreichisches und preußisches Militär schützte die Paulskirche und trieb die aus den Nachbarorten zusammengeströmte Menge auseinander. Doch fielen zwei Abgeordnete, General v. Auerswald und Fürst Lichnowski, der Volkswut zum Opfer. Die Revolutionäre versuchten nun an andern Orten Erhebungen des Volkes zu veranstalten. Struve (s.d.) machte einen Einfall von Basel in das Badische und verkündete die Republik, indes wurde er rasch vertrieben, und auch sonst blieben die Bewegungen erfolglos.

Die Mehrheit im Parlament erkannte nun doch, daß sie, um dem Radikalismus ein Ziel zu setzen, mit den Regierungen engere Fühlung suchen und die Verfassung rasch zu stande bringen müsse. Am 20. Okt. wurde die Beratung der Grundrechte vorläufig abgebrochen und mit der des Verfassungsentwurfs begonnen, den der Verfassungsausschuß 8. Okt. vorgelegt hatte. – Erschwert wurde ein Beschluß über die Aufnahme Österreichs in das zu schaffende Reich dadurch, daß das schroffe Verfahren der österreichischen Regierung gegen die vom Frankfurter Parlament nach Wien geschickten Abgeordneten, deren einen, Blum, sie 9. Nov. erschießen ließ, die Sympathien für Österreich abkühlte. Dazu verkündete der neue österreichische Ministerpräsident, Fürst Felix Schwarzenberg, als Ziel der Regierung die Vereinigung aller habsburgischen Länder zu einem einheitlichen Gesamtstaat und erhob 27. Nov. den Anspruch, daß, erst wenn dies geschehen sei, die Stellung Österreichs zu D. geregelt werden sollte. Dem Eintritt ganz Österreichs, einschließlich Ungarns, war die Parlamentsmehrheit abgeneigt; deshalb legte der Österreicher Schmerling, seit September Präsident des Reichsministeriums, sein Amt nieder, und Gagern trat an seine Stelle, während Simson Präsident der Versammlung wurde. Gagern legte 18. Dez. das Programm der sogen. kleindeutschen Partei (s.d.) vor; die österreichische Regierung protestierte 28. Dez. dagegen, auch legten 60 österreichische Abgeordnete gegen den Ausschluß Österreichs Verwahrung ein. Mit knapper Mehrheit ging Gagerns Vorschlag nach heftiger Debatte (11.–13. Jan. 1849) durch, und die verlangte Ermächtigung zu Unterhandlungen mit Österreich wurde erteilt. Der Beschluß, die Würde des Reichsoberhauptes einem regierenden deutschen Fürsten zu übertragen, ward 19. Jan. mit 258 gegen 211 Stimmen angenommen. die Erblichkeit der Würde aber verworfen, der Titel »Kaiser von D.« nur mit 214 gegen 205 Stimmen gebilligt (25. Jan.). Am 30. Jan. 1849 hatte die erste Lesung des Verfassungsentwurfs ihr Ende erreicht. Österreich erneuerte seinen Protest, schnitt aber selbst jede Verständigung mit der deutschen Zentralgewalt ab, indem es 7. März eine österreichische Verfassung oktroyierte, die alle habsburgischen Lande, auch Ungarn und Lombardo-Venetien, für eine unteilbare konstitutionelle Monarchie erklärte. Zwar wurde der Antrag, nun sofort die Verfassung ohne zweite und dritte Lesung endgültig anzunehmen und die erbliche Kaiserwürde dem König von Preußen zu übertragen, 21. März noch abgelehnt; aber 27. März setzte die kleindeutsche Einheitspartei mit 267 gegen 263 Stimmen die Erblichkeit der Kaiserwürde durch, und 28. März wählten 290 von 538 anwesenden Abgeordneten den König von Preußen zum Kaiser, während sich 248 der Abstimmung enthielten. Unter Glockengeläute und Kanonendonner wurde die Wahl Friedrich Wilhelms IV. zum erblichen Kaiser von D. verkündet und die Reichsverfassung, der im voraus 28 Regierungen sich unterwerfen zu wollen erklärt hatten, 29. März 1849 publiziert.

Die Reichsverfassung übertrug die Vertretung nach außen, die höchste Leitung des Kriegswesens, die oberste Gesetzgebung u. a. der Reichsgewalt, die Kaiser und Reichstag ausüben; der Kaiser, durch verantwortliche Minister regierend, erklärt Krieg und schließt Frieden, beruft und schließt den Reichstag. Letzterer zerfällt in ein Staatenhaus und in ein Volkshaus, von denen jenes aus Vertretern der einzelnen Staaten besteht, die zur Hälfte die Regierung, zur Hälfte die Volksvertretung des Einzelstaates ernennt, dieses durch allgemeine, direkte Wahlen (auf 100,000 Seelen ein Abgeordneter) gebildet wird; dea Beschlüssen des Reichstags gegenüber besitzt der Kaiser nur ein suspensives Veto. Noch radikal-demokratischer waren die im 6. Abschnitt der Verfassung enthaltenen Grundrechte des deutschen Volkes: unbeschränkte Freizügigkeit, unbedingte Preß- und Versammlungsfreiheit, Aufhebung aller Staatskirchen, Abschaffung des Adels und aller Titel wurden dekretiert. Österreich berief nach diesen Beschlüssen seine Abgeordneten aus Frankfurt ab und gab damit kund, daß es sich nicht gutwillig fügen werde; aber gerade damals erlitten seine Heere in Ungarn schwere Niederlagen. Friedrich Wilhelm IV. erklärte der Kaiserdeputation, die er in feierlicher Audienz im Schloß zu Berlin 3. April 1849 empfing, daß die Wahl ihm ein Anrecht gebe, dessen Wert er zu schätzen wisse, daß er sie aber ohne das freie Einverständnis der Fürsten und Freien Städte Deutschlands nicht annehmen könne. Die preußische Regierung lud darauf durch Note vom 4. April die deutschen Regierungen ein, Bevollmächtigte nach Frankfurt zu senden, um mit der Nationalversammlung die Verfassung zu vereinbaren. Alle Regierungen außer den vier Königreichen stimmten 14. April der Wahl des Königs von Preußen zum Kaiser und der Reichsverfassung zu. Auch die Könige würden sich dem Volkswillen wohl noch gefügt haben, wie denn der König von Württemberg 24. April aus Furcht vor einem Volksaufstand sich zur Anerkennung der Verfassung bereit erklärte. Aber unklug forderte das preußische Abgeordnetenhaus 21. April die Anerkennung der Rechtsbeständigkeit der Reichsverfassung; die Regierung löste darauf 27. April den Landtag auf und erklärte 28. April der Nationalversammlung, wenn sie nicht auf eine Vereinbarung mit den Regierungen eingehe, müßten diese selbst eine Verfassung oktroyieren. Dadurch erlangten die radikalern Elemente wieder das Übergewicht, und das Parlament forderte 4. Mai von der gesamten Nation, Volk und Regierungen, die beschlossene und rechtsgültige Verfassung des Deutschen Reiches zur Geltung zu bringen. Dieser Beschluß entfesselte eine Volksbewegung, die, von den Republikanern geschürt, schließlich zur Auflösung des Parlaments führte.

In der Pfalz kündigte eine große Volksversammlung in Kaiserslautern 1. Mai der bayrischen Regierung den Gehorsam und setzte einen Landesverteidigungsausschuß ein; zu gleicher Zeit kam es in Dresden zu einem Aufstande, der nach mehrtägigen Barrikadenkämpfen mit Hilfe preußischer Bataillone 9. Mai unterdrückt wurde. Gleichwohl griff die Bewegung weiter: in Hessen, Baden, am Rhein, in Franken und Württemberg forderten stürmische Volksversammlungen sofortige Bewaffnung und Organisation zur Durchführung der Reichsverfassung. In mehreren rheinpreußischen Städten gab es gewaltsame Konflikte mit dem Militär, und die eingezogene Landwehr verweigerte offen den Gehorsam. Zum vollen Durchbruch gelangte die Revolution in dem seit langer Zeit unterwühlten Baden, obwohl Großherzog und Regierung fast zuerst und unumwunden die Reichsverfassung anerkannt hatten. In Freiburg und Rastatt meuterte das Militär und verbündete sich mit den Bürgerwehren; die Empörung der Garnison in Karlsruhe 14. Mai zwang den Großherzog und die Behörden zur Flucht, und das ganze Land unterwarf sich dem revolutionären Landesausschuß, der mit der Regierung der Pfalz ein Schutz- und Trutzbündnis abschloß. Die Bewegung verpflanzte sich schon in bedrohlicher Weise nach Württemberg. Aber die Reichsgewalt war dem gegenüber ohnmächtig: der Reichsverweser übertrug das Reichsministerium an Stelle Gagerns, der am 10. Mai seine Entlassung genommen hatte, 16. Mai einem Mitgliede der äußersten Rechten, dem preußischen Justizrat Grävell, der nicht den geringsten Einfluß im Parlament besaß. Dieses faßte immer radikalere Beschlüsse: am 10. Mai nahm es einen energischen Protest gegen Preußens »Reichsfriedensbruch« in Sachsen an, und 12. Mai verlangte es die Verpflichtung der gesamten bewaffneten Macht Deutschlands auf die Reichsverfassung. Hierauf riefen 14. Mai die preußische Regierung, 21. die sächsische, 23. die hannöversche ihre Abgeordneten ab, und 20. Mai zeigte der Rest der erbkaiserlichen Partei, Gagern an der Spitze, seinen Austritt an. Die noch zurückgebliebenen Abgeordneten beschlossen 30. Mai, die nächste Sitzung 4. Juni in Stuttgart abzuhalten. Dort trat die Versammlung, noch 104 Mitglieder zählend (Rumpfparlament), 6. Juni wieder zusammen und setzte zum Zweck der Durchführung der Reichsverfassung eine aus fünf Mitgliedern bestehende Reichsregentschaft ein. Am 16. Juni wurde beschlossen, die Bewegungen in Baden und der Pfalz unter den Schutz des Reiches zu stellen. Aber als die Versammlung von der württembergischen Regierung Truppen zur Ausführung ihrer Beschlüsse verlangte, lehnte Minister Römer dies ab, forderte Verlegung der Versammlung und verhinderte schließlich 18. Juni ihren Zusammentritt durch militärische Gewalt. Zu einer fernern Sitzung kam es nicht mehr: in kläglicher Ohnmacht endete die mit so großer Begeisterung eröffnete erste deutsche Nationalversammlung.

Das Scheitern der preußischen Unionspolitik und die Wiederherstellung des Bundestags.

Inzwischen hatten die preußischen und Reichstruppen den Aufruhr in Baden und in der Pfalz gedämpft. Auch hatte Friedrich Wilhelm IV. in einer Proklamation an das Volk verkündet, daß der von Preußen beabsichtigten Union die Reichsverfassung zu grunde gelegt und mit Österreich ein besonderes Bündnis vereinbart werden sollte, und zur Errichtung dieser Union mit Sachsen und Hannover 26. Mai das Dreikönigsbündnis (s.d.) geschlossen. Bis zum September schlossen sich 21 deutsche Staaten an, fünf andre zeigten sich geneigt. Auch die erbkaiserliche Partei des Frankfurter Parlaments unterstützte die preußische Unionspolitik: auf einer Versammlung zu Gotha (26. Juni) sprachen sich 130 von 148 Mitgliedern für die neue Verfassung aus. Nur Bayern und Württemberg weigerten sich, der preußischen Union beizutreten, und fanden jetzt einen mächtigen Rückhalt an Österreich, das nach Unterdrückung des ungarischen Aufstandes sofort die Wiederherstellung des alten Bundestags in Angriff nahm. Preußen erleichterte dies durch Abschluß des sogen. Interim (30. Sept.), durch das bis 1. Mai 1850 eine aus je zwei Bevollmächtigten beider Mächte bestehende provisorische Bundesgewalt in Frankfurt eingesetzt wurde. In die Hand dieser Gewalt legte der Reichsverweser 20. Dez. sein Amt nieder. Als der Verwaltungsrat der Union 19. Okt. die Wahlen für das Volkshaus auf 15. Jan. 1850 ausschrieb und dann den künftigen Reichstag zum 20. März nach Erfurt berief, beteiligten sich Sachsen und Hannover nicht mehr, weil ihre Voraussetzung der Vereinigung aller deutschen Staaten durch Bayerns und Württembergs Weigerung nicht erfüllt sei. Beide Königreiche sagten sich im Februar 1850 ganz vom Dreikönigsbündnis los und schlossen mit den süddeutschen Königreichen das Vierkönigsbündnis ab. Eine neue Verfassung mit einer Volksvertretung von 300 durch die Kammern der Einzelstaaten zu wählenden Mitgliedern wurde entworfen. Das Erfurter Parlament ward 20. März 1850 mit einer entschieden unionistischen Rede des Generals v. Radowitz eröffnet und nahm 17. April den Verfassungsentwurf für die Union mit Verzicht auf jede Einzelberatung an, wurde aber 29. April plötzlich vertagt und nicht wieder zusammenberufen, während Preußen den in Berlin versammelten Unionsfürsten den Rücktritt vom Bündnis nahelegte. Ganz anders trat Österreich auf: es lud sämtliche Mitglieder des Deutschen Bundes ein, zum 10. Mai ihre Gesandten nach Frankfurt zu schicken, und Bayern, Württemberg, Hannover, Sachsen, die Niederlande, Dänemark und beide Hessen folgten dem Rufe. Die Gesandten dieser Staaten erklärten sich nun für den alten, nur suspendierten, nicht aufgehobenen Bundestag, andre Staaten traten bei, und 2. Sept. 1850 eröffnete der Bundestag unter Vorbehalt des demnächstigen Eintritts der wenigen noch zur Union haltenden Staaten wieder seine Sitzungen unter Österreichs Vorsitz. Gerade jetzt rief der Kurfürst von Hessen, der bei dem Versuch, die allzuweit gehende Verfassung von 1831 zu stürzen, infolge des Widerspruchs des Landes 12. Sept. nach Frankfurt geflohen war, die Hilfe des Bundes an. Gemäß einer Übereinkunft, die der Kaiser von Österreich mit den Königen von Bayern und Württemberg in Bregenz (10.–14. Okt. 1850) getroffen hatte, beschloß der Bund 25. Okt. eine bewaffnete Intervention in Kurhessen, und 1. Nov. überschritt das österreichisch-bayrische Exekutionsheer die kurhessische Grenze. Auch ratifizierte der Bund den Frieden mit Dänemark, den Preußen 2. Juli 1850 zu Berlin abgeschlossen hatte, nachdem der Krieg 1849 von neuem ausgebrochen, aber bereits 10. Juli d. J. durch einen Waffenstillstand beendet worden war.

Preußen war zur Fortführung seiner Unionspolitik entschlossen: 26. Sept. ward Radowitz zum Minister des Auswärtigen ernannt, auch Preußen rückten in Hessen ein. Aber der König wagte den Krieg nicht, zumal Österreich an Rußland Unterstützung fand, und ersetzte 6. Nov. Radowitz durch Manteuffel; dieser unterzeichnete 29. Nov. den Vertrag von Olmütz: Preußen verzichtete auf die Union und auf die mit Baden, Mecklenburg, Anhalt und Braunschweig abgeschlossenen Militärkonventionen, räumte Baden und Kurhessen und führte die schleswig-holsteinische Armee hinter die Eider zurück. Die deutsche Verfassungsfrage sollte auf freien Ministerkonferenzen verhandelt werden. Ende November kehrte der Kurfürst nach Kassel zurück und führte ein absolutes Regiment. Im Januar 1851 ward von den Mächten die schleswigholsteinische Landesversammlung und das Heer aufgelöst und damit die Streitfrage offen zu gunsten Dänemarks entschieden. Die zur Beratung der Verfassungsfrage berufenen Dresdener Konferenzen (23. Dez. 1850 bis 15. Mai 1851) lieferten kein praktisches Ergebnis. Schon Ende März forderte Preußen die Staaten der Union auf, gleich ihm selbst den alten Bundestag wieder zu beschicken. Damit war der von den Regierungen unternommene Versuch einer Verfassungsreform ebenso gescheitert wie der, welcher vom Volk ausgegangen war.

Unter dem Schutze des alten Bundes, der am 10. Juli 1851 eine Bundeszentralkommission zur Revision der Landesverfassungen einsetzte, feierte die Reaktion in der Verfolgung aller nationalen und freiheitlichen Bestrebungen ihre Triumphe. Das Schicksal Schleswig-Holsteins wurde durch das Londoner Protokoll (8. Mai 1852) besiegelt, die aus den freiwilligen Gaben der Nation gebildete deutsche Flotte ward 2. April 1852 zur Versteigerung verurteilt und die konstitutionelle Verfassung Mecklenburgs mußte der alten feudal-ständischen wieder weichen. In Hannover unterstützte der Bund den neuen Verfassungsbruch. Fast in allen Staaten suchte ein reaktionäres Polizeiregiment die Erinnerungen an das Jahr 1848 wieder auszutilgen und durch strenge bureaukratische Kontrolle der Wiederkehr einer solchen für die Throne verhängnisvollen Katastrophe vorzubeugen. Nur die römische Kirche verstand es, sich die 1848 errungene Freiheit von staatlicher Aussicht durch besondere Konkordate zu sichern. Auch versuchte Österreich, sich das besiegte Preußen wirtschaftlich dienstbar zu machen und beantragte im Mai 1850, mit seinem Gesamtstaat in den Zollverein aufgenommen zu werden. Sämtliche Mittelstaaten, mit Ausnahme von Hannover, erklärten sich bereit, dies Verlangen bei der 1854 erforderlichen Erneuerung der Zollvereinsverträge zu unterstützen. Indes Preußen gab nicht nach. Österreich mußte sich mit einem Handels- und Schiffahrtsvertrag (19. Febr. 1853) mit dem Zollverein begnügen, Münz- und Postverträge folgten, und 1861 kam auch ein allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch zu stande.

Die Mittelstaaten wurden in ihrer Hoffnung, nach der Niederlage Preußens eine entscheidende Rolle in D. zu spielen und alle Staaten außer Preußen und Österreich zu einer dritten rein deutschen Macht (Trias) unter ihrer Führung zu vereinigen, bald enttäuscht. Als sie während des Krimkriegs auch Großmachtpolitik treiben wollten und auf den Bamberger Konferenzen (im Mai 1854) in russischem Interesse tätig zu sein versuchten, nötigten Österreich und Preußen 24. Juni die Mittelstaaten zum Beitritt zu ihrer Allianz, und von der gewünschten Beteiligung des Bundes am Pariser Friedenskongreß war keine Rede. Preußen hatte jetzt nur das eine Interesse, sich in seiner Politik nicht den Wünschen des Bundes fügen zu müssen, und dieser Grundsatz kam 1858 nach dem Regierungsantritt des Prinz-Regenten noch stärker zur Geltung als bisher. Als 1859 der Krieg zwischen Österreich und Frankreich um Italien ausbrach, nahm Österreich die bewaffnete Hilfe des Bundes in Anspruch, und aus Furcht vor der Eroberungssucht Napoleons waren Regierungen, Kammern und Presse, besonders in Süddeutschland, der Ansicht, daß diese Hilfe geleistet, der Rhein am Po verteidigt werden müsse. Der Bund beschloß 24. April die Marschbereitschaft der Bundeskontingente und die Armierung der Bundesfestungen. Auch Preußen stimmte zu; entschlossen, das deutsche Bundesgebiet gegen jeden Angriff zu verteidigen, schritt es zur Mobilmachung seiner Armee und beantragte 25. Juni auch die der Bundeskorps. Doch beanspruchte es die Führung des Krieges als selbständige Großmacht, und der Prinz-Regent weigerte sich, als Bundesfeldherr sich unter den Befehl des von Österreich beherrschten Bundestags zu stellen. Um nicht seine herrschende Stellung in D. zu verlieren, verzichtete Kaiser Franz Joseph in den Friedenspräliminarien von Villafranca auf die Lombardei. Der Streit der beiden Großmächte in D. war aufs neue entfacht, und es ward immer klarer, daß eine politische Einigung zwischen ihnen nicht zu erreichen war. Die Einheitsbewegung im Volke kam aufs neue in Fluß. die Großdeutschen in Süddeutschland gründeten den Reformverein, die Reste der erbkaiserlichen oder kleindeutschen Partei, verstärkt durch jüngere Kräfte, stifteten auf An trieb Bennigsens im August 1859 den Deutschen Nationalverein, der eine Reform des Bundes, die Herstellung einer Zentralgewalt unter Preußens Leitung und eines Reichsparlaments für sein Ziel erklärte. Die Schillerfeier, zahlreiche Versammlungen wissenschaftlicher, volkswirtschaftlicher und geselliger Vereine, der Sänger-, Turner- und Schützenbünde belebten das Nationalgefühl.

Preußen erwarb sich Freunde, als es 1862 den Kurfürsten von Hessen zwang, die Verfassung von 1831 wiederherzustellen; es beantragte ferner eine Reorganisation der deutschen Reichskriegsverfassung. In der Frage der Bundesreform kam es auf die Unionspolitik zurück und forderte unter Wahrung des völkerrechtlichen Charakters des bestehenden Bundes eine engere Vereinigung seiner Glieder auf dem Wege der Vereinbarung; auch schloß es mit einigen Kleinstaaten Militärkonventionen. Die Mittelstaaten verhandelten 1860 auf den Würzburger Konferenzen ihrerseits wieder die Reformfrage, und ihr rührigster Staatsmann, Beust, legte 15. Okt. 1861 ein umfassendes, auf dem Triasgedanken beruhendes Bundesreformprojekt vor, das den größern Mittelstaaten einen Anteil an der Exekutive verschaffte und dem Bundestag eine aus Delegierten der Landtage bestehende Abgeordnetenversammlung, jedoch nur mit beratender Stimme, zur Seite stellte. Bei der Abstimmung über das Projekt (22. Jan. 1863) sprach der preußische Gesandte die Ansicht aus, daß nur eine direkt gewählte Vertretung den Wünschen der Nation entspreche. Österreich, das Preußen jetzt durch den zwischen König und Abgeordnetenhaus ausgebrochenen Konflikt voll beschäftigt wähnte, glaubte, es sei die rechte Zeit gekommen, um sich durch eine großdeutsche Bundesreform seine Stellung an der Spitze Deutschlands zu sichern und überraschte alle Welt durch eine Einladung an alle deutschen Fürsten und Freien Städte zu einem deutschen Fürstentag in Frankfurt a. M. Derselbe wurde 17. Aug. 1863 unter Vorsitz des Kaisers von Österreich eröffnet; außer den Vertretern der Freien Städte waren fast alle deutschen Fürsten persönlich erschienen, nur der König von Preußen fehlte, obwohl Franz Joseph ihn 2. Aug. persönlich in Gastein eingeladen hatte. Das von Schmerling verfaßte österreichische Reformprojekt schlug vor, die Leitung der Bundesangelegenheiten mit erweiterter Befugnis einem Direktorium zu übertragen, das aus dem Kaiser von Österreich, den Königen von Preußen und Bayern und zwei andern alternierenden Fürsten bestehen sollte; in ihm und der Bundesversammlung der Vertreter aller Regierungen sollte Österreich den Vorsitz haben; alle 3 Jahre würde eine aus 300 Mitgliedern der Landtage bestehende Bundesdelegiertenversammlung zur Beratung und Beschlußfassung über die ihr vorzulegenden Gesetzvorlagen zusammentreten und deren Beschlüsse dann einem Fürstenrat zu freier Verständigung unterbreitet werden. Auch ein Bundesgericht war vorgeschlagen. Das Projekt wurde nach geheimer Beratung 1. Sept. fast mit Stimmeneinheit angenommen, aber die Zustimmung Preußens trotz einer Kollektiveinladung des Fürstentags an König Wilhelm nicht erreicht. In seinem Bericht vom 15. Sept. betonte Bismarck (im Herbst 1862 zum preuß. Ministerpräsidenten ernannt), eine Bürgschaft dafür, daß Preußen nicht fremden Interessen geopfert werde, biete nur eine aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgegangene Vertretung, da die Wünsche und Interessen des preußischen Volkes mit denen des deutschen wesentlich identisch seien. Auch der deutsche Abgeordnetentag, der, aus liberalen Mitgliedern der deutschen Landtage bestehend, sich gleichzeitig mit dem Fürstentag 21. und 22. Aug. in Frankfurt versammelte, konnte bei aller Anerkennung der Tendenz des österreichischen Entwurfs denselben doch nicht für genügend erachten. Aber an eine Verständigung zwischen ihm und Bismarck war nicht zu denken, da selbst die eifrigsten Vertreter der deutschen Einheitsidee Bismarcks Vorschläge nicht ernst nahmen, solange der preußische Verfassungskonflikt dauerte.

Die schleswig-holsteinische Frage und der deutsche Entscheidungskampf.

Zwei Tage, nachdem in Dänemark eine neue Verfassung beschlossen worden war (13. Nov. 1863), die Schleswig in den dänischen Staat einverleibte und damit sowohl die Rechte der Herzogtümer auf Vereinigung als die völkerrechtlichen Verpflichtungen Dänemarks verletzte, rief der Tod des Königs Friedrich VII. (15. Nov.) den Prinzen von Glücksburg, Christian IX., auf Grund des Londoner Protokolls von 1852 auf den Thron. Da dieser die neue Verfassung bestätigte, so weigerten sich die Stände und Einwohner von Schleswig-Holstein, ihn als Landesherrn anzuerkennen, und proklamierten den Prinzen Friedrich von Augustenburg als ihren Herzog, dessen Thronfolge zugleich die ersehnte Trennung von Dänemark herbeiführte. Auch in D. hielt man dies für die beste Lösung; Fürsten und Landtage erklärten sich für die Anerkennung Friedrichs VIII., und 21. Dez. versammelten sich in Frankfurt 491 Abgeordnete aus allen Parteien, klein- und großdeutsche, und setzten den Sechsunddreißiger-Ausschuß (s.d.) ein, um mit allen Mitteln für den Augustenburger zu agitieren. Österreich und Preußen jedoch, als Großmächte an das Londoner Protokoll gebunden, verlangten, daß man sich mit dem Einspruch gegen die Novemberverfassung und mit der auf Grund desselben schon 1. Okt. 1863 beschlossenen Bundesexekution begnügen solle; die letztere setzten sie durch, und Ende Dezember rückten sächsische und hannöversche Truppen in Holstein ein. Da der Bund 14. Jan. 1864 es ablehnte, mit den beiden Großmächten gemeinsam zu handeln, mußten diese allein aus Werk gehen. Nachdem Dänemark die Aufforderung, die Novemberverfassung in Schleswig außer Kraft zu setzen, unbeachtet gelassen, überschritten 1. Febr. österreichische und preußische Truppen die Eider. Die öffentliche Meinung wandte sich entschieden gegen Preußen: daß Bismarck dadurch, daß er sich auf den Boden des Londoner Protokolls stellte und Dänemark ins Unrecht setzte, eine Intervention der andern Mächte verhütete, wurde von niemand gewürdigt. Der deutsch-dänische Krieg nahm einen glücklichen Fortgang, die Düppeler Schanzen wurden erobert (18. April) und ein großer Teil von Jütland besetzt. Auf der am 25. April eröffneten Londoner Konferenz, auf der auch der Deutsche Bund durch Beust vertreten war, machte es die halsstarrige Unnachgiebigkeit Dänemarks den deutschen Mächten möglich, sich vom Londoner Protokoll loszusagen und die gänzliche Trennung der Herzogtümer von Dänemark zu fordern, die im Wiener Frieden (ll 0. Okt.) auch erreicht wurde. Aber nun widersetzten sich nicht nur die Mittelstaaten, durch die Beiseiteschiebung der Bundesexekution empfindlich beleidigt, sondern auch die gegen Bismarck nun einmal mißtrauische öffentliche Meinung in D. dem Verlangen Preußens, daß der neue schleswig-holsteinische Mittelstaat ihm für seine militärische und maritime Machtstellung gewisse Zugeständnisse einräume. Eine offene Opposition gegen Preußen wagten die Mittelstaaten zunächst noch nicht, denn Preußen drohte mit Auflösung des Zollvereins, wenn sie auf ihrem Widerstand gegen den französischen Handelsvertrag beharrten. Doch auf ihren Antrieb lehnte der Herzog von Augustenburg die preußischen Forderungen ab, Preußen ließ nun den Herzog fallen und faßte die Erwerbung der Herzogtümer für sich selbst ins Auge. Österreich dagegen trat mit den Mittelstaaten für den Augustenburger ein; der Bundestag und der Sechsunddreißiger- Ausschuß drängten auf Anerkennung des Herzogs und Berufung einer schleswig-holsteinischen Landesvertretung. Noch wurde der Konflikt durch den Gasteiner-Vertrag (14. Ang. 1865) für kurze Zeit vertagt. Die geteilte Verwaltung der Herzogtümer beseitigte die Streitigkeiten nicht, und Anfang 1866 schien für Österreich die Zeit zur Entscheidung gekommen: man glaubte, Preußen, in D. isoliert und in seinem Innern durch den Verfassungskonflikt gelähmt, müsse unterliegen. In einer Note vom 16. März 1866 gab Österreich die Absicht kund, die schleswigholsteinische Sache dem Bund anheimzugeben, und sprach das Vertrauen aus, daß die deutschen Staaten Österreich unterstützen würden. Preußen kündigte darauf 24. März einen Antrag auf Bundesreform an und forderte 9. April die Berufung einer schon früher (22. Jan. 1863) als wünschenswert bezeichneten, aus direkten Wahlen und allgemeinem Stimmrecht hervorgehenden Nationalversammlung. Die öffentliche Meinung hielt diesen Antrag nicht für ernst; die Mittelstaaten suchten auf einer Konferenz zu Bamberg (14. Mai) auf beiderseitige Abrüstung hinzuwirken, doch ohne Erfolg, zumal zwei von ihnen, Sachsen und Hannover, selbst mit Rüstungen angefangen hatten. Den entscheidenden Schritt tat Österreich, indem es die holsteinischen Stände berief und 1. Juni dem Bunde die Lösung der schleswigholsteinischen Frage übertrug. Preußen bezeichnete dies als einen Bruch des Gasteiner Vertrags, ließ 7. Juni Holstein besetzen und erklärte 9. Juni im Bundestag, daß es die schleswig-holsteinische Frage als eine nationale ansehe und nur in Verbindung mit der von ihm vorgeschlagenen Bundesreform zu lösen bereit sei. Dagegen beantragte Österreich 11. Juni wegen des Vorgehens Preußens in Holstein die Mobilmachung der gesamten Bundesarmee mit Ausnahme ihrer preußischen Bestandteile, d. h. die Kriegserklärung gegen Preußen. Die Abstimmung 14. Juni ergab mit 9 gegen 6 Stimmen (Preußen, Oldenburg, Mecklenburg, die thüringischen Staaten, die Freien Städte außer Frankfurt und Luxemburg) die Annahme des Antrags. Sofort nach der Verkündigung verlas der preußische Gesandte v. Savigny eine Erklärung seiner Regierung, daß sie den bisherigen Bundesvertrag damit für gebrochen und erloschen ansehe, daß sie aber einen neuen Bund ohne Österreich mit den deutschen Regierungen abzuschließen bereit sei.

Der Preußisch-deutsche Krieg (s.d.) nahm einen unerwarteten Verlauf. Während die Bundestruppen sich noch sammelten, besetzte Preußen Sachsen und Kurhessen ohne Schwertstreich, Hannover nach dem blutigen Gefecht von Langensalza (27. Juni). Ganz Norddeutschland war Ende Juni schon in Preußens Gewalt; die meisten kleinen Staaten riefen ihre Gesandten vom Rumpfbundestag ab und schlossen sich Preußen an. Der siebentägige Feldzug in Böhmen und die Schlacht bei Königgrätz entschieden den Krieg gegen Österreich; der Mainfeldzug zersprengte die beiden Bundesarmeekorps; der Bundestag flüchtete nach Augsburg und löste sich 24. Aug. auf. Die Nikolsburger Friedenspräliminarien (26. Juli) und der Prager Friede (23. Aug.) garantierten Österreich sein deutsches Gebiet, legten ihm die Zahlung einer unerheblichen Kriegsentschädigung von 20 Mill. Tlr. auf, zwangen aber es zum Ausscheiden aus D. Unter Preußens Führung entstand der Norddeutsche Bund, mit dem die süddeutschen Staaten eine vertragsmäßige Vereinigung zur nationalen Einheit eingehen konnten. Österreich hatte seine führende Stellung aufgegeben; der Dualismus der deutschen Großmächte endete mit dem völligen Siege Preußens, das durch die Einverleibung Schleswig-Holsteins, Hannovers, Kurhessens, Nassaus und Frankfurts sein deutsches Gebiet bedeutend vergrößerte. Bei den Friedensverhandlungen suchte Frankreich, von den süddeutschen Staaten (außer Baden) um Vermittelung angegangen, sich einzumischen und verlangte gleichzeitig in drohender Form eine Kompensation am Rhein auf preußische, bayrische und hessische Kosten. Bismarck wies dies Verlangen auf die Gefahr eines neuen Krieges hin zurück, gewann zugleich durch milde Friedensbedingungen die süddeutschen Staaten für eine engere Verbindung mit Preußen und bahnte sa die Versöhnung und Einigung ganz Deutschlands ohne Österreich an. Württemberg und Baden erlitten keine, Bayern und Hessen nur unerhebliche Gebietsverluste und mußten nur Kriegskontributionen zahlen. Sie gingen im August mit Preußen geheime Schutz und Trutzbündnisse ein, garantierten sich darin gegenseitig ihr Gebiet und verpflichteten sich, zu seiner Verteidigung im Fall eines Krieges ihre volle Kriegsmacht zur Verfügung zu stellen und den Oberbefehl über dieselbe dem König von Preußen zu Übertragen. Damit war die nationale Verbindung, die der Prager Friede vorsah, hergestellt, wenn auch kein Südbund zu stande kam.

Der Norddeutsche Bund und die Begründung des Deutschen Reiches.

(Vgl die Karte »Deutsches Reich« bei s. 761.)

Schon während des Krieges hatten die Großherzogtümer Oldenburg, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und Sachsen-Weimar, die Herzogtümer Braunschweig, Anhalt, Sachsen-Koburg-Gotha und Sachsen-Altenburg, die Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Reuß j. L., Waldeck, Lippe und Schaumburg-Lippe, die Freien Städte Hamburg, Lübeck und Bremen mit Preußen ein enges Bündnis geschlossen und sich 18. Aug. für die am 14. Juni von Preußen vorgelegte neue Bundesverfassung erklärt. Hessen hatte sich in seinem Friedensschluß 3. Sept. verpflichtet, mit der vom preußischen Gebiet umschlossenen Provinz Oberhessen dem neuen Bund beizutreten. Nun wurden auch Sachsen-Meiningen und Reuß ä. L. dazu genötigt. Endlich kam nach Entlassung Beusts 21. Okt. der Friede mit dem Königreich Sachsen zu stande, das ebenfalls dem Bunde beitrat. Im Dezember 1866 wurde den Bevollmächtigten dieser 22 Staaten in Berlin der Entwurf einer Verfassung für den Norddeutschen Bund vorgelegt; und bereits 9. Febr. 1867 gelangten die Regierungen zu allseitiger Verständigung, worauf 12. Febr. die allgemeinen Wahlen für den konstituierenden Reichstag stattfanden. Derselbe wurde 24. Febr. in Berlin vom König Wilhelm I. von Preußen mit einer eindrucksvollen Thronrede eröffnet. Die Mehrheit des Reichstags bildeten Konservative und Nationalliberale; letztere hatten sich 1866 von der Fortschrittspartei getrennt, weil sie die nationale Politik Bismarcks zu unterstützen entschlossen waren. Während der Reichstag die Kompetenz des Bundes in mehreren Punkten erweiterte und seine eignen Rechte genauer präzisierte, behaupteten die Regierungen ihren Standpunkt in der Militärfrage (Normierung der Präsenzstärke mit 1 Proz. der Bevölkerung und Bewilligung der Kosten bis 31. Dez. 1871) und in der Diätenfrage (Fortfall jeder Entschädigung für die Reichstagsabgeordneten). Die Bundesverfassung wurde 16. April 1867 mit 230 gegen 53 Stimmen (zumeist von der Fortschrittspartei) angenommen und trat 7. Juni in Kraft. Das Präsidium des Bundes, der Krone Preußens erblich übertragen, besaß das Recht. Krieg zu erklären, Frieden, Verträge und Bündnisse zu schließen, den Bund nach außen zu vertreten, das Haupt der Exekutive, den Bundeskanzler, zu ernennen und Bundesrat und Reichstag zu berufen. Der Bundesrat bestand aus den Bevollmächtigten der 22 verbündeten Staaten und zählte 43 Stimmen (davon Preußen 17); er hatte das Recht der Vorberatung und Genehmigung aller Gesetze. Der Reichstag ging aus allgemeinen direkten Wahlen hervor (ein Abgeordneter auf 100,000 Seelen) und hatte die Rechte und Stellung der Volksvertretung eines konstitutionellen Staatswesens. Die Bundesgesetzgebung erstreckte sich auf das gesamte Verkehrs-, Handels-, Münz- und Zollwesen sowie wichtige Rechtsgebiete, ließ dagegen die innere Verwaltung der Einzelstaaten möglichst unberührt; doch gingen die Bundesgesetze stets den Landesgesetzen vor. Unbeschränkte Freizügigkeit gestaltete das Einzelindigenat zu einem Bundesindigenat um, Kriegsmarine und Heeresverfassung waren einheitlich, der König von Preußen Bundesfeldherr.

Durch den Bundesreformentwurf war die Verbindung Deutschlands mit dem Großherzogtum Luxemburg gelöst worden, doch hatte Preußen noch eine Garnison in der Festung Luxemburg. Als der König der Niederlande Luxemburg an Frankreich verkaufen wollte, verweigerte Preußen seine Zustimmung und beantwortete die französischen Kriegsdrohungen mit der allgemein überraschenden Veröffentlichung der geheimen Bündnisse mit den süddeutschen Staaten (19. März). Der Krieg wurde vermieden und im Londoner Protokoll (11. Mai 1867) die Räumung Luxemburgs durch die preußischen Truppen und die Neutralität des Landes vereinbart. Der Vertrag über die Neugestaltung des Zollvereins vom 8. Juli 1867, der bestimmte, daß ein Zollbundesrat und ein Zollparlament, aus dem norddeutschen Reichstag und den durch direkte allgemeine Wahlen gewählten Vertretern der süddeutschen Bevölkerung bestehend, gebildet werden sollten, stieß besonders beim bayrischen Reichsrat auf hartnäckigen Widerstand. Die Wahlen zum Zollparlament (Februar 1868) fielen in Württemberg ganz, in Bayern zu drei Vierteln partikularistisch aus, und wegen des Widerspruchs der 57 Partikularisten wurde in der ersten Session des Zollparlaments (27. April bis 23. Mai 1868) die Thronrede des Königs Wilhelm mit keiner Adresse beantwortet und jede Kompetenzerweiterung des Parlaments abgelehnt. Vorläufig begnügten sich die süddeutschen Staaten mit der Umgestaltung ihrer Heereseinrichtungen nach preußischem Muster. Der erste (und einzige) Reichstag des Norddeutschen Bundes schuf ein Bundesoberhandelsgericht in Leipzig sowie eine Gewerbeordnung und Wechselordnung; auch wurde die Gleichberechtigung aller Konfessionen zum Gesetz erhoben und ein Strafgesetzbuch genehmigt.

Über die Schwierigkeiten, die der Einigung ganz Deutschlands entgegenstanden, half der Deutschfranzösische Krieg (s.d.) hinweg, der zum erstenmal seit Jahrhunderten ganz Deutschland im Kampfe gegen eine fremde Nation sah. Nach den ersten Erfolgen schon forderte die öffentliche Meinung als Preis des Friedens die Rückgabe Elsaß-Lothringens und zugleich die Gründung eines neuen deutschen Reiches durch Eintritt der Südstaaten in den Norddeutschen Bund, aber im einzelnen waren die Vorstellungen von der neuen politischen Organisation wenig klar. In der Tat stellte Bayern anfangs bei einem Besuche Delbrücks, des Präsidenten des Bundeskanzleramts, in München, solche Forderungen, daß eine Verständigung unmöglich schien. Erst in Versailles kamen die Dinge in bessern Fluß, und nachdem Baden und Hessen durch Vertrag vom 15. Nov. in den Norddeutschen Bund eingetreten waren, schlossen auch Bayern (23. Nov.) und Württemberg (25. Nov.) hierüber Verträge. Beiden Königreichen wurden erhebliche Sonderrechte zugestanden: Gesandtschaftsrecht, Verwaltung des Heerwesens, eigne Post, Eisenbahnen und Telegraphen, eigne Besteuerung von Bier und Branntwein. Doch schloß Württemberg eine Militärkonvention mit Preußen ab, und sein Landtag genehmigte den Vertrag mit großer Stimmenmehrheit, während im bayrischen Abgeordnetenhaus die ultramontanen Partikularisten (»Patrioten«) alle Kräfte anstrengten, den Vertrag zu Fall zu bringen, so daß er schließlich nur durch den Abfall einiger Partikularisten die erforderliche Stimmenmehrheit erhielt. Im Norddeutschen Reichstag stießen dagegen die den Königreichen gemachten Zugeständnisse auf Widerspruch. Da indes mitgeteilt wurde, daß der König von Bayern beantragt habe, mit dem Präsidium des künftigen deutschen Bundes den Titel »deutscher Kaiser« zu verbinden, und die übrigen Fürsten und die Freien Städte zugestimmt hätten, nahm der Reichstag 9. Dez. die Verträge an und belegte den neuen Bund mit dem Namen »Deutsches Reich«. Eine Deputation des Reichstags, geführt von Simson, begah sich zum König Wilhelm nach Versailles und bat ihn 18. Dez. »vereint mit den Fürsten Deutschlands«, durch Annahme der deutschen Kaiserkrone das Einigungswerk zu weihen. König Wilhelm nahm die Krone an, und nachdem die formelle Zustimmung der Fürsten und Städte erfolgt war, erließ er 17. Jan. 1871 eine Proklamation an das deutsche Volk, die diese Annahme verkündete. Am 18. Jan. 1871,170 Jahre nach der Krönung des ersten preußischen Königs, geschah im Spiegelsaal des französischen Königsschlosses zu Versailles in Gegenwart einer glänzenden Versammlung von Fürsten, Prinzen und Kriegshelden die öffentliche Verkündigung des deutschen Kaiserreichs, und 19. Jan. gab der Donner der Kanonen in der siegreichen Schlacht am Mont Valérien dazu die Weihe. Der Kaiserproklamation folgte unmittelbar die Kapitulation von Paris und damit war das Ende des unvergleichlichen Krieges erfolgt. Der Versailler Vorfriede (26. Febr.) brachte dem jungen Reich Elsaß und Deutsch-Lothringen mit Metz zurück und verschaffte ihm eine Kriegsentschädigung von 5 Milliarden Frank (über ihre Verwendung vgl. Deutsch-französischer Krieg, S. 758). Der endgültige Friede zwischen Frankreich und D. wurde 10. Mai zu Frankfurt a. M. abgeschlossen.

Die Wahlen ergaben 3. März eine große nationale Mehrheit, und der erste deutsche Reichstag ward 21. März 1871 in Berlin eröffnet. Die neue ultramontane, 58 Mitglieder starke Zentrumspartei suchte den Einfluß des neuen Reiches sofort für die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes zu verwerten, wie sie auch gewisse kirchliche Grundrechte in die Reichsverfassung eingeschoben wissen wollte; beides blieb aber ohne Erfolg. Die Reichsverfassung (s. oben, S. 788ff.), die am 14. April 1871 vom Reichstag mit allen gegen vier Stimmen angenommen wurde, war eine Revision der norddeutschen Bundesverfassung: sie erhöhte die Zahl der Mitglieder und Stimmen des Bundesrats, der nun aus den Bevollmächtigten von 25 Staaten bestand, von 43 auf 58 und beschränkte die Rechte des Bundespräsidiums in einigen Punkten zu gunsten des Bundesrats. Elsaß-Lothringen wurde Reichsland, d. h. gemeinsamer Besitz des Reiches. So war das neue Deutsche Reich begründet, das dem alten, 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation allerdings an Umfang nicht gleichkam. Die politische Verbindung mit den österreichischen Landen war gelöst, Luxemburg aufgegeben, dafür waren aber Schleswig und Elsaß-Lothringen neu gewonnen. Unter einer erblichen Dynastie, die in dem preußischen Staat eine große, rein deutsche Hausmacht besaß, mit einer gesetzlich geordneten Verfassung, konnte das deutsche Volk nun eine einheitliche Kulturarbeit beginnen.

Die Regierung Kaiser Wilhelms I.

Reichskanzler und Reichstag widmeten sich mit großem Eifer der festen Begründung des Reiches: für den Militäretat wurde auf 3 Jahre ein Pauschquantum von je 270 Mill. Mk. bewilligt, die Münzreform im Januar 1873 zum Abschluß gebracht. Der Kulturkampf (s.d.) in Preußen machte sich auch im Reiche fühlbar: der »Kanzelparagraph« und das Jesuitengesetz vom 4. Juli 1872 riefen die schärfste Opposition der Ultramontanen hervor, und ihre Anstrengungen bei den Wahlen zum zweiten Reichstag (10. Jan. 1874), bei denen sie sich mit den Partikularisten verbanden, brachte ihre Zahl auf 91 Mitglieder, wozu außer 4 Welfen die Polen (14), die Sozialdemokraten (9) und die Elsaß-Lothringer (15) kamen, welch letztere 16. Febr. 1874 mit Protest in den Reichstag eintraten. Die Einführung der obligatorischen Zivilehe und das Gesetz über Verhinderung unbefugter Ausübung von Kirchenämtern (Expatriierungsgesetz) vermochten die Ultramontanen nicht zu verhindern, aber sie drohten das Reichsmilitärgesetz zu Falle zu bringen, das 1874 vorgelegt wurde und bestimmte, daß die Friedenspräsenzstärke des Heeres an Unteroffizieren und Mannschaften auf 1 Proz. der Bevölkerung (401,659 Mann) bis zum Erlaß einer anderweitigen gesetzlichen Bestimmung normiert sein sollte. Fortschrittspartei und ein Teil der Nationalliberalen wollten dem Reichstag das Recht wahren, die Friedenspräsenzstärke durch das jährliche Etatsgesetz festzustellen. Da der Reichskanzler im Falle der Ablehnung des Gesetzes mit seinem Rücktritt drohte und im Volke lebhaft Nachgiebigkeit gewünscht wurde, so verstanden sich die Nationalliberalen zu einem Kompromiß, dem sogen. Septennat, wonach die geforderte Friedenspräsenzstärke auf 7 Jahre festgesetzt sein sollte. Ein gleicher Kompromiß wurde bei der Justizreform abgeschlossen, die 1876 den Reichstag beschäftigte, nachdem sie 1874–76 von einer Kommission durchberaten worden war; der Bundesrat ließ viele Bedenken gegen deren Beschlüsse fallen, bestand aber auf seinem Einspruch gegen die Verweisung der Preßvergehen an die Schwurgerichte und gegen die Abschaffung des Zeugniszwanges für Verleger und Redakteure von Zeitschriften. Der Reichstag gab 21. Dez. 1876 nach, und die Einführung der Reform (einer neuen Gerichtsorganisation, Zivil- und Strafprozeßordnung) in allen Staaten des Reiches erfolgte 1. Okt. 1879.

Diese Vorfälle erschütterten die Einheit der bisher maßgebenden nationalliberalen Partei und entzündeten einen Streit zwischen ihr und der Fortschrittspartei. Die Folge war, daß beide bei den Neuwahlen im Januar 1877 erhebliche (49) Verluste erlitten und die Mehrheit im Reichstag verloren. Auch Bismarck wandte sich von den Nationalliberalen mehr und mehr ab. Er hatte erkannt, daß man, getäuscht durch den enormen Aufschwung von Handel und Gewerbe nach dem Kriege, der sich seit 1874 als ungesund, z. T. als schwindelhaft herausstellte und mit einem bedenklichen Zusammenbruch (Krach) zahlreicher Unternehmungen endete, in der Begünstigung des Freihandels zu weit gegangen war, die deutsche Industrie und Landwirtschaft dem Ausland gegenüber teilweise wehrlos gemacht und dadurch die Finanzen des Reiches und der Einzelstaaten empfindlich geschädigt hatte. Deshalb plante er eine Steuerreform, die mit dem Grundsatze des Freihandels brach. Die Liberalen wollten weder von ihren Freihandelsprinzipien ablassen, noch ohne vollen Nachweis des Bedürfnisses die Einnahmen vermehren, lehnten 1876 eine Reihe von indirekten Steuern (Bier, Kaffee, Branntwein, Tabak etc.) ab und sprachen sich im Februar 1878 aufs heftigste gegen das von Bismarck empfohlene Tabakmonopol aus. Da erfolgte 11. Mai 1878 das Hödelsche Attentat auf den Kaiser: die Gefahren der sozialdemokratischen Wühlerei, deren mächtiges Anschwellen schon die Reichstagswahlen von 1877 (12 Abgeordnete, 493,447 Stimmen) gezeigt hatten, wurden dadurch aufgedeckt. Die Regierung legte aus diesem Grunde dem Reichstag das Sozialistengesetz vor, das auf 3 Jahre die Verfolgung sozialdemokratischer Ziele gewissen Ausnahmemaßregeln unterwarf. Die liberale und ultramontane Mehrheit lehnte das Gesetz 24. Mai als unnötig ab, aber 2. Juni schoß Nobiling auf den Kaiser und verwundete ihn so schwer, daß er 4. Juni dem Kronprinzen die Stellvertretung übertragen mußte und erst 5. Dez. die Regierung wieder übernehmen konnte. Nun setzte der Reichskanzler die Auflösung des Reichstags durch und ließ bei den Neuwahlen (30. Juli) besonders die Liberalen aufs schärfste bekämpfen, so daß die Zahl der Nationalliberalen von 127 auf 98, die der Fortschrittspartei von 35 auf 26 Mitglieder sank. Darauf wurde das Sozialistengesetz 19. Okt. auf 21/2 Jahre (bis 1881) angenommen, aber eine zuverlässige Mehrheit hatte Bismarck in dem in drei fast gleiche Hauptparteien (Konservative, Liberale und Zentrum) geteilten Reichstag nicht.

In der äußern Politik näherte sich der Kanzler Österreich, dem er schon 14. Dez. 1870 bei der Anzeige der Neugestaltung der Dinge in D. den Wunsch eines freundschaftlichen Verhältnisses ausgedrückt hatte, und suchte eine Verständigung zwischen ihm und Ruß land herbeizuführen. Dies gelang durch die Dreikaiserzusammenkunft 5.–12. Sept. 1872 in Berlin, wo Alexander II. von Rußland und Franz Joseph von Österreich mit ihren Ministern Gortschakow und Andrassy erschienen. Auf Grund der auf gemeinsame Politik und Erhaltung des Friedens abzielenden Verabredung gelang es, als 1875 Unruhen auf der Balkanhalbinsel ausbrachen und Rußland sich von der panslawistischen Agitation 1877 zur Kriegserklärung an die Türkei drängen ließ, den Krieg auf die Balkanhalbinsel zu beschränken. Erst als Rußland gegen sein Versprechen durch den Frieden von Santo Stefano die englischen und die österreichischen Interessen im Orient verletzte und als besonders England den entschiedensten Einspruch erhob, übernahm Bismarck die Vermittelung der streitenden Interessen. Zu dem für 13. Juni 1878 einberufenen Berliner Kongreß erschienen die auswärtigen Minister aller beteiligten Mächte, und Bismarck führte den Vorsitz. Im Berliner Frieden vom 13. Juli wurde eine gütliche Vereinbarung herbeigeführt, wobei Rußland wesentliche Änderungen am Vertrag von Santo Stefano zugestand. Hierüber war die öffentliche Meinung in Rußland äußerst entrüstet, und die Spannung zwischen D. und seinem östlichen Nachbar wurde immer bedenklicher; auch eine persönliche Zusammenkunft des Kaisers Wilhelm mit dem russischen Kaiser in Alexandrowo vermochte daran nichts zu ändern, so daß Bismarck 7. Okt. 1879 ein Schutz- und Trutzbündnis mit Österreich-Ungarn abschloß, das 1883 erneuert wurde und dem auch Italien beitrat. Angesichts dieses mitteleuropäischen Dreibundes (s.d.) begnügten sich die Panslawisten und die Franzosen mit ohnmächtigen Drohungen; der Zar blieb friedlich gesinnt, und die Dreikaiserzusammenkunft in Skierniwice vom September 1884 verbürgte den Frieden für längere Zeit.

Inzwischen war der Entwurf der Wirtschafts und Finanzreform, die das Reich wirtschaftlich selbständiger machen sollte, im Frühjahr 1879 dem Reichstag vorgelegt worden; eine schutzzöllnerische Vereinigung von 204 Mitgliedern des Reichstags stimmte dem Plane des Reichskanzlers von vornherein zu, und eine Kommission des Bundesrats arbeitete einen neuen Zolltarif aus, der Schutzzölle für Getreide, Holz, Eisen u. dgl. einführte und die Finanzzölle auf Wein, Tabak, Tee, Petroleum, Kasse etc. beträchtlich erhöhte. Der Zolltarif wurde 12. Juli 1879 vom Reichstag infolge des Übereinkommens von Konservativen und Zentrum angenommen, aber allerdings mit der Franckensteinschen Klausel, wonach der die Summe von 130 Mill. Mk. übersteigende Betrag der neuen Zölle den einzelnen Bundesstaaten überwiesen werden sollte. Auch ein Wuchergesetz und eine die Gewerbefreiheit einschränkende Novelle zum Gewerbegesetz verdankten dem konservativ-ultramontanen Bund ihre Annahme. Die Verlängerung des Septennats und des Sozialistengesetzes wurde nur mit Hilfe der Nationalliberalen erreicht (die Militärnovelle von 1880 erhöhte die Friedenspräsenzstärke für 1881 bis 1888 auf 427,000 Mann), und die Samoavorlage wurde überhaupt abgelehnt. Die Neuwahlen für den Reichstag 1881 und 1884 verschlechterten noch die Parteiverhältnisse für die Regierung, indem sie nun nicht mehr auf eine konservativ-nationalliberale Mehrheit rechnen konnte und in allen die Kräftigung der Reichsgewalt betreffenden Fragen eine aus Ultramontanen, Welfen, Polen, Elsässern, Sozialdemokraten und Deutschfreisinnigen bestehende Opposition von 212, dann 232 Mitgliedern gegen sich hatte. Daher wurde das Tabakmonopel abgelehnt und die durch zwei kaiserliche Botschaften vom 17. Nov. 1881 und 14. April 1883 dringend empfohlene Sozialreform nur langsam gefördert. Erst 1883 wurde das Krankenkassengesetz und 1884 das Unfallversicherungsgesetz zum Abschluß gebracht. Vorlagen über Subvention von überseeischen Schnelldampferlinien, über Vermehrung der Beamten im auswärtigen Dienst und über Bewilligung der Mittel für den Schutz der neuerworbenen Kolonien in Afrika und Ozeanien wurden nur zögernd und widerwillig genehmigt. Im Winter 1886–87 stand wieder die Erneuerung des Septennats zur Beratung, und diesmal wurde eine Vermehrung um 41,000 Mann gefordert, so daß die Friedenspräsenzstärke 468,000 Mann betragen sollte. Als der Reichstag 14. Jan. 1887 die Regierungsforderung nur auf drei Jahre bewilligte, ward er aufgelöst. Die Neuwahlen (21. Febr.) ergaben eine konservativ nationalliberale Mehrheit (Kartell, 220 Stimmen), die das Septennat, ein Branntwein- und ein Zuckersteuergesetz annahm. Diese Steuern erhöhten die Einnahmen des Reiches endlich so, daß den Einzelstaaten erheblich mehr vom Neich überwiesen wurde, als sie an Matrikularbeiträgen zahlten. Rußlands und Frankreichs Rüstungen zwangen auch D. zur Verstärkung seiner Verteidigungsmittel, und die dazu notwendigen 280 Mill. Mk. wurden fast einstimmig bewilligt; durch ein neues Landwehr- und Landsturmgesetz wuchs die Kriegsstärke des Heeres um 1/2 Mill. Mann. Die Legislaturperioden wurden von 3 auf 5 Jahre verlängert.

Neueste Zeit.

Kaiser Wilhelm I. starb 9. März 1888. Sein Nachfolger, Kaiser Friedrich III., seit Jahresfrist an einem unheilbaren Halsleiden schwer erkrankt, erklärte im Sinne seines Vaters regieren zu wollen, starb aber schon 15. Juni 1888 nach einer Regierung von nur 99 Tagen. Sein Sohn, Kaiser Wilhelm II., trat nun die Herrschaft an und eröffnete 25. Juni eine außerordentliche Sitzung des Reichstags, umgeben von den meisten deutschen Fürsten, mit einer Thronrede, in der auch er die Einhaltung der unter seinem Großvater befolgten Politik versprach. Durch Besuche in Petersburg, an den süddeutschen Höfen, in Wien und Rom, dann 1889 in England, Athen und Konstantinopel suchte der junge Kaiser die guten Beziehungen zum Ausland zu befestigen. Die sozialpolitische Gesetzgebung wurde fortgesetzt: das Gesetz über die Invaliditäts- und Altersversicherung der Arbeiter wurde 24. Mai 1889, wenn auch mit geringer Mehrheit, angenommen. Im Winter 1889/90 stand die Verlängerung des Sozialistengesetzes zur Beratung. Die Regierung wollte es aus einem auf kurze Zeit bewilligten in ein dauerndes Gesetz verwandeln, aber die Nationalliberalen wollten für ein dauerndes Gesetz die Ausweisungsbefugnis nicht zugestehen, und so wurde 25. Jan. 1890 das ganze Gesetz abgelehnt. Unmittelbar darauf wurde der Reichstag geschlossen und die Vornahme der Neuwahlen für den 20. Februar festgesetzt.

Dieses unerwartete Ereignis enthüllte zuerst öffentlich die zwischen Kaiser und Kanzler herrschende Meinungsverschiedenheit über die einzuschlagende Politik: Bismarck wollte gegenüber der Sozialdemokratie an Repressivgesetzen festhalten und dem neuen Reichstag eine entsprechende Vorlage unterbreiten, der Kaiser dagegen hoffte durch Erfüllung der »berechtigten« Forderungen der Arbeiter der sozialistischen Bewegung jede Gefahr zu nehmen und kündigte 4. Febr. 1890 in zwei Erlassen eine Regelung der Arbeiterverhältnisse in Preußen und eine internationale Konferenz hierüber an. Der Staatsrat trat 11. Febr. zur Beratung der Arbeiterfrage zusammen, die internationale Arbeiterschutzkonferenz tagte 15.–29. März. Trotz alledem gewann die Sozialdemokratie bei den Wahlen 1,427,298 Stimmen und 35 Abgeordnete. Das Kartell, von Freisinnigen und Ultramontanen heftig bekämpft, verlor die Mehrheit: wie 1884–87 beherrschten fortan die Ultramontanen, durch 106 Abgeordnete vertreten, den Reichstag. Der Kaiser wollte jetzt das Sozialistengesetz ganz fallen lassen und durch die Arbeiterschutzgesetzgebung den sozialen Frieden herstellen. Bismarck war nicht willens, diese Wege mitzugehen; des Kaisers zweiter Besuch in Rußland und die Annäherung an England waren ihm ebenfalls nicht erwünscht, und so erbat und erhielt er 20. März 1890 seine Entlassung. General v. Caprivi wurde sein Nachfolger; auch der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Graf Herbert Bismarck, trat zurück und wurde durch den badischen Bundesratsgesandten Marschall v. Bieberstein ersetzt.

Der neue Reichstag wurde 6. Mai 1890 eröffnet, bewilligte eine Erhöhung der Friedenspräsenzstärke des Heeres auf 487,000 Mann und wurde 2. Juli vertagt. Am 1. Juli gewann D. durch Vertrag die Insel Helgoland, opferte aber dafür den Engländern in Afrika Sansibar, Uganda und Witu. Das Arbeiterschutzgesetz wurde in der Wintersession 1890/91 weiter ausgestaltet, die friedliche äußere Politik durch Erneuerung des Dreibundes im Sommer 1891 und durch den Abschluß der Handelsverträge mit Österreich, Italien, Belgien und der Schweiz Ende 1891 bekundet. Dem am 22. Nov. 1892 wieder eröffneten Reichstag wurde eine neue Militärvorlage unterbreitet, die den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht streng durchführen sollte und deshalb für die Fußtruppen die zweijährige Dienstzeit zuließ, gleichwohl aber wesentliche Mehrkosten und Erhöhung der Friedenspräsenzstärke um 18,574 Mann vorsah. Gleichzeitig war die Errichtung von 173 Halbbataillonen geplant, welche die bestehenden Bataillone von mancherlei kleinem Dienst befreien sollten. Zur Deckung der Kosten von einmal 66 Mill. und dauernd jährlich 64 Mill. Mk. wurde von der Regierung Erhöhung der Abgaben auf Börsengeschäfte, Branntwein u. Bier vorgeschlagen, doch zog sie die beiden letztern Steuererhöhungen zurück. Der Reichstag war für diese Vorlage nicht zu haben, zumal da die Regierung im Punkte der nachdrücklich verlangten Reform des Militärstrafgesetzbuches nicht entgegenkam. Obwohl unter Führung des Abgeordneten v. Huene ein Teil des Zentrums der Regierung willfahren wollte, wurde die Vorlage doch 6. Mai 1893 mit 210 gegen 162 Stimmen abgelehnt. Der Reichstag wurde sofort aufgelöst, und die Neuwahlen fanden 14. Juni statt. Es waren 180 Stichwahlen notwendig, die am 24. Juni erfolgten: verstärkt gingen aus dem Wahlkampfe die Nationalliberalen (53), die Sozialdemokraten (1,786,738 Stimmen und 44 Abgeordnete) und die Antisemiten (16) hervor. Die deutsch-freisinnige Partei, die sich noch vor den Neuwahlen in die freisinnige Volkspartei (Richter) und die der Militärvorlage geneigte freisinnige Vereinigung (Rickert) gespalten hatte, erhielt bei den Hauptwahlen gar kein Mandat, bei den Stichwahlen 37. Der vom Kaiser 4. Juli mit Thronrede eröffnete neue Reichstag nahm 15. Juli mit 201 gegen 185 Stimmen den nach den Vorschlägen Huenes gestalteten Gesetzentwurf an und ward sofort geschlossen. Das Gesetz trat 1. Okt. 1893 in Kraft, aber die Beschaffung der Mehrkosten blieb der Wintersession vorbehalten.

Im Herbste löste den preußischen Kriegsminister v. Kaltenborn-Stachau General Bronsart v. Schellendorff, der Bruder des frühern Kriegsministers, ab; auch der Reichsschatzsekretär v. Maltzahn-Gültz trat zurück, an seine Stelle wurde der Landesdirektor der Provinz Posen, Graf von Posadowsky-Wehner, berufen. Die Neuordnung der Reichsfinanzen übernahm der preußische Finanzminister Miquel, der mit so großem Geschick die Reform der direkten Steuern in Preußen durchgeführt hatte. Er verständigte sich mit den Finanzministern der übrigen Bundesstaaten nicht nur über die Beschaffung der Mehrkosten der Heeresvermehrung, sondern auch über eine allgemeine Finanzreform, die den Einzelstaaten eine Minderung der Matrikularbeiträge bringen sollte: von der Einführung einer Tabakfabrikatsteuer, Wein-, Börsen-, Stempel- und Quittungssteuer erhoffte man einen Ertrag von 100 Mill., wovon 60 Mill. der Militäretat erforderte, 40 für die Einzelstaaten bestimmt waren. Die Börsensteuernovelle wurde Ende 1893 nach der ersten Lesung an einen Ausschuß verwiesen, die Gesetze über Tabak und Wein hatten im Januar 1894 das gleiche Schicksal, mußten aber zurückgezogen werden. Die geplante Reichsfinanzreform kam dadurch nicht zu stande, was weniger für das Reich als für die Einzelstaaten wegen der durch die Schwankungen der Matrikularbeiträge verursachten Störung ihrer Haushalte verhängnisvoll wurde. Nur das Börsengesetz wurde angenommen,- und kleine Mehreinnahmen erzielte Miquel durch Änderungen an den Gesetzen über Stempel (1894), Branntwein (1895) und Zucker (1896). Im Winter 1893/94 hatte der Reichstag auch über Handelsverträge mit Spanien, Rumänien und Serbien zu beraten, die, obwohl vom Bunde der Landwirte energisch bekämpft, 15. Dez. mit knapper Mehrheit angenommen wurden. Die in dem genannten Bund und andern Organisationen politisch geeinten Agrarier wurden jetzt, indem sie den Schutz der Landwirtschaft durch Getreidezölle forderten und grundsätzlich die Handelsvertragspolitik Caprivis ablehnten, für die innere Politik ein Faktor, mit dem die Regierung rechnen mußte. Schon seit 1891 war der Gegensatz zwischen Agrariern und Industriellen in allen Fragen der Wirtschaftspolitik entscheidend gewesen, aber am schärfsten kam er zum Ausdruck bei Beratung des Handelsvertrags mit Rußland, der am 16. März 1894 dennoch angenommen und 19. März ratifiziert wurde. Obwohl die Regierung durch Errichtung von Landwirtschaftskammern und Aufhebung des Identitätsnachweises (die Agrarier nannten dies »kleine Mittel«) der Landwirtschaft zu helfen versprach, erhob der Bund bei seiner Generalversammlung 17. Febr. den schärfsten Protest gegen die Regierungspolitik, und als Ausfluß dieser Opposition brachten die Konservativen 7. April (als »großes Mittel«) den sogen. Antrag Kanitz ein, wonach der Ein- und Verkauf des zum Verbrauch im Zollgebiet bestimmten ausländischen Getreides mit Einschluß der Mühlenfabrikate nach festgesetzten Mindestpreisen für Rechnung des Reiches erfolgen sollte. Reichsregierung und Reichstagsmehrheit lehnten 13. April den Antrag ab. Die Erbitterung unter den Agrariern wuchs, und schon wurden Stimmen laut, die für eine grundsätzliche Bekämpfung der Regierung im Verein mit den linksstehenden Parteien sprachen. Eine Abordnung des Bundes der Landwirte in Ostpreußen, die der Kaiser 20. Okt. empfing, hatte den Zweck, derartige Befürchtungen zu zerstreuen. Dieser Empfang erregte aber den Unmut des Kanzlers, der bereits mit dem preußischen Ministerpräsidenten Grafen Eulenburg wegen der sogen. Umsturzvorlage in Meinungsverschiedenheiten geraten war. Obwohl der Bundesrat Caprivis milderer Fassung der Vorlage zustimmte, so erbat und erhielt der Kanzler 26. Ott. seine Entlassung; doch auch Eulenburg mußte weichen. Die Ämter des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten wurden nun wieder vereinigt und 29. Okt. dem bisherigen Statthalter von Elsaß-Lothringen, Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, übertragen. Preußischer Minister des Innern wurde v. Köller; der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Marschall v. Bieberstein, trat in das preußische Staatsministerium ein, und damit war wieder eine engere Verbindung zwischen den obersten Reichs- und preußischen Staatsbehörden angebahnt. Hohenlohe ist als Leiter der Politik noch weniger persönlich hervorgetreten als Caprivi, er hat sich nicht einmal des Hasses einer Partei (wie der »Mann ohne Ar und Halm«) zu erfreuen gehabt. Nach Bismarcks Entlassung war der Kaiser sein eigner Kanzler, wie er auch oft durch seine Reden bei festlichen Anlässen entscheidend in die Politik eingegriffen hat.

In der innern Politik brachte die Wintersession des Reichstags 1894–95 als wichtigsten Beratungsgegenstand die längst vorbereitete sogen. Umsturz vorlage, die durch erweiterte Strafbestimmungen dem verderblichen Gebaren aller derjenigen steuern sollte, »welche die Staatsgewalt in der Erfüllung ihrer Pflicht zu stören versuchen«. Die am 8. Jan. 1895 beginnende fünftägige Beratung zeigte, daß Konservative und ein Teil der Nationalliberalen für die Vorlage zu haben waren, während sie die Linke als überflüssig und unwirksam bekämpfte. In der Kommissionsberatung suchte das Zentrum die Vorlage durch Zusätze aus einem Gesetz gegen die Sozialdemokratie in ein solches zum Schutze der Kirche zu verwandeln. Dagegen erhoben aber die Vertreter der Wissenschaft und Kunst, der Presse und des Buchhandels entschiedenen Einspruch, und da das Zentrum sein Ziel nicht zu erreichen vermochte, so ward 11. Mai die Vorlage ganz abgelehnt. – Im Winter 1895/96 beschäftigte den Reichstag vornehmlich die Beratung des nach 20jähriger Arbeit fertig gestellten Bürgerlichen Gesetzbuches, das dem Reiche die Rechtseinheit bringen sollte. Obwohl das Zentrum anfangs die Abschaffung der Zivilehe zur Bedingung der Annahme machen wollte, begnügte es sich doch mit einigen formalen Änderungen, und 1. Juli 1896 ward das ganze Gesetzbuch mit 222 gegen 48 Stimmen angenommen. Einige andre zur Ergänzung notwendige Vorlagen, insbes. das Handelsgesetzbuch in neuer Fassung, gelangten 1897 zur Beratung und Annahme. 1896 war noch das Verbot des Terminhandels in Getreide und das Gesetz gegen unlautern Wettbewerb durchgegangen: ersteres sollte den Getreidemarkt für die Landwirte übersichtlicher gestalten, letzteres die Kleingewerbtreibenden vor der Konkurrenz kapitalistischer Unternehmer schützen. Ein Auswanderungsgesetz wurde 1897 angenommen; ein im Vorjahr von der Regierung abgelehntes Margarinegesetz zum Schutze der landwirtschaftlichen Produzenten ebenfalls, und ein Innungsgesetz versuchte wiederum dem Handwerk aufzuhelfen. – Die Tagung 1897/98 brachte endlich die so lange geforderte neue Militärstrafprozeßordnung vor den Reichstag, der sie 4. Mai 1898 mit 177 gegen 83 Stimmen annahm. Die Frage der Organisation des obersten Militärgerichtshofes war dabei noch unerledigt geblieben, die Einigung darüber vielmehr den beiden Kontingentsherren, dem König von Preußen und dem Prinz-Regenten, vorbehalten worden: im November 1898 wurde zwischen beiden die Vereinbarung getroffen, daß beim obersten Gerichtshof ein besonderer bayrischer Senat errichtet wird, dessen Mitglieder der König von Bayern ernennt.

Als nach den Neuwahlen 6. Dez. 1898 die zehnte Legislaturperiode begann, zeigte der Reichstag kein wesentlich andres Gesicht als vorher. Nach den Etatsberatungen des Winters 1898/99 ging noch die Erhöhung des Kapitals der Reichsbank auf 180 Mill. Mk. durch, aber erst 1. Juni 1899 wurde der Entwurf des wichtigsten Gesetzes, den Schutz des gewerblichen Arbeitsverhältnisses betreffend, vorgelegt. Schon seit 5. Sept. 1898 war die Öffentlichkeit durch eine Rede des Kaisers in Bad Oeynhausen darauf vorbereitet, und nach einer Redewendung des Kaisers, die Zuchthausstrafe für Streikführer ankündigte, belegte man das Gesetz allgemein mit dem Namen »Zuchthausvorlage«. Die Vorlage verschärfte die bisher gültigen Strafen für solche, die Arbeitswillige durch Zwang oder Drohung am Arbeiten hindern, und sah, falls infolge des Ausstandes eine Gefährdung der Sicherheit des Reiches oder eines Bundesstaates oder eine gemeine Gefahr für Menschenleben oder Eigentum eintritt, Zuchthausstrafe bis zu 3 Jahren, gegen die Rädelsführer bis zu 5 Jahren vor. Die Vorlage kam nicht an eine Kommission, sondern wurde in der zweiten Lesung 26. Nov. 1899 abgelehnt und damit begraben. Die Sozialdemokraten brachten nach diesem Erfolg ihrer Sache sofort ihrerseits Anträge über die Regelung der Arbeiterfrage ein, aber der Reichstag wies diese agitatorische Herausforderung 1. Dez. mit allen Stimmen gegen die der Antragsteller ab. Am 6. Dez. 1899 wurde die Aufhebung des Verbindungsverbots für politische Vereine Reichsgesetz. Gegen Ende der Session im Frühjahr 1900 entbrannte ein lebhafter Kampf um das Fleischbeschaugesetz und die Vorlage über Unterdrückung der Unsittlichkeit (lex Heinze). Bei ersterm versuchten die Agrarier ein fast allgemeines Verbot der Fleischeinfuhr nach 1904, d. h. nach Ablauf der Handelsverträge, durchzusetzen, bei letzterer versuchte das Zentrum Produkte der Literatur und Kunst, die »ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen« unter Strafe zu stellen. In beiden Fällen unterlagen die Antragsteller, und beide Vorlagen wurden im Mai 1900 im wesentlichen so angenommen, wie sie eingebracht worden waren. – Die Reichstagsverhandlungen im Winter 1900/1901 befaßten sich mit dem sogen. Toleranzantrag des Zentrums, durch den die Beseitigung aller staatlichen Aussicht über die Ausübung des Bekenntnisses erstrebt wurde. Obwohl der Reichskanzler von vornherein erklärte, daß die verbündeten Regierungen in einem derartigen Gesetz einen Eingriff in ihre Rechte sähen, da die Aussicht über die Kirchen nicht dem Reiche, sondern den Einzelstaaten zustehe, so wurde doch in die Beratung eingetreten. Angenommen wurden Gesetze über Versorgung der Kriegsinvaliden und ihrer Hinterbliebenen, das Urheber- und Verlagsrecht, über die staatliche Aussicht über die privaten Versicherungsunternehmungen durch Errichtung eines kaiserlichen Aufsichtsamts sowie die Novelle zum Gewerbegerichtsgesetz, die am 1. Jan. 1902 in Kraft trat. Auch den internationalen Übereinkünften zum Schutze des gewerblichen Eigentums wurde die Zustimmung erteilt, aber eine Änderung des mit 30. Sept. 1901 ablaufenden Branntweinsteuergesetzes war nicht durchzubringen. – Schon lange beschäftigte sich die öffentliche Meinung mit dem neuen Zolltarif, der 1904 in Kraft treten sollte: im Handelsvertragsverein hatte sich eine Organisation zur wesentlichen Aufrechterhaltung des geltenden Zustandes gebildet, während Agrarier und Industrielle schon längst jede Gelegenheit benutzten, um ihre Forderungen auszusprechen. Am 23. Juni 1901 ging der seit März im Reichsschatzamt fertiggestellte Entwurf dem Bundesrat zu und wurde noch vor Beendigung der Beratung 27. Juli veröffentlicht. Am 12. Nov. gab der Bundesrat seine Zustimmung, am 2. Dez. begann die erste Lesung im Reichstag, die mit Verweisung an eine 28gliederige Kommission endete. Diese hatte die Hauptarbeit zu leisten, aber die Obstruktion der Sozialdemokraten begann sofort eine gedeihliche Tätigkeit unmöglich zu machen Schon bald wurde klar, daß unter diesen Verhältnissen die Kommission auch im Sommer nach Schluß des Reichstags ihre Arbeit würde fortsetzen müssen, und um dies zu erleichtern, stellte die Regierung nach Ostern 1902 den Antrag, jedem Kommissionsmitglied 2400 Mk. Entschädigung zu gewähren. Die Parteien, die grundsätzlich die bisher vom Bundesrat stets abgelehnten Diäten für die Reichstagsmitglieder fordern, entfalteten sofort eine lebhafte Agitation dagegen. Eine Erklärung des Reichskanzlers vom 8. Febr. stellte entgegen den verbreiteten Gerüchten fest, daß der Bundesrat nicht für Diäten oder Anwesenheitsgelder zu haben sei. Nach anstrengender, den ganzen Sommer währender Beratung, beendete die Kommission 6. Okt. ihre Arbeit. Sofort nach der Eröffnung des Reichstags begann die Beratung im Plenum, aber zugleich die Obstruktion der Sozialdemokraten, denen sich die Mitglieder der Freisinnigen Vereinigung zugesellten, bis endlich v. Kardorff beantragte, den Zolltarif, wie er aus der Kommission hervorgegangen sei, unter Herabsetzung einiger Industriezölle en bloc anzunehmen. Nach vier stürmischen Sitzungen wurde dieser Antrag 11. Dez. mit 183 gegen 136 Stimmen angenommen, und in einer 18 stündigen Nachtsitzung vom 13. zum 14. Dez. gelangte das ganze Gesetz mit 202 gegen 100 Stimmen zur Annahme; der Bundesrat stimmte seinerseits 19. Dez. der vom Reichstag beschlossenen Fassung des Gesetzes zu. – Vor der Sommervertagung 1902 erteilte der Reichstag nach der Brüsseler Zuckerkonvention vom 5. März, dem Zuckersteuergesetz, das unter anderm die Erzeugung und Einfuhr von Saccharin völlig verbietet, dem Branntweinsteuergesetz und der neuen Seemannsordnung, die am 1. April 1903 in Kraft getreten ist, seine Zustimmung. Im Winter 1902/3 ward durch das am 23. März 1903 angenommene Gesetz die Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben geregelt und gleichzeitig das Gesetz zur Sicherung des Wahlgeheimnisses erlassen; dagegen gelang es nicht, die Beratung der Novelle zum Krankenversicherungsgesetz, die dem Reichstag 19. Febr. zuging und schon nach einer Woche an eine Kommission überwiesen war, zu Ende zu führen.

Am 9. Mai 1902 hob der Kaiser als Anerkennung für die zum Bau der Hochkönigsburg bewilligten Mittel den sogen. Diktaturparagraphen auf (der Bundesrat stimmte 5. Juni zu), und damit entschwand das so viel befehdete, für Elsaß-Lothringen geltende Ausnahmegesetz. Dadurch ermutigt, nahm 28. April 1903 der Landesausschuß einen Antrag an, wonach den Reichslanden im wesentlichen die Verfassung eines Bundesstaates verliehen werden soll. Während ein aufsehenerregender Prozeß in Wreschen die namentlich seitens der polnischen Geistlichkeit gegen die deutsche Staatsordnung gerichtete Verhetzung des Volkes enthüllte, und während die preußische Regierung eine neue energische Germanisierung der polnischen Landesteile durch Ankauf von Gütern behufs Ansiedelung Deutscher und Errichtung neuer Staatsdomänen in Erwägung zog, wurde 1. April 1902 die Reichseinheit dadurch gefördert, daß die neue, zugleich für Württemberg geltende Briefmarke mit »Deutsches Reich« eingeführt wurde, so daß äußerlich nur noch das bayrische Postreservatrecht zum Ausdrucke kommt. Am 18. Dez. 1902 ersuchte der Bundesrat die einzelnen Bundesregierungen, mit 1. Jan. 1903 die einheitliche deutsche Rechtschreibung amtlich einzuführen. Fast allseitig wurde dem Wunsch entsprochen; Presse und Buchverleger schlossen sich an. Am 26. Jan. 1903 erfolgte die Einführung neuer gekürzter Kriegsartikel.

Auch die Wehrkraft des Deutschen Reiches wurde seit Caprivis Abgang weiter ausgestaltet. Am 1. April 1897 wurden die 1893 geschaffenen 173 Halbbataillone in 42 neue Regimenter verwandelt. Eine wesentliche Erhöhung der Friedenspräsenzstärke brachte aber die Vorlage, die im Januar 1899 in Beratung kam und 16. März in der Fassung der Kommission angenommen wurde: die Regierung hatte neben Vermehrung der obern Kommandostellen vor allem Vermehrung und Neuorganisation der Artillerie (auf 574 Batterien) gefordert, und diese Forderung wurde bewilligt. Bei Kavallerie und Infanterie wurden einige Abstriche gemacht, aber immerhin zu den 465 Eskadrons Kavallerie 17 Eskadrons Jäger zu Pferde zugestanden und die Friedensstärke wurde bis 1903 auf 495,500 Mann (ohne Unteroffiziere) erhöht; 502,506 hatte die Regierung gefordert. Eine kleine Vermehrung der Fußartillerie wurde dadurch möglich gemacht, daß von 1902 an die bei den Bekleidungsämtern tätigen Ökonomiehandwerker, die in der Friedenspräsenzstärke einbegriffen sind, mit der Waffe eingestellt und durch Zivilhandwerker ersetzt wurden; am 1. Okt. 1902 wurden sechs Kompagnien Fußartillerie neu formiert. Auch die Mittel zur Errichtung einer militär-technischen Akademie wurden im Etat für 1903 bewilligt. – Wichtiger noch war die unter lebhafter persönlicher Anteilnahme des Kaisers vorgenommene Ausgestaltung der Flotte, welche die Kolonialpolitik sowohl als auch der Schutz deutscher Interessen über See und die Weltmachtstellung des Reiches erforderte. Der Winter 1896/97 brachte zuerst eine Vorlage an den Reichstag, derzufolge die Regierung 76 Mill. Mk. für Kriegsschiffe, namentlich Kreuzer, verlangte. Es wurden schließlich, Ende März 1897, nur 58 Mill. bewilligt. Aber schon der Herbst brachte eine neue Marinevorlage, die der Kaiser bei seiner Thronrede 30. Nov. 1897 ausdrücklich hervorhob: Verstärkung der heimischen Schlachtflotte und Vermehrung der für den Auslandsdienst im Frieden bestimmten Schiffe war das Ziel der Wünsche; in sieben Jahren sollte die Flotte auf 17 Linien-, 8 Küstenpanzerschiffe, 9 große und 26 kleine Kreuzer und die Reserve auf 2 Linienschiffe, 3 große und 4 kleine Kreuzer gebracht werden. Dazu war der Neubau von 7 Linienschiffen, 2 großen und 7 kleinen Kreuzern und eine Vermehrung des Marineetats um 410 Mill. für die siebenjährige Periode notwendig. Während die Linke, grundsätzlich den »uferlosen Flottenplänen« und der »Weltpolitik« abgeneigt, die Vorlage bekämpfte, begann im Publikum eine große Agitation zu gunsten der Flotte, und durch das Entgegenkommen des Zentrums wurde 28. März 1898 die Vorlage mit großer Mehrheit angenommen, die Frist für die Vollendung der neuen Schiffe sogar um ein Jahr verkürzt, so daß sie bereits bis 1903 fertig gestellt wurden. Nachdem 18. Okt. 1899 der Kaiser in Hamburg in einer bedeutsamen Rede die Worte »Bitter not ist uns eine starke deutsche Flotte« gesprochen hatte, tauchten bald neue Flottenpläne auf, von denen der Reichskanzler bereits im Dezember dem Reichstag im allgemeinen Mitteilung machte: es galt die Schlachtflotte und die großen Auslandsschiffe zu verdoppeln, dagegen das Küstengeschwader ganz zu beseitigen. Am 26. Jan. 1900 ging die vom Bundesrat einstimmig genehmigte Flottenvorlage dem Reichstage zu, der sie an eine Kommission verwies. Am 6. Juni erst begann die Beratung im Plenum, die mit Genehmigung des Gesetzes 12. Juni endete: die Schlachtflotte besteht danach aus 2 Flaggschiffen. 4 Geschwadern zu je 8 Linienschiffen, 8 großen und 24 kleinen Kreuzern, die Auslandsflotte aus 13 Kreuzern und die Materialreserve aus 4 Linienschiffen, 3 großen und 4 kleinen Kreuzern. Am 1. April 1903 waren vorhanden: 33 Linienschiffe (davon 4 im Bau), 12 große Kreuzer (davon 3 im Bau) und 34 kleine Kreuzer (davon 3 im Bau).

Wenn auch die Parteiverhältnisse im Reichstag im ganzen seit 1893 dieselben blieben, so trugen sich doch auch hier einige bemerkenswerte Änderungen zu. Der Präsident v. Levetzow legte, als der Reichstag 23. März mit 163 gegen 146 Stimmen es ablehnte, den Fürsten Bismarck zu seinem 80. Geburtstag zu beglückwünschen, sein Amt nieder, ebenso der zweite Vizepräsident Bürklin. Zum Präsidenten wurde darauf 29. März 1895 der ultramontane, wegen Schwerhörigkeit wenig für dieses Amt geeignete v. Buol-Berenberg gewählt, während Schmidt von der freisinnigen Volkspartei und der Ultramontane Spahn die Stellen der Vizepräsidenten übernahmen. Bei den Neuwahlen im Juni 1898 wurden gewählt: 56 Konservative, 23 Mitglieder der Reichspartei, 47 Nationalliberale, 42 Freisinnige (13 Vereinigung, 29 Volkspartei), 8 Mitglieder der Süddeutschen Volkspartei, 102 des Zentrums, 56 Sozialdemokraten, 14 Polen, 13 Antisemiten, 9 Welfen (davon 4 Zentrumshospitanten), 10 Elsässer, 1 Däne, 6 Agrarier, 5 bayrische Bauernbündler und 5 Wilde. Die für Sozialdemokraten abgegebenen Stimmen waren auf 2,107,076 gewachsen. Am 7. Dez. 1898 wurde zum Präsidenten das gemäßigte Mitglied des Zentrums Graf Ballestrem, zum 1. Vizepräsidenten der Konservative v. Frege, seit November 1901 Graf Stolberg-Wernigerode und zum 2. Vizepräsidenten Schmidt von der Freisinnigen Volkspartei gewählt. In den ersten sieben Legislaturperioden (1871–90) hatte immer eine winterliche Arbeitsperiode des Reichstags einer Session entsprochen, aber in der achten Legislaturperiode wurde es üblich, um die Ergebnisse gewisser Verhandlungen auch weiterhin benutzen zu können, die Session im Frühjahr nicht zu schließen, sondern den Reichstag nur, wie es bei Weihnachts- und Osterferien üblich war, zu vertagen: die erste Session der siebenten Legislaturperiode dauerte auf diese Weise mit zweimaliger Vertagung vom 6. Mai 1890 bis 31. März 1892. In der neunten Legislaturperiode wurde die vierte Session durch einmalige Vertagung (2. Juli bis 10. Nov. 1896) über die Zeit vom 3. Dez. 1895 bis 25. Juni 1897 ausgedehnt. Nach Ablauf der ersten fünfjährigen Legislaturperiode (1893–98) begann diese Praxis aufs neue: die zehnte Legislaturperiode nahm ihren Anfang mit der Konstituierung des Reichstags 7. Dez. 1898; vom 22. Juni bis 14. Nov. 1899 vertagte sich der Reichstag, der Schluß der ersten Session erfolgte erst 12. Juni 1900. Die zweite Session begann 14. Nov. 1900,15. Mai bis 26. Nov. 1901 und 11. Juni bis 14. Okt. 1902 ward der Reichstag wieder vertagt, und 30. April 1903 wurde mit der zweiten Session die zehnte Legislaturperiode geschlossen.

Die Neuwahlen zur elften Legislaturperiode (1903–1908) fanden 16. Juni 1903, die Stichwahlen (183) mit wenigen Ausnahmen 25. Juni statt. Nach Parteien gruppieren sich die neuen Abgeordneten wie unten angegeben (Stand Ende Juli 1903), wobei die Parteienstärke am Schluß der letzten Periode, infolge von manchen Nachwahlen gegen 1898 in 17 Fällen verändert, zum Vergleich daneben gestellt sei (vgl. auch die Karte »Reichstagswahlen« beim Artikel »Reichstag«). Trotz der Vermehrung der sozialdemokratischen Stimmen hat sich in den Mehrheitsverhältnissen wenig verändert; ausschlaggebend wird nach wie vor die Haltung des Zentrums sein.

Tabelle

Auch in den höhern Reichsämtern waren manche Veränderungen vor sich gegangen. Der Staatssekretär des Reichspostamts Stephan (gest. b. April 1897) wurde durch das konservative Reichstagsmitglied General a. D. v. Podbielski ersetzt, dem Staatssekretär des Reichsmarineamts, Hollmann, folgte im Juni 1897 Admiral Tirpitz, dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Freiherrn Marschall v. Bieberstein, der die letzten Monate seiner Amtszeit beurlaubt war, im Oktober 1897 der bisherige Botschafter in Rom, v. Bülow. Der Staatssekretär des Reichsamtes des Innern, v. Bötticher, erhielt 30. Juni 1897 die erbetene Entlassung, an seine Stelle trat der bisherige Staatssekretär des Reichsschatzamtes, Graf v. Posadowsky, der auch die allgemeine Vertretung des Reichskanzlers übernahm, während Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums an Böttichers Stelle Finanzminister v. Miquel wurde. Als Posadowskys Nachfolger im Reichsschatzamt ward Freiherr v. Thielmann, bisher Botschafter in Washington, berufen. Der Reichskanzler Fürst Hohenlohe erhielt seine schon lang erbetene Entlassung erst 17. Okt. 1900; sein Nachfolger wurde, unter Erhebung in den Grafenstand, der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Bernhard v. Bülow, dem in seiner bisherigen Stellung Freiherr v. Richthofen, bis dahin Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amte, folgte. Von entscheidender Bedeutung auch für das Reich war der Rücktritt des preußischen Finanzministers v. Miquel 5. Mai 1901, dem in seinem Amte der Freiherr v. Rheinbaben, der bisherige Minister des Innern, folgte. Da bei dem preußischen Ministerwechsel auch der bisherige Staatssekretär des Reichspostamts v. Podbielski ein neues Amt erhielt (er wurde Landwirtschaftsminister), so trat an die Spitze des Reichspostamts 5. Mai Reinhold Kraetke.

Die äußere Politik des Deutschen Reiches unter Hohenlohes Kanzlerschaft war für die national denkenden Kreise nicht mehr so beschämend wie unter Caprivi, es waren sogar einige Erfolge und Anläufe zu energischer Vertretung deutscher Interessen an jeder Stelle der Erde zu verzeichnen, aber das Volk vermißte doch einen einheitlichen Plan bei allen Unternehmungen. Als Ende 1895 der Einfall Jamesons in Transvaal bekannt wurde, da beglückwünschte 3. Jan. 1896 der Kaiser nicht nur den Präsidenten Krüger zum Siege der Buren, wodurch er in England einen Entrüstungssturm hervorrief, sondern der Staatssekretär v. Marshall erklärte auch 13. Febr. im Reichstag, daß die deutschen Interessen in Südafrika wesentlich mit dem bestehenden Zustand und der Selbständigkeit der Republiken verknüpft seien, dagegen durch die Vereinigung ganz Südafrikas zu einem Wirtschaftsgebiet erheblich geschädigt würden. Daß sich hieran noch weitere diplomatische Verhandlungen angeknüpft haben, ist mit Bestimmtheit anzunehmen, aber über den Inhalt ist nichts bekannt geworden. Jedenfalls muß das Ergebnis so gewesen sein, daß. als sich im Sommer 1899 die Verhältnisse immer mehr zuspitzten, das Deutsche Reich nicht mehr an eine Wahrung seiner Interessen denken konnte. Das Verhältnis zu Rußland, mit dem Bismarck stets ein gutes Einvernehmen gesucht hatte, erfuhr durch einige Zwischenfälle, als der Kaiser mit dem Zarenpaar gelegentlich der Kaisermanöver 5. und 6. Sept. 1896 in Breslau zusammentraf, eine Trübung, deren Eindruck sich noch dadurch erhöhte, daß der sogen. Rückversicherungsvertrag, der 1887–90 bestanden, den aber 1890 Caprivi nicht erneuert hatte, durch Bismarck bekannt wurde. An der durch den Aufstand in Kreta und durch Griechenlands Unterstützung der Insel hervorgerufenen orientalischen Verwickelung beteiligte sich D. 1897 nur mit geringen Streitkräften. Die Blockade Griechenlands, welche die Reichsregierung vorschlug, um Griechenland vom Kriege gegen die Türkei abzuhalten, unterblieb auf Englands Betreiben, dagegen gelang es ihr, bei der Vermittelung des Friedens die Kontrolle der griechischen Finanzen durch die Großmächte zur Sicherung der Staatsgläubiger durchzusetzen. Die Verletzung der Rechte eines Deutschen in Haïti durch die dortige Regierung wurde durch die Entsendung eines Kriegsschiffes rasch gesühnt. Auch in China, wo zwei deutsche Missionare ermordet worden waren, erzwangen deutsche Waffen Genugtuung und einen festen Stützpunkt für die deutsche Flotte: Kiautschou ward 14. Nov. 1897 besetzt, eine zweite Flottendivision ging im Dezember nach Ostasien ab, und 6. März 1898 wurde über die Abtretung des Hafens Kiautschou und die Rechte des Reiches auf der Halbinsel Schantung in Form einer Pachtung Verträge auf 99 Jahre abgeschlossen. Der 24. Aug. 1898 brachte die sogen. Friedenskundgebung des Zaren, in deren Verfolg die internationale Friedenskonferenz im Haag zusammentrat; aber beide Ereignisse konnten, soweit sich bis jetzt beurteilen läßt, nicht tiefer gehenden Einfluß auf Deutschlands internationale Politik gewinnen. Für die Stärkung deutschen Einflusses im Orient war die Reise von Wichtigkeit, die das Kaiserpaar im Oktober 1898 nach Palästina unternahm. Am 31. Ott. erfolgte in Jerusalem die Einweihung der evangelischen Erlöserkirche; der römisch-katholischen Kirche in Palästina schenkte der Kaiser ein Grundstück zur Erbauung einer Kirche, nachdem die deutschen Katholiken die von Frankreich beanspruchte Schutzherrschaft aller lateinischen Christen im Orient abgelehnt hatten. Auch der Papst hatte kurz vor der Kaiserreise Frankreich das früher ausgeübte Recht bestätigt, aber nach der Abberufung des preußischen Gesandten lenkte der Vatikan ein. Gleichzeitig wurden dauernd, namentlich von der englischen Presse, Gelegenheiten gesucht, um D. in internationale Händel zu verwickeln, wozu die Abgrenzung der Interessensphären in den Kolonien leicht hätte Anlaß geben können. Erst 1897 wurde ein Vertrag mit Frankreich wegen Togo geschlossen, aber noch im September 1901 wurde in Paris aufs neue darüber beraten. In Samoa griff zuerst eine gemeinsame Verwaltung Deutschlands, Englands und der Vereinigten Staaten Platz; aber schließlich ward die Insel, da England an andern Punkten wichtigere Interessen zu vertreten hatte, 1898 D. unterstellt. Für fast 17 Mill. Mk. wurde 12. Febr. 1899 von Spanien die Abtretung der Karolinen-mit den Palau- und Marianeninseln erkauft. Ende 1899 und Anfang 1900 wurden dringende Vorstellungen bei der englischen Regierung notwendig, da deutsche Postdampfer unter dem ganz grundlosen Verdacht, Kriegskonterbande für die Buren mit sich zu führen, von den Engländern aufgehalten worden waren. Es sollte 19. Jan. eine Interpellation im Reichstag erfolgen, aber 17. Jan. gab England die Schiffe frei, nachdem sie die ganze Ladung hatten löschen müssen. Über diese unmittelbar deutsche Interessen berührende englische Aktion hinaus hat dem Reiche trotz starker burenfreundlicher Strömungen im Volke kein Vorfall Anlaß zu diplomatischem Eingreifen während des Burenkriegs gegeben.

Die schwerste Verwickelung, welche das Reich auszufechten hatte, verursachte der Boxeraufstand in China, in dessen Verlauf der deutsche Gesandte, Freiherr v. Ketteler, 16. Juni 1900 ermordet wurde. Nachdem zuerst bis 28. Juni 46 Offiziere und 1500 Mann des deutschen Geschwaders in Taku gelandet waren, wurde vom 3. Juli ab die Entsendung eines besondern Expeditionskorps vorbereitet, dessen Starke schließlich 582 Offiziere, 18,712 Mann, 5579 Pferde, 120 Sanitätsoffiziere und 188 Beamte betrug; General v. Lessel führte den Oberbefehl. Am 30. Sept. 1900 bot China eine Sühne der Ermordung durch Trankopfer an, der Kaiser wies dies zurück, stellte vielmehr im Verein mit den übrigen Mächten seine Bedingungen. Seitens der chinesischen Regierung wurden Prinz Tsching und Li-Hung-Tschang mit Führung der Friedensverhandlungen betraut, schon im Januar 1901 wurde bekannt, daß Prinz Tschun als Führer einer Sühnegesandtschaft nach D. gehen werde. Am 20. Juli 1901 reiste er in Schanghai auf dem Dampfer Bayern ab, kam 26. Aug. in Basel an und wurde 4. Sept. in feierlicher Weise vom Kaiser empfangen. Noch während der Prinz in D. war, fand die Unterzeichnung des Schlußprotokolls 7. Sept. in Peking statt, das am 16. Okt. im »Reichsanzeiger« veröffentlicht wurde. Die deutschen Truppen kehrten im Laufe des September und Oktober in die Heimat zurück. Die gesamte Kriegsentschädigung, die China in 39 Jahren mit 4 Proz. Zinsen abzahlen muß, beträgt 450 Mill. Taels ( = 1,374,750,000 Mk.), wovon 240 Mill. auf D. entfallen. Die Kosten der Expedition betrugen 1900 und 1901 zusammen 276 Mill., im Etat für 1902 waren 20,54 Mill. und für 1903 noch 9,3 Mill. eingestellt. Die auch nach der Rückkehr des Expeditionskorps in China verbleibende Besatzungsbrigade bestand 1902 aus 219 Offizieren, 4422 Mann und 1964 Pferden und verminderte sich 1903 auf 111 Offiziere, 2377 Mann und 1348 Pferde. Da eine Regelung der Pensionen für Expeditionsteilnehmer und ihre Hinterbliebenen notwendig wurde, aber ihre Besserstellung gegenüber den Invaliden und Veteranen von 1866 und 1870/71 allgemein als unzulässig empfunden wurde, legte die Regierung 19. März 1901 einen Gesetzentwurf bezüglich Versorgung der Kriegsinvaliden und der Kriegshinterbliebenen vor, dem der Reichstag 4. Mai 1901 zustimmte. Jedoch das vom Reichstag wiederholt geforderte allgemeine Militärpensionsgesetz kam noch immer nicht zu stande. Dagegen stieg die im Etat für Versorgung der Veteranen vorgesehene Summe von 5,2 Mill. (1901) auf 7,5 Mill. (1902) und 9 Mill. (1903).

Neue diplomatische und militärische Eingriffe seitens des Reiches machte die im Mai 1902 ausbrechende Revolution in Venezuela erforderlich, um die dort lebenden und interessierten Reichsangehörigen, insbes. das in Eisenbahnen angelegte deutsche Kapital gegen Vergewaltigungen seitens der Republik zu schützen. Am 17. Aug. ging die Gazelle von Curassao aus nach La Guaira in See, um die deutschen Interessen zu schützen, und 24. Nov., zwei Tage nach Rückkehr des Kaisers aus England, wurde der im englischen Volke heftig bekämpfte Plan einer gemeinsam von England und D. zu unternehmenden Flottenaktion gegen Venezuela bekannt. Am 8. Dez. stellten beide Mächte dem Präsidenten ein Ultimatum, nach dessen Abweisung 9. Dez. die Aktion mit Wegnahme von vier Kriegsschiffen der Republik und Blockierung der Küste begann, während der Pöbel 11. Dez. in Caracas die deutsche Gesandtschaft angriff. Italien schloß sich den Mächten 16. Dez. an, und trotz des am 18. Dez. erhobenen Einspruchs der Vereinigten Staaten war mit der üblichen Einschränkung zu gunsten nordamerikanischer Schiffe die Blockade 21. Dez. vollendet. Präsident Roosevelt, von England und D. um Übernahme des Schiedsrichteramts gebeten, lehnte 22. Dez. ab mit dem Wunsche, die Entscheidung dem Haager Schiedsgericht anheimzugeben; aber die dortige Vertretung Venezuelas ward 29. Dez. dem Gesandten der Vereinigten Staaten in Caracas, Bowen, gestattet. Präsident Castro, der sich 1. Jan. 1903 zur Unterwerfung unter den Entscheid des Haager Gerichts bereit erklärte, nahm die gleichlautende Antwort der drei Mächte vom 6. Jan. am 9. Jan. an; trotzdem blieb die Blockade bestehen, und es erfolgte noch 21. Jan. die Zerstörung des Forts San Carlos durch die deutschen Schiffe Vineta, Panther und Gazelle. Der deutsch-venezolanische Friedensvertrag, der eine sofortige Zahlung der erstklassigen deutschen Forderung von 1,780,000 Bolivares bestimmt, wurde 15. Febr. angenommen, und 16. März erfolgte die erste Zahlung. Über die weitern Forderungen wurde vor dem Schiedsgericht im Haag vom 1. Sept. an verhandelt.

Eine Folge der Verwickelung mit Venezuela war die Abberufung des deutschen Botschafters in Washington, v. Holleben, mit dessen Stellvertretung 9. Jan. 1903 Speck von Sternburg beauftragt wurde, der ihm 1. Juli als Botschafter folgte. Bei der Botschaft in Paris wurde 1902 in Legationsrat Bumiller ein Sachverständiger in Kolonialangelegenheiten ernannt, wie ein solcher in London längst vorhanden ist. Am 11. Sept. 1901 traf Kaiser Wilhelm gelegentlich der Flottenmanöver in der Nähe von Danzig mit dem Zaren zusammen, und diese Begegnung gewann durch die gleichzeitige Anwesenheit der Grafen Bülow und Lambsdorff, der Leiter der beiderseitigen auswärtigen Politik, erhöhte Bedeutung, während die im August 1902 in Reval stattfindende erneute Begegnung mehr privater Natur war; auch die Reise des Kaisers nach England (November 1902) war ein Privatbesuch. Politisch bedeutsamer erschien dagegen der Gegenbesuch des Kaisers in Rom (Mai 1903), da ihn außer dem Kronprinzen und dem Prinzen Eitel Fritz auch der Reichskanzler und Graf Waldersee begleiteten. Bei dieser Gelegenheit stattete der Kaiser auch dem Papst 3. Mai einen Besuch ab.

Literatur zur Geschichte Deutschlands.

Die Quellen zur deutschen Geschichte im Mittelalter sind gesammelt in dem großen Werk »Monumenta Germaniae historica« (s.d.); ihm schließen sich die kleinern Sammlungen von BöhmerFontes rerum germanicarum«, Stuttg. 1843–68,4 Bde.) und JafféBibliotheca rerum germanicarum«, Berl. 1864–73, 6 Bde.) sowie die von der Historischen Kommission herausgegebenen »Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert« (Leipz. 1862–99, Bd. 1–27) und die »Deutschen Reichstagsakten« (in 2 Reihen, Münch. 1868ff.) an. Vgl. Dahlmann-Waitz, Quellenkunde der deutschen Geschichte (6. Aufl., bearbeitet von E. Steindorff, Götting. 1894); Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter (6. Aufl., Berl. 1893, 2 Bde.); Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter seit dem 13. Jahrhundert (3. Aufl., das. 1886, 2 Bde.); Potthast, Bibliotheca historica medii aevi (2. Aufl., das. 1896, 2 Bde.).

[Gesamtdarstellungen.] Ausführliche ältere Bearbeitungen der ganzen deutschen Geschichte sind die von Häberlin (Halle 1767–86, 21 Bde.), Heinrich (Leipz. 1787–1805, 9 Bde.), Luden (bis 1237; Gotha 1825–37, 12 Bde.), K. A. Menzel (bis zur Bundesakte, Bresl. 1815–23, 8 Bde., u. 1826–35, 6 Bde.; neue Ausg., das. 1854–56), Pfister (Hamb. 1829–1835, 5 Bde.; Bd. 6 von Bülau, 1842), Wirth (bis 1806; 4. Aufl., Stuttg. 1860–64, 4 Bde.) und Leo (Halle 1854–67, 5 Bde.). Eine volle deutsche Geschichte von verschiedenen Bearbeitern enthält die »Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen«, herausgegeben von W. Oncken; ein ähnliches auf D. selbst beschränktes Sammelwerk ist die von H. v. Zwiedineck-Südenhorst herausgegebene »Bibliothek deutscher Geschichte« (Stuttg. 1887ff.), zu deren Mitarbeitern unter anderm K. Th. v. Heigel, I. Jastrow, Reinh. Koser und Mor. Ritter gehören. Geringern Umfanges sind: Sugenheim, Geschichte des deutschen Volkes und seiner Kultur (Leipz. 1866, 3 Bde.); K. W. Nitzsch, Geschichte des deutschen Volkes bis zum Augsburger Religionsfrieden (2. Aufl., das. 1892ff., 3 Bde.); »Deutsche Geschichte« von Dahn, Dove u. a. in der »Geschichte der europäischen Staaten« (Gotha 1883ff.); Lamprecht, Deutsche Geschichte (Berl. 1891ff., bisher 8 Bde., teilweise schon in 3. Aufl. 1901ff.: 6 Bde., die Zeit bis 1648 umfassend, und 2 Ergänzungsbände »Zur jüngsten deutschen Vergangenheit«); Erler, Deutsche Geschichte in den Erzählungen vaterländischer Geschichtschreiber (bis zur Reformation, Leipz. 1882 bis 1884, 3 Bde.).

Kürzere Lehrbücher sind die Handbücher von Pütter (2. Aufl., Götting. 1772) und Heinrich (2. Aufl., fortgesetzt von Pölitz bis 1819, Leipz. 1819), die Werke von W. Menzel (5. Aufl., Stuttg. 1855, 5 Bde.), Duller (neu bearbeitet von W. Pierson, 7. Aufl., Berl. 1891, 2 Bde.), Rückert (3. Aufl., Leipz. 1873), Kohlrausch (für Schulen, 1816; 16. Aufl., Hannov. 1875) und D. Müller (desgl., 18. Aufl. von Rud. Lange, Berl. 1902). Ferner sind besonders zu nennen: Kämmel, Deutsche Geschichte (Dresd. 1889); G. Dittmar, Geschichte des deutschen Volkes (Heidelb. 1890, 3 Bde.); Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte (2. Aufl., Stuttg. 1901, 2 Bde.); Lindner, Geschichte des deutschen Volks (Stuttg. 1894, 2 Bde.); Biedermann, Deutsche Volks- und Kulturgeschichte (2. Aufl., Wiesb. 1891); Stacke, Deutsche Geschichte (7. Aufl., Bielef. 1896, 2 Bde.; illustriert); Richter u. Kohl, Annalen der deutschen Geschichte (Halle 1873ff.).

Die Verfassungsgeschichte behandeln: Pütter, Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Deutschen Reiches (3. Aufl., Götting. 1798–99, 3 Bde.); Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte (5. Aufl., das. 1843–44, 4 Bde.); G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte (Kiel 1844 bis 1878, 8 Bde., bis zur Mitte des 12. Jahrh.); W. Sickel, Geschichte der deutschen Staatsverfassung bis zur Begründung des konstitutionellen Staates (1. Abt., Halle 1879); R. Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (4. Aufl., Leipz. 1902). Weiteres s. Deutsches Recht, S. 748.

[Einzelne Perioden.] Umfassendere Darstellungen mit Bezug auf die Gesamtgeschichte; eigentliche Sonderwerke sind bei den betreffenden Herrschern und Zeitaltern (z. B. Dreißigjähriger Krieg) angegeben.] Die älteste Zeit behandeln: Zeuß, Die Deutschen und die Nachbarstämme (Münch. 1837); Arnol d, Deutsche Urzeit (3. Aufl., Gotha 1881); Dahn, Geschichte der deutschen Urzeit (das. 1883); v. Wietersheim, Geschichte der Völkerwanderung (2. Aufl. von Dahn, Leipz. 1880–81, 2 Bde.); Kaufmann, Deutsche Geschichte bis auf Karl d. Gr. (das. 1880–81, 2 Bde.); Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reiches (2. Aufl., das. 1887–88, 3 Bde.); die Zeit von den Karolingern bis auf Heinrich IV. eine große Reihe von »Jahrbüchern des Fränkischen«, dann »des Deutschen Reiches«, nämlich von Hahn (741–752; 1863), Ölsner (751–768; 1870), Abel u. Simson (Karl d. Gr., 2. Aufl., das. 1888, Bd. 1), Simson (Ludwig der Fromme; 1874–76, 2 Bde.), Ranke (Sächsisches Haus; Leipz. 1837–40, 3 Bde.; neu bearbeitet 1863ff.), Uhlirz (Otto II.; Leipz. 1902), Breßlau (Konrad II.; das. 1879–84, 2 Bde.) und Steindorff (Heinrich III.; das. 1874–81, 2 Bde.); Stenzel, Geschichte Deutschlands unter den fränkischen Kaisern (das. 1827, 2 Bde.); Gerdes, Geschichte der salischen Kaiser und ihrer Zeit (das. 1898). Weiterhin kommen in Betracht: F. v. Raumer, Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit (4. Aufl., Leipz. 1872–73, 6 Bde.); Jaffé, Geschichte des Deutschen Reiches unter Lothar dem Sachsen (Berl. 1843); Derselbe, Geschichte des Deutschen Reiches unter Konrad III. (Hannov. 1845); für die Zeit des Interregnums bis auf Kaiser Max I.: Olenschlager, Erläuterte Staatsgeschichte des römischen Kaisertums in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Frankf. a. M. 1755); O. Lorenz, Deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert (Wien 1864–67, 2 Bde.); Dönniges, Geschichte des deutschen Kaisertums im 14. Jahrhundert (Berl. 1841); Kopp, Geschichte der eidgenössischen Bünde (das. 1845–62, Bd. 1–3 u. 5); Lindner, Geschichte des Deutschen Reiches vom Ende des l4. Jahrhunderts bis zur Reformation (Braunschw. 1875ff.); K. Fischer, Deutsches Leben und deutsche Zustände von der Hohenstaufenzeit bis ins Reformationszeitalter (Gotha 1884); Bachmann, Deutsche Reichsgeschichte im Zeitalter Friedrichs III. und Max I. (Leipz. 1884ff.); für die Kaiserzeit überhaupt: Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit (Braunschw. 1855–80, Bd. 1–5; bis zum I. 1164); Souchay, Geschichte der deutschen Monarchie (Frankf. 1861–1862, 4 Bde.). Es behandeln sodann das Reformationszeitalter und den Dreißigjährigen Krieg (Weiteres s.d.): Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation (6. Aufl., Leipz. 1880–82, 6 Bde.); Egelhaaf, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation (Berl. 1885); Hagen, Deutschlands literarische und religiöse Verhältnisse im Reformationszeitalter (Frankf. 1844, 3 Bde.); Janssen, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters (Freiburg 1877–1888, Bd. 1–6, zahlreiche Auflagen; vom ultramontanen Standpunkt; Bd. 7ff. von L. Pastor, 1893ff.); Ranke, Zur deutschen Geschichte vom Religionskrieg bis zum Dreißigjährigen Krieg (2. Aufl., Leipz. 1874); Ritter, Geschichte der deutschen Union (Schaffh. 1867–73, 2 Bde.); Gindely, Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (Prag 1869–80, Bd. 1–4, unvollendet; populäre Darstellung 1884); Koch, Geschichte des Deutschen Reiches unter Ferdinand III. (Wien 1865 bis 1866, 2 Bde.); die Zeit nach dem Westfälischen Frieden: Hanser, D. nach dem Dreißigjährigen Krieg (Leipz. 1862); die Literatur über Friedrich d. Gr. und Maria Theresia, s. d.; Ranke, Die deutschen Mächte und der Fürstenbund 1780–1790 (2. Aufl., das. 1876, 2 Bde.); Biedermann, D. im 18. Jahrhundert (das. 1854–80, 4 Tle.); Häusser, Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Gründung des Deutschen Bundes (3. Aufl., Berl. 1869, 4 Bde.); Perthes, Das deutsche Staatsleben vor der Revolution (Hamb. u. Gotha 1845); Derselbe, Politische Zustände und Personen in D. zur Zeit der französischen Herrschaft (Gotha 1862–69, 2 Bde.); A. Schmidt, Geschichte der preußisch-deutschen Unionsbestrebungen seit der Zeit Friedrichs d. Gr. (Berl. 1851); Derselbe, Preußens deutsche Politik (3. Aufl., Leipz. 1867); v. Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (das. 1879–94, Bd. 1–5); Kaltenborn, Geschichte der deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbestrebungen 1806–1856 (das. 1857, 2 Bde.); Ilse, Geschichte der deutschen Bundesversammlung (Marb. 1860–62, 3 Bde.; unvollendet); K. Fischer, Die Nation und der Bundestag (Leipz. 1880); Weber, Der Deutsche Zollverein, seine Entstehung und Entwickelung (2. Aufl., das. 1871); Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in D. 1859–1866 (5. Aufl., Stuttg. 1901–1902, 2 Bde.). Weitere Literatur über den Preußisch-deutschen Krieg s. d.; Haym, Die deutsche Nationalversammlung (Berl. 1850); Klüpfel, Die deutschen Einheitsbestrebungen in ihrem geschichtlichen Zusammenhang (Leipz. 1853); Derselbe, Geschichte der deutschen Einheitsbestrebungen bis zu ihrer Erfüllung 1848–1871 (das. 1872–1873, 2 Bde.); Jastrow, Geschichte des deutschen Einheitstraums (4. Aufl., Berl. 1891); Goette, Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im 19. Jahrhundert (Gotha 1892ff.); L. Hahn, Zwei Jahre preußisch-deutscher Politik (Berl. 1868); Derselbe, Die deutsche Politik seit 1867 (das. 1871); Biedermann, Dreißig Jahre deutscher Geschichte, 1840–1870 (2. Aufl., Bresl. 1883, 2 Bde.); Klöppel, Dreißig Jahre deutscher Verfassungsgeschichte 1867–1897 (Leipz. 1900, Bd. 1, bis 1877); v. Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. (Münch. 1889–1890, 5 Bde.), und das Gegenstück dazu: O. Lorenz, Kaiser Wilhelm und die Begründung des Reichs (Jena 1902); H. Blum, Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks (Leipz. 1893). Über den Krieg von 1870 s. Deutsch-französischer Krieg, S. 758. über die Geschichte der preußischen und deutschen Marine s. oben, S. 798.

[Kulturgeschichtliche Werke.] W. Wachsmuth, Geschichte deutscher Nationalität (Braunschw. 1860–1862, 3 Bde.); R. v. Raumer, Vom deutschen Geist (2. Aufl., Erlang. 1850); Schultheiß, Geschichte des deutschen Nationalgefühls (Münch. 1893, Bd. 1); Scherr, Deutsche Kultur- und Sittengeschichte (10. Aufl., Leipz. 1897); Derselbe, Germania (illustriert; 5. Aufl., Stuttg. 1885); Henne am Rhyn, Kulturgeschichte des deutschen Volkes (2. Aufl., Berl. 1892); Lippert, Deutsche Sittengeschichte (Leipz. 1889, 3 Tle.); G. Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit (4 Bde., in zahlreichen Auflagen); Ger- des, Geschichte des deutschen Volkes und seiner Kultur im Mittelalter (das. 1890 u. 1898, 2 Bde.); v. Löher, Kulturgeschichte der Deutschen im Mittelalter (Münch. 1891–92, Bd. 1 u. 2). Der Wirtschafts geschichte dienen: v. Inama-Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgeschichte (3 Bde., bis zum Ausgang des Mittelalters; Leipz. 1879–1901); Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter (das. 1886, 4 Bde.); der Kirchen geschichte: Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands (Götting. 1845–48, 2 Bde., bis zum Tode Karls d. Gr.); Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands (Leipz. 1887–96, 3 Bde.; 1. Bd. in 2. Aufl. 1898,2. Bd. in 2. Aufl. 1900).

Einzelne Verhältnisse stellen noch dar: Lindenschmit, Handbuch der deutschen Altertumskunde (Braunschw. 1880–89, Bd. 1); Götzinger, Reallexikon der deutschen Altertümer (2. Aufl., Leipz. 1884); Mor. Heyne, Fünf Bücher deutscher Hausaltertümer (das. 1899–1903, Bd. 1–3); »Monographien zur deutschen Kulturgeschichte«, Sammelwerk (das. 1899ff.); Kriegk, Deutsches Bürgertum im Mittelalter (Frankf. 1868–71, 2 Bde.); Unger, Geschichte der deutschen Landstände (Hannov. 1844, 2 Bde.); Hüllmann, Städtewesen des Mittelalters (Bonn 1825–29, 4 Bde.); Arnold, Verfassungsgeschichte der deutschen Freistädte (Gotha 1854, 2 Bde.); v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung in D. (Münch. 1869–1871, 5 Bde.); Stenzel, Geschichte der Kriegsverfassung Deutschlands, vorzüglich im Mittelalter (Berl. 1820); Barthold, Geschichte der Kriegsverfassung und des Kriegswesens der Deutschen (Leipz. 1855, 2 Bde.); v. Peucker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten (Berl. 1860–64, 3 Bde.; Bd. 3: »Wanderung über die Schlachtfelder«, 2. Aufl. 1893); Köppe, Die Reichsfinanzreform (Leipz. 1902); K. Braun, Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei (3. Aufl., Hannov. 1881, 5 Bde.). – Für die historische Geographie Deutschlands vgl. die im Art. »Historische Geographie« aufgeführten, auf Deutschland bezüglichen Werke.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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