Demosthĕnes

Demosthĕnes

Demosthĕnes, 1) Sohn des Alkisthenes, akhen. Feldherr, ein unternehmender, weitblickender Mann, vortrefflicher Taktiker und bei den Truppen beliebt, drang im Peloponnesischen Krieg auf Erweiterung der athenischen Macht im Ionischen Meer, tat sich 425 p. Chr. besonders durch die für Athen so erfolgreiche Besetzung der Insel Pylos in Messenien hervor, fiel in Sizilien nach der Niederlage der Athener am Asinaros tapfer kämpfend in die Hände der Syrakusier und wurde von ihnen hingerichtet (431 b. Chr.).

2) Der größte Redner des Altertums, geb. 383 v. Chr. im attischen Demos Päania, gest. 12. Okt. 322 auf der Insel Kalauria bei Trözene, ward schon in seinem achten Jahre des Vaters, eines wohlhabenden Waffenfabrikanten, beraubt, entschied sich frühzeitig für den Beruf eines Redners. Nachdem er unter Leitung des Isäos seine rhetorischen Studien gemacht, trat er 364 als Ankläger gegen seine betrügerischen Vormünder auf. Zwar verurteilt, wußten sich diese doch der Wiedererstattung des Unterschlagenen zu entziehen, so daß D., um seine Existenz zu fristen, sich der Tätigkeit des Redenschreibens für andre zuwenden mußte. Sein erster Versuch, vor dem Volk aufzutreten, mißlang vollständig, vornehmlich wegen der Mangelhaftigkeit seines Vortrags. Doch wußte D. mit übermenschlicher Energie die Hindernisse, die ihm eine schwache Brust und schwere Zunge bereiteten, zu überwinden. 356 trat er wieder öffentlich auf, diesmal mit dem besten Erfolg. Bald wandte er sich der staatsmännischen Tätigkeit zu; sein Ziel war die Wiederherstellung der Hegemonie Athens und die Erhaltung der griechischen Freiheit, deren Bedrohung durch Philipp von Makedonien er früh erkannte. Der Kampf gegen den Landesfeind, die Indolenz seiner Mitbürger und die im makedonischen Sold stehende Partei, deren Haupt Äschines war, boten ihm reiche Gelegenheit, die ganze sittliche Energie seiner Persönlichkeit und die Macht seiner Rede zu zeigen. Zum erstenmal erhob er seine Stimme gegen den Makedonier 351 in der ersten seiner Philippischen Reden, mit dem Erfolg, daß die Athener sich aufrafften und Philipp an der Besetzung des Thermopylenpasses, des Schlüssels zum eigentlichen Griechenland, verhinderten. Dagegen ließen sie es trotz seiner drei Olynthischen Reden geschehen, daß Philipp 348 die höchst wichtige Stadt Olynth eroberte. D.mußte selbst zum Frieden raten, der aber durch die Intrigen der makedonischen Partei zu ungunsten Athens ausfiel. Bald veranlaßten ihn Philipps unaufhörliche Übergriffe, aufs neue gegen diesen in gewaltigen Reden (der zweiten und dritten Philippischen, 344 und 341) aufzutreten, indem er gleichzeitig das Äußerste aufbot, die einer kräftigen Politik und Kriegführung im Wege stehenden Mißbräuche abzustellen und Athens Streitmacht zu verstärken. Sein Verdienst war es, daß 340 Philipp der Krieg erklärt und das bedrohte Byzanz gerettet wurde. Allein der 339 ausbrechende zweite Heilige Krieg gab Philipp die gewünschte Gelegenheit, sich in Griechenlands Angelegenheiten zu mischen. Er drang in Böotien ein, und als die Bemühungen des D. ein Bündnis Athens mit Theben zustande brachten, wurde 338 in der Schlacht bei Chäroneia Griechenlands Freiheit vernichtet. Vergeblich suchten Äschines und sein Anhang D. die Schuld an dem Unglück zuzuschieben; die Achtung der Athener übertrug ihm die öffentliche Leichenrede für die Gefallenen. Nach Philipps (336) Tode suchte D. Athen zum Aufstand gegen Alexander zu bestimmen; allein dessen energisches Auftreten gegen Theben verhinderte jeden Versuch. Nur mit Mühe entging D. der verlangten Auslieferung. Schon 337 hatte Ktesiphon für D. die Auszeichnung eines goldenen Kranzes für seine Verdienste beantragt. war aber von Äschines wegen Gesetzwidrigkeit des Antrags angeklagt worden. Als Äschines 330 seine Klage erneuerte, errang D. mit seiner berühmten Rede vom Kranz einen solchen Sieg über ihn, daß er in die Verbannung gehen mußte. Dagegen gelang es 324 des D. Gegnern, seine Verurteilung wegen angeblicher Bestechung durch Harpalos (s.d.) herbeizuführen. Außer stande, die Strafsumme von 50 Talenten zu bezahlen und ins Gefängnis geworfen, entfloh er nach Ägina, wurde jedoch schon 323 ehrenvoll zurückgerufen. Nach dem unglücklichen Ausgang des Lamischen Krieges von der makedonischen Partei zum Tode verurteilt, suchte er Zuflucht in dem Poseidontempel auf Kalauria und gab sich hier, als die Schergen des Antipatros ihn ergreifen wollten, durch Gift den Tod. Von bildlichen Darstellungen des D. sind hervorzuheben eine Herme aus pentelischem Marmorin München und eine lebensgroße Marmorstatue im Vatikan zu Rom. – Die Reden des D. sind der reinste, treueste Spiegel seines Charakters. Glühende Vaterlandsliebe, Größe und Reinheit der Gesinnung, tiefe Wehmut über den Verfall der Zeit, ein die Pläne des schlauen Makedoniers durchdringender Scharfblick, tiefe Menschenkenntnis und große Staatsklugheit leuchten aus jeder Staatsrede hervor. D. wollte überzeugen, nicht gefallen, stets war es die Sache selbst, die Wahrheit der Überzeugung, die ihn auf die Rednerbühne führte, wo er durch umsichtige Anordnung des Stoffes, Gewandtheit und Schärfe der Gedankenentwickelung, Innigkeit der Empfindung und Festigkeit der Gesinnung so gewaltig wirkte. Seine Sprache ist großartig und doch schlicht, reich und doch nicht überladen, ernst und doch gefällig, gedrängt und doch fließend, lieblich und doch eindringlich. Das Altertum kannte 65 echte Reden des D.; uns sind unter seinem Namen 60, teils Staats-, teils Gerichtsreden, erhalten, von denen jedoch 27 mehr oder weniger verdächtig sind. Zweifelhaft ist auch die Echtheit von 56 Proömien zu Staatsreden und 6 Briefen. Von den Gesamtausgaben der Reden sind hervorzuheben: die von Vömel (Par. 1843–45, 2 Bde.; neue Ausg. 1868), Dindorf (Oxford 1846–51, 9 Bde.; Textausgabe, 4. Aufl. von Blaß, Leipz. 1885ff., 3 Bde.) und Bekker (das. 1854 bis 1855, 3 Bde.), von kritischen Ausgaben einzelner Reden die der Volksreden und der Reden gegen Äschines von Vömel (das. 1857 u. 1862) und Weil (2. Aufl., Par. 1881 u. 1883), der gegen Leptines von Vömel (Leipz. 1866); von Ausgaben ausgewählter Reden (mit erklärenden Anmerkungen) die von Westermann-Rosenberg (3 Bde., in der Weidmannschen Sammlung) und von Rehdantz-Blaß (in der Teubnerschen Sammlung). Übersetzungen sämtlicher Reden von Papst (Stuttg. 1836–42,19 Bdchn.), ausgewählter von Westermann (das. 1860–68, 4 Tle.), Rauchenstein und Döderlein (das. 1860). Vgl. Schäfer, D. und seine Zeit (2. Ausg., Leipz. 1885–87, 3 Bde.); Höck, D., ein Lebensbild (Gütersloh 1895); Croiset, Les idées morales dans l'éloquence politique de Démosthène (Par. 1874); Blaß, Die attische Beredsamkeit, 3. Abt. (2. Aufl., Leipz. 1893); Brédif, L'éloquence politique en Grèce: Démosthène (Par. 1879).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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