Dämmerung

Dämmerung

Dämmerung (lat. Crepusculum), die Helligkeit, welche die Sonne einige Zeit vor ihrem Ausgang (Morgendämmerung) und nach ihrem Untergang (Abenddämmerung) verbreitet. Sie entsteht dadurch, daß die Sonnenstrahlen die höhern Luftschichten noch treffen und von diesen, die nicht vollständig durchsichtig sind, z. T. zurückgeworfen und zerstreut werden. Ohne Atmosphäre oder bei vollständiger Durchsichtigkeit derselben würden Licht und Finsternis ohne Übergänge einander folgen. Nähert sich die Sonne an einem wolkenfreien Abende dem Horizont, so nimmt der unterste Teil des Himmels im W. eine gelbe Farbe an, im O. folgt auf eine schmutzig ockergelbe eine trübe purpurne, die eine Höhe von 6–12° erreicht und nach oben in das Blau des Himmels übergeht. Sobald die Sonne unter den Horizont gesunken ist, erhebt sich am östlichen Himmel der aschfarbene Erdschatten in Gestalt eines dunkeln Segments, das sich über den purpurnen Teil des Himmels schiebt, so daß dieser einen stets schmäler werdenden Gürtel, den ersten östlichen Dämmerungsbogen oder die erste Gegendämmerung, bildet. Im W. ist unterdessen die gelbe Färbung unmittelbar am Horizont ins Rote und Braunrote übergegangen, das sich nach Sonnenuntergang in Orange verwandelt, während senkrecht darüber eine helle, transparente Stelle liegt. In größerer Höhe, etwa 25° über dem Horizont, machen sich gleichzeitig purpurne Töne geltend, anfangs nur ein heller Fleck, der schnell zu einem Kreis anwächst und hinter das gelbe Segment hinabzusinken scheint. Bei weiterm Sinken der Sonne nimmt dieses erste Purpurlicht schnell an Intensität zu und erreicht sein Maximum bei einer Tiefe der Sonne von 3–4° unter dem Horizont. Es hat alsdann fast die Gestalt eines Kreises, dessen Zentrum wenig über dem gelben Segment liegt, während der untere Teil desselben von letzterm verdeckt erscheint. Bald verändert es jedoch seine Gestalt und bildet eine schmale Zone von geringer Höhe, wodurch das helle gelbe Segment darüber scharf begrenzt wird. Diese Grenze ist der erste westliche Dämmerungsbogen. Bald darauf erfolgt eine rasche Abnahme der Tageshelle, mit deren Eintritt man die bürgerliche D., d. h. die Zeit, während der man nach Sonnenuntergang noch die gewöhnlichen Beschäftigungen im Zimmer ohne künstliche Beleuchtung vornehmen und größere Schrift bequem lesen kann, als beendet ansieht; zu dieser Zeit werden auch die hellern Sterne sichtbar; die Sonnentiefe beträgt alsdann fast 6°. Der Osthimmel erscheint nun wieder ein wenig gefärbt, am westlichen Himmel vollzieht sich dagegen eine Wiederholung der schon einmal beobachteten Erscheinungen, nur weniger glänzend und in etwas geringerer Höhe. Über dem ersten Dämmerungsbogen entwickelt sich aus einer gelblichen Schicht der zweite Dämmerungsschein oder der zweite westliche Dämmerungsbogen; über diesem kann man unter günstigen Umständen ein zweites Purpurlicht bemerken. Die Farbenerscheinungen verlieren sich schließlich mehr und mehr und verschwinden ganz, worauf auch die schwächern Sterne sichtbar werden. Dies ist das Ende der astronomischen D., bei dem sich die Sonne 18° unter dem Horizont befindet. Besonders deutlich ist die Erscheinung des Purpurlichts in den Tropen, während es in unsern Zonen nur schwer zu beobachten ist (vgl. W. v. Bezold, Beobachtungen über die D. in Poggendorffs »Annalen«, 123,240–276,1864).

Ein Kreis, der 18° unter dem Horizont und parallel mit diesem am unsichtbaren Teil des Himmels gezogen wird, heißt der Dämmerungskreis. Die Dauer der D. ist also abhängig von der Zeit, in der die Sonne den Dämmerungskreis erreicht, und diese Zeit ist verschieden je nach der Neigung und Stellung des von der Sonne an einem Tag durchlaufenen Kreises. In dem Maß, wie die Sonne schräger gegen den Horizont herabsinkt, braucht sie offenbar mehr Zeit, den Dämmerungskreis zu erreichen, als da, wo sie mehr senkrecht zum Horizont untergeht. Die D. ist daher am Äquator am kürzesten und wird gegen die Pole zu immer länger. Für gewisse Orte und Zeiten sinkt die Sonne überhaupt nicht 18° tief unter den Horizont, es findet dann eine ununterbrochene (mitternächtliche) D. statt. Unter dem Äquator schwankt die Dauer der astronomischen D. zwischen 72 und 79 Minuten; unter 50° nördl. oder südl. Br. dauert die astronomische D. zur Zeit der Äquinoktien 115 Minuten, zur Zeit des kürzesten Tages 126 Minuten; zur Zeit des längsten Tages sinkt die Sonne nur noch bis 161/2° unter den Horizont und dann tritt die Zeit der hellen Nächte ein, die unter 50° nördl. Br. am 1. Juni, unter 70° am 26. März und unter dem Pol am 29. Jan. beginnt. Die Dauer der bürgerlichen D. beträgt ungefähr ein Drittel von der der astronomischen. Unter 50° nördl. Br. findet die kürzeste Dauer der bürgerlichen D. 14. März und 29. Sept. statt, wenn die Sonne 2,5° südliche Deklination hat. Dieselbe beträgt 40 Minuten, während die kürzeste Dauer der astronomischen D. unter dieser Breite 1 Stunde 53 Minuten beträgt. Am Äquator findet das ganze Jahr über so gut wie kein Unterschied in der Dauer der bürgerlichen D. statt, indem sie in den Äquinoktien 24, in den Solstitien 25 Minuten wahrt. Mit dem wachsenden Unterschiede der Tageslängen wächst auch der Unterschied in der Dauer der D. In der heißen Zone spricht sich das Aufhören der Dämmerungserscheinungen deutlicher aus als in der gemäßigten und kalten Zone.

Im Spätsommer und Herbst 1883 beobachtete man eine plötzliche Steigerung der mit der D. verbundenen Farbenerscheinungen, die auf dem größten Teil der Erdoberfläche sichtbar waren. Außer den ungewöhnlich farbenreichen Dämmerungen wurden verschiedenartige Färbungen von Sonne und Mond sowie eine auffallende, ringförmige Färbung des Himmels in der Nähe der Sonne, der sogen. Bishopsche Ring (s.d.), beobachtet. Die Art der Entwickelung der dreifachen Form der atmosphärisch-optischen Störungen sowie der Umstand, daß dieselben gleichzeitig beobachtet sind, ließ darauf schließen, daß sie aus einer einzigen Quelle stammen. Man leitete sie von den Aschen- und Staubmassen ab, die der Vulkan Krakatau (s.d.) in der Sundastraße 26. und 27. Aug. 1883 in die größten Höhen der Atmosphäre geschleudert hatte. Kießling hat den Nachweis des physikalischen Vorganges, durch den schwebende Stoffteilchen vulkanischen Ursprungs die Dämmerungserscheinungen hervorzurufen imstande sind, auf experimentellem Wege geliefert, indem er die Wirkungen von durchgehendem Sonnenlicht auf feste, zu Staub zerkleinerte Stoffe, auf chemisch erzeugten Rauch und künstlich erzeugten feuchten Nebel feststellte. Vgl. Kießling, Untersuchungen über Dämmerungserscheinungen (Hamb. 1888); »The eruption of Krakatoa and subsequent phenomena« (Bericht an die Royal Society, hrsg. von Symons, Lond. 1888).

Zur Erklärung der Dämmerungserscheinungen sind mehrere Theorien aufgestellt: von Clausius (1850), Brücke (1852), Lord Rayleigh (1871) und Lommel (1861). Letztere Theorie, nach der die Dämmerungsfarben durch Beugung des Lichtes an den kleinen, in der Atmosphäre schwebenden Dunstkörperchen und Stäubchen entstehen, ist wohl geeignet, die genannten Erscheinungen zu erklären. In den untern Schichten der Atmosphäre schwebt eine Menge sehr kleiner Körperchen verschiedener Art. Steht die Sonne dem Horizont nahe, so haben ihre Strahlen in diesen Schichten einen hinlänglich weiten Weg zu durchlaufen, um die beugende Wirkung jener Körperchen in merklichem Grade zu erfahren. Jeder Punkt der Sonne muß dadurch selbst rötlich und noch von stärker gerötetem gebeugten Licht umgeben erscheinen; indem sich nun die roten Aureolen benachbarter Punkte übereinander lagern, wird sich dem direkten Licht jenes Sonnenpunktes noch das gebeugte der Nachbarpunkte beigesellen und dadurch dessen Röte nochmals vertiefen. Darum muß bei einer Lichtfläche die rote Färbung noch auffallender hervortreten als bei einem vereinzelten Lichtpunkt. Während die Lichtscheiben der Sonne und des Mondes am Horizont in prächtigem Orangerot erglühen, bemerkt man deshalb die rötliche Färbung auf- und untergehender Fixsterne kaum. Entfernte weiße Flächen, wie die Gletscher und Firnfelder der Alpen, dem Horizont nahe Wolken, zeigen, von der untergehenden Sonne beleuchtet, oft ein ins Purpurne ziehendes Rot (Alpenglühen), während eine in der Nähe befindliche weiße Mauer, wie die Sonne oder der Abendhimmel selbst, nur orangerot gefärbt erscheint. Das von jenen Flächen reflektierte, bereits gerötete Licht erfährt nämlich auf seinem langen Rückweg bis zu unserm Auge nochmals die beugende Wirkung der in der Luft schwebenden Körperchen und wird dadurch tiefer gerötet.

Aus der Beugungstheorie erklärt sich die ganze Skala der Dämmerungsfarben vom Gelb und Orange bis zum Feuer- und Blutrot; grünliche Farbentöne erscheinen da, wo das Gelb des Abendhimmels in das Himmelblau übergeht. Der Bishopsche Ring ergibt sich als notwendige Folgerung aus der Beugungstheorie. Auf Grund dieser Theorie konnte sogar aus den von Archibald und Riggenbach ausgeführten Messungen seines Radius der Durchmesser jener kleinen Teilchen berechnet werden, welche die oben geschilderten ungewöhnlichen Dämmerungserscheinungen hervorbrachten; Pernter fand diesen Durchmesser = 0,00185 mm. Das erste Purpurlicht ist als eine Fortsetzung des Bishopschen Ringes nach Sonnenuntergang, nämlich als der obere Teil des rötlichen Ringes anzusehen. Aus genauen Messungen hat in der Tat Riggenbach gefunden, daß das Purpurlicht an einer Stelle des Himmels aufzutauchen beginnt, an der bei dem augenblicklichen Stande der Sonne die hellste Stelle des Bishopschen Ringes sich zeigen würde.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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