Agrikulturchemie

Agrikulturchemie

Agrikulturchemie (Ackerbauchemie), die Lehre von den Naturgesetzen des Feldbaues, in weiterm Sinne die Lehre von den chemischen Erscheinungen bei der Entwickelung der landwirtschaftlich wichtigen pflanzlichen und tierischen Organismen.

Die Geschichte der A. fällt in ihren Anfängen mit der Geschichte der Naturwissenschaften zusammen. Zu einer selbständigen Wissenschaft wurde sie durch Humphry DavyElements of agricultural chemistry«, Lond. 1813, deutsch 1814) erhoben. Bernard Palissy von Chapelle-Biron (1499) erkannte schon die löslichen Bodensalze für die Bodenfruchtbarkeit als maßgebend, während Jethro Tull (1740) die sein zerteilte Erde als Pflanzennahrung bezeichnete (Tullismus). Dann folgten die Arbeiten von Hermbstädt, der wie die rationellen Landwirte Thaer, Schwerz, Burger, Schönleutner, Fellenberg u.a. auf dem Boden der Humustheorie stand, nach der die Pflanze ihre Nährstoffe dem Humus entnehmen soll, der sich beim Verwesen organischer Substanz bildet. Sprengel lieferte zwar schon 1828 den Nachweis, daß der Humus nur eine Vermittlerrolle spielt; aber erst 1840 stellten Wiegmann und Polstorf endgültig fest, daß die im Pflanzenkörper vorhandenen Elemente ausnahmslos von außen aufgenommen werden müssen. Gleichzeitig erschien Liebigs »Organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie«, und von diesem Werke datiert eine neue Epoche der A. Liebig betonte vor allem die Bedeutung der für die Ernährung der Pflanzen wichtigen Mineralstoffe, die im Boden nur in beschränkter Menge vorhanden seien und endlich erschöpft werden müssen, wenn nicht vollständiger Ersatz für die in den geernteten Früchten dem Boden entzogenen Stoffe stattfindet. Er warnte vor solchem »Raubbau«, fand jedoch mit seiner neuen Theorie sehr viele Gegner, und namentlich wollten mehrere Chemiker dem Stickstoff, als wesentlicher Pflanzennahrung, höhern Wert beilegen als den Mineralstoffen. Die Versuche von Lawes und Gilbert zu Rothamsted in England (Hertfordshire) schienen für die Stickstofftheorie zu sprechen; allein Liebig zeigte, daß sie nur zur Bestätigung seiner Lehre dienten. Die Zeit des Kampfes lieferte eine Fülle der wertvollsten Arbeiten (Wiegmann und Polstorf, Salm-Horstmar, Knop etc.), und namentlich hat Boussingault, der eine Musterwirtschaft in Bechelbronn im Elsaß leitete, sehr viel zum Ausbau der A. getan. Der Streit fand seine Ausgleichung in der Erkenntnis, daß alle Nährstoffe für die Pflanzen von gleicher Bedeutung sind, und daß Kali und Phosphorsäure bei der Düngung vor allem zu berücksichtigen sind, während für die Stickstoffanreicherung, besonders nach den Forschungen Hellriegels, das Vermögen der Hülsenfrüchte (Lupine, Erbse etc., Stickstoffsammler), mit Hilfe von Bakterien den atmosphärischen Stickstoff nutzbar zu machen, in Betracht zu ziehen ist. Auf Liebigs Anregung wurde auch die Tierchemie in Angriff genommen und durch Haubner, Henneberg und Stohmann. Grouven, G. Kühn, Bischoff, Von und Pettenkofer mächtig gefördert. Der von letzterm konstruierte Respirationsapparat ermöglichte eine genaue Verfolgung der chemischen Vorgänge im tierischen Körper, und so gelangte man in der Fütterungslehre zu mancher wichtigen Erkenntnis, die ihre Vervollständigung durch Erforschung der Verdaulichkeit der Futternährstoffe und der Gesetze des tierischen Stoff- und Energiewechsels anstrebt. In dem Maße, wie der Standpunkt Liebigs durch die gegenwärtige wissenschaftliche Erkenntnis als zu einseitig chemisch erkannt wurde, hat die A. als selbständige Disziplin an Bedeutung verloren und ist in die Landwirtschaftswissenschaft aufgegangen. Vgl. Liebig, Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie (9. Aufl. von Zöller, Braunschw. 1876); Boussingault, Die Landwirtschaft in ihrer Beziehung zu Chemie etc. (deutsch, 2. Aufl., Halle 1851, 2 Bde.; Supplemente 1854 und 1856); E. Wolff, Die naturgesetzlichen Grundlagen des Ackerbaus (3. Aufl., Leipz. 1856, 2 Bde.); Derselbe, Die rationelle Fütterung der landwirtschaftlichen Nutztiere (7. Aufl., Berl. 1899); Mulder, Chemie der Ackerkrume (deutsch, Leipz. 1862, 2 Bde.); Mayer, Lehrbuch der A. (5. Aufl., Heidelb. 1901 f., 3 Bde.); Sachße, Lehrbuch der A. (Leipz. 1888); Bischoff und Voit, Die Gesetze der Ernährung der Fleischfresser (das. 1860); Henneberg und Stohmann, Beiträge zur Begründung einer rationellen Fütterung der Wiederkäuer (Braunschw. 1860–64, 2 Bde.; »Neue Beiträge«, das. 1870–72); Dietrich und König, Zusammensetzung und Verdaulichkeit der Futterstoffe (2. Aufl., Berl. 1891, 2 Bde.); Berthelot, Chimie végétale et agricole (Par. 1899, 4 Bde.). Zeitschriften: »Jahresbericht über die Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der A.« (Berl. 1858 ff., hrsg. von Hilger und Dietrich); »Die landwirtschaftlichen Versuchsstationen« (hrsg. von Nobbe seit 1859, Berl.); »Zeitschrift für das landwirtschaftliche Versuchswesen in Österreich« (Wien, seit 1899); »Biedermanns Zentralblatt für A.« (Leipz., seit 1872).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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